Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 25. Juli 2004
Predigt über
Apostelgeschichte 2, 41a.42-47, verfaßt von Christian-Erdmann Schott

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In seinem zweiten Buch, der Apostelgeschichte, schreibt der Evangelist Lukas:

Die das Wort annahmen, ließen sich taufen.
Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.
Es kam aber Furcht über alle Seelen und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel.
Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam.
Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.
Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen
Und lobten Gott und fanden Wohlgefallen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

Liebe Gemeinde!

Diese Schilderung des Alltags der Urgemeinde in Jerusalem ist sehr erhebend, schön, eindrucksvoll. So wünschen wir uns Gemeinde: Zusammenhalt, gegenseitige Hilfe, Geschlossenheit, Fröhlichkeit, Ausstrahlung. So einer Gemeinde möchte man gern angehören.

Dabei wissen wir aus den folgenden Kapiteln der Apostelgeschichte, dass es tatsächlich – auch damals – nicht immer so einfach und schön war. Und zur Zeit der Abfassung der Apostelgeschichte, etwa 50 Jahre nach dem Pfingstwunder, war der Alltag der christlichen Gemeinden oft noch schwieriger. Es gab Spannungen und Spaltungen, Mutlosigkeit und Langeweile, der erste Schwung, mit dem das junge Christentum in die Welt getreten war, war dahin.

Darunter hat nicht nur Lukas gelitten. Darunter haben nicht nur damals Christen gelitten. Wie ein Schatten, wie eine dunkle Nebenlinie, zieht sich das Leiden an der Kirche durch die Geschichte – bis in unsere Tage. Heute, scheint mir, hat die Unzufriedenheit mit der Kirche geradezu epidemische Ausmaße angenommen. Die Stimmung ist nicht gut, in und außerhalb der Kirche, mit der Folge: Wenig Begeisterung, kaum Ausstrahlung, viel Stillstand, zum Teil auch Resignation. Weite Bevölkerungsschichten signalisieren Desinteresse. Das alles lähmt auch die, die sich von diesem allgemeinen Trend frei halten können.

Nun hat Lukas gemeint, dass er mit der Schilderung des erhebenden Urzustandes den Gemeinden seiner Zeit Kräfte zuführen kann. Unsere Frage ist: Wie könnte das gehen? Könnte er auch uns damit helfen? Oder entmutigt er uns vielleicht sogar noch mehr, weil wir erkennen müssen: Einen solchen Zustand erreichen wir nie!?

Ich denke, wir sollten das schöne Bild einen Moment bei Seite lassen und uns statt dessen an die Botschaft halten, auf die es dem Apostel vor allem ankommt. In der deutschen Übersetzung wird sie leider nicht ganz deutlich. Aber im griechischen Urtext wird sie herausgehoben und unterstrichen, dadurch, dass er dasselbe Wort zwei Mal verwendet, nämlich das Wort proskarterountes (V.42 und 46). Das meint „Bleibt beständig – seid beharrlich – haltet fest“ - am Glauben, am Wort der Apostel, an der Gemeinschaft, am Abendmahl, am Gebet.

Damit legt der Apostel den Finger auf den für den Bestand der Kirche entscheidenden Punkt: Die Beständigkeit. Gerade in Zeiten schwacher Begeisterung auf der einen und der erdrückenden Dominanz von geld- und marktwirtschaftlichen, sportlichen (Fußball), arbeitsmarktpolitischen Themen auf der anderen Seite fühlen wir uns als Christen mit unserem Glauben und unserer Botschaft leicht überflüssig. Wir haben dann das Gefühl, dass der Glaube nicht gefragt ist. In manchen Sendern des Fernsehens wird das sogar auch ganz unverhohlen ausgesprochen, indem der Glaube der Lächerlichkeit preisgegeben wird.

Hier ist es hilfreich, auf den Rat des Apostels zu hören „Bleibt beständig!“, lasst euch nicht irre machen. Das wird uns leichter fallen, wenn wir uns immer wieder klar machen: Die Botschaft der Bibel betrifft Fragen des menschlichen Lebens, die unabhängig von allen Konjunkturen gestellt sind: Leben und Sterben, Glauben oder Verzweifeln, Angst und Zuversicht, Verantwortung und Schuld, Beten und Hoffen. Mit dem Wort Gottes haben wir einen Schatz, wie ihn niemand hat und kennt. Darauf dürfen wir vertrauen. Das kann uns Selbstbewusstsein geben und daraus folgend Geduld, die sich nicht einschüchtern lässt, sondern beharrlich an dem für richtig Erkannten festhält. und weiß – es zahlt sich aus.

Allein kann man das nicht. Wir sind darauf angewiesen, dass wir uns in der Beständigkeit durch das Wort Gottes und durch die Gemeinschaft stärken, bestärken. Wir brauchen das Wort Gottes, also Mut machende Geschichten, Bilder, Vorbilder, Bibelverse oder auch Gesangbuchverse, den Gottesdienst, das gemeinsame Abendmahl, den Austausch untereinander, das Sprechen miteinander und mit Gott. Wenn wir uns so stärken, stehen wir auch lange Dürrezeiten durch und merken, dass sich manches unter uns in der Richtung entwickelt, wie sie Lukas in seinem Bild von der Jerusalemer Urgemeinde beschrieben hat. In Gemeinden der früheren DDR konnte man so etwas erleben. Die Not des Druckes durch die atheistische SED hatte zahlreiche Gemeinden wie Familien, wie Glaubensfamilien, gemeinsame materielle Unterstützung eingeschlossen, zusammen wachsen lassen.

Das beharrliche Bleiben am Wort gibt der Kirche Dauer. In dieser Dauer liegt ein starkes Argument für die geschichtlich wirksame Kraft des Wortes und für den Glauben. Mit dem Wort wird zugleich das Angebot Gottes für alle Menschen aufrecht erhalten. Jeder von uns kennt mindestens eine Lebensgeschichte aus seinem Umkreis, die zeigt, dass dieses Angebot auch angenommen wurde und eine neue, dankbar begrüßte Ausrichtung des Lebens bewirkt hat. Auch das bestärkt unseren Glauben. Von den Erfolgen des Wortes Gottes sollten wir viel mehr weiter erzählen. Es stärkt alle, die daran glauben.

Dazu gehören auch die „Wunder und Zeichen“, von denen der Apostel spricht. Sie geschehen auch heute, werden allerdings viel zu wenig wahrgenommen. So ist es zum Beispiel ein großes Zeichen der Versöhnung, das von vielen evangelischen Vertriebenen ganz im Stillen gesetzt wurde, indem sie in ihre alte Heimat, etwa in Schlesien, gefahren sind und, auf der schlichten menschlichen Ebene, fernab der großen Politik, mit den jetzt in ihren Häusern lebenden Polen ihren Frieden gemacht, manchmal sogar Freundschaft geschlossen haben (Vgl. C.-E. Schott (Hg), Brücken nach Polen, Würzburg 2003). „Wunder und Zeichen“ geschehen vor allem auf dem Gebiet des Versöhnens durch das Niederlegen von Vorurteilen und des Verbindens schmerzender seelischer Wunden durch Zuhören und Fürbitte, durch das Mittragen des Leides anderer, wie auch im Aufrichten und Stärken durch Trost, Zuspruch, Ermutigung.

Als ich noch Gemeindepfarrer war, haben mir wiederholt Gemeindeglieder von solchen Wundern und Zeichen in ihrem Leben erzählt. Dabei haben sie immer auch darauf hingewiesen, dass diese Hilfen durch andere Christen in ihrem Leben auch körperliche Auswirkungen hatten. Sie fühlten sich insgesamt besser, stabiler, zuversichtlicher.

Die Beständigkeit, die der Apostel für so wichtig hält, steht immer in der Gefahr der Aufgabe, des Schwankens und Wankens. Die Geschichte der Kirche weiß von solchen „Abtrünnigen“, wie man sie dann genannt hat, zu berichten. Die Geschichte weiß auch von viel Anpassung. Es können mehrere Motive sein, die zusammen kommen und dazu führen, dass die christliche Botschaft dem Zeitgeschmack sehr, zu sehr eingepasst wird; so eingepasst, dass das Besondere, der Biss verloren geht. Damit das nicht geschieht, werden wir uns zu der Regel verständigen müssen: Es ist notwendig, dass die Botschaft nicht den Menschen angepasst wird, sondern die Menschen sich der Botschaft anpassen. Nur eine Botschaft, die anders ist als die Botschaften dieser Welt, ist wirklich hilfreich, ist wirklich Evangelium, auch für die Menschen unserer Zeit.

Die Furcht, aus der Beständigkeit heraus zu fallen, sei es nach der Seite des Verrates, sei es nach der Seite der Anpassung, haben die Alten stärker gehabt als wir heute. Nikolaus Selnecker (1530-1592), ein lutherischer Theologe der ersten Generation nach der Reformation, hat das in einem sehr schönen Gebet einmal so ausgedrückt:

„Lass mich dein sein und bleiben, du treuer Gott und Herr,
von dir lass mich nichts treiben, halt mich bei deiner Lehr:
Herr, lass mich nur nicht wanken, gib mir Beständigkeit;
Dafür will ich dir danken in alle Ewigkeit“. (Ev. Gesangbuch 157)

Dasselbe meint der Apostel Lukas, im gleichen Geist, anderthalb Jahrtausende früher, wenn er schreibt: „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“. Amen.

Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Elsa-Braendstroem-Straße 21
55124 Mainz (Gonsenheim)
Tel.: 06131-690488
FAX 06131-686319
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