Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 11. Juli 2004
Predigt über
1. Korinther 1, 18-25, verfaßt von Angelika Überrück

(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

viele von Ihnen werden in den letzten Wochen die Spiele der Fußballeuropameisterschaften im Fernsehen gesehen haben. Die einen, weil sie Fußballfans sind, die anderen, weil ein anderes Familienmitglied die Spiele sehen wollte.

Ich achte, weil ich nicht zu den Fußballfans gehöre, eher auf die kleinen Dinge und Gesten am Rande eines solchen Spiels. Auf den Umgang der Menschen miteinander, auf das, was sich sonst so abspielt. Und vielleicht ist Ihnen dabei ja auch aufgefallen, dass etliche Fußballer sich vor dem Betreten des Fußballfeldes bekreuzigen. Ganz selbstverständlich und unauffällig machen sie ganz kurz ihr Kreuzeszeichen.

Diejenigen von Ihnen, die jetzt in den Urlaub in die Berge fahren, werden dort auch Kreuze am Wegesrand finden, als Stationen zum Innehalten und zum Sprechen eines kurzen Gebetes. Oder Sie werden die Kreuze auf den Gipfeln der Berge entdecken.

Kreuze sind auch bei uns seit einigen Jahren am Straßenrand zu finden. Sie erinnern uns daran, dass dort ein Mensch bei einem Verkehrsunfall sein Leben gelassen hat.

Das Kreuz gehört dazu – wir finden es natürlich in jeder Kirche, auf den Friedhöfen und auf Todesanzeigen. Als Schmuckstück ist es gerade mal wieder modern.

Groß gefeiert wurde das Anbringen des Kreuzes auf der Frauenkirche in Dresden als Zeichen der Versöhnung und als Zeichen der Verbundenheit.

Das Kreuz begegnet uns immer wieder. Aber verstehen wir auch, was es bedeutet? Ist es wirklich ein eindeutiges Zeichen, so dass jeder, der es sieht, eine Verbindung zu unserem christlichen Glauben herstellen kann?

Als mein Mann als Militärseelsorger für sechs Monate in Afghanistan war, haben er und sein katholischer Kollege überlegt, ob sie wohl Schwierigkeiten mit der Bevölkerung bekommen, wenn die das Kreuz auf ihrer Kleidung entdecken. Nichts dergleichen geschah. Denn das Kreuz hatte für die Menschen in Afghanistan keine Bedeutung, war kein für sie erkennbares Zeichen.

Auch in unserem Alltag scheint das Kreuz nicht mehr für jeden verständlich zu sein. Das wird mir manchmal in Gesprächen deutlich. Ich erlebe es, dass Eltern ihren Kindern zwar Geschichten aus Jesu Leben erzählt haben, aber nicht die Leidens- und Todeserzählungen. Das finden sie zu brutal für ihre Kinder. Dass sie damit auch den wichtigsten Teil unseres Glaubens den Kindern vorenthalten, ist ihnen dabei nicht so bewußt. Denn unser christlicher Glaube steht und fällt nun einmal mit dem Geschehen am Kreuz und seinen Folgen.

Die meisten von Ihnen werden sich auch noch an die Diskussion um das Aufhängen eines Kreuzes in bayrischen Klassenzimmern erinnern. Dabei ging es den Gegnern des Kreuzes eben auch um die Brutalität. Die Eltern, die gegen das Aufhängen eines Kreuzes waren, argumentierten damit, dass ihr Kind nicht ständig eine brutale Folterung vor Augen haben soll. Denn das ist die Kreuzigung eines Menschen nun mal, eine qualvolle Art des Sterbens, bei der der ans Kreuz Geschlagene lange Stunden, sogar Tage, dort hängt. Die Arme und Beine sind festgenagelt, so dass er sich nicht bewegen kann. Alles schmerzt und das Ende ist einzig und allein der Tod. Die Schmerzen, das Leid sind kaum vorstellbar. Das alles wollten diese Eltern ihren Kindern nicht ständig vor Augen halten, genauso wenig wie man ständig das Bild eines Galgens oder eines Ermordeten vor Augen stellt.

Aber dabei haben die, die das so sagen, eben nur das Kreuz als Folterinstrument gesehen. Für Christen ist es mehr und noch anderes.

Für uns als Christen ist der ans Kreuz Genagelte nicht irgendein Mensch, sondern in diesem Menschen ist Gott selbst. Es geht nicht um die Brutalität des Ereignisses an sich, sondern darum, dass in diesem Tod Gottes Hinwendung zu uns sichtbar geworden ist.

Diese Vielschichtigkeit des Kreuzessymbols zu verstehen, ist eben, so wie Paulus sagt, für die einen Unsinn, für die anderen Weisheit. Für Christen ist mit dem Zeichen des Kreuzes auch immer diese Hinwendung Gottes zu uns Menschen verbunden. Paulus bringt das in unserem Predigttext auf den einen Satz: “Wir verkünden, dass Christus, der Gekreuzigte, der Retter ist.“

Ein Gekreuzigter als Retter: das ist wirklich schwierig. Denn auf den ersten Blick ist das Sterben am Kreuz ein Zeichen des Scheiterns und des Todes. Jesus musste leiden und sterben wie ein Verbrecher. Er war einsam und allein und hatte keine Freunde mehr, die ihm zur Seite standen.

Und es ist schon merkwürdig, wenn Menschen sich darauf berufen, sich daran festhalten. Wenn Menschen sich als Zeichen das Symbol einer Niederlage wählen.

Denn in unserer Welt möchten wir schließlich gerne erfolgreich sein und mächtig. Das zählt. Bei Bewerbungen schreiben wir die Erfolge auf, dass, was wir bisher erreicht haben, die guten Noten, die wir erzielt haben. Gesucht werden in der Regel auch gesunde, junge, erfolgreiche und durchsetzungsfähige Menschen. Wir wünschen jemandem Erfolg im Beruf, Geld zum Leben, Durchsetzungsvermögen... . „Bleib gesund“, so verabschieden wir uns oft oder „Komm heile zu Hause an.“ Eigentlich wünschen wir nie, dass jemand auch mal schwach sein darf, dass er oder sie fähig ist zu weinen. Selbst bei Beerdigungen versuchen zunehmend Menschen sich durch die Einnahme von Medikamenten vor dem Weinen und vor den Gefühlen zu „schützen“.

Das Kreuz dagegen steht für all die Dinge, die wir gerne ausblenden. Es steht für die dunklen Seiten unseres Lebens. Und allein, dass wir uns Gesundheit, Stärke, Macht, Kraft und all so etwas wünschen, macht ja deutlich, dass es nicht selbstverständlich ist. Das Kreuz steht für das Leiden dieser Welt. Es steht dafür, dass unser Leben eben nicht geradlinig verläuft. Es gibt eben Krankheiten, die alle Pläne zunichte machen. Es gibt Leid, es gibt Unfälle. Wir wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, einen gesicherten Arbeitsplatz zu haben, ein Dach über dem Kopf und genug für das tägliche Leben. Unser Leben ist eben zerbrechlich und unsicher. Genauso wenig ist es selbstverständlich, Menschen zu haben, die einen lieben, die einem in Freundschaft verbunden sind und zu einem halten. Überlegen Sie einmal, wie viele wirkliche Freunde sie haben? Wie viele Kinder gibt es, die in schwierigen Familienverhältnissen aufwachsen?

Sie wissen alle, genau so gut wie ich, und haben es sicher auch schon einige Male erfahren, dass wir mit Leid und Not, mit Krankheit, Trauer und Tod konfrontiert werden. Da ist alles schön und harmonisch und plötzlich werden unsere Pläne durch äußere Umstände zunichte. Leben ist nicht über Jahre hinaus planbar. Wir können unser Leben nicht absichern, auch nicht durch Versicherungen.

Das Kreuz Jesu macht deutlich, dass wir einen Gott haben, der all die Unwägbarkeiten des menschlichen Lebens mitgehen will. Er hat die Verzweiflung erlebt und auch das Gefühl, verlassen zu sein. Er ist gestorben, grausamer als es kaum sein kann. Das Zeichen des Kreuzes ist für den Glauben ein Zeichen des Sieges, weil wir einen Gott haben, der eben bis in diese Tiefen des menschlichen Lebens mitgegangen ist. Einen Gott, der eben alles Leid und alle Qualen auf sich genommen hat, damit wir es in unserem Leben nicht alleine durchstehen müssen. So sehr liebt er uns.

Unsinn? Torheit? Denen, die daran glauben, so sagt Paulus, ist es Weisheit und Kraft und das schon seit fast 2000 Jahren..

Menschen erfahren es bis heute immer wieder: In den Niederlagen oder in den schwierigen Stunden ihres Lebens ist das Kreuz nicht ein Folterinstrument sondern Siegeszeichen, Hoffnungsquelle, Kraftquelle, Ort der Selbstfindung.

Ich möchte es noch mal an meinen Beispielen vom Anfang verdeutlichen.

Ein Fußballer, der sich bekreuzigt, sagt damit doch auch: ich vertraue nicht nur dem Geld und meinem eigenen Können. Und vielleicht spielt er auch anders, weil die anderen für ihn auch Menschen sind, die zu Jesus Christus dem Gekreuzigten gehören. Und vielleicht weiß er auch, dass sein Wert nicht von diesem einen Fußballspiel abhängt. Sie mögen sagen, das ist zu viel in diese Geste hineingelegt, vielleicht, und es ist sicher auch nicht jedem immer bewußt. Dennoch, vielleicht hat sich ja gerade bei diesen Meisterschaften gezeigt, dass die, die mit den anderen als Mannschaft gespielt haben, weiter gekommen sind als die tollen hochbezahlten Einzelkämpfer.

Und die Kreuze am Wegesrand. Die Menschen stellen sie ja nicht nur auf als Mahnung, sondern um dorthin gehen zu können, um im Gebet den anzuflehen, der ihnen diesen Menschen genommen hat und bei dem sie nun Hilfe und Kraft suchen. Das Kreuz ist nicht nur ein Zeichen des Todes, es macht eben auch deutlich, dass wir in dieser Situation nicht allein sind, dass wir einen Gott haben, der diesen Weg bereits kennt. Und zu wissen, ich bin nicht allein, das hilft, das gibt neuen Mut, neue Hoffnung.

Das Kreuz auf der Frauenkirche. Es ist ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung geworden. Mit dem Kreuz ist auch deutlich, das so etwas wie Versöhnung möglich ist, indem Menschen aus Großbritannien, einem Land, mit dem Deutschland Krieg geführt hat, dieses Kreuz finanziert haben. Jesus hat uns Vergebung vorgelebt. Dafür ist er gestorben, dass wir bei Gott Vergebung erfahren. Und deshalb können wir sie auch leben.

Die Gipfelkreuze ermahnen sicher auch daran, dass so eine Besteigung kein Kinderspiel ist und manchmal Menschen ihr Leben gelassen haben. Sie sagen darüber hinaus: unser aller Leben ist in der Hand dessen, der da am Kreuz gestorben ist, der uns liebt mehr als je ein Mensch uns lieben kann. Der diese Welt und alles in der Hand hält. Wir können zwar Berge besteigen, aber Herr dieser Berge ist Christus.

Das Kreuz an der Kette als Schmuckstück. Es kann auch mehr sein. Als mein Mann in Afghanistan war, schickte er uns jedem ein Kreuz aus dem landesüblichen Lapislazuli-Stein. Unser jüngster Sohn, dem die Trennung von seinem Vater am schwersten fiel, machte es sofort um und es half ihm in den weiteren Wochen der Trennung.

Liebe Gemeinde, „Gott handelt gegen alle Vernunft – und ist doch weiser als alle Menschen. Gott zeigt sich schwach – und ist doch stärker als alle Menschen.“ Gott handelt wider alle Vernunft, weil er eben völlig schwach und hilflos wird, so wie wir es auch manchmal sind. Er stellt die Liebe zu uns über alle Macht, über alle Dinge, die in dieser Welt etwas gelten und macht uns damit deutlich, was wirklich Bestand hat in unserem Leben. Diese Worte aus dem Paulusbrief können wir nicht beweisen, aber wir können sie erfahren. Wir können sie erfahren, da, wo unser Leben in Gefahr gerät, da, wo unser Leben aus den Angeln gerät und wir merken, wir sind schwach und brauchen Hilfe. Da ist Gott da, da ist er uns nahe. Und immer wieder haben Menschen gerade in diesen Situationen ihres Lebens erfahren, dass sie stark wurden und völlig neue Perspektiven entwickeln konnten, weil sie wissen, dass dieses Leben in Gottes Hand liegt. Amen

Lieder:
334 Danke
245 Preis, Lob und Dank
365 Von Gott will ich nicht lassen
369 Wer nur den lieben Gott lässt walten
171 Bewahre uns Gott

Pastorin Angelika Überrück
Jakob-Kaiser-Str. 14
21337 Lüneburg
Tel.: 04131/852731
Email: RUeberrueck@t-online.de

 


(zurück zum Seitenanfang)