Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 20. Juni 2004
Predigt über Lukas 14, 25-35, verfaßt von Kirsten Jørgensen (Dänemark)
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(dänische Perikopenordnung)

Heute trifft uns das Evangelium mit einem gewaltigen Donner.

Wenn jemand den Beginn dieses Textabschnittes aus dem Lukasevangelium hören kann, ohne Anstoß zu nehmen oder sich getroffen zu fühlen, dann, wage ich zu behaupten, hat der Betreffende nicht ordentlich zugehört. Denn es sind in der Tat anstößige Worte, die uns hier begegnen. Lukas schreibt: "So jemand zu mit kommt und hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein".

Man sagt, daß das christliche Evangelium ein Ärgernis für Menschen ist, und hier bekommt man wahrlich reichlich Anstoß für sein Geld. Denn ist es nicht anstößig, hier mit Verwandten und Freunden in die Kirche zu kommen, mit seiner Frau oder seinem Kind oder seinem Bruder oder seiner Schwester, und dann zu hören: Wenn man die nicht haßt, kann man nichts mit Gott zu tun haben? Reicht das nicht, uns zu veranlassen umzukehren und in die Welt zu verschwinden, wo niemand ist, dem es einfiele, etwas so Absurdes zu verlangen wie die zu hassen, denen man am meisten verbunden ist?

Warum also haben sich nicht mehr Leute erhoben und die Kirche verlassen aus Protest, als das Evangelium verlesen wurde? Ja vielleicht, weil eine dänische volkskirchliche Gemeinde aus freundlichen Menschen besteht. Vielleicht aber auch, weil man instinktiv fühlt, dass etwas hinter diesen radikalen Worten steht. Da ist mehr zu sagen. Etwas, nach dem es sich zu suchen lohnt.
Und das ist da - natürlich - auch.

Erstens muß man fragen, was es überhaupt heißt zu hassen.

Kinder können zuweilen auf die Idee kommen zu sagen, daß sie Eis lieben, aber Mohrrüben hassen (das Gegenteil ist selten der Fall). Wenn Kinder so sagen, reden sie dann von einem leidenschaftlichen Liebesverhältnis zum Eis? Nein, sie meinen, daß sie gern Eis mögen, jedenfalls mehr als Mohrrüben. Sie finden, daß die Erwachsenen einsehen sollten, daß es wichtiger ist, eine tägliche Dosis Eis zu bekommen als eine tägliche Portion Rohkost. Sie stellen Eis über alles andere, was man in den Mund stecken kann. Lieben und hassen sind für sie nicht Worte, die ihre innersten Gefühle beschreiben, sondern Worte, die angeben, daß sie es schön finden, wenn der Eiswagen vorbeifährt. Ich kenne z.B. einen kleinen Jungen, der auf die Idee kommen kann, in seinem Abendgebet für den Eismann zu beten, sicherheitshalber. Ich glaube nicht, daß er jemals für die Mohrrüben im Garten gebetet hat: Lieber Gott laß die Würmer an meinen Mohrrüben vorbeigehen. Wohl kaum!

Daß das Wortpaar Lieben und Hassen im Sprachgebrauch der Kinder und hier im Evangelium bedeutet, zwischen zwei Dingen Prioritäten zu setzen - und nicht innerste leidenschaftliche Gefühle beschreibt, die man mit jemandem verbindet, kann man hören, wenn der Evangelist Matthäus die selben Worte wiedergibt, die Jesus einmal gesagt hat: "Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert". Nach Matthäus geht es also nicht darum, seine engsten Angehörigen zu hassen, sondern darum, etwas höher zu schätzen als seine Familie, nämlich Christus. Seine Familie hassen und Christus lieben bedeutet also, daß es etwas gibt, was wichtiger ist als das eigene Fleisch und Blut. Ja, Christus ist das Wichtigste.

Aber wird das Ärgernis dadurch geringer?

Nein, in gewisser Weise nicht. Denn das kann noch immer als eine enorme Provokation verstanden werden, daß Jesus behauptet, daß es wichtigere Bande gibt als die des Blutes. Daß es ein Band gibt, das uns mehr bindet als das Band, das uns mit unserer Familie und engsten Freuden verbindet. Daß es etwas gibt, das wir höher einschätzen als Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern. Daß es eine Gemeinschaft gibt, die stärker ist als unsere Gemeinschaft mit unseren engsten Freunden.

Es erscheint uns anstößig, weil gerade unsere Verwandten und Freunde für uns eine große Bedeutung haben. Das ist ja kein Wunder, natürlich ist unser eigenes Leben sehr abhängig von denen, die um uns sind. Natürlich bedeuten unsere Ehen, unsere Kinder, unsere Eltern, unsere Brüdern und Schwestern und unsere Freunde ungeheuer viel für uns und unser Lebensglück und unser Gefühl dafür, ob unser Leben gelingt und Sinn hat. Und die Kernfamilie ist wirklich in Mode gekommen. Auch wenn es viele Scheidungen und zerbrochene Beziehungen gibt, so gehen Menschen immer neue Ehen ein und schaffen neue Kernfamilien.

Das Evangelium ist deshalb ein Ärgernis. Es trifft uns dort und in dem, was unendlich viel für uns bedeutet. Aber gerade dieser Anstoß gegen uns sollte der Anstoß dazu sein, daß wir anfangen zu überlegen, ob unsere Kernfamilie und unsere engsten und intimsten Beziehungen nun auch die große Bedeutung tragen können, die wir ihnen beimessen. Kann die Liebe zum Ehepartner z.B. wirklich das Leben mit Sinn erfüllen? Kann die Liebe zwischen zwei Menschen das sein, auf dem man das Leben gründet? Und sind die engen Beziehungen zu den engsten Freunden wirklich der Sinn des Lebens, die Tiefenstruktur des Lebens, der Grund des Lebens?

Das Evangelium antwortet hier klar und eindeutig: Nein!
Es gibt etwas, was wichtiger ist als alles andere. Nämlich unser Verhältnis zu Gott.

Es gibt eine Gemeinschaft, die weit über unsere menschlichen Beziehungen zu einander hinausreicht, und das ist die Gemeinschaft mit Christus.

"Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert". In diesen Worten liegt sowohl eine Forderung als auch eine Verheißung. Wir wenden uns zunächst der Forderung zu.

Die Forderung des Evangeliums ist die, daß du dich niemals in deine Kernfamilie verschanzen sollst mit deinen engsten Freunden. Du sollst nie die Hecke zwischen dir, deinen engsten Angehörigen und dann dem Rest der Welt so hoch wachsen lassen, daß du die nicht sehen kannst, die draußen sind. Du darfst niemals glauben, daß dein eigenes familiäres Glück das Wichtigste von allem ist, denn das Wichtigste von allem ist Christus und seine Botschaft an die Menschen von der Nächsten- und Feindesliebe. Da darfst niemals dein Leben auf dir selbst und deinen eigenen Beziehungen aufbauen. Deine Liebe soll weiter reichen als zu denen, die du selbst in dein Leben einbezogen hast.

Du sollst auf Christus bauen. Auf das, was er gesagt und getan hat. Auf das, was er von dir will. Die Forderung ist die, daß Gott und sein gebot Zentrum sein soll für alle deine Gedanken, Gefühle und Taten.

Und dann die Verheißung.

Die Verheißung ist die, daß es etwas anderes gibt als dich selbst und die Beziehungen, die du selbst schaffen kannst als Grundlage deines Lebens. Die Verheißung ist, daß Gott eine Beziehung zu dir geschaffen hat in der Taufe, dich zu deinem Kind gemacht hat seit der Taufe zum ewigen Leben. Was bedeutet das? Das bedeutet: Ganz gleich, wie enge Beziehungen du eingehst und abbrichst, es gibt eine Gemeinschaft, die immer besteht,weil sie nicht von dir selbst abhängt, sondern von Gott. Wenn unsere eigene Welt zusammenbricht - bei Scheidungen, einem Todesfall, Arbeitslosigkeit, Streit, Lebenskrisen - dann bricht deine Welt dennoch nicht zusammen, weil Gott sie für dich aufrecht erhält.

Kein Mensch kann es aushalten, der Sinn im Leben eines anderen Menschen zu sein. Das ist für alle eine gewaltige Überforderung. Es ist eine gewaltige Überforderung der Ehe, wenn die Ehe der Sinn des Lebens sein soll. Es ist eine Überforderung der Kinder, wenn sie der Sinn des Lebens sein sollen. Wir sind Geschenk für einander, ja, es ist ein großes und wichtiges Geschenk, einen guten Ehepartner, Kinder, Freunde zu haben. Aber keine von uns kann der Grund unter dem Leben eines anderen Menschen sein. das kann nur Gott. Deshalb muß es in jeder Beziehung einen dritten Partner geben - Gott. Einen dritten Partner, der nicht Eifersucht hervorrufen soll, sondern der vielmehr der sein soll, der alles zusammenbindet, wie wir das bei der Trauliturgie sagen, mit dem Band der Vollkommenheit, das die Liebe Gottes zu uns ist.

Christus mehr zu lieben als jemand oder etwas sonst heißt seine menschlichen Beziehungen so zu sehen, daß es möglich wird, wahr und erbaulich zu lieben und nicht begehrlich und aufzehrend. Wer einen anderen Menschen zum Ziel seines Lebens macht, wird ihn schließlich verzehren und die Liebe dämonisieren. Wer aber andere lieben kann im Lichte der größeren Liebe, die Gottes ist, und sich absolut abhängig weiß von Gott und nichts anderem, der ist frei zu lieben und der kann auch andere frei geben.

Und so ist das Evangelium zwar ein Ärgernis. Aber wenn man genauer hinsieht, birgt das Ärgernis eine große Freude in sich. Wer Ohren hat zu hören, der höre. Amen.

Pfarrerin Kirsten Jørgensen
Præstegade 2
DK-5300 Kerteminde
Tel.: ++ 45 - 65 32 13 20
e-mail: kjoe@km.dk

 


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