Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 20. Juni 2004
Predigt über Epheser 2, 17-22, verfaßt von Christian-Erdmann Schott
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„Er (Jesus Christus) ist gekommen und hat verkündigt im Evangelium den Frieden euch, die ihr fern waret, und den Frieden denen, die nahe waren.
Denn durch ihn haben wir den Zugang alle beide in einem Geist zum Vater.
So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen,
erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist,
auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn;
auf welchem auch ihr miterbaut werdet zu einer Behausung Gottes im Geist“.

Liebe Gemeinde,

dieser kleine Abschnitt passt gut zu dem Evangelium des heutigen Sonntages: Dem Gleichnis von der Einladung Gottes zu einem Festmahl. Denn in diesem Gleichnis ist sozusagen das Evangelium in nuce, im Kern, festgehalten, eben die Geschichte, dass Gott uns bei sich haben will, mit uns feiern will und alles daran setzt, dass daraus ein wirkliches Fest wird. Er macht Vorbereitungen. Er lässt es sich etwas kosten. Schließlich schickt er Boten aus, die diese Einladung an die Ausersehenen weitergeben. Aber nun geschieht das eigentlich Unbegreifliche. Die Gäste sagen ab, einer nach dem anderen. Sie haben wichtigeres vor. Aber Gott gibt nicht auf. Er lässt andere einladen. Und dann noch weitere „auf dass mein Haus voll werde“ (Lk. 14,23).

Diese Geschichte von der Einladung Gottes, die zuerst nur wenigen, dann ganz vielen gilt, ist immer wieder weitererzählt und mit Erfahrungen angereichert worden. Schließlich hat sich auch Jesus Christus in diese Geschichte hineingestellt und gesagt: Ich bin der letzte der Boten, die Gott ausgesandt hat. Zuerst hat er die Gottesmänner und Propheten des Alten Bundes ausgeschickt. Die Eingeladenen haben sie geschlagen, verhöhnt, zum Teil getötet. Zum Schluss, als letztgültiges Angebot sandte Gott auch den Sohn. Aber auch diesen haben sie nicht hören wollen. Sie haben ihn getötet und aus ihrer Gemeinschaft auszustoßen versucht.

Aber damit ist die Geschichte des Evangeliums von der Einladung Gottes noch nicht zu Ende. Hier im Epheser-Brief wird sie weitererzählt. Es wird nämlich gesagt, dass diese Einladung als Vermächtnis des Sohnes über seinen Tod hinaus bestehen bleibt. Sie bekommt eine etwas andere Farbe, indem sie nun nicht nur unter dem Stichwort „Fest“, sondern auch unter dem Stichwort „Frieden“ erscheint. Im Kern ist das das Gleiche. Grade nach den schlechten Erfahrungen, die Gott machen musste, ist „Frieden“ zwischen ihm und uns vielleicht etwas, was weniger leuchtend, aber doch ganz realistisch notwendig ist. Die Einladung selbst aber bleibt und steht. Sie ist bis heute nicht zurückgenommen worden. Darum kommt der Apostel auch noch einmal ausdrücklich darauf zurück und unterstreicht: „Er (Jesus Christus) ist gekommen und hat verkündigt im Evangelium den Frieden“.

An dieses grundlegende Faktum der gesamten Christentumsgeschichte zu erinnern, war schon damals elementar wichtig. Denn zusätzlich zu den Schwierigkeiten, die Gott mit den Gästen hatte und hat, kommt nun noch, dass auch die Gäste untereinander Probleme haben. Sie fangen an zu streiten. Das fing vielleicht einmal harmlos an. Da waren die von der Gruppe, die zuerst der Einladung gefolgt waren. Gemeint sind damit die Kinder Israel. Und dann kamen die von der zweiten Gruppe: Die Heiden. Und während zuerst die Juden auf die Heiden herabsahen, haben dann die Heiden auf die Juden herabgesehen. Bald saßen sie in getrennten Gruppen im „Haus Gottes“ und am Tisch des Herrn. Aber im Laufe der Kirchengeschichte gab es immer mehr Spaltungen. Heute gibt es eine fast unübersehbare Menge von Konfessionen und Denominationen, und die Juden haben dann noch eine besondere Bedeutung.

Diese Entwicklung bahnte sich bereits in der Urzeit des Christentums an. Darum greift der Apostel dieses Thema hier auf und ruft den Christen damals und heute in Erinnerung: Wir sind alle Gäste des himmlischen Vater, „Hausgenossen Gottes“. Lasst uns das doch nicht vergessen. Lasst uns so miteinander umgehen, dass die Heiligkeit des Hauses, dass der Friede, der in der Nähe Gottes herrschen soll, spürbar wird. Nur so kann auch der Umwelt deutlich werden, dass wir ein lebendiger Tempel des Herrn in dieser Welt sind.

Darin liegt die bleibende Aktualität des Themas: Es geht um die Bändigung der zerstörerischen Potentiale, die es auch im Christentum gibt. Sie zeigen sich und werden immer dann wirksam, wenn sich die Christen von ihrem Zentrum, von dem uns durch Jesus Christus einladenden Gott lösen beziehungsweise diese grundlegende Botschaft vergessen oder vernachlässigen. In dem Augenblick, wo eine solche Entwicklung eintritt, werden andere, sekundäre Dinge wichtig. Dann beschäftigen sich die Gäste mit sich selbst, mit ihren Besonderheiten, Auffälligkeiten, Andersartigkeiten. Wenn es erst einmal so weit ist, gibt es bald kein Halten mehr. Dann kommt es zu Abgrenzungen bis hin zur gegenseitigen Verketzerung oder gar Verfolgung, manchmal sogar mit tödlichem Ausgang. Eine solche zerstörerische Entwicklung kann nur gestoppt werden durch das hartnäckige Verbleiben beim Entscheidenden, beim Zentrum, bei dem Evangelium, das Jesus Christus verkündigt hat. Darum geht es dem Apostel hier an dieser Briefstelle. Er hofft, dass die christlichen Gemeinden das Wesentliche des christlichen Glaubens nicht aus den Augen verlieren.

Der Epheser-Brief ist um 100 nach Christus entstanden. Seit seiner Abfassung ist es mit dem Unfrieden und den Spaltungen und gegenseitigen Ausgrenzungen in der Christenheit durch die Jahrhunderte hindurch leider in vielen Zeiten noch schlimmer geworden. In manchen Jahrhunderten haben sich, wie wir ja wissen, christliche Kirchen gegenseitig regelrecht bekriegt und umgebracht. Die Frage steht im Raum: War der Ruf des Apostels im Epheser-Brief vergeblich? Ein nachweisbarer Misserfolg?

Es scheint, dass es vergebliche Liebesmühe gewesen ist. Es scheint so, - wenn man die hoffnungsvolle Perspektive übersieht, die der Apostel eingebaut hat: Sie erstreckt sich von den Urgründen der Liebe Gottes, die zu den Einladungen an uns führte, über die Beständigkeit, mit der sie von Gott aufrecht erhalten wird, bis zu ihrer Einlösung oder Erfüllung oder Durchsetzung bei uns und mit uns, schöpfungsweit. Gott hat nicht resigniert. Er ist aber auch noch nicht am Ziel und lädt uns weiter ein, gemeinsam mitzuarbeiten an der „Behausung Gottes im Geist“, auch hier schon in der Zeit.

Damit diese große Perspektive nicht nur als schöne Idee oder als frommer Wunsch verstanden oder nicht verstanden wird, hat Gott uns allen einen festen, klaren, steinharten Orientierungspunkt gegeben: Jesus Christus. Er ist die Mitte und der Mittler. Er allein kann uns die notwendige Konzentration auf das entscheidend Christliche geben. Wenn wir alle uns auf ihn ausrichten, wird der Friede unter uns wachsen, weil er uns in sein Bild einformt. Auf diese Weise kann er wie bei einem Rad die Mitte bilden, auf die die Speichen zulaufen. Ohne diese Mitte ist das Rad nicht funktionsfähig. So wie ohne dieses Fundament und Ziel die Christenheit auseinander fällt und für die Menschheit eine Belastung und keinen Segen darstellt.

Wenn er die Mitte ist, ist nämlich auch deutlich, dass andere Wichtigkeiten von untergeordneter Bedeutung sind. Sie werden eingereiht in den großen Bau, den Tempel Gottes, der zielstrebig auf den Schlussstein, Jesus Christus, zuläuft.

Die Vision des Apostels muss nicht notwendig zur Auflösung von Konfessionen und Denominationen, die sich in der Geschichte herausgebildet haben und damit auch zur geistlichen Heimat geworden sind, führen. Sie meint nicht unbedingt die organisatorische Vereinheitlichung. Sie meint vielmehr die Überwindung der negativ besetzten Abgrenzungen, der Rechthaberei, der Intoleranz, der Hassbereitschaft unter den Gästen Gottes und den Aufbau einer Gemeinschaft über Grenzen, die wir aufgerichtet haben, hinweg „zu einer Behausung im ( heiligen) Geist“.

Die Frage, ob die Predigt des Apostels im Epheser-Brief ein Misserfolg war, lässt sich von daher gut beantworten. Sie ist, was die Kirchengeschichte betrifft, äußerlich, ein Misserfolg gewesen. Aber weil Gott nicht aufgibt, so wie er noch nie aufgegeben hat, gibt es Hoffnung für uns alle. Dafür können wir von Herzen dankbar sein, ihn loben und bitten, dass er uns hilft, die Mitte immer wieder neu zu erkennen und festzuhalten und - dass er uns einen Platz frei halten möchte in seiner Nähe. Amen.

Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Elsa-Brändström-Str. 21
55124 Mainz (Gonsenheim)
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