Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

1. Sonntag nach Trinitatis, 13. Juni 2004
Predigt über 1. Johannes 4, 16b-19, verfaßt von Wolfgang Petrak
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Erzählpredigt für einen Tauferinnerungsgottesdienst)

„Lass mich mal“. Langsam zieht das funkgesteuerte Rennboot seine Kreise über den Kiessee. „Okay, Opa, also pass einmal auf, dieser Hebel hier nach rechts, und dann geht die ‚Sally’ nach rechts, und wenn du nach links willst, musst du umgekehrt drücken. Vorwärts: Hebel nach vorn, rückwärts: Hebel nach unten. Aber nicht so schnell hintereinander. Und die Geschwindigkeit: dafür ist der andere Hebel da. Kommst du damit klar“? „Natürlich“.

Jan legt die Fernsteuerung in die ausgestreckte Hand seines Großvaters Karl-Heinz. Dabei fällt sein Blick auf den rechten Unterarm. „Opa, warum hast du da ein Kreuz“? Karl-Heinz legt den Hebel nach vorn um, dann gleich wieder zurück. Man hört aus der Ferne den Motor hässlich blubbern. „Nur zum Spaß“. „Ich meine doch das Kreuz“. „Ja“. „ Ich weiß, man nennt das Tattoo. Bei uns in der Klasse haben ein paar Kumpels auch welche. Die werden dann mit Folie aufgeklebt, und abends kann man sie wieder abwaschen“. „Mein Kreuz bleibt eben“. Zum Spaß?

Das Boot läuft jetzt gut, Karl- Heinz hat richtig Spaß daran, es aufzudrehen, der weiten Rechtskurve eine Linkskurve folgen zu lassen, und dann mit Volldampf voraus gerade aus. Eine Entenfamilie, die gerade wie eine Flottille das Wasser überqueren will, erhebt sich mit ärgerlichem Quaken und hastigem Flügelschlag in die Luft, etwas erschrocken nimmt der Großvater das Tempo der Sally runter und lässt sie langsam auf ihr Ufer zusteuern. „ Du, Opa, es ist richtig schön hier“. Jan rückt näher an seinen Großvater ran. „ Das Anlanden mache ich besser“. Ist mir auch recht, dann kann ich schon mal nachsehen, was Gerda uns eingepackt hat, ich habe nämlich Hunger“. Während Karl- Heinz zum Fahrrad geht, um den Korb zu holen, fischt Jan das Boot aus dem Wasser. Dass dabei die Ärmel seines Sweatshirts nass werden, wird sicher nichts machen. „ Es gibt Mettbrötchen und Käse“, ruft der Großvater fröhlich herüber. „Keine Mortadella“ ?„Doch auch, klar doch, und eins mit Nutella: extra für dich, hat Gerda gesagt. Und Cola“. „Ich trinke lieber Apfelschorle“, meint Jan ohne zu maulen, „macht aber nichts. Komm, wir setzen uns hier an das Ufer“.

Schweigend, kauend schauen beide über das Wasser. Warum Kinder immer so was klebriges essen müssen, denkt Karl- Heinz. Jan, der mit Handrücken und Zunge die Mundwinkel zu reinigen weiß, denkt mit seinen neun Jahren etwas anderes. Dann traut er sich zu fragen: „Du, Opa. Gerda ist ja echt nett. Aber warum lebst du nicht mehr mit Oma zusammen“?

Es ist jetzt sehr still. Leise schlägt das Wasser an das Ufer. Eine Lerche ist zu hören. Karl –Heinz sieht auf seine Hände. 28 Jahre hatte er da rechts den Ring getragen. Sein Blick wandert zum linken Unterarm. Das Kreuz. Er war wohl damals 17 gewesen.“ Du Opa, sag schon, warum“? „ Weißt du, ich kann es auch nicht genau erklären. Irgendwie... also irgendwie hatten wir uns auseinandergelebt, die Lisa und ich. Als deine Mutter geheiratet hatte und du dann geboren wurdest, ja da fing es schon an. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen“. „ „Habt ihr überhaupt nicht mehr miteinander gesprochen?“ „Doch, natürlich, aber irgendwie haben wir uns nicht mehr verstanden, wenn du verstehst, was ich meine. Wir haben auch gedacht, das wird schon wieder, aber dann ging jeder seine eigenen Wege. Und da haben wir uns im letzten Jahr gesagt, es ist besser, sich zu trennen als...als mit einer Lüge zu leben. Und jetzt versuchen wir, noch einmal neu zu beginnen“.

In diese Stille hinein startet Jan den Motor seiner Sally neu, lässt ihn richtig aufheulen und legt den Hebel nach vorn. Die Schraube am Heck zerpflügt den See. „du Opa, ich habe Kacke gebaut“. „ Du hast was“? „ Also das sagt man bei uns so. Ich habe was Schlimmes gemacht. Mein Freund, der Mike, also wir wollten eigentlich zusammen zum Tischtennistraining gehen. Und da habe ich ihm gesagt, ich kann nicht, ich muss noch mit Papa für die Schule üben. Wenn das rauskommt, bin ich sein Freund gewesen“. „Jan, komm mal her“. Karl-Heinz legt seinen Arm um die Schultern seines Enkels. Er spürt, wie sie zucken, ein wenig, aber es ist tief. Du wolltest Mike nicht enttäuschen und du wolltest zugleich bei mir sein. Man kann im Leben nicht alles haben und muss sich entscheiden, auch wenn es weh tut“. „Ja, aber ich muss immer daran denken, und wenn der mich nicht mehr ansieht“!.

Karl-Heinz weiß, dass er jetzt etwas sagen muss. Aber die Worte liegen nicht im Mund rum. Er öffnet seine Hände, so als müsste da jetzt alles rein gelegt werden. Er sieht sein Kreuz, das er jeden Tag bei sich hat, niemals loswird. „Vergeben“, sagt er, „man muss vergeben können. Ein richtiger Freund kann das. Und hier“, dabei tippt Karl-Heinz auf seinen Unterarm, „ der kann das erst recht. Und jetzt lass mich mal wieder die Sally fahren“. Und wieder legt ihm Jan die Fernsteuerung in die große Hand, so als ob er etwas übergibt, was immer bleiben wird. Dann sagte er: "Opa, ich habe auch ein Tattoo, ein unsichtbares. Ich bin nämlich getauft". Karl-Heinz: "Ja, ich weiß. Ich war dabei. Gerda war auch da, deine Eltern und alle anderen. Wir alle wollten sehen, dass Du getauft wirst. Den Tag werde ich, ja werden wir alle nie vergessen. Und du, vergiss du nicht dein unsichtbares Tattoo." Dann schauten Jan und Karl-Heinz wieder auf den See.

Plötzlich rief Jan erschrocken: "Was ist denn mit dem Boot"? „Ach du Sch..., also so ein Mist wollte ich sagen. Da vorn in dem Busch im Wasser, es ist festgefahren. Versuch es mal mit Rückwärts/Vorwärts“. Nichts zu machen. Der Motor verabschiedet sich mit einem müden, aber entgültigen Blubb. Drei Meter vor dem Ufer: die Sally hängt mit dem Bug tief im Gestrüpp. „ Ich hole es, ich hab es da reingefahren, und jetzt hole ich es raus“. Der Großvater zieht sich die Hose aus und watet in das Wasser. „Ich kann zwar nicht über das Wasser laufen, aber es ist nicht tief. Und warm ist es auch“.

„Ich komme auch“. Lachend läuft Jan hinterher.

Später, als sie das Boot geborgen und die Kleider getrocknet haben, sagt Jan: „ Du Karl-Heinz, ich muss dich mal etwas fragen. Ist Gott ein Großvater?“

(Verlesen des Textes 1 Joh 4, 16b –19).

Anmerkung 1: Wir haben an diesem Sonntag Tauferinnerungsgottesdienst. Und Da werden kommen ( hoffentlich): Kinder mit ihren Müttern und Vätern, Großeltern. Deshalb der Versuch einer narrativen Predigt.
Anmerkung 2: Gesungen werden müsste auf jeden Fall die 14 (!) Verse von EG 586: Mein Herz und Geist erheben dich.

P. Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen
Tel: 31838
e-mail: W.Petrak@gmx.de


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