Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Pfingstmontag, 31. Mai 2004
Predigt über 1. Korinther 12, 4-11, verfaßt von Klaus Steinmetz
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Geist Gottes, Heiliger Geist, liebe Gemeinde, das bedeutet Leben, Bewegung, Unruhe. In der Pfingstgeschichte aus der Apostelgeschichte, die gestern in den Gottesdiensten verlesen wurde, da werden die sichtbaren, hörbaren und spürbaren Wirkungen des Heiligen Geistes verglichen mit denen des Windes (Brausen wie von einem gewaltigen Wind) und des Feuers (Zungen zerteilt, wie von Feuer) und des Wassers (der Geist wird ausgegossen). Wind, Feuer, Wasser – das ist doch wohl Lebendigkeit, Bewegung, Unruhe. Noch in der Reaktion der Spötter ist das zu erkennen: Sie sind betrunken!, sagen sie über die vom Geist ergriffenen Jünger. Die apathische Form der Trunkenheit, die nur noch mühsam lallen kann, hatten sie mit Sicherheit nicht vor Augen.

Die lebendige Ergriffenheit vom Geist war wohl ein wesentliches Kennzeichen vieler Gemeinden in der Anfangszeit des Christentums. Gilt das auch noch für unsere Kirche, für unsere Gemeinde? Ich stelle diese Frage jetzt nur, komme aber immer wieder in dieser Predigt auf sie zurück.

Wind, Feuer, Wasser – das kann sich steigern, viel werden, zu viel. Wir kennen die Naturerscheinungen, für die wir eigene Wörter haben: Orkan, Feuersbrunst, Wolkenbruch, Überschwemmung. Zu viel Leben, Bewegung, Unruhe durch den Geist Gottes – kann es das auch geben? Die Gemeinde in Korinth war zweifellos eine sehr lebendige Gemeinde. Möglicherweise war sie zu lebendig, zu bewegt, zu unruhig. Jedenfalls haben das einige so empfunden. Denen ging es offenbar zu weit, es ging ihnen regelrecht auf den Geist, was da von anderen als Wirkungen des Heiligen Geistes ausgegeben und praktiziert wurde.

Vor allem in den Versammlungen und Zusammenkünften – konnte man das noch „Gottesdienste“ nennen? – ging es sehr bewegt zu. Was einige da sagten und besonders, wie sie es sagten, nicht immer verständlich und oft ziemlich durcheinander, das war schon ein starkes Stück. Glossolalie, Zungenreden nannte sich eine besonders auffällige Art der Äußerung, ekstatisch, mit undefinierbaren Lauten, unverständlich für die meisten anderen – aber die sie hervorbrachten verbanden damit offenbar einen ganz bestimmten Sinn, und es gab auch einige, die das verstehen und den übrigen verdeutlichen konnten. Und das alles geschah mit dem Anspruch, dass hier und so der Geist sich in seiner höchsten Form äußere, gewissermaßen in Reinkultur. Es war schwierig, sich in dem allen zurechtzufinden und ein klares Urteil zu gewinnen.

Es scheint, dass die Gemeinde sich in einem Brief mit der Bitte um Hilfe und Rat in dieser Angelegenheit an Paulus, ihren Gründervater gewandt hat. Die Anfrage selber kennen wir leider nicht, aber dafür die Antwort des Paulus. Sie steht im 1. Korintherbrief, Kap. 12, 4-11 (hier kann der Text verlesen werden, wenn es nicht bereits vorher geschehen ist).“Über die Gaben des Geistes“, so beginnt Paulus den Abschnitt und nimmt damit offenbar das Stichwort der Anfrage aus Korinth auf.

Aber ehe er nun auf einzelne Gaben, Begabungen, Wirkungen des Geistes im einzelnen eingeht, sagt er etwas, was ihm ganz allgemein und grundsätzlich wichtig zu sein scheint. Er bringt nämlich die Geistesgaben mit Jesus in Beziehung. Ganz schlicht stellt er fest: Der Geist führt nicht weg von Jesus, sondern zu ihm hin. “Niemand, der durch den Geist Gottes redet, verflucht Jesus; und niemand kann Jesus den Herrn nennen außer durch den heiligen Geist.“ Luther hat im Anschluss an diese Worte im Kleinen Katechismus den Satz formuliert: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich ... dazu berufen.“ Und in unserer Zeit hat es jemand so ausgedrückt: „Dein Werk (Heiliger Geist) ist es, das Wunder deiner Eingebung, wenn es Menschen gibt, die entdecken, dass Jesus Christus lebt. Es ist dein Drängen, deine Kraft in uns, dass wir ihm folgen, dass er unser Weg ist, dass er uns alle Mühe dieses Lebens wert ist. Wir bitten dich, festige uns, dass wir im Glauben bleiben und ausharren mit ihm...“

Also: Ohne Geist kein Jesus, aber ohne Jesus auch kein Geist. Wer sich von Jesus löst, ohne ihn meint auskommen zu können, kann sich vielleicht auf Eingebungen berufen, aber nicht auf die Eingebungen des Geistes Gottes. Das hört sich sehr einfach an, und ist es auch; und ist doch der grundlegende Maßstab, an dem alles zu messen ist, auch die Gaben des Geistes.

Auch in den folgenden Sätzen formuliert Paulus etwas sehr Gewichtiges. Er sagt: „Es sind verschiedene Gaben, aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter, aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte, aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.“ Die Verschiedenheit, Unterschiedlichkeit der Gaben, also das bunte Bild, möglicherweise auch die verwirrende Vielfalt und Lebendigkeit wird von Paulus nicht in Frage gestellt. Das gibt es und soll es geben. Aber man spürt, sein Interesse geht dahin, die letzte Einheit dieser großen Vielfältigkeit aufzuzeigen: Ein Geist, ein Herr, ein Gott. Das alles zerfällt nicht, sondern läuft letztlich zusammen, weil es im Grunde zusammengehört. Und wo es doch zu Gegensätzen, Zerwürfnissen führt, da ist es eben nicht aus dem einen Geist, dem einen Herrn, dem einen Gott.

Das ergibt sich für Paulus wiederum aus einem ganz einfachen Grundsatz: „In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller.“ Zum Nutzen aller – fast kaufmännisch nüchtern klingt das, und besagt doch viel. Es entlarvt auch manches Gehabe und Getue. Wo etwas nur der eigenen Selbstdarstellung, dem Sich-selbst-produzieren dient, kann es sich nicht auf den Geist Jesu berufen. Nicht zufällig hat Paulus mit dem Wort „Ämter“ im Griechischen hier einen Ausdruck hineingebracht, der wörtlich „Dienst“ heißt. Es spricht einiges dafür, dass die Korinther selber diesen Begriff in ihrer Anfrage noch nicht verwendet haben, und es ist auch fraglich, ob diese Dienste bei ihnen wirklich so hoch geschätzt wurden. Es geht dabei nämlich oft um ganz einfache, alltägliche Dinge, die einer für den anderen tut; damit kann man sich nicht so leicht selbst darstellen und produzieren. Alles für andere besorgen und hinter ihnen herräumen ist meist nicht besonders gefragt. Paulus aber rechnet es zu den Gaben des Geistes und verweist damit ausdrücklich wieder auf Jesus, der gekommen ist, um zu dienen, als ein Diener aller.

Zum Nutzen aller – erst nach diesem nüchternen und vor allem auch nachprüfbaren Grundsatz kommt Paulus auf einige besondere Geistesgaben zu sprechen, die ihm zumindest teilweise von den Korinthern auch genannt worden sind. Nicht alles ist für uns ohne weiteres klar. Wie sich z. B. das Reden von der Weisheit und das Reden von der Erkenntnis unterscheiden und was damit genau gemeint ist, ist mir nicht deutlich geworden. Was aber auffällt: Dies verzückte, ekstatische Reden, das bei vielen in Korinth offenbar sehr hoch eingeschätzt wurde, kommt bei Paulus wohl nicht zufällig erst ziemlich zuletzt vor. Er lehnt es nicht einfach ab, aber ob es zum Nutzen aller dient, hängt davon ab, ob jemand dabei ist, dem die Gabe der Erklärung und Auslegung solchen Redens geschenkt ist. Deswegen fügt Paulus diese Gabe sogleich und ausdrücklich noch hinzu.

Eine vollständige Liste der Gaben und Begabungen stellt die Aufzählung des Paulus nicht dar. Das wäre auch sowieso unmöglich, einfach weil der Geist und seine Gaben unerschöpflich sind. Deshalb können wir ruhig von uns aus die von Paulus benannten Geistesgaben ergänzen um solche, die wir kennen und die uns wichtig erscheinen. So fällt mit etwa auf, dass von Paulus besonders viele Gaben des Redens erwähnt werden. Sie sind in ihrer Bedeutung ja auch nicht zu unterschätzen. Man stelle sich eine Gemeinde vor, in der nicht geredet würde! Aber es kann des Redens, oder dann wohl eher des Geredes auch zu viel werden. Und gerade, wer viel redet, gerät nur zu leicht in die Gefahr, vor allem sich selbst zu produzieren. Dessen müssen auch wir, die wir regelmäßig auf der Kanzel stehen, uns bewusst sein.

Wie wäre es, wenn wir heute neben die Gaben des Redens ganz bewusst die Gabe des Zuhörens stellen würden?! Es gibt viel zu wenige, die wirklich zuhören können. Und ich glaube, dass auch die Gabe des guten, hilfreichen Wortes oft erst aus solchem intensiven Zuhören erwächst.

Noch ein Letztes: Jeder ist begabt. Zweimal streicht Paulus das heraus. Jeder und jede hat etwas einzubringen, auch in unserer Gemeinde. Ich habe vorhin schon gesagt, wie Paulus mit dem Stichwort „Dienst“ den Blick auch auf das Unspektakuläre, oft Übersehene richtet. In jeder Gemeinde sind solche Begabungen, die meist gar nicht als solche benannt werden, vorhanden und werden auch gebraucht. In unserer Gemeinde z.B. suchen wir Kirchenöffner, also Leute, die ein paar Stunden Zeit einzusetzen bereit sind, um in der Kirche zu sein, während diese geöffnet ist. Eine spezielle Begabung ist dafür nicht erforderlich. Ich sage manchmal, Konfirmation als Voraussetzung genügt. Und trotzdem ist es ein Dienst, der gebraucht wird und dem Nutzen aller dient.

Gott helfe uns, unsere eigenen Gaben zu erkennen und einzubringen, und auch, dass andere mit ihren Gaben für uns da sind, wenn wir sie brauchen; die uns besuchen, uns zuhören, gut mit uns und zu uns reden, für uns und mit uns beten. Darin erweist sich der Heilige Geist lebendig und wirksam, auch unter uns. Amen

Klaus Steinmetz, Sup. i. R.
kjsteinmetz@t-online.de


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