Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Pfingsten, 30. Mai 2004
Pfingstpredigt, verfaßt von Jørgen Demant (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Pfingstsonntag
Jeremia 31,31-34; Apostelgeschichte 2,1-11; Johannes 14,15-21

Pfingsten ist ein merkwürdiger Tag. Wir können nur schwer sagen, was Pfingsten ist, aber wir kennen den Geist, der darin liegt. Also was Pfingsten bedeutet.
Wir wissen es schon aus den Liedern, die wir gesungen haben:
"In vollem Glanz strahlt nun die Sonne" (Grundtvig) Pfingsten bedeutet, daß die Sonne auf unseren Körper scheint. Wir werden aufgewärmt.
"Es atmet himmlisch überm Staube
es flüstert heimisch in dem Laube,
es wehet lieblich hier uns an ..."
Pfingsten spürt man an seiner Haut. Wie ein Wind in den Hemdsärmeln, wie ein Hauch an unserer Haut. Etwas rührt uns an.
"Erwacht, ihr tiefen Töne alle,
daß hell zu Jesu Preis es schalle,
daß, von der Völker Dank erfüllt,
die Opferschale überquillt"
Pfingsten ist der Atem, den man von Fuß bis Kopf merkt, bis zur Zunge, die überquillt. Daß die Worte einem durch den Leib gehen, so daß man sie als seine eigenen wahrnimmt und spürt. Wir werden bewegt.
Pfingsten ist die Stärke der Hand, Taten zu vollbringen. Als mündiger Mensch Verantwortung wahrzunehmen.
Nach den Liederdichtern ist Pfingsten, daß der Geist in den Körper fährt und ihn in Bewegung setzt: Das Licht und die Wärme rufen uns aus Schatten und Finsternis und geben uns Vertrauen und Glauben. Luft und Wind lassen uns die Launen der Natur spüren und machen uns frei und beweglich. Der Gesang macht uns zum Teil einer Gemeinschaft. Eine geistige Gemeinschaft, wo der Einzelne sich frei und verpflichtet fühlt.
Wenn also jemand fragt, wenn Ihr nach Hause kommt zum Fischessen oder was man sonst an Pfingsten ißt, dann sagt: Es handelte davon, "in Bewegung zu sein".
Nehmt die Texte für diesen Tag. Sie handeln auch von Bewegung. Vom Herzen zur Liebe.
Es beginnt mit dem Herzen. Jeremia prophezeit, daß der Bund Gottes im Herzen sein wird: "Ich lege mein Gesetz in Ihr Inneres und schreibe es in ihre Herzen!".
Es genügt nicht mit einem äußeren Gesetz oder Bund, die nur genau eingehalten werden müssen. Nein, die Worte und die Handlungen müssen wie der Geist von innen kommen. "Es muß von Herzen kommen", wie wir sagen.
Am ersten Pfingsttag in Jerusalem fängt nicht nur das Herz an zu schlagen, sondern vor allem die Zunge löst sich.
"Und Zungen wie von Feuer zeigten sich, teilten sich, und setzten sich auf einen Jeden unter ihnen". Wenn sich die Zunge löst, kommt man in Kontakt mit anderen. Und das eben ist die Bewegung des Heiligen Geistes. Weg von einem selbst und hin zu den Andern. Der Heilige Geist bringt einen dazu, sich selbst auszuliefern. In unserer Kultur ist das peinlich, aber sich ausliefern bedeutet ja nur, daß man von sich selbst etwas austeilt, um mit anderen in Kontakt zu kommen.
Es beginnt im Herzen, und uns läuft der Mund über. Und dann ist man beim anderen.
Und das ist das Ziel der Erzählung von Pfingsten bei Johannes: Die Vereinigung mit dem anderen Menschen in der Liebe. Die Gemeinschaft mit den Anderen. Johannes spricht nicht so konkret und sinnlich und ekstatisch von Herz und Mund, sondern mehr still und innerlich. Und dennoch: Liebt ihr mich, dann haltet meine Gebote. Der Geist wird in Leben umgesetzt - in Rede und Tat. Geist für Mund und Hand.
Leben kommt von innen - vom Herzen. Es wird zu Worten auf unseren Lippen und Zungen. Und es verwandelt sich in Gespräch und Arbeitsgemeinschaft mit dem Nächsten.
Das ist die Bewegung des Geistes von Pfingsten.
Denn gerade bei Jens und Trine vor dem Altar sehen wir, die wir bei der Hochzeit mit dabei sind, was Pfingsten bedeutet: Zwei Menschen zusammen nebeneinander. Körper an Körper, Mund an Mund, Hand in Hand. Jens und Trine sind das Bild für die Bewegung des Geistes: Aus dem Herzen über den Mund zur Hand.
So sehen wir das Gesetz der Liebe dargestellt vor unseren Augen und denken: So muß es sein. Anders kann es nicht sein. Möge das nicht nur für die beiden gelten - Jens und Trine vor dem Altar und danach auf dem Weg durch die Kirche hinaus in das Leben - möge es auch für uns gelten: Daß wir uns begleiten auf dem Wege in Glauben und Vertrauen darauf, daß der Segen Gottes einen trägt. Einander lieben, für einander sorgen, einander beschützen und für einander einstehen.
Liebe heißt, sich geistig bewegen lassen. Das ist zuviel des Guten.
Ja, vielleicht ist das zuviel des Guten. Aber nicht zu gut, um wahr zu sein, wenn der Geist der Wahrheit Liebe ist.
Der Evangelist Johannes redet von der Gemeinschaft in fast intimen und erotischen Bildern. Gott in mir und ich in dir.
Das ist nicht das Gesetz des Gerichts: Ich, der ich über die stehe.
Das ist nicht das Gesetz der Drohung: Eine geballte Faust.
Das ist das Gesetz der Liebe. Wie zwei neben einander, verbunden mit einander in einem Händedruck. Wie zwei, die in einem Gespräch mit einander Gedanken austauschen. Wie zwei, die zusammen ein Stück Arbeit verrichten.
Wir sind in die Bewegung der Freiheit gestellt: Vom Vater zum Sohn zu uns. Von der Angerührtheit des Herzens zur Zunge und zur Hand bei der Arbeit.
Warum glauben wir, daß das zuviel des Guten ist? Daß das fast zu schön ist, um wahr zu sein: Die Gesellschaft, verglichen mit einer Ehe. Warum wagen wir es nicht, unsere Beziehungen in diesem Bilde zweier Menschen in der Bewegung des Glaubens und des Vertrauens wiedergespiegelt zu sehen: Daß man man selbst sein kann und das empfangen kann, was zu einem kommt?
Es könnte vielleicht daran liegen, daß wir nicht richtig erwachsene Menschen sein wollen, die imstande sind, den Geist der Liebe zu realisieren, den Glauben, die Gemeinschaft, die so hoch stehen, wie Johannes von ihnen spricht. Wir wagen es nicht, die Worte des Psalmisten zu den unsrigen zu machen: Wo wir den Geist seine Kräfte entfalten lassen, die wir nicht steuern und kontrollieren können. Die Sklaverei der Geistlosigkeit besteht darin, alles kontrollieren und steuern zu wollen.
Wo wir die anderen in uns haben können als eine Kraft der Gemeinschaft und aufhören, sie als die zu sehen, über die wir Macht haben sollen oder von denen wir bedroht werden.
Wir kennen das in unseren engsten Beziehungen. Daß der Dämon der Geistlosigkeit sich in erwachsene Menschen einschleicht - gleichsam kindisch. Das Kind streckt sich - und will die Brust der Mutter, den Schnuller und das Spielzeug. Es will seine Bedürfnisse befriedigen, seine Begierden. Und zwar jetzt. Und entweder werden seine Bedürfnisse befriedigt, und es lächelt. Oder es wird abgewiesen. Und es weint. Sehen wir als Erwachsene einander in dieser kindlichen Weise, oder um nun mit Johannes zu reden, in dieser welthaften Weise, dann sind wir weit vom Gesetz der Pfingsten entfernt, dann sind wir nicht als Menschen einander zugewandt, sondern wir befriedigen nur gegenseitig unsere Bedürfnisse. Der Geist von Pfingsten befreit uns, einander als Geschenke zu sehen - wir geben und wir empfangen. Einander als Tragkraft sehen - als etwas an das man sich in guten uns bösen Tagen halten kann. Einander als Schutz sehen - einander trösten und für einander sorgen.
Wir sehen in der Weise, in der das Arbeitsleben im Augenblick beschrieben wird, wo der an der Börse notierte Betrieb sich nicht zurückhält, den Weltgeist zu verfeinern und zu entwickeln.
Das Konzept und der Wert sind hier: Entwickle dich, stelle dich selbst in den Mittelpunkt, realisiere das, wozu du imstande bist, strebe nach Höherem, Größerem, nach mehr. Mit geistigen Techniken - therapeutischen und religiösen Ursprungs - hebt der Arbeitsplatz den Unterschied zwischen Geist und Arbeit auf. Er frißt einen mit Haut und Haar.
Aber der Geist von Pfingsten befreit nicht zu einem hysterischen Doppelleben, bei dem die Arbeit dem sozialen Leben außerhalb der Arbeitswelt Kraft und Energie entzieht. Dieser Geist befreit vielmehr zu einem ganzheitlichen Leben, wo die Bande zur Familie und zu Freunden genauso wichtig sind.
Besteht die Geistlosigkeit in den nahen Beziehungen darin, einander als reine Begierde zu sehen, am Arbeitsplatz als reine Ressource, so besteht die Geistlosigkeit in der Gesellschaft darin, einander als Feinde zu sehen.
Es gibt eine Tendenz, die Welt in ein "Wir" und ein "Die" aufzuteilen Und wahr ist, daß wir in einer Gesellschaft leben mit unterschiedlichen Kulturen - sozial, politisch, ethnisch, religiös. Aber das Betonen der Unterschiede als heiligen und absoluten Unterschieden bedroht den christlichen Geist der Liebe, der jeden Menschen als ein einzigartiges Geschöpf sieht.
Wenn dies zu einer allumfassenden Toleranz führt, sind wir nicht viel weiter. Toleranz - daß wir alle das Recht haben, hier zu sein, ganz gleich wer und wie wir sind - kann zu gleichgültig­keit führen. Die Abwehr gegen andere - wir müssen unsere eigene Gemeinschaft gegen die anderen befestigen - kann zu Zynismus führen.
Eine Gesellschaft, die entweder wegen Gleichgültigkeit oder Zynismus Menschen - einzeln oder in Gruppen, Entscheidungen treffen läßt und dann urteilt und verurteilt, hat den Geist von Pfingsten aufgegeben: Die Gesellschaft als eine verpflichtende Gemeinschaft zu sehen, die die einzige Möglichkeit darstellt, sich selbst zu verwirklichen, ob man nun Däne ist oder Hindu.

Ich sagte, Pfingsten ist eine Bewegung. Eine Liebesbewegung. "Wer meine Gebote hat und sie hält, ist der, der mich liebt". das ist das Programm der Bewegung. Der Missionsbefehl des Johannes, wenn man so will.
Es ist nun an der Zeit, sich zu bewegen.

Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geist. Wie es war im Anfang, so und immerdar. Und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Pfarrer Jørgen Demant
Hjortekærsvej 74
DK-45 88 40 Lyngby
Tel.: ++ 45 - 45 88 40 75
email: j.demant@wanadoo.dk



(zurück zum Seitenanfang)