Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Christi Himmelfahrt, 20. Mai 2004
Predigt über Apostelgeschichte 1, 3-4.8-11, verfaßt von Friedrich Weber
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Liebe Gemeinde,

Von Tales, einem der sieben Weisen wird überliefert, dass er die Himmelsgesetze zu erforschen suchte, nach denen sich Sonne, Mond und Sterne bewegen. Seine Augen blickten daher im Stehen und Gehen hinauf zum Himmel. Dabei soll er eines Tages, als er wieder angestrengt nach oben blickte, in eine sehr irdische Grube gefallen sein. Eine Magd, die ihn begleitete, aber soll – als der weise Mann nun schreiend in der Grube lag – gelacht und ihm zugerufen haben: „Du kannst nicht sehen, was dir vor Füßen liegt und wähnst erkennen zu können, was am Himmel vor sich geht.“

Das sind schlagende Worte einer erfahrenen Frau, die mit beiden Füßen auf dem Boden der Tatsachen steht und die deshalb auch nicht so schnell den Boden unter den Füßen verlieren wird. Nicht ohne Schadenfreude hat man sich damals diese Geschichte erzählt. Hat doch die Magd dem klugen Mann das wirklich wichtige gelehrt: Nicht in den fernen Himmel starren, sondern einfach das Nächstliegende tun, auf keinen Fall den Boden unter den Füßen verlieren.

Eigentümlich berührt mich diese Anekdote. Trifft sie etwa auf uns Christen zu, die wir heute der Himmelfahrt Christi gedenken? Gilt auch uns die Mahnung, nicht in den Himmel zu starren, sondern die Dinge dieser Welt in Angriff zu nehmen? Im Predigttext werden immerhin die Zeugen der Himmelfahrt Jesu gefragt: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel?“

Sind die Realisten gefragt? Nun gut, dann schaue ich mir die Realisten dieser Welt an, die Menschen, die ganz in und von dieser Welt leben, die keinen Blick zum Himmel mehr wagen, die keine Aussicht mehr haben, keine Hoffnung. Was bekommen ich da zu hören? Klagen über Klagen, Jammern und lautes Geschrei: Zu wenig Arbeit, zu wenig Produktivität, zu viel Umweltschmutz, zu wenig Freiheit für den industriellen Fortschritt, zu viel Skandale, zu viel Terror, zu viel Gewalt. Und die Wirklichkeit sieht ja auch so aus.
Und wir Christen, oft genug haben wir nichts anderes zu tun, als in dieses Wehklagen einzustimmen, als ob es keine Aussicht mehr gäbe, als ob es keinen Blick zum Himmel mehr gäbe! Ja, wenn der Blick nach oben versperrt ist, wenn wir aus Angst vor dem Stolpern gebannt wie das Kaninchen in die Augen der Schlange, der Gefahr, starren, wenn wir aus Angst vor dem Stolpern keinen Schritt mehr gehen, dann herrscht Depression. Denn dann haben wir den zweiten Teil des Worts an die Zeugen überlesen: „Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“ Wir sind nicht allein, wir sind nicht verlassen. Denn er denen, die ihm nachfolgen, zugesagt, „dass sie die Kraft des Heiligen Geistes empfangen werden...“, damit sie in dieser Welt aus einem neuen Geist leben und wirken können, denn die Welt und ihre Menschen müssen nicht so bleiben wie sie sind.

Die Welt und ihre Menschen müssen nicht so bleiben, wie sie sind.

Wie viel mehr müssten wir Christen das heute eigentlich hinausrufen in unsere Welt. Die Welt und ihre Menschen müssen nicht so bleiben wie sie sind. Sie müssen nicht resignieren und müssen nicht in Schwermut verfallen angesichts aller Not und Gewalt auf ihr.
Wir haben Zukunft, weil unser Herr durch sein Leben hier die Zukunft schon vorweggenommen hat. Er hat gezeigt, dass Versöhnung, dass Frieden, dass gemeinsames Leben möglich ist. Unser Alltag, dieser mitunter zermürbende, hat Zukunft, er hat Verheißung.
Leicht gesagt, geht es mir durch den Kopf. Leicht gesagt an Feiertagen, wenn die Maschinen still stehen, wenn wir zur Ruhe kommen – aber schwer gelebt.
Und doch es ist leicht gesagt, denn hinter diesem leicht gesagten Wort steht das Bekenntnis der Christenheit, das der heutige Predigttext ausspricht: Gott hat mit der Macht seiner Stärke Christus vom Tode auferweckt und zu seiner Rechten eingesetzt, über alle Reiche, Gewalten, Macht und Herrschaft und was sonst noch Rang und Namen hat. Nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Alles hat er unter seine Füße gelegt !

An die Himmelfahrt Jesu Christi und seine Wiederkehr glauben

Zum Himmel aufsehen und die Erde nicht vergessen, heißt für Christen, an die Himmelfahrt Jesu Christi und seine Wiederkehr glauben. Aber was bedeutet das nun?
Ich gebe zu, dass mir dieser Satz im Glaubensbekenntnis lange große Schwierigkeiten bereitet hat. Solange nämlich, wie ich mir die Himmelfahrt so vorstellte, wie es die Früheren auch taten. Als eine Auffahrt Christi in die Wolken des Himmels über uns.
Die antiken Menschen, deren Denken unser Denken lange bestimmte, stellen sich die Erde als eine Scheibe vor, über die sich die gläserne Kugel des Himmels wölbte. Sie wussten noch nichts von Lichtjahren und kosmischen Räumen und daß auch unsere Erde ein Planet ist, wie viele andere auch. Wir haben heute eine andere Vorstellung vom Himmel und nicht erst wir. Schon Salomo konnte bei der Weihe des Tempels in Jerusalem ausrufen: Die Himmel und aller Himmel Himmel fassen die Ehre Gottes nicht. Und doch bleibt diese Vorstellung lange bestimmend. Bis in unsere Tage hinein, dass der Himmel Gottes zugleich auch der Himmel über uns sei. Ich kann mich gutes des Entsetzens einer alter Frau erinnern, als sie davon hörte, dass man mit Raumschiffen das All erkunden wolle. Sie meinte, das werde Gott nie zulassen, weil man damit in seine Sphäre eindringe.
Wir wissen heute über diese Dinge mehr und stehen doch zugleich ein wenig hilflos ihnen gegenüber. Wenn denn der Himmel Gottes nicht mehr über uns ist, oben über den Wolken, in einem fernen geographischen Jenseits, wo ist er dann ? Oder gilt der Satz von der Himmelfahrt Christi nicht mehr?
Eins vorweg: Der Glaubensatz, dass Jesus in den Himmel aufgefahren ist und zur Rechten des Vaters sitzt, hat nichts von seiner Bedeutung verloren, auch heute nicht, in unserer modernen Welt. Wir müssen nur lernen, ihn von den Bildern der alten Zeit, die nun in der Tat überholt sind, zu befreien, um seinen Kern, seine tiefe Bedeutung für uns zu erfassen, damit wir nicht hilflos ihm gegenüber stehen.
Ich will es mit einem Beispiel versuchen. Die Maler der Ikonen, die byzantinischen Christen also, malten meist die Kuppeln ihrer Kirche mit einem Himmel aus. Aber dieser Himmel war nicht blau, sondern golden. Auf diesen goldenen Hintergrund wurden dann Gesichter gemalt, Menschen. Aber das Gesicht war gar nicht so wichtig. Da legte man keinen großen Wert auf exakte Wiedergabe. Es kam vielmehr darauf an, dass der Hintergrund – das goldene – dieses Gesicht zum Strahlen brachte.
Damit ist gesagt, dass der Himmel Gottes, der ja nun wirklich überall ist, der uns umgibt vom Morgen bis zum Abend, im Schlaf und beim Wachen, beim Arbeiten und Spielen, dass dieser Himmel Gottes erst das Gesicht eines Menschen zum Gesicht macht, dass menschliches Leben erst durch seinen Hintergrund zum Leben wird, das vor Gott besteht. Das Gold des Hintergrundes, die Andeutung also, des Himmels Gottes – nicht des Himmels der Flugzeuge also – macht einen Menschen zum Menschen.
Also, zum Himmel schauen, heißt, mit den guten Möglichkeiten rechnen, die in unser Leben hineinfließen können, gewissermaßen aus dem Hintergrund, aber nicht aus uns selber. Weil Christus in den Himmel aufgefahren ist, er eben nicht mehr nur an einem Ort dieser Welt in Jerusalem oder Nazaret, sondern um uns ist in der Gegenwart seines Geistes, können wir alle an ihm teilhaben.
Der Blick zum Himmel heißt für Christen, mit Gott rechnen. Das dies nicht selbstverständlich ist, erklären uns die zahllosen Herrenpartien zum heutigen Tag. Sie sind doch nichts weiter als ein schwacher Versuch, diesen Tag ohne den Blick zum Himmel, ohne mit der Gegenwart Gottes, Jesu Christi, zu rechnen und fertig zu werden. Und sie lassen keinen Raum, diesen Tag anders zu begehen als mit einem durch den Rausch erhobenen Gefühl. Sie geben keine Hoffnung, keine Aussicht, keinen Lebensmut. Darum lohnt es auch nicht weiter, bei ihnen zu verweilen.
Martin Luther hat das Gemeinte in seiner kräftigen Sprache ausgedrückt als er sagte: „Was es aber ist: Christus gen Himmel fahren und sitzen zur Rechten Gottes wissen sie nicht es geht nicht also zu wie du aufsteigest auf einer Leitern ins Haus, sondern das ist’s das er über allen Kreaturen und in allen Kreaturen und außer allen Kreaturen ist.“
Das heißt doch, Christus ist nicht in den blauen Himmel aufgestiegen, sondern in den Raum der Welt, der alles Leben umgibt. In ihm sind und leben wir. Zum Himmel blicken könnte jetzt bedeuten, sich in frommer Ergebung diesem Geheimnis hingeben. Aber dem wird bereits in der Apostelgeschichte gewährt, da sagen die weiß gekleideten Männer, die sich bei der Himmelfahrt unter seine Jünger mischen: „Was steht ihr denn da und starrt in den Himmel.“ Zum müßigen Heimweh und zum Abschiedsschmerz habt ihr keine Zeit. Ihr müsst die Zeit nutzen.
Zum Himmel blicken, also an die Himmelfahrt Christi glauben, mit seiner Wiederkunft rechnen, das ist es. Ernst machen damit, dass ihm die Herrschaft über alles gegeben ist, das er der Herr der Welt ist. Er und sonst keiner. Er ist es, der die Kinder segnet, die Traurigen mit Trost erfüllt, verzweifelt Suchenden einen neuen Sinn für ihr Leben schenkt, Sterbenden die Hand unter den Kopf legt. Er ist es, der sich zum Anwalt der Armen gemacht hat. Der Freund ist denen, die nach Gerechtigkeit hungert und dürstet. Und wir sind mit ihm auf dem Weg.
Vor gut 70 Jahren, vom 29.-31. Mai 1934, haben Christen mit diesem Satz Ernst gemacht. In Barmen hatten sich in der Zeit des Nationalsozialismus Vertreter der intakten Kirchen - lutherische, reformierte und unierte - zur Barmer Synode versammelt und in seltener Einmütigkeit ein Wort verabschiedet, das bis heute Gültigkeit besitzt, die Barmer Thesen. In diesen Thesen, besonders der zweiten, wird festgestellt: In allen Bereichen unseres Lebens – wirklich in allen – auch in den politischen, ist er der Herr, er steht hinter allem. In allen Bereichen unseres Lebens bedürfen wir seiner. Die Bekennende Kirche hat damals zu spüren bekommen, was das heißt, an Christus, dem Herrn, der zur Rechten Gottes sitzt, festzuhalten. Verfolgungen blieben nicht aus.

Jesus Christus, der Herr über unsere Welt und unser Leben. Wir, seine Menschen, Nachfolger und Nachfolgerinnen eines solchen Herrn, sind in ihrem Tun und Leben an ihn gebunden. Wir können nicht mehr überall mitmachen. Wir werden unseren politischen Herrn sagen müssen: Hier ist die Grenze erreicht, und zwar immer dann, wenn menschliches Leben mit Füßen getreten wird. Und wir werden unliebsame Mahner sein müssen. Und wir werden darauf hinweisen müssen, dass unser Heil nicht in einer noch so perfekten äußeren Sicherheit liegt, die sich mehr und mehr gegen den Menschen richtet. Christus ist der Herr, auch derer, die auf der anderen Seite leben und darum hat unsere Welt Zukunft und Hoffnung, ist nicht verlassen und verloren. Er will uns hineinnehmen in seinen Herrschaftsbereich, will unser Leben segnen.
Ja, liebe Gemeinde, zum Himmel blicken, dass heißt noch lange nicht, in Gruben fallen müssen. Zum Himmel blicken, an die Auferstehung Christi glauben, ernst nehmen, dass Er der Herr ist, darin allein liegt Zukunft und Hoffnung. Wie gut, dass schon der alte Tales etwas davon ahnte, dass der Mensch seinen Blick nicht nur bei sich halten darf, wenn er sein Leben gewinnen soll. Wie gut, dass Jesus Christus unser Leben in sein Regiment hineinnehmen will. Lassen wir es uns doch gefallen. Lassen wir uns doch von dem Glaubenssatz mitnehmen. Lassen wir doch unser Leben aus dem Segen, der von diesem einen kommt, reich werden. Geschenkt wird es uns.

AMEN

Dr. Friedrich Weber
Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig
landesbischof@luth-braunschweig.de


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