Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Rogate, 16. Mai 2004
Predigt über 1. Timotheus 2, 1-6a, verfaßt von Tom Kleffmann
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Gnade sei mit euch und Friede, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Laßt uns einmal nachdenken über das Beten. Beten zu Gott, rufen zu Gott, schreien zu Gott, reden zu Gott, flüstern zu Gott. Woher kommen diese Worte, die wir zu Gott reden? Aus dem Innersten kommen sie – aus einem Inneren, das tiefer ist als das Ich des Alltags.

Wir beten im Gottesdienst. Oder zu Hause. Mit den Kindern. Oder alleine. Wir falten die Hände. Manche stehen. Manche sitzen. Manche knien. Manche schließen die Augen. Manchmal beten wir mit lauten Worten. Und manchmal beten wir in die Stille. Aber immer ist es, als wäre es die Mitte der Zeit.

Wir danken – für den Atem, für das Licht, für den Grund, auf dem wir stehen. Wir fragen. Wir bitten. Warum bitten wir? Gut, Gründe, sich eine Veränderung zu wünschen, gibt es genug. Die Ungerechtigkeit der Armut. Die Arroganz vieler Mächtiger. Die engen Herzen der Fanatiker. Die Dummheit des Geldes. Die feiste Dummheit der Selbstsicheren. Und dann die Einsamkeit in den Häusern der Alten. Der einsame Tod. Und manchmal die bodenlose Suche nach Selbstwert.

Aber warum beten? Ich höre den Spott über die Gesundbeter. Beten statt rausgehen und Handeln? Können wir denn Gott bewegen, daß er dann hingeht und alles richtet? Und wenn wir ihn nicht bäten, dann ließe er es? - Beten ist über den Verstand. Was im Beten geschieht, ist tiefer, als das Ich sich ausrechnen kann.

Gut, Gründe, sich eine Veränderung unserer Welt zu wünschen, gibt es genug. Das sehen nicht nur Christen. Ungerechtigkeit, Mißbrauch der Macht, Arroganz, Dummheit der Seele, Fanatismus, Einsamkeit. Aber was ist der Inbegriff? Habe ich denn das Wesentliche schon genannt? Warum Menschen auch noch nach Erlösung rufen, wenn es ihnen äußerlich gutgeht? Der geheime Grund auch für Habgier, Arroganz, Fanatismus? - Ich sage: der Grund aller Sehnsucht, und auch der Grund aller Lebenslügen ist der Tod. Die Angst. Daß wir Gott nicht sehen. - Mein Gott, wir sind nicht die Macher! Wir Menschen kennen die Grenze, wir kennen den Tod! Wir schöpfen das Leben nicht aus uns selbst! Wir brauchen einen Grund des Lebens, einen Sinn! Alle Menschen! Die ganze Menschheit ist krank, ohne Grund, ohne Sinn, ohne Gott.

[Lesung 1.Tim.2,1-6a] So steht es im 1.Brief an Timotheus, Kapitel 2.

Erlösung. Ich glaube, im Grunde gibt es nur eine Bitte, die wir beten - - wir werden still und stehen vor Gott. Wir öffnen uns wie sonst nie. Tiefer als wir sehen können. Gott ist die Stille. Und wir geben ihm unser Denken, unser Leben, unsere Liebe, unsere Sprache.

Aber eigentlich ist das alles ja schon bei ihm - unser Denken, unser Leben, unsere Liebe, unsere Sprache. Würden wir sonst beten? „Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.“ Gott ist nicht fern. Gott ist nicht schwarz. Er ist nicht hinter den Sternen. Wir müssen ihn nicht erst suchen. Als all unser Fragen, all unser Schmerz, auch all die Leiden der Kranken, der Verzwifelten, als all unsere Einsamkeit in einem Punkt versammelt war, als der Mensch des Glaubens, der Mensch der Hoffnung, der Mensch der Liebe in dieser Welt starb – da ist Gott endgültig zu uns gekommen. Hat unser Leben zu seinem Leben gemacht. Unsern Tod. Unsere Liebe. Gott hat selbst gegeben für alle zur Erlösung. Kein Verstand ermißt, was das heißt.

Vielleicht beten wir um Glauben, um Glück, um Kraft und Bewahrung. Aber im Grunde beten wir immer um Gott selber. Im Grunde beten wir immer um den Mittler.

Und wenn wir so beten, sind wir nicht allein. In der Stille des Gebets sind wir nicht allein. Christus ist schon da. Ich rede zu Gott. Wir reden zu Gott. Aber wenn wir reden, ist es schon sein Geist, der spricht.

Weil er zum Menschen gekommen ist, antworten wir. Und deswegen hört er uns, wenn wir beten. Wir übergeben uns seinem Geheimnis. Wir fragen ihn nach dem Schmerz, nach dem Sterben, nach der Ewigkeit, und indem die Worte aus der Tiefe steigen, kommt schon die Antwort. Unser Leben, unser Ziel: wir stellen es Gott anheim.

Aber warum Fürbitte? Das ist ein Zweifel für viele. Warum Bitte, Gebet, Fürbitte, und Danksagung für alle Menschen, wie wir es am Schluß jedes Gottesdienstes tun? Wenn wir erinnern an die Sterbenden, an die Hungernden, an die zerstörten Seelen, und auch an, die Verantwortung tragen für Frieden und Wohlfart? Das ist doch eine allzumenschliche Vorstellung: da ist einer, der helfen kann, aber der, der es braucht, kann nicht für sich selbst bitten. Jemand, der näher steht, muß Fürsprache halten. Und so bitten wir für ihn.

Wirklich eine durch und durch menschliche Vorstellung. Handelt denn Gott wie ein Mensch? Und wir können ihn schicken? Ich glaube, wir haben alles Recht, uns Gott wie ein menschliches Du zu denken. Wir glauben, daß er Mensch wurde. Denn er liebt uns und will unsere Liebe. So daß unser Leben und Sterben in ihm geborgen ist. Aber zugleich ist er höher und tiefer als alles, was wir uns mit dem Verstand ausdenken können.

Ich glaube, wenn wir an die anderen Menschen denken, wenn wir an die Sterbenden erinnern, an die Hungernden, wenn wir die Einsamen in den Häusern nennen – dann verbindet uns alle ein heiliger Geist. Dieser Geist ist wahr. Er ist aus Gottes Zukunft. Und es ist nicht nur so, daß wir vielleicht selbst die Kraft finden, die Kranke zu besuchen und dem Sterbenden die Hand zu halten. Sondern in unserem Gebet ist die Menschheit schon das, was sie in Ewigkeit sein soll: eine Gemeinschaft, geboren aus der Liebe Gottes. Und sie wird es sein. Es wird erfüllt.

Unser aller Leben – wir haben es nicht bloß für uns selbst. Wir stellen es Gott anheim.

Der Friede Gottes, der höher ist als aller Verstand, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus. Amen.

PD Dr. Tom Kleffmann
Göttingen
tom.kleffmann@theologie.uni-goettingen.de


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