Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Jubilate, 2. Mai 2004
Predigt über 1. Johannes 5, 1-4, verfaßt von Friedrich Seven
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Eine Geschichte, die wahr sein könnte
(vgl. 1. Johannes 5,1-4)

Die Geschichte vom Tellerwäscher, der es bis zum Millionär gebracht hat, ist sicher schon so oft erzählt worden, daß daran wohl etwas wahr sein muß.

Anders ist es mit dieser Geschichte von den zwei Tellerwäschern, die nur vielleicht Tim und Spud hießen und deren Restaurant nicht einmal in New York lag.

Sicher ist nur, daß der, der vielleicht Tim hieß, der geborene Tellerwäscher war. Ihm schien das Arbeiten am Transportband für das schmutzige Geschirr oder das Bedienen der Spülmaschine gleich lieb zu sein. Wäre es bei seiner Arbeit nicht ums Geschirrspülen gegangen, hätte man sagen können, die Schürze sei ihm schon in die Wiege gelegt worden.

Millionär wollte er vermutlich deswegen schon nicht werden, weil er dann die Spülküche vermissen würde.

Spud dagegen war es eigentlich immer bei der Arbeit anzusehen, daß ihm von diesem Job noch nicht an seiner Wiege gesungen war. Ihm stand es im Gesicht geschrieben, daß er wohl einmal für sein Leben mehr erhoffen durfte und er es sich selbst versagte, noch von einer anderen Zukunft zu träumen.

Offenbar hatte er, als er mit diesem Job anfing, fast alles in seinem Leben schon verloren, was ihm einst lieb und wert gewesen sein mußte, und in den letzten Jahren war nicht einmal mehr seine Tochter aus der Unterstadt vorbeigekommen, um wenigstens kurz einmal bei ihrem Vater vorbeizuschauen. Vielleicht war sie inzwischen einfach zu erwachsen geworden und noch unzufriedener mit ihrem Vater als es dieser mit sich selbst war.

Ein Millionär freilich kommt auch in dieser Geschichte vor. Vielleicht kein richtiger, aber jedenfalls ein Mann, dem es gutging und der sicher einmal mehr mit seinem Sohn im Sinn hatte, als daß der Tag für Tag zwischen Essensresten, angeschlagenem Porzellan und mit einer fleckigen Schürze in grauen Dampfschwaden seiner Arbeit nachginge.

Wir wußten nicht, warum Spud nie von seinem Vater sprach, und hatten nur von seiner Tochter gehört, daß auch der Vater nie von Spud sprach.

Wir konnten den Vater verstehen, und wenn wir mal etwas freundlicher über Spud redeten, dann gaben wir Sally am Büffet recht, wenn sie wieder einmal über Spud sagte: „Wie soll der denn zu anderen freundlicher sein können, wenn er nicht einmal sich selbst mag.

An seinen schlimmsten Tagen war Spud freilich nicht nur unfreundlich, sondern ein schlechter Kollege. Wäre Tim nicht in seiner Nähe gewesen, hätten wir ihn vermutlich lange schon rausgeekelt.

Über Tim sprachen wir eigentlich nur, wenn wieder einmal über Spud geschimpft und der mit seinem Kollegen verglichen wurde.

Das Leben mit Spud war nicht einfach, und am schwersten war es wohl für ihn selbst.

Eines Tages passierte etwas, was sonst nie geschah: Spud bekam einen Anruf.

Wir sahen, wie er sich noch schnell die Hände an der Schürze abtrocknete, bevor er sich an den Tresen begab und an das Telefon stellte. Wir konnten leider nicht hören, was er sagte, und begannen gleich darüber zu tuscheln, wer denn wohl Spud sprechen wollte.

Etwas ganz wichtiges mußte passiert sein, wahrscheinlich sogar etwas schlimmes. Möglich daß seine Tochter anrief,- aber nach so langer Zeit? Oder mußte sie ihm etwas über den Vater mitteilen: etwa, daß der schwer krank wäre oder gar schon tot?

Ein jeder von uns bereitete sich schon darauf vor, daß Spud mit einer schlimmen Nachricht zurückkäme.

Als er zurückkam, war er freilich wie immer. Vielleicht aber konnte auch eine schlimme Nachricht an seinem Blick und seiner Haltung nichts mehr verändern.

Doch irgendetwas wichtiges mußte passiert sein, denn nachdem Spud seine Schürze wieder angezogen hatte und an seine Arbeit zurückgegangen war, fragte er Tim , ob der über Ostern ohne ihn auskäme, er müsse weg.

Mehr verriet er nicht, und wir hatten uns schon lange abgewöhnt, Spud nach Persönlichem zu fragen. Tim antwortete wohl: „Ja, geht in Ordnung!“, fragte aber auch nicht. Sicher würde Spud dem Chef sagen, warum und wieso, aber den Chef fragten wir grundsätzlich nicht.

Wir alle waren keineswegs sicher, ob wir Spud überhaupt noch einmal wiedersehen würden. Denn wenn tatsächlich sein Vater gestorben sein sollte, dann hätte Spud kaum einen Grund zurückzukommen. Als Erbe eines reichen Herrn würde er in unserem schlechten Restaurant kaum essen, geschweige denn sich hier sein Essen verdienen müssen.

Als er in der Woche nach Ostern noch nicht wieder an seinem Platz war, bemerkten wir das kaum, auch weil Tim die Arbeit gut allein schaffte. Aber als Spud auch die Woche danach noch nicht wieder da war, dachten wir uns unseren Teil und fühlten uns bestätigt. In den Pausen malten wir uns aus, wie er uns und seine verhaßte Arbeit möglichst schnell vergessen wollte. Vielleicht würde er ja sogar weit wegziehen, damit ihn auch nichts und niemand mehr daran erinnern könnte.

Als schließlich der Chef einem Neuen einstellt, waren wir uns sicher: Spud kommt nicht mehr, nicht einmal mehr zu Besuch.

So waren wir sehr überrascht, als er nach Wochen in der Hintertüre stand, die wir ab der Mittagszeit immer offenhielten. Er sah nicht nach reichem Herrn aus, aber auch nicht wie immer. Vor allem sein Blick und seine Haltung waren verändert. Er ging, nachdem er freundlich Hallo gesagt hatte, auf Tim zu und begann bei ihm, die Blumen zu verteilen, die er in einem großen Strauß mitgebracht hatte.

Nachdem jeder von uns eine Blume in der Hand hielt, und Tim wohl mit Absicht die schönste bekommen hatte, faßte sich schließlich einer von uns ein Herz, setzte ein Lächeln auf sein Gesicht und sagte zu Spud: “Klasse, daß wir uns auch an deinem Erbe etwas freuen dürfen!“ „Wieso Erbe?“ - fragte Spud und schien wirklich überrascht zu sein.

Als er unsere betretenen Gesichter sah, begriff er wohl allmählich: „ Nein, mein Vater ist nicht gestorben- wie kommt ihr denn darauf?“ „Dann hat er Dich also zu Ostern eingeladen?“

„Nein, aber meine Tochter. Sie hat Ostern Kindtaufe gefeiert.- Ja, ich habe auch nicht schlecht gestaunt. Stellt euch vor, ich bin schon seit einem halben Jahr Großvater.“

„Warst Du etwa auch mit in der Kirche?“ “Na, als Pate mußte ich das ja wohl. Es war in meiner alten Kirche. Da hatte sich kaum was verändert. Endlich war ich auch groß genug und ich konnte mir mal das Kreuz auf dem großen Tisch anschauen und war mit dem Mann mit der Dornenkrone auf Augenhöhe.“

„Der heißt Jesus!“, sprudelte es aus Sally heraus. “Genau, Jesus Christus, so hat ihn der Pastor genannt“, stimmte Spud ihr zu.

„Hast Du denn auch was von der Predigt verstanden?“ wollte nun Sally wissen.

„Nicht allzuviel, aber am Schluß ging es wohl darum, daß wir alle Kinder Gottes seien.“

„Also, Du auch?! “ Richtig Sally! „Ja, und was ist denn nun mit deinem Vater?“, fragte schließlich einer in die Stille hinein.

Spud holte tief Luft: „Der war natürlich auch da, und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, daß ich mich über das Wiedersehen einfach nur gefreut hätte. Wir haben kaum miteinander gesprochen. Das schien auch ihm wohl recht zu sein.

Gott sei Dank versteht er sich mit meiner Tochter gut, und stellt Euch vor, er will ihr helfen, den Blumenladen zu kaufen, den sie schon seit einigen Jahren fast ganz selbständig führt.“

„Ja, aber davon hast Du doch nichts?!“

„Doch, schon seit Tagen helfe ich nämlich meiner Tochter- nun ja, wieviel sie mir zahlen kann, das müssen wir erst mal sehen.“

„Ja, für meine Tochter würde ich das wohl auch riskieren.“ Sally meinte Spud zu verstehen: „Und jetzt bist Du gekommen, um uns für immer Lebewohl zu sagen?!“

„Unsinn, ich will zwar nicht mehr in diesen Laden hier zurück, aber Ihr könnt mich gerne besuchen, und Tim, Dich wollte ich fragen, ob Du mit mir arbeiten möchtest im Blumenladen. Wir brauchen noch einen, der mit die Blumen ausliefert. Führerschein hast Du doch? Da können wir uns abwechseln. Ich bin sicher, auf uns ist Verlaß.“

Auf einmal blickten wir alle auf Tim, der so überrascht wirkte, als wäre er Großvater, Pate und Millionär auf einmal geworden. Er brauchte einige Zeit, bis er nickte und ja sagte, schließlich war er ja eigentlich der geborene Tellerwäscher.

Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
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Tel.: 05521/2429
e-mail: friedrichseven@compuserve.de


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