Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Ostersonntag, 11. April 2004
Predigt über 1. Korinther 15, 1-11, verfaßt von Ulrich Nembach
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Ostern – ein, der Grund zum Feiern

Liebe Gemeinde,

Ich freue mich. Ich bin richtig froh. Ich wünsche mir, dass es Ihnen genauso ergeht, dass wir uns gemeinsam freuen können. Heute ist Ostern! Die Passionszeit ist vorbei. Es ist schön, dass Ostern bei uns auf der Nordhalbkugel der Erde mit dem Frühling zusammenfällt. Alles blüht, na, ja in diesem Jahr sind die Blüten noch etwas spärlich, aber sie kommen, und manche sind schon da.

Wir feiern Ostern, die Auferstehung Jesu Christi! Das ist ein Grund zum Feiern. Wenn das kein Grund ist, was ist dann ein Grund zu feiern?!

Ostern ist der Beginn einer neuen Realität! Die Realität Sterben und Tod sieht sich einer neuen Realität, der des Lebens gegenüber. Biologisch gesehen, philosophisch gesehen läuft alles auf den Tod zu. Das bestimmt das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen. Der Tod ist das Ende. Darum wurde Jesus gekreuzigt. Es sollte Schluss sein mit ihm. Ostern ändert dies radikal. Das Leben geht weiter, ja, das eigentliche Leben beginnt. Die Frauen morgens am Grab und später die Jünger müssen die neue Realität lernen, mühsam lernen. Die Frauen fliehen, als sie hören, dass Jesus lebt. Die Männer, die später mit ihm nach Emmaus gemeinsam wandern, erkennen ihn nicht. Sie gehen zusammen, sie reden miteinander und erkennen ihn nicht. Als sie endlich begreifen, mit wem sie unterwegs sind, gemeinsam essen wollen, da hält sie nichts mehr. Sie gehen denselben Weg zurück nach Jerusalem, den sie gerade gekommen sind. Alles wurde anders. Kehrtwende nennt man das. Ein Grund, der Grund zum Feiern! Christen sind Realisten. Neu-Realisten. Manche Menschen haben aber Bedenken, erheben Einwände, verweisen auf die Realität, die alte Realität.

Ja, ich lese auch Zeitungen und weiß, dass heute Menschen sterben im Irak, in Kliniken, in Häusern. Ich weiß, dass viele arbeitslos sind, dass sie gern feiern möchten, aber es fehlt ihnen das Geld und inzwischen oft auch die Hoffnung. Wer so denkt und redet, ist kein Bedenkenträger, wie es so viele gibt. Nein, ich nehme die Einwände ernst, weil sie ernst genommen werden müssen. Ich lese Zeitungen, wie gesagt. Ich frage mich, ob ich angesichts der Ereignisse im Irak diese Predigt halten kann. Das Geschehen mit den zahlreichen Toten und Verletzten verdrängt geradezu die Freude. - Ich verdränge nicht das Leid. Ich verdränge es nicht im Großen wie im Kleinen, wenn es so etwas überhaupt angesichts von Leid gibt. Ich stand als Pfarrer an Gräbern, sprach mit Trauernden, bemühte mich, sie zu trösten. Da ich das Leid nicht verdränge, nehme ich die ernst, sehr ernst, die ihre Probleme mit der Auferstehung haben. Ich finde mich damit in guter Gesellschaft. Paulus, von dem unser heutiger Predigttext stammt, setzt sich mit der Auferstehung auseinander.

Er hat noch ein weiteres Problem. In der Gemeinde von Korinth, an die er schreibt, gibt es Gemeindemitglieder, die vertreten die Meinung, dass es keine Auferstehung der Toten gibt. Die Leute stellen sich das Ganze wohl so vor – Genaues wissen wir nicht – dass sie bereits mit ihrer Taufe geistlich, pneumatisch, wie wir auch sagen, auferstanden sind. Also kurz gesagt, die Auferstehung sei direkt ohne Leid, ohne Kreuz erfolgt. Heute meinen viele, die die Auferstehung leugnen oder einfach nicht interessiert: „Tot ist tot.“ Was interessiert mich, was nach dem Tode ist; ich lebe heute.

So liegen aber die Dinge nicht. Im Mittelalter interessierte die Menschen sehr, was nach dem Tode ist, was dann mit ihnen geschieht. Sie engagierten sich u.a. im Bau der großen Kathedralen. Im Moment läuft eine Reihe im Fernsehen zum Bau der Kathedralen. Dort wird betont, dass Prestigedenken und Gewinnstreben Triebfedern waren. Es mag sein, dass dies bei manchen mitgespielt hat, aber man muss nicht Kirchen bauen, um zu glänzen oder hohe Gewinne zu erzielen. Spätere Generationen bauten sich prächtige Häuser, Schlösser. Das ist bis heute so geblieben.

Wie sehr Leid und Sterben mit Freude, echter, wahrer Freude zusammenhängt, zeigt sich in der Musik. Wer unser Gesangbuch einmal durchblättert, gar richtig durchstöbert, wird erstaunt sein, wie oft dort von Freude die Rede ist und wie oft gerade die Freude mit dem Leid verbunden ist. Das zieht sich durch die Jahrhunderte hindurch. Freud und Leid begegnen in den verschiedensten Ländern. Auch dafür ist das Gesangbuch ein Beleg. Dort sind Lieder aus ganz verschiedenen Zeiten und Ländern zusammengetragen. Leid und Freud sind zeit- und grenzüberschreitend.

Zwei Beispiele nenne ich. Das Lied „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ dichtete Joachim Neander 1680 (EG 317). Seit 1973 gibt es eine ökumenische Fassung des Liedes. Ferner ist es in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Allein unser Gesangbuch bietet eine Übersetzung ins Englische, ins Französische, ins Schwedische, ins Polnische, ins Tschechische.

Neander, dessen Name weitgehend wegen des nach ihm benannten Tales bei Düsseldorf bekannt ist, weil dort Reste eines frühen Menschen, des „Neandertalers“, gefunden wurden, war ein bahnbrechender Dichter und Komponist. Dies ist leider weniger bekannt. Er ruft zum Lobe Gottes auf und nennt als Gründe die Erschaffung des Menschen und dessen Erhaltung. Gott ist der Grund zum Lob, der Anlass zur Freude, wie ihn der christliche Glaube bekennt. Neander lebte in der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg. Manche bauten damals schon wieder Paläste. Manche, nicht wenige litten noch immer unter den Folgen dieses grauenvollen Krieges. In Göttingen waren noch zahlreiche Häuser zerstört und konnten selbst in den folgenden Jahrzehnten nicht wieder aufgebaut werden. Neander ging es auch persönlich nicht gut. Er wusste, wenn er von Freude und dem Lob Gottes sang, was er tat.

Wir Europäer haben seit 1972 die damals vom Europarat gewählte Europa-Hymne. Es ist die Melodie von Beethovens Vertonung von Schillers Ode an die Freude. Dieselbe Ode hatte zwei Jahre vorher, 1970, Miguel Rios zu einem Welt-Hit gemacht Come sing a song of joy for peace , my brother. Beethoven wählte die Ode, um sie für sein grandioses Finale seiner 9. Symphonie zu vertonen. Die Symphonie wurde am 7. März 1824 uraufgeführt. Beethoven ging es damals nicht sehr gut. Er, ein Komponist, war damals bereits ertaubt. Familiäre Probleme kamen hinzu. … und dann wählt Beethoven diesen Text von Schiller und schreibt diese Musik dazu. Schiller dichtete:

„Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, Dein Heiligtum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng geteilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo Dein sanfter Flügel weilt.
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder, überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen.“

Die letzten vier Zeilen werden von einem Chor vorgetragen. Josef Kardinal Ratzinger hat neulich in einer vom Fernsehen weltweit verbreiteten Ansprache diese Worte als „Postulat“ bezeichnet, als einen Wunsch. Ich denke, dass Kardinal Ratzinger nicht Recht hat. Schiller meint etwas anderes. In der Welt der Aufklärung mit ihrer Abkehr von der Religion lebend sucht er nach Gott, hofft ihn droben überm Sternezelt zu finden. Die folgenden 8 Strophen werden ebenfalls von einem Chor weitergeführt. Auch hier wird auf Gott verwiesen. Wer so redet, der weiß um Gott nicht nur seit seinen Kindertagen in Württemberg, sondern lebt mit ihm, glaubt an ihn. Vielleicht glaubt er so, dass er glaubend glauben möchte, weil der Unglaube, der Zeitgeist dagegen ist. Schiller dichtet darum, wie jener Vater, der mit seinem kranken Sohn zu Jesus kam und von ihm aus seinen Glauben angesprochen rief: „ Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (Mk.9,22).

Liebe Gemeinde, was tue ich, was tun wir, wenn wir so vom Glauben sprechen, wenn wir so auf die antworten, die heute zu Ostern sich nicht mitfreuen können? Wir tun dasselbe wie Paulus. Wir reihen uns ein in seine Argumentation. Paulus hielt denen, die an die Auferstehung, an Jesus als den Lebendigen, nach Kreuz und Tod wieder Lebendigen, nicht glaubten, entgegen, dass Jesus nach seinem Tod wieder gesehen wurde. Paulus zählt eine ganze Reihe von Zeugen auf: Petrus, Jakobus, über 500 auf einmal und auch er Paulus haben Jesus nach Karfreitag gesehen. Ich, wir heute morgen, feiern Ostern, freuen uns, wie sich vor uns andere gefreut haben, Dichter und Musiker, Neander, Schiller, Beethoven.

Ostern, die Nachricht „Christus lebt!“ ist der Glaube zu Gottes Macht und zu seinem Willen, das Leben den Menschen zu geben. Er hat di macht und den Willen dazu. Ostern begann er damit, indem er Jesus nicht im Tode ließ. Seine Realität stellt sich dem Tod, er stellt sich ihm entgegen, stellt seine neue Realität entgegen und gewinnt. Luther dichtete: „Christ lag in Todesbanden“ (EG 101,1) und fährt fort in Strophe vier: „Es war ein wunderlicher Krieg, da Tod und Leben `rungen, das Leben behielt den Sieg“. Diese neue Realität wird sichtbar in unseren Gottesdiensten, in der Liebe. Jene Männer die von Jerusalem nach Jericho gingen und jenen Überfallenen liegen ließen, hatten es eilig, eilig wegen ihrer Geschäfte, wegen Möglichkeit der Rückkehr der Verbrecher. Sie konnten wiederkommen, auch sie zusammenschlagen und ausrauben. Jener Samariter hatte Zeit, er konnte später auch noch Geld für die Heilung des Zusammengeschlagenen ausgeben. Verstehen wir nun das Gleichnis? Neue Realität! Ostern bedeutet Leben und mit ihm Liebe.

Lassen Sie uns darum feieren. Lassen Sie uns gemeinsam freuen. Feiern, richtig feiern kann man nur gemeinsam mit Freunden.

Lassen Sie uns darum singen. Lassen Sie uns ein altes Lied singen. Es stammt aus dem Mittelalter und wurde in Bayern und Österreich gesungen, später im Wittenberg Luthers und heute weltweit in der Ökumene. Lassen Sie uns stehend singen: Christ ist erstanden (EG 99).

Amen

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen
ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de


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