Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Osternacht, 11. April 2004
Predigt über Kolosser 3, 1-4, verfaßt von Albrecht Weber
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Der alte und der neue Mensch
„Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes.
Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist.
Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.
Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.
“ (Kol 3,1-4)

Gemeinde Jesu!

Zwei Staatsbürgerschaften! Das, was das Parlament vor wenigen Jahren unter bestimmten Umständen aus dem Ausland stammenden Bürgern zugestand, ist bei uns Christen Realität. „Mit Christus auferstanden“ sein heißt: So mit dem auferstandenen Herrn verbunden sein, dass Paulus von uns sagen kann: „Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus.“ (Philipper 3,20) Unsere wichtigste „Staatsbürgerschaft“ ist der Himmel, der uneingeschränkte Herrschaftsbereich Gottes. Unsere vorübergehende Staatsbürgerschaft ist diejenige des Landes, in dem wir leben.
Unsere eigentliche und bleibende Heimat ist das Reich Gottes, wo Christus bei dem Vater wohnt. Der Ort, wo wir für eine begrenzte Zeit als Gastarbeiter tätig sind, ist diese Erde- gleich auf welchem Erdteil oder in welcher Stadt. Ähnlich wie viele Gastarbeiter ihre Zukunft in ihrer neuen Heimat sehen und doch mit ihrem Ursprungsland durch dort noch lebende Verwandte, durch die Sprache und Kultur verbunden sind, so können wir Christen seit unsere Taufe den Himmel als unsere neue Heimat ansehen, auch wenn wir mit dieser vergehenden Welt noch durch unsere Verwandten und Freunde, durch unsere Aufgaben und unseren Beruf sowie durch Sprache und Kultur innig verbunden sind.

„Zu Gast auf einem schönen Stern“, hat mein theologischer Lehrer in Hamburg, der berühmte Theologieprofessor Helmut Thielicke, zeitweiligRektor der Universitäten Tübingen und Hamburg, seine Lebenserinnerungen überschrieben. Er hat mit diesem gelungenen Titel knapp angedeutet, dass er gerne auf dieser Erde gelebt hat, dass aber andererseits seine ganze fast 80jährige Existenz auf diesem besonders schönen Planeten nicht mehr als eine zeitlich sehr begrenzte Gastrolle war und er seine Zukunft ohne zeitliche Begrenzung von Gottes ewiger Welt erwartet hat.

Das ist das höchste, was man von einem Menschen auf dieser Erde sagen kann: Er sei mit Christus auferstanden. Wer mit Christus in der Taufe auferstanden ist, für den ist Ostern nicht lediglich ein schönes Frühlingsfest mit hübschen Sitten, besonders für Kinder, für den ist Ostern vielmehr die Geburtsstunde seiner eigenen, ewigen, neuen Existenz!
„Mit Christus auferstanden sein“ heißt: Christus ist mein „Stern, auf den ich schaue“. Christus ist für mich der Ursprung einer neuen Lebensqualität. Christus ist das Geheimnis eines neuen Lebens für mich. Dieses neue Leben mit außergewöhnlicher Qualität ist zwar zur Zeit noch verborgen, kann zur Zeit noch nicht gemessen, gewogen, fotografiert und quantifiziert werden, aber es ist da, so wahr Christus herein getreten ist in mein Leben.

Den modernen Menschen ärgert es, dass es etwas geben sollte, was man nicht ablichten und im Fernsehen zeigen kann. Er kann es nicht glauben, dass es etwas Religiöses gibt, das man nicht sieht.
Aber derselbe moderne Mensch behauptet in vielen Todesanzeigen zu Recht, der gerade Verstorbene werde in den Herzen seiner Angehörigen weiterleben. Gilt dieses Weiterleben in den Herzen nur so lange, wie man Fotos von dem Verstorbenen gesammelt vorrätig hat und solange sie noch nicht vergilbt sind? Nein, natürlich nicht! Wir sehen an dieser Stelle den Widerspruch des modernen, atheistischen Menschen: Er behauptet etwas, was er selbst im Ernst nicht glaubt.

Etwas, was noch verborgen ist, kann von großer Tragweite sein, auch wenn man es noch nicht sieht:
Ein Kind im Mutterleib hat einen großen Wert, auch wenn noch kein Mensch es mit seinen Augen sehen kann.
Als Hitler 1925/26 das Buch „Mein Kampf“ schrieb, legte er für sich und seine Anhänger den Grundstein für eine antisemitische, menschenverachtende Rassen- und Völkerideologie und für die aus seiner verblendeten Sicht moralische Notwendigkeit eines Angriffskrieges gegen Russland und andere „slawische“ Nationen, auch wenn das Buch bei seinem Erscheinen noch als das Werk eines Spinners und Außenseiters abgetan werden konnte und noch Jahre bis zur „Machtergreifung“, Aufrüstung, zum Kriegsbeginn und zum Holocaust vergingen.
Die Botschaft mit dem scheinbar unbedeutsamen Buch „Mein Kampf“ diente dem Verderber und hatte eine dramatische, folgenreiche Spätfrucht: Millionenfachen Tod.
Die Botschaft mit dem scheinbar unbedeutsamen Buch einer ursprünglich als jüdische Sekte angesehenen Gruppe, das „Evangelium“, dient Gott und wird eine dramatische, folgenreiche Spätfrucht haben: Millionenfaches neues Leben aus dem Tod!

Anders gesagt:
Am Uranfang des 2. Weltkrieges stand eine einfache Grundbotschaft eines Außenseiters, die später in ein zündendes, folgenreiches Buch mit dem Titel „Mein Kampf“ verdichtet wurde: Gemeint war der Kampf der scheinbar edlen Rassen und Völker gegen die vermeintlich minderwertigen Völker und Rassen.
Am Uranfang des Reiches Gottes stand eine ebenfalls einfache Grundbotschaft eines anderen Außenseiters, die später in ein zündendes, folgenreiches Buch, genannt „Neues Testament“, verdichtet wurde. Auch diese Botschaft handelt von einem Kampf, jedoch von einem Kampf der Liebe gegen den Hass, des Lebens gegen den Tod, der De-Mut gegen die Arroganz. Die Botschaft dieses Buches vom nahenden Gottesreich kann in einem einzigen Wort zusammengefasst werden: eu-angelion, „gute Nachricht“. Es ist die gute Nachricht, dass Gott selbst die Erde besucht hat, dass der verlorene Mensch Gott in Christus findet und dass wir Christen durch unseren Herrn eine zweite Staatsbürgerschaft erhalten, die Staatsbürgerschaft der ewigen, unzerstörbaren Welt Gottes.

Als ich im Mai 1987 zum Pastor einiger deutschsprachiger Gemeinden in London und Umgebung gewählt wurde, bereiteten meine Frau, unsere drei Söhne und ich uns sofort auf diesen neuen Umstand vor. Noch wohnten wir in Oldenburg und erfüllten dort unsere Pflichten in der Schule, in der Gemeinde und im Haus, aber natürlich lasen wir schon, so weit es die Zeit erlaubte, Bücher über das zukünftige Land, in dem wir später wohnen sollten. Wir vertieften unsere Kenntnis der englischen Sprache und merkten: Selbst die Jahre an Englischunterricht in der Schule würden nicht reichen, die Menschen unserer zukünftigen Heimat voll zu verstehen und auf Augenhöhe mit ihnen zu kommunizieren. Wie traurig, wenn sich Ausländer in einem Gastland nie die Mühe gegeben haben, die Sprache ihrer neuen Heimat zu erlernen.
Genau das ist es, was der Verfasser des Briefes an die Gemeinde in Kolossä, im Westen der heutigen Türkei gelegen, meint: Bereitet euch auf euren Umzug in eure neue Heimat vor. Diese neue Heimat wird für euch nicht eine Heimat für ein paar Jahre sein, sondern eine Heimat für immer und ewig. Wie armselig, wenn ihr dann in eurem ewigen Heimatland angekommen seid, die Sprache nicht kennt, die dort gesprochen wird, die Regeln nicht kennt, die da gelten werden und den nicht kennt, dem alle in diesem Land die Ehre geben. Die Sprache dieses Landes ist die Sprache des Glaubens. Die Regel, die in diesem Land maßgebend ist, ist die Regel der Liebe. Der „Landesherr und Gebieter“, dem in diesem Land alle Bewohner die Ehre geben, ist niemand anderes als Gott allein, Gott Vater, Gott Sohn und Gott, der Heilige Geist.

Zu einer meiner Gemeinden in England gehörte ein Schüler, der das Abitur an der Deutschen Schule London mit 1,0 machte. Er bekam einen Platz an der Elite- Universität Cambridge zugesagt. Weil dieser Schüler aber in einer Krise steckte, wollte er diesen von so vielen anderen Schülern hoch begehrten Studienplatz nicht annehmen, selbst nicht nach einem Jahr Bedenkzeit, die man ihm einräumte. Diesem Schüler sind heute viele Menschen vergleichbar. Sie sind zwar nicht alle so klug wie er, aber durch die unverdiente Gnade Gottes erhalten sie seit ihrer Taufe einen Platz höchster Ehre, nämlich an Gottes Tisch, für alle Ewigkeit. Aber weil sie in einer Krise stecken, sagen sie einfach nein, und ziehen Zweitrangiges und Vergängliches dem Hochwertigen und Bleibenden vor. Wie jammerschade, zum Weinen traurig!

Bei vielen meiner Besuche merke ich: Es dreht sich fast alles nur um diese kleine, schöne, aber doch vergängliche Welt. Das Denken dreht sich im Kreise! Die Gespräche drehen sich im Kreise! Die kleine, begrenzte Welt dreht sich im Kreise! Klein und begrenzt ist alles, was lediglich irdisch ist. Es findet seine Grenze mit dem Tod. Jede Todesanzeige, jede Nachricht von einem Unglück oder einer Terrortat erinnert mich daran: Mensch, du musst sterben! Ich versuche, diese Wahrheit zu verdrängen und zu vergessen. Ich versuche, mir einzureden, sterben würden ja bislang immer nur andere, ich selbst sei doch noch immer davongekommen; und was bis jetzt gelungen sei, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, könne doch noch Jahr um Jahr weiterhin gelingen!
Dabei sagt mir mein Gewissen, und auch meine Lebens- und Berufserfahrung sagen es mir: Jedes Jahr kann mein letztes sein! Jeder Monat kann mein letzter sein! Jede Woche kann meine letzte sein! Jeder Tag kann mein letzter sein!

Und was ist dann?
Ja, dann ist es aus mit mir. Nur wenige werden sich wahrscheinlich ein Jahr nach meinem Tod noch an mich erinnern. Die Lücke, die mein Tod hervorrufen wird, wird durch andere Menschen und vieles andere gefüllt werden, fast so, als ob es mich gar nicht gegeben hätte.

Das alles wäre tatsächlich sehr betrüblich, wenn es nicht OSTERN gegeben hätte und diese große Oster-Botschaft nicht existierte: Wir haben den Tod in unserem Personkern schon hinter uns, weil wir als Christen in unserem Geist mit unserem Herrn auferstanden sind! Wir haben, ohne dass man es uns ansehen kann, den größten Wert in uns: Leben vom Auferstandenen, ewiges, unzerstörbares Leben. Die Qualität dieses Lebens besteht nicht in der Anhäufung von vergänglichen Dingen. Die Qualität dieses Lebens besteht darin, dass wir durch Christus ein enges und inniges Verhältnis zu dem Schöpfer aller Dinge pflegen dürfen. Die Qualität dieses Lebens besteht darin, dass wir diesen Schöpfer Vater nennen dürfen. Wir dürfen diesen König aller Könige und Herrn aller Herren nicht nur Vater nennen, wir sind in Wahrheit seine Kinder!
Welch großes Ostergeschenk, das Christen seit Pfingsten durch Gottes Geist im Herzen gewiss werden kann. Welch große, unbeschreiblich große Osterüberraschung, welch herzhafte, kühne Osterfreude! Keine sonstige Freude kommt dieser Freude gleich.

Wie Helmut Thielicke dürfen wir Christen diesen schönen Stern lieben, auf dem wir ein paar Jährlein zu Gast sind. Wir dürfen diesen Stern und das Lebens auf ihm schon deshalb lieben, weil er von Gott selbst so wunderbar geschaffen und eingerichtet worden ist. Wir dürfen sogar dabei mithelfen, dass es auf diesem Stern wohnlicher, menschlicher, gerechter und friedlicher zugeht. Aber wir wollen der Faszination dieses „Sterns“ nicht so verfallen, als lebten wir auf ihm für alle Ewigkeit. Wir wollen der Anziehungskraft dieses schönes Sterns nicht zuungunsten unserer ewigen Heimat erliegen.

Christen leben mit einem Geheimnis.Ihr Geheimnis ist ihr Leben mit Christus in Gott. Dies Geheimnis ist neugierigem Zugriff verborgen. Von diesem Geheimnis kann man als Glaubender gelegentlich einen „Zipfel“ wahrnehmen, selbst an Kranken- oder Sterbebetten, in der Dramatik eines gebrochenen Lebenslaufes oder einer menschlichen Katastrophe. Aber Gott wird das Unvollkommene und Fragmentarische in seiner Liebe vollenden. Darum wird die Welt nicht unendlich Ostern feiern. Ostern zielt auf die Vollendung der Welt Gottes im Reich seiner Liebe. Dann kommt ans Licht, was jetzt weithin irdischen Augen verborgen bleibt.

„Einmal öffnet sich die Tür, und ich steh nicht mehr im Dunkeln,
steh im Saal, da ohne Zahl Sterne tausendstrahlig funkeln.

Klage nicht, mein Herz, vertrau, einmal wird sich alles wenden.
Einer hält wie alle Welt so auch mich in seinen Händen.“

(Gerhardt Fritzsche, 1911- 1944, gefallen) Amen

Dr. Albrecht Weber
Pfarrer an der  Ev.-luth. Stadtkirche Delmenhorst
("Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit")
Schönemoorer Str. 12
27753 DELMENHORST
Tel.: 04221 56308
Fax: 04221 58 80 60
e-Mail: aljoweber@arcor.de


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