Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Gründonnerstag, 8. April 2004
Predigt über 1. Korinther 11, 23-26, verfaßt von Matthias Rein
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Schwestern und Brüder!

Alles, was Jesus bei seinem letzten Mahl im Kreis seiner Jünger tat und sagt, hat Bedeutung:
Er nimmt das Brot, er spricht das Dankgebet, er bricht und verteilt es. So wie er es bei seinem Vater zum jüdischen Passahmahl erlebt hat.
Er nimmt den Kelch mit Wein und spricht auch über diesem das Dankgebet. Auch das hat sein Vorbild in der jüdischen Tradition.

Aber Jesus tut und sagt noch mehr.

Die Jünger erinnern sich: Wie oft haben sie zusammen gegessen. Wie oft wurden sie eingeladen. Was für merkwürdige Situationen gab es da. Als sie z.B. zum Zöllner Zachäus ins Haus kamen. Der tischte vielleicht auf. Ein Festmahl wurde es. Und fand seinen Höhepunkt, als Zachäus ankündigte, jeden zu entschädigen, den er betrogen hatte.
Oder als sie auf die Straße liefen und jeden einluden, den sie trafen: Bettler, Straßenstrolche, Prostituierte.
„Wer wollte nicht feiern,“ so hatte Jesus gesagt, „wenn der Bräutigam da ist!“
Die Jünger erinnern sich und spüren: Dieses Mahl ist anders.

Jesus sagt vom Brot: „Das ist mein Leib, der für Euch gegeben wird!“
Und er sagt vom Becher mit dem Wein: „Das ist der neue Bund in meinen Blut, das für Euch vergossen wird!“

Dieses nächtliche Mahl und das merkwürdige Tun und die merkwürdigen Deutungen Jesu lassen die Jünger spüren: Es geht um den Tod Jesu. Sein Sterben, auf das er zugeht, wird hier gedeutet. Jesus möchte, dass seine Jünger verstehen, was sein Tod zu bedeuten hat.
Darin unterscheidet sich dieses Mahl von allen anderen Mahlfeiern.

Es unterscheidet sich vom jüdischen Passahmahl, bei dem die Juden dankbar an die beschwerliche, aber geglückte Flucht unter Gottes Führung aus Ägypten denken.
Es unterscheidet sich von den ausgelassenen Mahlfeiern, die Jesus mit den verschiedensten Menschen im Zeichen der nahen Gottesherrschaft feierte.
Es unterscheidet sich von anderen Gedächtnismahlen, von Festgelagen, Banketts und dem traditionellen Totenschmaus bis heute.

Dieses Mahl deutet den Tod Jesu und zeigt uns, was sein Sterben für uns heißt.

Zwei Worte stehen dabei im Mittelpunkt. Zwei Worte erregen Anstoß und stoßen auf Unverständnis damals wie heute:
Es sind die Worte „für euch“.
So wie ich dieses Brot breche, so wird mein Leib gebrochen – so könnte man Jesus verstehen.
So wie dieser Wein getrunken wird, so fließt mein Blut.

Aber dies erfasst nicht die Bedeutung seines Todes.

Dieses Brot sollt ihr essen als meinen Leib, damit ihr Anteil an mir, an meinem Sterben und meinem Auferstehen habt.
Diesen Wein sollt ihr trinken als mein Blut, damit ihr zu dem neuen, zu dem endgültigen Bund gehört. Diesen schliesst Gott mit den Menschen.
Ich habe für euch gelebt und ich sterbe für euch. So deutet Jesus seinen bevorstehenden Tod.

Unverständnis entsteht:
Wieso soll jemand für mich sterben?
Jeder trägt doch allein seine Schuld.
Jeder ist doch für sich selbst verantwortlich.
Das gehört zur Würde eines jeden Menschen.
Ja, sicher, ab und zu brauche ich Hilfe, komme ich an Grenzen.
Aber muß ein anderer Mensch für mich sterben, damit ich lebe?

Was ist das für eine Religion, fragt der jüdische Historiker Daniel Jonah Goldhagen, in der man auf das Bild eines leidenden, sterbenden Mannes schaut, dessen Hände von Nägeln durchbohrt sind? Wird hier nicht Gewalt und Schrecken ästhetisiert, um nicht zu sagen fetischiert?
Seine Fragen stehen für die Fragen vieler Zeitgenossen.

Das Sterben Jesu war kein Zufall, kein Versehen. Es war mehr als ein Justizmord, so bezeugen uns die ersten Christen. Das Sterben Jesu bedeutet mehr.
Wenn Jesus Gottes Sohn ist, dann bedeutet sein Sterben ja, dass Gott selbst in den Tod geht. Eine Unmöglichkeit, ein Unsinn für Juden, für Muslime, für viele andere damals und heute.

Jesus tritt, als er am Kreuz hängt, an unsere Stelle, so deuten die ersten Christen. Er stirbt und bricht damit die Macht des Todes. Er stirbt für uns und lebt als Auferstandener. Er geht uns voraus durch den Tod ins Leben, so hofften sie, so hoffen wir.

Sein Sterben wurde als neuer Anfang der Gottesgemeinschaft verstanden. Jesus gibt sein Blut, sein Leben, damit wir leben können. Ohne diese Lebensgabe, ohne dieses Opfer können wir nicht leben. Wir leben vielmehr auf Kosten eines anderen, auf Kosten Gottes.

Daran erinnert uns das Abendmahl. Daran gibt uns das Abendmahl teil. Wir essen das Brot als seinen Leib. Wir trinken vom Wein als sein Blut und werden damit ganz und gar hineingenommen in den Bund Gottes mit den Menschen.

Ein Zumutung?
Ja, eine Zumutung!
Eine Zumutung für uns, die wir uns manchmal als Herr über Tod und Leben sehen.
Das Abendmahl zeigt uns: Gott schenkt uns das Leben, von ihm, auf seine Kosten leben wir, nicht durch uns und aus eigener Kraft.

Eine Zummutung auch für die, denen das zu blutig, zu sehr auf den Tod ausgerichtet ist.
Das Abendmahl erinnert uns daran, dass Menschsein heißt, sterben zu müssen und dass Gott dies nicht einfach so hinnimmt.
Er gibt uns im Mahl einen Vorgeschmack auf das Kaufen ohne Geld, auf das Ende von Hunger, Leid und Tod.

Eine Zumutung für die Christen damals in Korinth und für viele heute, die sich eigentlich schon erlöst wissen und denen deshalb egal ist, wie es unter uns zugeht.
Das Abendmahl zeigt uns, dass dem Tod noch nicht alle Macht genommen ist. Und es fordert uns auf, es dem gleich zu tun, der sich selbst gibt.

Christus gibt sich, damit wir leben – gibt es dafür Analogien, Bilder, Beispiele unter uns?
Ein schreckliches Negativbeispiel ist der Wahnsinn, mit dem sich Terroristen selbst in die Luft sprengen und möglichst viele sterben lassen wollen. Sie sterben, um zu töten, nicht um Leben zu erhalten.
Ein Wahnsinn! Ein wahnsinniges Beispiel dafür, wozu Menschen fähig sind!
Sie sterben und wollen damit Allah verehren. Dies kann und dies ist nicht der Wille Gottes, auch nach islamsichen Verständnis nicht.

Ein positives Beispiel begegnete mir vor kurzem.
Eine Reportage erzählte von einem Mannes, der seit vielen Jahren aids-infizierte Menschen in einer Krankenstation in Indien pflegt. Er ist Krankenpfleger, kommt aus Deutschland und hat hier seinen Lebensinhalt gefunden. Der Reporter fragte ihn, ob er nicht Angst um sein Leben hat. Ständig sei er mit der ansteckenden und tödlichen Krankheit Aids unter primitiven hygienischen Bedingungen in Berührung. Nein, sagte er, ich lebe im Augenblick und kann vielen Menschen helfen. Ich erlebe hier soviel Leben. Ich denke nicht darüber nach, in welcher Gefahr ich bin.

Gott pflegt uns, die wir todkrank sind, er setzt dabei sein Leben aufs Spiel und wird sterben. Damit wir am Ende gesund werden.

Und mit einem letzten Bild schließe ich:
Am Palmsonntag haben sich hier um den Tisch des Herrn mehr als vierzig Kinder versammelt. Behinderte Gemeindeglieder halfen beim Austeilen von Brot und Traubensaft. Die Kinder bekamen vom Brot und Saft, sie waren still. Sie warteten, bis sie dran waren. Sie beobachteten genau, was geschah. Sie nahmen wahr, dass da etwas besonderes vor sich ging: Das Mahl für alle – Zeichen und spürbares Erleben dessen, was Gott für uns bereithält, sooft wir vom Brot esssen und vom Wein trinken.

Amen

Dr. Matthias Rein
Studienleiter am Theologischen Studienseminar der VELKD
Bischof-Meiser-Str. 6
82049 Pullach
Tel. 089/74442428
eMail: Matthias.Rein@t-online.de


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