Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Gründonnerstag, 8. April 2004
Predigt über Johannes 13, 1-15, verfaßt von Lars Kjær Bruun (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Worin besteht eigentlich das Erbauliche an dieser Geschichte? Ja vor allem darin, daß wir davon hören, daß Jesus die Füße aller Jünger wäscht, auch die von Judas. Jesus weiß, daß Judas ihn verraten wird, aber dennoch wäscht er dem Verräter die Füße, und damit segnet er durch seine Tat alle, ganz unabhängig von ihren menschlichen Qualitäten bzw. ihrem Mangel an menschlichen Qualitäten.

Die Fußwaschung enthält also ganz wie das Abendmahl eine soziale Komponente. Der Herr segnet die, die er will, und nicht nur die, die wir gerne als Nachbarn haben möchten.

Verstehen wir aber auch die Reichweite dieser Vergebung? Wäre es nicht denkbar, daß die Tat des Herrn und Meisters nicht nur eine soziale Dimension der Gleichheit enthält, sondern daß ich es bin, der ganz unerwartet gutgeheißen wird. Könnte das fehlende Verständnis bei Petrus damit zusammenhängen, daß wir gar nicht bereit sind, uns als Personen zu verstehen, die der Vergebung und der Liebe der anderen bedürfen? Ist Jesus - trotz seiner göttlichen Gaben und seiner leuchtenden Persönlichkeit - nicht gerade ein Gegenstand, den Petrus auf einen Sockel stellt, um ihm zu huldigen? Hält Petrus nicht gerade Jesus auf Distanz, indem er sein Bild von dem schafft, wer Jesus ist?

Jesus ändert radikal das Machtverhältnis zwischen Gott und Mensch. Nicht einmal darin konnte Petrus etwas anderes sehen als das, was er sehen wollte, oder gerade darin nicht! Petrus macht sich mit anderen Worten Bilder von dem, was und wer Gott ist, und das sind nicht Bilder, die dem Verstehen dienen - sie stehen ihm im Wege, und so schließt er in Wirklichkeit Jesus aus seinem Leben aus, er macht ihn unschädlich.

Das finden wir nicht nur im Neuen Testament. Wir erleben das jeden Tag in unserem Leben, das wir miteinander leben. Wir machen uns Bilder von einander, die unseren Bedürfnissen entspre­chen. Auch wenn wir signalisieren, daß wir gerne die Hilfe des anderen entgegennehmen möchten, muß es zu unseren Bedingungen geschehen. Andere Menschen müssen sich damit abfinden, Motiven und Gesichtspunkten ausgesetzt zu sein, denen gegenüber sie eigentlich wehrlos sind. Andere Menschen haben in dem Umfange an unserem Leben teil, den wir erlauben.

Das geschieht alles, damit wir Ordnung und Sicherheit in eine Welt bringen, die uns sonst chaotisch und unsicher erscheint. Da ist kein Platz für unidentifizierte Objekte - d.h. andere Menschen - die um uns herumschwirren, denn sie stellen einen Unischerheitsfaktor dar. Nur indem wir unsere Umwelt beherrschen uns sie uns unterwerfen, können wir das Gefühl haben, mit den Dingen auf einer Höhe zu sein. Der Preis für diesen Willen zur Ordnung ist, daß wir ganz einsam werden, weil unsere Umwelt - hierunter andere Menschen - Gegenstand unserer Welt werden. Indem wir versuchen, unsere Umwelt zu überschauen, werden wir gleich­gültig gegenüber anderen Menschen und deren Sicht auf die Welt. In der Sorge um den eigenen Überblick über das Leben machen wir uns immun gegen andere Menschen. Wie Petrus, der nicht fähig ist, sich durch die Liebestat Jesu überrumpeln, erbauen und verwandeln zu lassen.

Man kann es auch so sagen: Wir verdammen den Segen, sich von anderen erbauen zu lassen. Diese Seite der Verkündigung Jesu schieben wir gerne beiseite. Wie Masochisten mögen wir es lieber, mit Geboten und Forderungen nach Nächstenliebe kon­frontiert zu werden. Nicht weil wir das besonders gut befolgen könnten, sondern weil dies unserer Neigung entgegenkommt, uns unsere Umwelt und andere Menschen untertan zu machen. Das ist etwas für uns.

Aber die Verkündigung Jesu ist aufdringlich, weil sie buchstäblich, so wie der heutige Text, uns so nahe kommt, daß wir sie nicht auf Abstand halten und uns ein Bild von ihr machen können. Die Botschaft Jesu, daß auf seine Macht verzichtet, um zu dienen, das interessiert uns nicht - so wenig wie die Sicht anderer Menschen auf unser Leben. Das paßt nicht zu dem Bild, das wir uns aus unergründlichen Ursachen gemacht haben.

Mit anderen Worten: Es geht um Sünde, daß man nur mit sich selber beschäftigt ist und um sich besorgt ist. Wir glauben, daß eine Welt zusammenbricht, wenn die Dinge sich nicht nach uns richten. Wir sehen die ganze Welt als unsere Verantwortung und können unseren Mitmenschen nicht sehen oder wahrnehmen. Und damit zeigen wir unfreiwillig, daß wir nicht in der Lage sind, andere Menschen, ihre Meinungen und Einstellungen zu achten und zu würdigen. Sie müssen unserem Bild von der Welt weichen.

Aber das ist verhängnisvoll, das ist grundfalsch. Wir glauben, die Welt erobern, sich ihr bemächtigen zu müssen, damit sie wirklich werden kann. Aber wir können und sollen nichts erobern. Morgen sind wir nicht mehr da, und alles, was wir haben, ist das, was uns geschenkt wird. Unser Ungehorsam, das Böse liegt darin, daß wir uns das nicht selbst sagen können.

Aber vielleicht können wir uns überrumpeln lassen, daß wir andere nicht heraushalten, sondern einander sehen, wie wir sind. Daß wir den Segen nicht verfluchen, sondern annehmen. Amen

Pfarrer Lars Kjær Bruun
Sophus Bauditz Vej 38
DK-2920 Charlottenlund
Tel.: ++ 45 - 39 64 43 44
E-mail: lkb@km.dk


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