Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Palmsonntag, 4. April 2004
Predigt über Philipper 2, -11, verfasst von Jasper Burmester
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Liebe Gemeinde -

Vom Hosianna bis zum "Kreuziget ihn!" ist nur ein kurzer Schritt. Das war damals so, in Jerusalem, als Jesus auf einem jungen Esel in die Stadt ritt, empfangen und umjubelt wie ein Popstar, zugleich aber auch schon in der Erscheinung und im Auftreten ein Anti-Star, ohne Glamour und ohne alle Zeichen der Macht. Das ist auch heute nicht viel anders: Wie oft werden Zeitgenossen auf das Schild der Popularität gehoben, um wenig später in der Versenkung zu verschwinden. Ob Sport, ob Showbuisiness: Vom "Hosianna" zum "Weg mit ihm" ist nur ein Augenblick.

Unser Predigttext für diesen Palmsonntag steht im Philipperbrief, den Paulus an seine erste europäische Gemeinde in "Cäsarea Philippi" schrieb. Darin steht einer der historisch ältesten Texte des Neuen Testaments, ein urchristliches Lied, das er zitiert und damit für die Nachwelt erhalten hat.

Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

"Er, der in göttlicher Gestalt war, nutzte es nicht für sich aus, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.

Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.

Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters."

Liebe Gemeinde,

die Fernsehsender haben seit einiger Zeit ein neues "Format" entdeckt: In sogenannten "Casting"-Shows werden sogenannte Talente für die Schlagerszene gefunden, vielleicht auch erfunden. "Deutschland sucht den Superstar" heißt so etwas und es gibt offensichtlich genügend junge Menschen, die gerne Superstar werden wollen und sich in diesen Shows zur Schau stellen. Ja, wir schauen schon gerne nach oben, zu den "Sternen", zu den Stars und Sternchen. Überhaupt orientieren wir uns, was Vorbilder angeht, sehr gerne am Erfolg. So las ich kürzlich mit Erstaunen, wer die "größten Vorbilder der Deutschen" seien. Das Ergebnis der - ich weiß nicht wie repräsentativen - Umfrage: Steffi Graf und Michael Schumacher. Nun kann die eine sehr gut Tennis spielen und der andere fährt weltmeisterlich Auto, wie man weiß - aber meine persönlich Vorstellung von einem Vorbild treffen sie nicht - nun das mag nicht ihre Schuld sein, sondern an meinem merkwürdigen Geschmack liegen.

Während unser Blick auf der Suche nach Halt und Orientierung eher nach oben gerichtet ist, dorthin, wo der Erfolg sichtbar ist oder wenigstens das Geschrei ordentlich laut, schlägt unser Predigttext ganz unmodern eine andere Blickrichtung vor: Er, der in göttlicher Gestalt war, nutzte es nicht für sich aus , Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.

Das ist ja wohl voll bescheuert, werdet ihr Konfirmanden jetzt denken: Eine Möglichkeit, nein: alle Möglichkeiten haben und die dann nicht ausnutzen. Christus war göttlich. Was kann man Größeres, Höheres, Mächtigeres erreichen? Und dann: Nutzt er das nicht aus, will´s nicht haben, verzichtet. Ganz schön blöd. Alles aufgeben, aber wirklich alles. "Er entäußerte sich", er verließ seine göttliche Position, er trat heraus aus seiner Rolle des "Allmächtigen", er nahm die Gestalt eines Sklaven an, wurde ein Mensch, einer von uns, ein Ohn-Mächtiger an der Seite von Ohnmächtigen. Davon erzählen die Evangelien von Weihnachten, von der Geburt im Stall oder unterwegs bis zum schändlichen Tod am Kreuzesgalgen. Also macht er genau das Gegenteil von dem, was wir anstreben. Wenn ich mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden über ihre Zukunftswünsche spreche, darüber, was sie sich von Gott für ihr Leben wünschen und was dann in ihrem Konfirmationsspruch vorkommen soll, dann wünschen sie: Glück. Geld. Gesundheit. Einen guten Job, der gutes Geld bringt. Soviel Macht, dass sie sich nicht von anderen zuviel gefallen lassen müssen. Mancher wünscht sich eine Familie, eine eigene. Mancher wünscht sich Freiheit von Bevormundung durch Eltern und andere Erzieher. Irgendwie die Schule packen und dann verdienen. Die Richtung ist klar: Nach oben soll es gehen. Seid gesinnt wie Christus, der sich selbst entäußerte, alles aufgab - das scheint kaum mit unseren Wünschen vereinbar, die ja nicht nur Jugendliche, sondern, sicher etwas erwachsener formuliert, auch Ältere haben. Jesus Christus dagegen: Hört auf Gott zu sein, und wird ein schwacher, verletzlicher, sterblicher Mensch, ganz und gar. Macht alles mit. Ja, mehr noch: Er begibt sich nicht in die Rolle eines Menschen wie ein Schauspieler eine Rolle spielt, sondern er ist es selbst. Er kommt auch nicht mal eben auf Besuch, um dann wieder zu verschwinden, er lässt sich ein. Ganz und gar und trägt seine Haut zu Kreuze. Er bleibt auch als Mensch unter Menschen bei dieser Abwärtsbewegung und gibt sich ab mit den Loosern, mit denen, die sowieso keiner mehr braucht - die kaputten und Kaputtgemachten, die Bibel nennt sie Sünder und Zöllner und Huren.

Aber warum macht er das? Warum dieser Wechsel von ganz oben nach ganz unten? Vielleicht deshalb: Von Anfang an haben wir Menschen es ja nicht ertragen, einfach bloß Menschen zu sein. Die Schlange bringt es in der Paradiesgeschichte auf den Punkt: Ihr werdet sein wie Gott. Auch wenn das Erlebnis mit dem Apfel eher unerfreulich war, haben wir Menschen seither keine Gelegenheit ausgelassen, diesen Versuch mit immer feineren Methoden zu wiederholen. Verzweifelt versuchen wir immer wieder die Grenzen zu überschreiten, die uns, weil wir Geschöpfe sind, gesetzt bleiben. Die Folgen dieser Bemühungen sind schrecklich, angefangen vom Brudermord des Kain an Abel bis zum Abschlachten unbeteiligter Reisender in einem Madrider Vorortzug. Wo immer Menschen sein wollen wie Gott oder zumindest, wie die religiösen Fanatiker, in einer verqueren Weise Gott zu spielen, verlieren sie ihre Menschlichkeit und schaffen nichts als Elend.

Darum gibt Jesus Christus seine Göttlichkeit auf. Darum wird Gott ein Mensch, weil er uns nicht länger uns selber überlassen will.

Gott hat uns geschaffen, wir sind ihm nicht gleichgültig, er liebt uns. Darum kann er es nicht aushalten, was hier unter uns geschieht. Martin Luther hat diese Bewegung, dieses liebende Mitleid Gottes mit uns Menschen in ein Lied gedichtet. Wir singen es jetzt: EG 341, 4-6

4. Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermaßen;
er dacht an sein Barmherzigkeit, er wollt mir helfen lassen;
er wandt zu mir das Vaterherz, es war bei ihm fürwahr kein Scherz,
er ließ's sein Bestes kosten.

5. Er sprach zu seinem lieben Sohn: »Die Zeit ist hier zu erbarmen;
fahr hin, meins Herzens werte Kron, und sei das Heil dem Armen
und hilf ihm aus der Sünden Not, erwürg für ihn den bittern Tod
und laß ihn mit dir leben.«

6. Der Sohn dem Vater g'horsam ward, er kam zu mir auf Erden
von einer Jungfrau rein und zart; er sollt mein Bruder werden.
Gar heimlich führt er sein Gewalt, er ging in meiner armen G'stalt,
den Teufel wollt er fangen.

Und dabei ist er bis ans Ende gegangen: Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.

Das Wort "Gehorsam" hat keinen guten Klang. Es gibt nichts größeres und nichts schrecklicheres als Gehorsam. Es gibt nichts größeres, als wenn einer sein Leben riskiert, um einen anderen zu retten. Es gibt nichts schrecklicheres, als den Gehorsam eines Rudolf Höß, der seinem Führer Hitler und seinem Vorgesetzten Himmler gehorchte und einige Millionen Menschen in Auschwitz vergaste. Aber Jesus ist auch hier anders. Er folgt nicht der schrecklichen und vernichtenden Logik von Befehl und Gehorsam, sondern der liebenden Un-Logik von Leid und Mitleid. Wenn und solange wir uns unseren Wünschen nach Erfolg, Glück, Geld und Macht hingeben und vielleicht sogar vorankommen auf dem Weg dahin, werden wir mit dieser Nachricht wohl wenig anfangen können. Das ändert sich schlagartig, wenn wir auf diesem Weg ins Straucheln geraten oder gar scheitern, wenn wir selber ein "Looser" sind, ein Verlierer, weil uns unsere Kraft, unsere Gesundheit oder unser Glück verlassen haben. Dann wird auf einmal tröstend, was uns vorher noch blöd oder absurd erschien: Dass Gott uns in Christus in solche Tiefe, in solche Dunkelheit und Traurigkeit, in diese Lage des ausweglosen Verlorenseins begleitet.

In der Tiefe dieses ausweglosen Verlorenseins geschieht eine unerhörte Wende: Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr ist.

Damit wir begreifen können, was diese Wende bedeutet und was sie auch für uns bedeutet, muss ich die Sprache der Bibel etwas modernisieren, dann klingt das so: Gott hebt dich auf - Gott macht deinen Namen groß - größer als alle Namen - im Namen der Ohnmächtigen. Gott will es so. Und keiner kann sich dem entziehen, alle werden es begreifen: Alle Macht über Menschen hat ein Ende, denn Herr ist Jesus Christus. Gott sei Lob und Dank.

Das können wir als Freiheitsansage hören, wie es die verfolgten Christinnen und Christen in Rom gehört haben: Wer diesen Christus zum Herren hat, der braucht vor keinem Herren dieser Welt - und sei es der römische Kaiser - in die Knie zu gehen. Das können wir als Zukunftsansage hören, wie Dietrich Bonhoeffer unter dem Galgen: Dies ist nicht das Ende - es ist der Beginn eines neuen Lebens. Das können wir als Unabhängigkeitserklärung hören, denn wer Christus zum Herren hat, ist den Herren dieser Welt nicht mehr auf Gedeih und Verdammnis ausgeliefert. Der sagt dann nicht mehr "Ja und Amen", sondern, wenn und weil er es sagen muss, auch: "Nein und Amen". Und alle, die sich anmaßen, machtvoll über dich zu urteilen, können eines niemals auslöschen und zerstören: Das Gott dich so sehr liebt und wertschätzt, dass er selbst kommt, um an deiner Seite zu sein, und wenn es sein muss, auch ganz unten. Darum können wir, auch wenn unsere Wirklichkeit ganz und gar dagegen zu sprechen scheint, singen, was Luther bei dieser Ansage der Liebe Gottes empfand und gedichtet hat:

1. Nun freut euch, lieben Christen g'mein, und laßt uns fröhlich springen,
daß wir getrost und all in ein / mit Lust und Liebe singen,
was Gott an uns gewendet hat und seine süße Wundertat;
gar teu'r hat er's erworben.

Verwendete Literatur: Predigtstudien von 91/92, 97/98, 03/04, NTD

Jasper Burmester, Pastor in Hamburg-Volksdorf
jasperbu@aol.com

 

 

 


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