Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Judika, 28. März 2004
Predigt über Lukas 1, 46-55, verfaßt von Birte Andersen (Dänemark)
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(Hinweis: Der Text ist aus der dänischen Perikopenordnung, in Dänemark wird an diesem Sonntag Mariä Verkündigung gefeiert)

"Daß wir uns nicht hinstellen und jeden Morgen an der Sonne zerren sollen, damit sie aufgeht, oder an den Blumen ziehen und zerren sollen, um sie aus der Erde wachsen zu lassen, oder eine Million mal an das Herz schlagen sollen mit einem Hammer, um es zum Schlagen zu bringen - das ist es, das Wunderbare".

So versucht ein heutiger Autor, der besonderen Kategorie auf die Spur zu kommen, die der Lobpreis oder Lobgesang ist.

Lobgesang ist etwas, was sowohl hinter und vor den Weisen steht, in denen wir oft zu denken und zu leben versuchen. Etwas sehr Wesentliches am Lobgesang ist die Wiederentdeckung dessen, daß die Welt gut und wunderbar ist. In der Welt sein, in der Welt dazusein ist ein Gut, ganz gleich wie es uns ansonsten ergeht, ein Gut, das im Alltag verborgen ist, vergessen und übersehen, aber ein Gut so grundlegend und merkwürdig zugleich, daß es auch den Schöpfer des Lebens verweist.

Dies ist der Lobgesang der Maria, den sie der Überlieferung nach gesungen hat, als ihr angekündigt wurde, daß sie das Werkzeug des göttlichen Plans sein würde, dies ist ihr Lobgesang, der uns dazu nötigt, einmal darüber nachzudenken, was Lobgesang eigentlich ist, unseren eigenen Lobgesang zu finden und den Mund für ihn zu öffnen.

Um den Schöpfer des Lebens preisen zu können, muß ein Mensch das Leben gespürt haben. Was also jeder hat, der sein Herz hat schlagen fühlen und die Blumen wachsen sehen. Lobsingen heißt sich dazu bekennen, daß mir etwas widerfahren ist, etwas, was größer ist als ich, und die Spuren auf den zurück zu verfolgen, der diese Spuren hinterlassen hat. Man kann auch sagen, daß Lobsingen heißt, sich dazu zu bekennen, daß die Ewigkeit in das Leben eingedrungen ist. Nicht das Allergrund­legendste in unserem Dasein einen Zufall sein lassen oder etwas Flüchtiges.

Dennoch ist es nicht ganz so einfach, Gott in einem Lobpreis aufzusuchen. Die eigene Angst kann einen daran hindern, den eigenen Herzschlag zu merken oder die Blume zu sehen. Mag sein, daß die Ewigkeit auf dem Spiele steht, aber die Ewigkeit geht über das Jetzt, und das, wo ich mich im Augenblick befinde, kann so viel Leiden sein, daß die Spuren, die vom Grunde des Lebens zeugen, verweht sind, oder so viel Lärm, daß ich nicht die Ewigkeit spüren kann, wenn sie mich berührt. Wenn es eine solche Nacht ist, daß ich den Tag nicht sehen kann.

Lobgesang heißt auf den Tag vertrauen, wenn ich mich mitten in der Nacht befinde. Eintreten in den Lobgesang heißt, sich dem Herrlichen wie dem Furchtbaren zuwenden.

Den Rücken kehren und sich abwenden läge ansonsten am Nächsten. Wir kennen die Flucht aus den Tagträumen oder Rausch­mitteln oder Ideen. Aber auch wenn man so flieht, daß man den Lobgesang dazu verwendet, den Lobgesang fernzuhalten: Indem man ein Glanzbild der Wirklichkeit aufstellt, das sie kleiner macht als die furchtbare und wunderbare Welt, in der uns Gott begegnet. Besonders von kirchlicher Seite können oft zu viele positive, richtige Worte kommen. Man glaubt, es handelt sich um Lobgesang, weil die wiederholten Formeln eine Ordnung bestätigen, von der wir gerne hören möchten. Aber Lobgesang soll nicht nur von unserem gewöhnlichen Bewußtsein gehört werden, sondern von unserem ganzen großen Bild dessen, was die Welt und der Mensch sind. Und deshalb kann die Antwort nicht groß genug sein.

Wenn das Motto "Es wird schon gehen" oder Unterhaltung oder Rastlosigkeit lärmen, wie dies in der heutigen Gesellschaft der Fall ist, dann gleicht der wahre Lobgesang vielleicht nicht dem, was wir Lobgesang nennen.

Der Beunruhigung, dem Ärgernis und der Angst Worte zu verleihen, die Leere der Angst auszuloten, darin kann nicht selten mehr Lobgesang sein als in vielen Liedern und Gesängen. Ein Klagelied ist oft mehr Lobgesang als die Paradiesträume, die uns auf der Zunge liegen. Die Nacht von innen beschreiben heißt nach dem Tage rufen.

Wenn uns etwas auf der Zuge liegt - dann ist es ja nicht selbstverständlich, daß man die Spuren zurückverfolgt und Gott die Ehre gibt für das Wachsen der Blumen und den Schlag des Herzens. Entweder weil die Nacht lange und düster auf uns wirkt oder weil ich mich selbst als meinen eigenen Herren ansehe, der niemandem etwas schuldig ist.

Im letzteren Fall, daß ich niemandem etwas verdanke: Dann muß ich auch selbst den Anblick der zerstörten Welt ertragen, wo die hochmütigen Herren regieren, wo Menschen hungern - ohne Aussicht auf Sättigung, dann muß oft etwas ganz Außerordentliches passieren, damit wir unser Leben und unsere Welt sehen so wie sie sind und wie sie werden können. Ein solches außergewöhnliches Ereignis war die Begegnung Marias mit dem Engel.

Erschrocken und erfreut wußte Maria von dem Augenblick an, daß Gott ihr nicht nur das Leben geschenkt hatte, sondern auch dies von ihr forderte. Sie antwortete Gott so, daß seine Welt, die größer ist als irgendein Mensch, in ihrem Frauenkörper gegenwärtig wurde. Etwas wußte sie zuvor von Gott - sie wußte, woher sie kam. Nun gab sie Raum für etwas, was sie nicht kannte. Etwas, was sie noch nicht erfahren hatte, wenn sie nicht selbst, so doch die Menschheit, vor die sie sich stellte, um zu erfahren:

Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern.

Eine Vision von der Welt, die erfüllt ist und doch keineswegs erfüllt. Der Lobgesang enthält ein mächtiges Bild der Welt: Alle Spalten und Schmerzen und Wunden der Wirklichkeit werden sichtbar, aber auch eine heile Welt. Und wenn der Lobgesang Worte erhält, dann wird dieser heilen Welt vorgegriffen, die wir sonst nur bruchstückhaft und unvollkommen erleben.

Die Kategorie des Lobgesangs ist eine schöpferische Bestätigung dessen, daß Gottes Welt mitten in meinem und deinem Leben gegenwärtig sein kann und in der Welt, wo allzu viele Herren noch immer auf ihrem Throne sitzen. Lobgesang ist Gebet und Erhörung.

Wie eine Solistin stellt sich Maria vor ihren Chor und singt, was der Chor noch nicht singen kann. Aber ohne die Vielstimmigkeit und den Hintergrund des Chores hat ein Solist nicht die Kraft, seine Stimme erklingen zu lassen. In dem Chor sind Menschen, die singen, weil die anderen singen. Noch sitzen sie selbst in der Nacht, aber in dem großen Bild können sie den anderen folgen, die singen.

Und die großen Worte, die uns sonst hinderlich sind, wenn wir uns ausdrücken wollen, fallen uns besser in den Mund, wenn der Solist sie erprobt hat und wir nur ein Ton im Ganzen zu sein brauchen.

Die Solistin - der Lobgesang der Maria ist eine Einladung an uns, zu singen wie sie. Sie erhält ihre Kraft von dem, was sie in sich trägt, was sie noch nicht kennt, sie durchlebt eine gewaltige Prüfung - um Raum zu geben für ihn, dessen Liebe bis in alle Hohlräume der Prüfungen reicht. Vor Gottes Angesicht ist sie nur Solistin - aus der Sicht des Chores ist sie ein Weg , den wir auch gehen können. Maria ging den Weg zuerst, aber dennoch erfuhr sie nichts anderes als das, was jeder von uns erfahren kann: Gott wohnt in unserem Leben, er schenkt uns Leben, er fordert es von uns - in der Liebe - und er ist der Pulsschlag der Liebe dort, wo wir stumm werden, er ist die Stärke in unserer Antwort.

Maria wußte, daß noch ihr jeder Mensch erwählt ist.

Siehe, du hast Gnade gefunden vor Gott, seine Kraft wird dich überschatten, er wird in die leben und wachsen - in deinem Leben.

Jemand aus unseren Tagen, die rumänische Autorin Cabriela Meliescu, antwortet Gott mit ihrem Lobgesang:

Eine Frage ist stärker als alle,
sie singt immer in meinem Kopf:
Was ist ein Mensch?
Was ist er?

Das Herz schlägt wie eine Trommel.
Unbekannte Wesen fliegen im Griff der Luft.
Eine Brücke, aufgehängt im Himmel,
ist diese Frage nach dem Schiff des Menschen.

Ich weiß nur, daß ich brenne mit einem starken Licht,
und manchmal habe ich Angst, daß es ausgeht.
Auch wenn ich gesehen habe und weiß, daß die Erde
eine ewig brennende Lampe für ein unsichtbares Feuer ist.

In der Nacht, im Schoß der Dunkelheit,
kam eine andere Welt in diese Welt,
da höre ich durch mich ein merkwürdiges Sausen.
Ich bin dein Feuer und deine Kälte.
Du bist mein Licht.

Amen.

Pfarrerin Birte Andersen
Emdrupvej 42
DK-2100 København-Ø
Tel.: ++ 45 - 39 18 30 39
e-mail: bia@km.dk


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