Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Okuli, 14. März 2004
Predigt über Epheser 5, 1-8a, verfaßt von Bert Hitzegrad
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde!

Ich habe die Worte meines Vaters noch gut im Ohr, als meine Schulnoten bedrohlich am Absacken waren: „Nimm dir ein Beispiel an Wolfgang. Der tut etwas für die Schule, der hat die Zeichen der Zeit erkannt und wird sein Ziel erreichen. Aber du?” - Nein, an Wolfgang wollte ich mir kein Beispiel nehmen. Für Wolfgang gab es nur die Schule, für mich gab es schon damals mehr als Pflichten, Bücher, Lernen ...

„Nimm dir ein Beispiel!” So ähnlich lässt Paulus seinen Abschnitt aus dem Epheserbrief beginnen, der unser heutiger Predigttext ist: „So folgt nun Gottes Beispiel” schreibt der Apostel. Und wenn man die Worte des Briefes wörtlich übersetzten würde, so hieße es: „Werdet Gottes Nachahmer, macht es wie Gott!”

Nein, damals wollte ich auf keinen Fall meinen Klassenkameraden Wolfgang nachahmen - wir waren grundverschieden.

Und: Gottes Beispiel folgen? Wie soll das gehen? Auch wir - Gott und Mensch - sind grundverschieden. Wir können nicht sein wie Gott - und wir wollen es vielleicht auch gar nicht ...

Denn überall dort, wo Menschen sich als „Gott aufspielen”, da verwandeln sie sich in Despoten. Da werden Väter autoritär, da lassen Politiker keine andere Meinung mehr zu und Forscher wagen sich über die Grenzen des Verantwortbaren hinaus. Nein, davon haben wir genug, dass Menschen „Gott ins Handwerk pfuschen” und sich als die falschen Herren dieser Welt aufspielen.

Was ist gemeint mit „Gottes Beispiel” ? Wir lesen weiter, und es wird deutlich:

„So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich für uns selbst gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch!”

„Werdet Gottes Nachahmer, folgt seinem Beispiel” - und Paulus hat ein ganz konkretes Bild vor Augen: Das Bild Jesu, das Bild des Gottessohnes, der nicht nach Macht und Ansehen strebte, sondern seine himmlische Herrlichkeit verließ, um uns gleich zu werden. Das ist das Beispiel, dem wir folgen sollen, das sind die Wege, die unsere Wege werden sollen: Wege nach unten, Wege der Liebe, Wege des Opfers und der Selbsthingabe.

Wege die möglich werden, weil Christus sie uns selbst vorangegangen ist. Dietrich Bonhoeffer sagt in seinem Buch über die Nachfolge (S. 282): „Allein darum können wir so sein, wie er war, weil er war, wie wir sind.” Das ist nicht der große Zeigefinger Gottes, der uns droht und der uns hinweist auf den richtigen Weg. Das ist der Fingerzeig Gottes, der uns die Richtung weist, weil wir schon längst zu diesem Christus gehören und mit ihm auf engste verbunden sind. Deshalb beginnt in einer modernen Übersetzung unser Abschnitt auch nicht gleich mit der Aufforderung: „Macht dies, macht jenes, folgt seinem Beispiel ...” Dort heißt es - so als wäre über allem eine große Überschrift gesetzt: „Ihr seid Gottes geliebte Kinder, daher sollt ihr in allem seinem Vorbild folgen ...” („Hoffnung für alle”) „Ihr seid Gottes geliebte Kinder” - stellt euch das vor, bringt euch das in Erinnerung. Und weil das so ist, deshalb lebt in der Liebe, die ihr empfangen habt, anders geht es gar nicht. Seid wie die Schale eine Springbrunnens, die sich füllt mit frischem Wasser und von dem Überfluss abgibt an die nächste ...

Mir kommen die 10 Gebote in den Sinn, die wir mit den Konfirmanden und Konfirmandinnen nun vor der Konfirmation lernen und mit Inhalt füllen. Auch diese Gebote haben eine große Überschrift, einen großen Bogen der Freiheit, der sich über alle Gebote spannt: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten herausgeführt hat ...” Das ist die Freiheit, in die hinein Gott seine Gebote sagt. Und das ist die Freiheit, die es zu bewahren gilt. Deshalb opfert diese Freiheit nicht an Götzen oder an die Unmenschlichkeit unter euch!

Und hier, bei Paulus: Opfert diese Liebe nicht der Unbarmherzigkeit, sondern gebt euer Leben selbst als Opfer dar!

Das kann bedeuten, dass wir auch feste Meinungen, eingefahrene Vorstellungen aufgeben, opfern. Ein Vater verlässt seinen autoritären Weg der Erziehung und versucht seinem „aus der Art geschlagenen Sohn” mit Liebe zu begegnen. Kein verlorener Sohn, kein unbarmherziger Vater, sondern offene Arme, wie Jesus es von seinem Vater im Gleichnis erzählt und wie er es selbst vorgelebt hat. Oder da denkt einer der Politiker daran, wie Jesus den Jüngern die Füße wusch und sich zu ihrem Diener machte. Und vielleicht ist das der Anfang eines neuen Denkens, dass die Entfernung von Politik und Bürgern aufhebt, das die Schere verkleinert in den Köpfen, aber auch im Portemonnaie.

Und ein Wissenschaftler denkt neu über die Ordnung der Schöpfung nach. Er erinnert sich an die Stichworte „Bebauen und „Bewahren” und verändert seinen Ansatz, der alles für sinnvoll hielt, was technisch möglich und machbar ist.

„Ihr seid Gottes geliebte Kinder” - das ist das Vorzeichen, unter dem sich festgefahrenes Leben befreien kann, das ist der Schlüssel zu einem gelingenden Leben. Und dieser Schlüssel, dieses Vorzeichen hat die Form des Kreuzes, das diese Liebe verbürgt, aber auch ein deutliches Zeichen setzt gegen Strukturen des Todes und des Bösen in unserer Welt.

Paulus spricht eine deutliche Sprache und legt den Finger auf intime Bereiche unseres Lebens:

„Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört. Auch schandbare oder närrische Worte oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung. Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger - das sind Götzendiener - ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Darum seid nicht ihre Mitgenossen.”

Es geht zur Sache. Paulus schaut ganz genau hin - er schaut ins Ehebett, aufs Bankkonto, auf die Lippen und hört die Worte, die wir sagen - leichtfertig oder mit tödlichem Ernst. Er schaut nicht nur auf die Greueltaten und die Schändungen eines Marx Dutrout in Belgien, der sich wegen sexuellem Missbrauchs und der Tötung von Kindern verantworten muss. Er schaut auch dorthin, wo die beglückende Liebe zur kommerziellen Konsumware wird, die den Partner, die Partnerin aus dem Auge verliert. Am vergangenen Montag war der „internationale Tag der Frauen”, der sich für die Gleichberechtigung der Frauen stark macht. Warum müssen Frauen auf Hochglanzbroschüren immer noch herhalten als Opfer männlicher Begierde, dann z.B., wenn eine Automobilfirma einen neuen Wagen vorgestellt? Und warum lassen sich Frauen immer noch dafür und für weitaus unmenschlichere Geschäfte missbrauchen?

Gründe mag es viele geben. Vielleicht sogar ein so banaler wie Paulus ihn nennt: Habsucht. Die Lust am Besitz, das Kreisen ums Geld bestimmt das Denken und die Köpfe mehr als jede rationale Entscheidung. Und Solidarität und Barmherzigkeit bleiben mit dem Makel der Schwäche und der Unterwürfigkeit auf der Strecke. Wir denken an die große Politik, die Wirtschaftsskandale, die Spendenaffären. Und wissen doch zugleich, dass das Zahlen von Steuern in unserem Lande allgemein nicht „in” ist. Der Staat wird als „räuberisches Gegenüber” empfunden und nicht als eine Institution, die die Gemeinschaft und das Gemeinwesen trägt. Sicherlich: Es gibt und gab viele Enttäuschungen und Ernüchterungen. Aber müssen wir als Christen in die gleiche öffentliche Kerbe hauen?

Paulus ermahnt zur Danksagung und meint damit eine Grundhaltung des Lebens. Wer dankt, weiß um die Verhältnisse. Wer Gott dankt, weiß, dass er sein Leben nicht sich selbst verdankt und seine seine Zeit, die Tage, Stunden und Minuten, nicht in seinen Händen hält. Wer dankt, erinnert sich und andere daran, dass es oftmals mehr zu danken als zu klagen gibt. Wer dankt, bewahrt sich den Blick für die Chancen und Möglichkeiten und macht Mut, das Leben zu verändern, auch dort, wo wirklich Grund zur Klage ist.

Oft genug müssten wir uns ja über uns selbst beklagen - dort, wo es uns nicht gelingt, als Gottes geliebte Kinder zu leben, wo wir nicht die Kraft und die Liebe haben, den Sumpf zu verlassen, sondern versinken in der Gleichgültigkeit und in der Angst, zu kurz zu kommen.

Dann, dann brauchen wir das „Beispiel Christi” und die Erinnerung an seinen Weg, den Gott um unseretwillen gegangen ist. Dann brauchen wir die Ermutigung zur Nachfolge, dann brauchen wir das Kreuz über unserem Leben, an dem Christus das Trennende fortgenommen hat, damit wir nicht Tag für Tag in die Nacht der Unmenschlichkeit und Lieblosigkeit zurückfallen.

Gott hat am ersten Tag der Schöpfung Licht in das Chaos der Welt und die Dunkelheit des Nichts gebracht. Haben wir Anteil an diesem Licht? Haben wir die Finsternis verlassen?

Paulus ist sich sicher: Wer sich zu Gottes geliebten Kindern zählen darf, der hat die Nacht und alle Schatten des Lebens hinter sich gelassen. So schließt er den Abschnitt unseres Predigttextes mit den Worten: „Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.”

Werden wir diesem Anspruch gerecht - oder geben wir uns damit zufrieden, dass die Leuchtkraft getrübt ist?

Mir gefällt das Selbstbewusstsein einer Kirchenvorsteherin, die ihr Licht nicht unter den Scheffel stellte (nach einer Idee von Ute Zöllner aus: Werkstatt für Liturgie und Predigt, März 2004):

Bei einem Sommerfest ihrer Kirchengemeinde kommt die Kirchenvorsteherin mit einem Besucher ins Gespräch. Der Mann hatte sich vor kurzem von seiner Frau getrennt. Er ist zum ersten Mal dabei. Er lobt die Atmosphäre des Festes und sagt, dass er schon viel Gutes über die Gemeinde gehört habe. Aber, so fragt er die Kirchenvorsteherin, ob sie denn wisse, wie schwer es sei, den Weg in die Gemeinde zu finden? Er hätte oft das Gefühl, dort versammelten sich die Menschen, die alles richtig machten und nur gut seien ... Die Kirchenvorsteherin schweigt einen kurzen Augenblick und antwortet dann: „Haben Sie etwas dagegen? Dazu sind wir doch da!” Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben. Amen.

Pastor Bert Hitzegrad
Claus-Meyn-Str. 11
21781 Cadenberge
Tel.: 04777/330
FAX: 04777/931028
BHitzegrad@aol.com


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