Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Okuli, 14. März 2004
Predigt über Epheser 5, 1-8a, verfaßt von Michael Fragner
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"So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder 2 und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. 3 Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört. 4 Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung. 5 Denn das sollt ihr wissen, daß kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger - das sind Götzendiener - ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. 6 Laßt euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. 7 Darum seid nicht ihre Mitgenossen. 8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts."

Kunst hat etwas mit Können zu tun, liebe Gemeinde. Aber wer etwas wirklich können will, der muß allerhand beachten. Und darum geht es in unserem Predigttext.

Der hört sich zwar auf den ersten Blick wie eine verstaubte, rückständige Moralpredigt an. Aber dieser erste Eindruck täuscht und die ersten Hörerinnen und Hörer dieses Textes haben da wahrscheinlich ganz andere Dinge gehört.

Denn bei genauerem Hinsehen stellen wir fest, daß im ersten Vers unseres Textes eine Form des griechischen Wortes „Mimesis“ (dt.: Nachahmung) steht, das aus der antiken Kunstlehre stammt. Und somit ist unser Predigttext wohl auf dem Hintergrund der antiken Kunstlehre zu lesen.

Es geht hier also um die Kunst, als Christ zu leben. Und das in einer Art und Weise, die heute nicht weniger aktuell ist als vor rund 2000 Jahren, als der Epheserbrief geschrieben wurde.

I.

Es geht hier um die Kunst als Christen, oder als „Kinder des Lichts“, wie es in unserem Text heißt, zu leben. Und jede Kunst hat ihre Regeln und braucht ihre Regeln. Denken Sie nur einmal an die Heilkunst der Ärzte – was wäre die ohne Regeln. Aber auch die schönen Künste, die Maler, die Bildhauer und die Komponisten haben Regeln, von denen sie ihr Handeln leiten lassen.

Doch gibt es auch und braucht es auch Regeln für die Kunst, als Christ zu leben. Und wenn hier in unserem Predigttext eindringlich vor Unzucht, Habsucht, dummem Geschwätz, leeren Worten und anderem mehr gewarnt wird, dann könnte man das alles auf die einfache Regel bringen: „Hütet Euch vor Schmutz und Schund!“

Unser Predigttext verlangt, daß man sich von Schmutz und Schund fernhält. Das ist eine erste Regel für die Kunst, als Christ zu leben. Und es ist in der Tat eine Kunst, dem ganzen Schmutz und Schund zu entkommen, der an vielen Orten auf uns wartet. Ich will hier nur ein Beispiel nennen, nämlich das Fernsehen. Natürlich weiß ich, daß das Fernsehen auch seine guten Seiten hat. Es liefert uns Nachrichten und Informationen und bisweilen auch gute Filme. Aber es liefert eben auch jede Menge Schmutz und Schund.

In verschiedenen Gewinnspielen kann ich Habsucht live erleben. In Talkshows legen Menschen ihr Sexualleben bis in alle Einzelheiten offen – nach dem Motto: je ausgefallener, desto besser. Und dazu noch: Dummes Geschwätz und leere Worte am laufenden Band und ohne Ende.

Obwohl vieles im Fernsehen nichts weiter als Schmutz und Schund ist, übt gerade auch dieser Schmutz und Schund eine eigenartige Anziehungskraft aus. Die Einschaltquoten zeigen das: Mit guten Sendungen ist im Blick auf die Zuschauerzahl oft recht wenig Staat zu machen. Aber je mehr Intimitäten öffentlich ausgebreitet werden, je mehr Schadenfreude eine Sendung, wie beispielsweise die „Versteckte Kamera“ auslöst, desto mehr schauen zu. Und wer unter uns schaltet denn ab, wenn da auf dem Bildschirm ein Politiker Phrasen drischt?

Wir wollen ihn immer wieder sehen, diesen Schmutz und Schund. Wir wollen es immer wieder hören, das dumme Geschwätz und die leeren Worte. Und so schalten wir ihn dann auch selbstverständlich immer wieder ein, unseren Fernseher. Denn nur wenige unter uns beherrschen die Kunst - und es ist wirklich eine Kunst! - ohne Schmutz und Schund zu leben.

Ein Problem daran ist, daß unsere Gesellschaft im Geschwätz zu versumpfen droht. Wir leben in einem Zeitalter der Geschwätzigkeit. Und wo bei uns noch Wichtiges und Wesentliches gesagt wird, da droht dies in der allgemeinen Oberflächlichkeit unterzugehen. Das gilt auch für unseren Glauben: Der hat es oft recht schwer anzukommen, gegen den großen Strom. Und so sind die Mahnungen unseres Predigttextes heute noch so aktuell wie damals, als er geschrieben wurde.

II.

Als erste Regel für die Kunst, als Christen zu leben, habe ich genannt: „Hütet Euch vor Schmutz und Schund!“ Eine zweite Regel für die Kunst, als Christ zu leben, finden wir gleich im ersten Vers unseres Predigttextes. Da heißt es: „So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat.“ Folgt Gottes Beispiel und lebt in der Liebe – so könnte man die zweite Regel für die Kunst, als Christ zu leben, kurz wiedergeben.

Ich habe schon mehrmals gesagt, daß das Leben eines Christen eine Kunst ist. Und ich habe auch schon angedeutet, daß einer, der eine Kunst erlernen will, gewisse Regeln erlernen muß. Nur ein Arzt, der die Regeln der Heilkunst kennt, kann nach den Regeln der ärztlichen Kunst (lege artis) praktizieren. Wer eine Kunst erlernen will, der muß aber noch ein Zweites tun, der muß auch am Beispiel anderer, am Beispiel von Vorbildern lernen, so wie auch ein angehender Arzt am Beispiel von anderen Ärzten am Krankenbett lernt.

Von welchen Vorbildern lernen wir denn, liebe Gemeinde? Von welchen Vorbildern, an welchen Beispielen lernt unsere Jugend?

Unser Predigttext sagt uns, an welchem Beispiel wir lernen sollen. Er fordert uns auf, am Beispiel Gottes zu lernen, am Beispiel Gottes die Kunst, als Christ zu leben, zu lernen. Ich will hier nur zwei Möglichkeiten nennen, die uns zeigen, was wir am Beispiel Gottes lernen können und sollen (vgl. 4,29).

Zum einen: Am Beispiel Gottes können wir Vergebung lernen. Indem Gott uns vergibt oder indem wir einander vergeben, wird wieder in Ordnung gebracht, was in der Vergangenheit schief gelaufen ist. Wenn wir einander vergeben, dann ändert das die Vergangenheit. Denn durch Vergebung können wir aus einer bösen Vergangenheit eine gute Vergangenheit machen.

Wenn wir mit einem unserer Mitmenschen Streit hatten, dann sind wir oft nachtragend. Aber: Nachtragend sein ist keine Kunst! Es ist jedoch sehr wohl eine Kunst, sich dann wieder zu versöhnen, aus dem Weg zu räumen, was trennt, sich zu vergeben und wieder zu einem guten Miteinander zu finden. Und weil das eine Kunst ist, deshalb fällt uns das auch so schwer, deshalb fällt es uns leichter nachtragend zu sein.

Zum anderen: Gott hat uns versprochen, uns eine gute Zukunft zu schenken. Er hat uns versprochen, uns auf unserem Lebensweg zu begleiten, uns zu behüten und zu bewahren und für unser Wohl und unser Heil zu sorgen. Ganz unaufgefordert hat Gott versprochen, für uns da zu sein. Und auch hier können wir am Beispiel Gottes lernen. Wir können am Beispiel Gottes lernen, anderen etwas zu versprechen, etwas Gutes zu versprechen, ohne daß uns dazu irgend jemand auffordern muß.

Wie aber, so könnten Sie nun fragen, sollen wir am Beispiel Gottes das Vergeben und das Versprechen lernen? Wie können wir lernen, Gottes Nachahmer zu werden? Die Antwort ist einfach: Durch das Hören auf Gottes Wort. Das Hören auf die Heilige Schrift ermöglicht es uns, Gottes Nachahmer zu werden, und, seinem Beispiel folgend, zu vergeben und zu versprechen. Denn die Bibel sagt uns keine leeren Worte, kein dummes Geschwätz, sondern Worte, die uns die Kunst lehren, als Christ zu leben.

III.

Wer eine Kunst erlernen will, liebe Gemeinde, der muß erstens gewisse Regeln erlernen und zweitens am Beispiel anderer, am Beispiel von Vorbildern lernen. Wer eine Kunst erlernen will, der muß aber noch ein Drittes tun, der muß sich auch in der Kunst üben. Dementsprechend betonen übrigens die Befehlsformen im griechischen Urtext unseres Predigttextes die Dauerhaftigkeit des geforderten Tuns (Imp. Präsens = durativer Aspekt!). Eine Kunst will eingeübt sein. Und das gilt auch für die Kunst, als Christ zu leben.

Denn die Gefahr für uns Christen ist ja nicht nur, daß wir die Regeln vergessen, die mit unserem Glauben verbunden sind, und daß wir uns an die falschen Vorbilder halten. Sondern wir stehen auch immer in der Gefahr, aus der Übung zu geraten. Und so möchte ich Sie gerne ermuntern, sich ein wenig zu üben - in der Kunst als Christ zu leben.

Versprechen Sie doch einfach einmal jemandem ganz unaufgefordert, dafür zu sorgen, daß er es in irgendeiner Hinsicht gut hat. Freilich müssen Sie selbst herausfinden, wie so ein Versprechen für Sie persönlich nun genau aussehen könnte. Wenn Sie vielleicht recht wenig Zeit für die Familie haben, dann könnten Sie beispielsweise Ihrer Frau oder Ihrem Mann versprechen, für sie oder ihn bestimmte Zeiten für Gemeinsames freizuhalten. Oder Sie versprechen Ihren Kindern einen schönen Ausflug einmal in der Woche oder einmal im Monat.

Üben Sie sich doch einfach einmal ein wenig im Vergeben. Sagen Sie doch dem Nachbarn oder Kollegen oder sonst jemandem, mit dem Sie einen alten oder neueren Streit haben, daß es Ihnen leid tut, was es da an Ärger gegeben hat, daß Sie gerne wieder zu einem guten Miteinander finden wollen, daß Sie das Vergangene vergeben und vergessen möchten, daß Sie für das, was Sie da falsch gemacht haben, um Entschuldigung bitten.

Und üben Sie sich in der Vermeidung von Schmutz und Schund. Gehen Sie dummem Geschwätz und leeren Worten aus dem Weg und schalten Sie Ihren Fernseher rechtzeitig ab. Sie werden dann mehr Zeit haben für Ihre Mitmenschen, für die Familie, für Ihre Freunde und Bekannten, mehr Zeit für das Wesentliche, für das, was wirklich zählt, mehr Zeit für die Kunst als Christ zu leben - mehr Zeit für Gott. Und so soll es sein.

Michael Fragner
fragner@michelrieth.de


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