Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Okuli, 14. März 2004
Predigt über Epheser 5, 1-8a, verfaßt von Rudolf Rengstorf
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe,
wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben
als Gabe und Opfer Gott zu einem lieblichen Geruch
.
Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit und Habsucht soll bei euch
nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört.
Auch schandbare oder närrische oder lose Reden stehen euch nicht an,
sondern vielmehr Danksagung.
Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger –
das sind Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes.
Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten, denn um dieser Dinge willen
kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams.
Darum seid nicht ihre Mitgenossen. Denn ihr wart früher Finsternis,
nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.

Liebe Gemeinde!

Wer diese Sätze aus dem Epheserbrief in der Kirche hört, wird sich vorkommen wie in einem falschen Film. Da haben sich am schönen Sonntagmorgen, an dem man gut ausschlafen oder einen Spaziergang machen kann, Menschen zum Gottesdienst aufgemacht, um hier in aller Ehrbarkeit zu singen, zu beten und der Predigt zuzuhören. Und was bekommen sie zu hören? Starke Worte, die sie vor Unzucht, Unreinheit und Habgier zurückhalten wollen. Angesichts des harmlosen Völkchens, das ein Prediger vor sich hat und zu dem er doch selber auch gehört, ist das so passend wie eine Kesselpauke in einem Kammerorchester.
Solche drastischen Mahnungen mögen ja notwendig gewesen sein zu einer Zeit, als die Christen sich aus den niedrigsten Schichten rekrutierten, in denen die primitivsten Regeln von Anstand und Moral unbekannt waren. Aber dieses Problem hat sich doch längst erledigt!

Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es in diesen Sätzen weniger um unmoralisches Tun als vielmehr um unmoralisches Reden geht. Nicht was Menschen an Unzucht und schmutzigen Geschäften betreiben, steht zur Debatte, sondern wie darüber gesprochen wird. Und da sind wir natürlich mit von der Partie - oder nicht? Legen vielleicht sogar Wert darauf. Lebt eine Demokratie nicht geradezu davon, dass Misstände deutlich beim Namen genannt und angeprangert werden? Natürlich tut sie das. Aber hier geht es nicht um Kritik mit offenem Visier. Um das Gerede geht es, um den small talk, in dem wir uns verständigen über das, was in der Welt und um uns herum vorgeht.
small talk - wir brauchen ihn für Kurz- und Gelegenheitskontakte mit Menschen, die wir nur flüchtig kennen. Und wenn wir dabei über das Wetter hinaus sind, kommen wir auf das zu sprechen, was aufgrund der Nachrichtenlage in aller Munde ist. Meistens ist das etwas, worüber sich jeder und jede empört. Und wenn wir das miteinander tun, erleben wir wohltuende Einigkeit mit dem Tenor: Schlimm diese Welt, in der wir leben. Schade, daß nicht alle so nette und anständige Kerlchen sind wie wir.
Vor solchem Gerede werden wir hier gewarnt. Denn mag es auch harmlos erscheinen, weil doch alles small und unverbindlich bleibt: gefährlich ist solches Reden, gemeingefährlich, weil es beim Reden eben nicht bleibt. Wir schaffen mit ihm ein Klima, eine Atmosphäre, in der das Böse an Bedeutung gewinnt und damit leichter weiterwirken kann. Und damit machen wir uns - natürlich ganz unbewusst - zu Komplizen dessen, was wir beklagen und verurteilen.
Ich möchte das illustrieren an den Beispielen, die im Text genannt sind, nämlich an dem Gerede über Unzucht oder Unmoral, unsaubere Geschäfte und Habgier.

Wie schnell sind wir dabei, mit anderen den Kopf zu schütteln, wenn da schon wieder eine Ehe in die Brüche gegangen ist oder ein Prominenter sich eine neue Partnerin zugelegt hat. Und schnell sind wir uns einig: es ist die hemmungslose Spaßgesellschaft, in der jeder meint, seine Bedürfnisse ausleben zu können und Verantwortung und Rücksichtnahme auf früher eingegangene Verpflichtungen unter die Räder geraten. Gemeingefährlich ist solches Gerede, weil es den Eindruck entstehen lässt: dies sei eine unausweichliche Entwicklung. Und das führt dann auf Dauer dazu, dass die Menschen sich auch entsprechend verhalten. Unausweichlich aber ist nur eins: dass Sitte und Moral sich ändern und das Tempo dieser Veränderung offenbar zunimmt. Aber dieser Wandel ist nicht automatisch auch ein Niedergang und Zerfall von Menschlichkeit und Liebesfähigkeit.
Als gäbe es nicht auch viel zu erzählen von Jugendlichen, die bei allem Spaß am Leben großen Wert auf Treue und Zusammenhalt legen; von Partnern, die trotz einer Trennung die Verantwortung für die Kinder gemeinsam wahrnehmen; von Singles, die vergeblich auf der Suche nach einem Partner sind und zu wenig Gelegenheit haben, jemanden zu finden. Die gehören genauso zu unserer Gesellschaft wie der Promi, der nur auf seinen Spaß aus zu sein scheint und völlig zu Unrecht zum Exponenten einer Gesellschaft hochgeredet wird, die nichts als Spaß zu kennen scheint.

Oder wem nutzt das Gerede und Geklage darüber, dass Politik ein schmutziges Geschäft ist und die Brüder (und Schwestern) nichts anderes im Kopf haben, als die eigenen Wahlchancen zu verbessern, statt - wie es ihr Beruf wäre - sich dem Gemeinwohl zu widmen. Beispiele dafür gibt es genug. Denken Sie nur an das unwürdige Gezerre um die Bundespräsidenten- wahl. Und all die Heuchelei, die damit verbunden ist: Während unsere Spitzenpolitiker einen Namen nach dem anderen verbrennen durften, muss das Volk die endlich gekürten Kandidaten kritiklos akzeptieren, weil man sonst ja das hohe Amt beschädigt!
Und dennoch: ein unausweichliches Gesetz, dass Politik den Charakter verdirbt, lässt sich daraus nicht ableiten. Wer Politiker nur etwas kennt - und die sitzen ja nicht nur in Berlin, sondern auch bei uns im Rat - , der könnte auch ganz anders reden: von mühevoller und zeitraubender Kleinarbeit für Menschen im Verborgenen, wofür es weder Geld noch Stimmen gibt; von Zivilcourage, Dinge anzusprechen und anzupacken, die überhaupt nicht populär sind.
Doch wenn wir nur den schlechten Beispielen unseren small taalk überlassen, darf sich niemand wundern, wenn Politiker sich am Ende auch so verhalten, wie es ihnen allgemein nachgeredet wird.

Oder wem ist gedient mit dem Gerede und Geklage über die Ellenbogen-Gesellschaft, in der keiner den Hals voll genug kriegt und soziale Kälte sich ausbreitet? In der Tat: es ist besorgniserregend, wie die neue Agenda dazu neigt, den Sozialstaat auf die Menschen zu konzentrieren, die arbeitsfähig sind.
Doch noch ist lange nicht ausgemacht, dass die Menschen in unserem Land sich das gefallen lassen, dass Behinderte, chronisch Kranke, nicht mehr Vermittelbare und Pflegebedürftige an den Rand gedrängt oder dem Wohlwollen ihrer Angehörigen überlassen werden. Sie haben immerhin ein Grundgesetz für sich mit Grundrechten, die nicht außer Kraft gesetzt werden können, und die nur dann an Geltung verlieren, wenn nicht mehr ihnen, sondern ihren Gegnern das Wort geredet wird. Wir haben das Selbstbewusstsein der Betroffenen, die sich nicht wie früher schamvoll verstecken, sondern unüberhörbar ihre Stimme erheben. Und wir haben eine Fülle von Humanisten und Christen, die wissen, was eine Gesellschaft hat an denen, die materiell mehr brauchen als sie geben können, und die sich tatkräftig für sie einsetzen, weil sie auf keinen von ihnen verzichten wollen.
Das alles darf nicht länger small getalkt werden. Und wo es geschieht, gilt es zu widersprechen um derer willen, die das nicht verdient haben.

Zwei Bilder umrahmen die Mahnungen vor schlecht- uund kleinmachendem Geschwätz.
Am Anfang werden wir aufgefordert, den Wohlgeruch, der mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist, zu verbreiten. Den Duft von Frische und Lebensfreude, wo Müdigkeit und Griesgram herrschten; ein Duft, der wie frisches Brot oder bezauberndes Parfüm die Sinne weckt und Lust macht zum Leben.
Woran erkennt man den Christen? Daran, dass er dem Duft der Lebens- und Menschenbejahung Jesu nachschnuppert und ihm Raum gibt statt von dem zu reden, was ihm stinkt.
Und am Ende steht das Bild vom Licht. Denn mit Jesus ist ein Licht in die Welt gekommen, an dem man sich orientieren und wärmen kann. Auch dies ein Erkennungszeichen für Christen. Man erkennt sie daran, dass sie nicht länger in der Dunkelheit herumkriechen, verbiestert und wütend darüber, dass man sich dabei dauernd stößt und hinfällt. Statt dessen folgen sie dem Licht, das die Menschen, auch die beklagenswertesten, als Gottes Kinder zeigt und das in die Welt weist, in der alles gut wird. Amen.

Rudolf Rengstorf
Superintendent in 21682 Stade
Wilhadikirchhof 11
e-mail: Rudolf.Rengstorf@evlka.de


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