Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Estomihi, 22. Februar 2004
Predigt über Lukas 18, 31-43, verfaßt von Hanne Sander (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(dänische Perikopenordnung)

Aufbruch liegt heute in der Luft. Der letzte Sonntag vor der Passionszeit steht da wie ein Tor im Kirchenjahr; denn jetzt bewegen wir uns auf Ostern zu – 40 Tage werden wir unterwegs sein, bis wir nach Jerusalem gelangen mit all dem, was der Osterbericht an Niederlagen und Siegen, an Trauer und Freude, an Einsamkeit und Gemeinschaft enthält. Das Wort Jesu: ”Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem” bringt uns auf den Weg – und Jesus macht sich Gedanken darüber, was vor ihm liegt. Er sieht sich offenbar selbst in einem Bild der Prophetien, die er aus dem Alten Testament kannte, aus dem Buch des Propheten Jesaja: ”Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit, er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg, darum haben wir ihn nichts geachtet. Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen.

Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.”

Aber es können auch Bilder der Psalmen sein, deren Jesus sich erinnert: ”Ich bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volks… Alle, die mich sehen, spotten mein… Rühmet den Herrn, denn er hat nicht verachtet noch geschmäht… Die den Herren suchen, sollen ihn rühmen, und sie sollen neuen Mut ererben ewiglich.”

Ja, so ist es, Jesus hat eine Vorstellung davon, was ihn erwartet. Am Ende des Weges stehen Leiden und Tod. So gesehen ist dies genau das, was uns alle am Ende unseres Lebensweges erwartet – aber ist es auch das, was wir in dem Text für heute als das Wichtigste hören sollen? – memento mori: denke daran, dass du sterben musst.

Mit ebenso gutem Grund könnte man sagen: denke daran, dass du leben sollst. Das Leben ist nicht nur eine Vorbereitung auf den Tod. Ja, zuweilen kann man den Eindruck haben, dass Leute meinen, das Dasein hier auf Erden sei ein Prüfung, durch die man hindurch müsse, um ein eigentlicheres Leben leben zu können. Oder die Art und Weise, wie wir so mancherlei aufschieben, so wie wir manchmal unser Leben verplempern – und versäumen, aufmerksam und gegenwärtig zu sein, das kann den Anschein erwecken, als betrachteten wir unser Leben wie eine Generalprobe, die zur Premiere führen soll, wo es dann wirklich darauf ankommt.

Aber das ist ja nicht richtig. Das Dasein lässt sich nicht aufschieben – dann wäre es ja bereits verloren. Wir müssen aufhören, vom wirklichen Leben zu reden und dann von dem Leben, das noch wirklicher ist.

Es kann gut sein, dass die Botschaft der Kirche oft so gehört – und so gesagt worden ist, und deshalb hat viel Verkündigung einen leicht drohenden, moralisierenden Charakter angenommen – aber wenn wir dem heutigen Text folgen, dann zeigt das Beispiel, dass Jesus weder in Panik geraten ist noch auch nur aufzugeben bereit wäre vor der Aussicht auf Leiden und Tod.

Die Jünger verstanden nichts von dem, was er sagte: entweder weil sie die Bedingungen dafür festlegen wollten, wie das Leben mit Jesus sein sollte – ohne Missgeschick und ohne Tod. Oder aber sie verstanden ganz einfach nicht, dass Jesus von sich selbst sprach. – Wie wir ja auch selbst am liebsten den Gedanken von uns weisen, dass das Schlimmste uns selbst oder die, die uns am nächsten stehen, ereilen könnte.

Aber Jesus kann sowohl den Gedanken vom Leben als auch vom Tode in sich tragen. Er wählt das Leben, und zugleich sieht der dem Tod in die Augen. Er wählt das Leben, das vor seinen Füssen liegt mit den Anforderungen, die von den Menschen gestellt werden, die ihm begegnen. Der Gedanke vom Tod lähmt seine Tatkraft nicht, sondern stärkt sie womöglich noch. Er kann aufmerksam sein und Fürsorge an den Tag legen und den Blinden heilen, dem er auf seinem Weg begegnet – und der ihn um Hilfe bittet.

Jesus weicht ganz eindeutig weder dem Leben Anderer noch seinem eigenen Leben aus – und deshalb entsteht das Leben.

Der Weg des Lebens geht durch Verstehen und Hingebung – so dass ein anderer Mensch Lebensmut und neue Sehkraft findet. So wie es von denen berichtet wird, die den Blinden sahen, der geheilt wurde. Alle, die ihn auf dem Wege sahen, freuten sich über seine neue Sehkraft – ja, die Kunde davon breitete sich aus und wurde vielen zur Freude.

Die Fastenzeit – der Weg von hier bis Ostern – kann uns an unseren eigenen Lebensweg erinnern – uns weniger furchtsam machen - aufmerksamer – lebendiger.

Amen

Pastorin Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.:++45 –39655272
e-mail: sa@km.dk

 


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