Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Sexagesimae, 15. Februar 2004
Predigt über Markus 4,26-32 (dänische Perikopenordnung),
verfaßt von Kirsten Jørgensen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


”Was vermöchte ich wohl,
wenn du nicht Gelingen gewährtest?
es wächst ja, während wir schlafen”

So heisst es in dem Lied, das wir soeben gesungen haben: ”Es wächst ja, während wir schlafen.” So geschieht es auch in den beiden Gleichnissen, die wir soeben gehört haben. Das Korn keimt und wächst, ohne dass der Bauer wüsste, wie. Er schläft und steht auf, tagaus und tag­ein, und plötzlich kann er eines Tages die Ernte einbringen. Er weiß sehr wohl, dass er gesät hat, vielleicht hat er auch gedüngt und begossen, aber er weiß auch sehr wohl, dass sich dennoch in dem Wachsen irgend etwas Unerklärliches verbirgt. Etwas, das er nicht hat bewerkstelligen können, sondern das sich selbst bewerkstelligt hat. Und das klitzekleine Senfkorn wird in die Erde gelegt, aber es wächst heran und wird größer als alle anderen Pflanzen, und es bekommt große Zweige, so dass sich die Vögel des Himmels in ihrem Schatten Neste bauen können. Und kein Mensch hat das bestimmt oder bewerkstelligt – das ist ganz einfach von selbst geschehen.

Es sind tatsächlich zwei herrliche Gleichnisse! Da hört man, dass alles ganz von selbst geschieht, während wir schlafen. Wir brauchen überhaupt nichts zu machen, wir müssen nur schlafen und wieder aufstehen, Nacht für Nacht, Tag für Tag, und unterdessen hat sich alles ganz von selbst bewerkstelligt. Es gibt keine Ansprüche, nichts, was wir vertun könnten, nichts, war wir etwa vergessen oder versäumen könnten, denn alles geschieht trotzdem, ganz von selbst!

Der Gedanke müsste uns sehr ansprechen. Hurra, hurra müssten wir rufen – denn welche Freiheit und welches Geschenk erhalten wir, und welche Last müsste nicht von uns genommen sein!

Aber wir sind misstrauisch.

Ich müsste mich sehr irren, wenn die Meisten von uns beim Hören des Gleichnisses vom Senfkorn und von dem, was ohne unsere Hilfe von selbst wächst, nicht skeptisch würden und nicht dächten: Ist das denn überhaupt möglich? Kann es denn richtig sein, dass ich nicht irgendwas tun muss? Kann das alles geschehen und ohne meine Hilfe wachsen? Nein, da muss etwas dahinter stecken, denken wir, so leicht kommen wir sicherlich nicht davon. Und was ist es genau betrachtet, das geschieht, während wir schlafen?

Ja, Gleichnisse handeln ja immer von etwas Anderem als von dem, wovon sie zu handeln scheinen. Die Gleichnissse, die wir heute hören, erzählen vom Korn und vom Senfkorn, aber sie handeln in Wirklichkeit vom Reich Gottes, wie Jesus selbst erklärt: mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Mann, der seinen Acker eingesät hat. Und mit dem Reich Gottes ist es, wie mit einem Senfkorn.

Es ist also das Reich Gottes, das ganz von selbst kommt, ohne dass wir etwas dafür tun müssten. Gottes Reich, das Reich der Seligkeit, wo alles an seinem Platz ist, wo es keine Brüche gibt, wo das Leben ist, was zu sein es bestimmt ist, und wo wir so sind, wie es uns bestimmt war zu sein. Das Bild vom Reich Gottes bewahren wir alle ganz tief in unserem Innern; wir wissen, was es ist, obwohl wir es vielleicht nicht gleich so in Worte fassen können. Das Reich Gottes ist ein Paradies-Traum – und wer träumt nicht von einem Paradies?

Und jetzt ist es uns also gesagt, dass dies Paradies ganz von selbst kommt, dass es heranwachsen wird, angefangen mit einem klitzekleinen Samenkorn, dass es aber zu einem Lebensbaum werden wird, wo die Vögel, die Menschen, die Völker, ja die ganze Welt sich ein Nest bauen können, sich niederlassen und Frieden finden können.

Es wächst ja, während wir schlafen.

Aber wie schwer fällt es uns, daran zu glauben. Schwer, daran zu glauben, dass Gott das Paradies wieder erschaffen wird, ohne dass wir etwas dazu zu tun hätten, damit es auf den Weg gebracht werde. Ja, aber, wenden wir ein, wir müssen doch irgend etwas tun, wir müssen doch versuchen, uns und die Welt und vor allem unseren Nachbarn besser zu machen, damit das Reich Gottes bessere Wachstumsbedingungen erhält. Wir müssen mit guten Werken düngen, mit den milden Tränen der Barmherzigkeit gießen, das Unkraut jäten, damit der Baum des Reiches Gottes genügend Licht bekommen kann und in seinem Wachstum nicht von Disteln und anderen üblen Leuten behindert wird.

Aber nein, sagt Jesus, - es kommt ganz von selbst.

Es ist ärgerlich für den Menschen, dass etwas so Gutes und Großartiges wie das Reich Gottes ganz von selbst kommen können soll. Denn wir meinen doch weithin, dass wir selbst alles bewerkstelligen. Und wenn wir nichts tun, dann geschieht gar nichts.

Vielleicht verletzt das auch unsere Eitelkeit. Hier gefallen wir uns in unserer eigenen Vortrefflichkeit und freuen uns, wenn wir etwas zustande bringen. Wir legen uns mit Zufriedenheit schlafen, indem wir reinen Herzens an das Eine oder Andere denken, das wir heute getan haben. Es ärgert uns ein wenig, dass der Herr keinerlei Hilfe unsererseits nötig haben sollte, um ein bisschen zu gießen, zu düngen und zu jäten in seinem Beet, so dass das Reich Gottes ein bisschen schneller wachsen kann. Wir haben so viel guten Willen; und wenn das Reich Gottes dann vielleicht auch nur ein klein wenig früher kommen könnte?

Aber so ist es nicht. Das Reich Gottes ist das Werk des Herrn, nicht unser Werk, und es kommt, wenn er es beschließt, und wir müssen warten.

Wenn wir über unsere Eitelkeit und unseren Drang, so vielerlei zu bewerkstelligen, hinauskommen könnten, dann würden wir sehen können, welch kolossales Geschenk in diesen Worten über das Reich Gottes verborgen liegt. Denk dir, ein Versprechen zu bekommen, dass etwas so Großes einmal kommen wird, ungeachtet dessen, war wir tun oder nicht tun. Denk dir, dass es nicht von uns abhängt, ob das Leiden und der Schmerz aller Welt eines Tages aufhören wird, dass Gott aber bestimmt hat, dass es so kommen soll, wenn es an der Zeit ist. Alles, was wir zu tun haben, ist zu warten und zu glauben, dass es auch so geschehen wird.

Ein dänischer Theologe hat einmal gesagt, Glaube sei Kapitulation.
Glaube ist sein lassen.
Glaube ist sich hingeben und ablassen von dem Glauben, man könnte alles selbst am besten bewerkstelligen.

Glauben ist darauf vertrauen, dass Gott alles aufs beste bewerkstelligen wird. Glauben ist Vertrauen darauf, dass Gott tatsächlich das Reich Gottes wachsen lässt, so dass wir in dessen Schatten sitzen und ruhen oder in seinen Zweigen Nest bauen und dort Geborgenheit finden können. Glaube ist damit aufhören, unser eigenes Leben und das der Anderen kontrollieren zu wollen, und Gott die Kontrolle überlassen. Er hat sie nämlich sowieso, was immer wir uns einbilden mögen – das entdecken wir, wenn uns klar wird, dass unser Leben nicht wurde, wie wir es wollten, sondern wie Gott es wollte, im Guten wie im Schlechten.

Die Alten sagten: ”Gott befohlen!”, das bedeutet, Gott das Steuer für sich selbst haben zu lassen. Wenn wir Gott das Kommen des Gottesreiches lenken lassen, dann bekommen wir dafür freie Hände, um uns unserer ganz gewöhnlichen, alltäglichen Pflichten anzunehmen. Unsere tägliche Arbeit tun und die Aufgaben wahrnehmen, die wir an unserem Nächsten haben, ohne uns einzubilden, dass wir damit etwas Anderes täten, als was wir schuldig sind zu tun. Wir sind nicht die Baumeister des Gottesreiches, wir sind nur demütige Mitarbeiter an seiner Schöpfung.

Die Erwartung, dass es geschehen wird, wenn Gott es will, kann unsere Wartezeit fruchtbar machen. Wir können freimütig leben und uns dessen annehmen, was wir vom Herrn bekommen haben, unseren Tag mit ehrbarem Wirken füllen, dem Schwachen helfen und ihm beistehen. Und wenn wir einmal sterben müssen, dann wisssen wir, dass wir in die Erde gelegt werden und zu Erde und Asche werden. Aber das gilt nur für eine Wartezeit, bis zum Tag der Auferstehung, dem Tag, da das Reich Gottes nicht nur nahe ist, sondern gekommen ist , und da wir im Schatten des Lebensbaumes auf ewig sitzen können.

Amen.

Pastorin Kirsten Jørgensen
Præstegade 2
DK-5300 Kerteminde
Tel.: ++45 –65321320
e-mail: kjoe@km.dk

 


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