Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Sexagesimae, 15. Februar 2004
Predigt über Hebräer 4,12-13, verfaßt von Wolfgang Petrak
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Übersetzungsversuch : Lebendig nämlich ist das Wort Gottes und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, Gelenken und Mark, und urteilend über Erwägungen und Gedanken des Herzens. Und kein Geschöpf ist verborgen vor ihm; alles vielmehr ist nackt und preisgegeben vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben.

Liebe Gemeinde,

Im Anfang war das Wort. Doch es gibt so viele Wörter, die uns umgeben und prägen, die Richtungen anzudeuten suchen und zugleich vernebeln. „Vielleicht“, pflege ich oft zu sagen, „Irgendwie“ und :„Man könnte, man müsste“ oder so ähnlich, und wenn ich das Wort „Innovation“ höre und „Reformen“, dann beschleicht mich eine gewisse Müdigkeit, die sich verbindet mit jenem scheinbar überlegenen Wissen, das im Grund jedoch nur Meinung anderer beifällig übernimmt und zu einem resignativen Ergebnis zusammenführt: Es bringt alles sowieso nichts. Krise ist ein Schlüsselwort der Postmoderne, ‚bonne jour tristesse' ihr Grundgefühl.

Gestern die zerfledderten Zettel am schwarzen Brett in der Mensa. Auf einem stand: „Aktionstag gegen den Bildungsklau“ oder so ähnlich; das Datum war vom 5. Februar, also schon längst abgelaufen. Und unten auf dem Plakat stand, neben der Ortsangabe, : „ Infos, Diskussion, Aktionen, Picknick, Kicker-Tunier...“

Natürlich: da ist der Druck unserer Zeit. Das finanzielle Ausbluten der Universitäten. Und dann die politische Reaktion: der Aufruf zur Bildung einer Eliteuniversität! So als könne durch die Förderung einiger Privilegierter die Bildungskrise verhindert werden. Da ist aber zugleich noch die andere Not, die vielleicht ( schon wieder dieses Wort!) noch viel größer ist: Wer interessiert sich heute noch für die Situation der Studenten, wer will sich informieren und gar für Aktionen gewinnen lassen? Hat nicht der Druck, der auf jedem lastet, hat nicht das persönliche Leistungsdenken längst dazu beigetragen, für sich selbst zu sorgen und ein gemeinsames Eintreten für eine gerechte Bildungsverteilung lieber der Vergangenheit zu überlassen? Statt zusammen für diese Sache kämpfen zu können, muss um Leute gekämpft werden, die überhaupt noch dazu bereit sind sich einzusetzen. Anreize müssen „ irgendwie“ her, und wenn schon pure Informationen zu langweilig erscheinen, dann werden sie durch Picknick und Kicker-Spiele aufgepeppt, weil wenigstens bei diesem Stangenfußballspiel einer gewinnt. Und wer über diese studentischen Versuche zu lächeln geneigt ist, muss sehen, wie oft im Fernsehen verantwortliche PolitikerInnen lächeln, wenn sie wieder einmal einschneidende Reformmaßnahmen oder als Opposition ihre Kritik daran bekannt zu geben haben. Lächeln tun sie aber fast alle. Weil sie in der Öffentlichkeit stehen. Der Spaß ist zu ihrer Liturgie geworden.

Auch dieses ist ein Kennzeichen der Postmoderne. Sie hat die Kirche schon längst ergriffen. Wie wird doch über jenen Pfarrerwitz gelacht, wo die Pfarrfrau zu ihrem Mann sagt: „Du kannst aufhören zu lächeln, der Gottesdienst ist seit zwei Stunden vorbei“. Ehrlich gesagt, ich kann mich darin ja selbst wiedererkennen, möchte man doch nicht abweisend und zeitfremd sein, sondern werbend, freundlich und aufgeschlossen erscheinen. Kirche als Dienstleistung eben, und wenn ich an die letzte Woche denke, da haben wir mit den Senioren Fasching gefeiert, gewissermaßen Helau statt Halleluja, schön war's, und im Konfirmandenunterricht (Thema: Glaubensbekenntnis, Die Gemeinschaft der Heiligen) haben wir zum Schluss afrikanisch gekocht, um Ökumene auch mal schmecken zu können: „Klasse war es“, sagte eine, „auch wenn es nicht so richtig nach meinem Geschmack war“. Es ist ja ganz schön, wenn der Unterricht Spaß macht. Und es ist ja ganz wichtig, dass ältere Menschen zusammenkommen und herzlich miteinander lachen können. Und wir müssen ja auch Alternativen der Begegnung anbieten oder wie man das sonst wortreich begründen kann. Und wenn ich an meine Kindheit zurückdenke: da spielten wir oft im Kindergottesdienst, übrigens im Freien „Adam, wo bist du?“ – zwei mussten in den Kreis und bekamen die Augen verbunden; der eine war der Herr und musste suchen, der andere, Adam, musste sich verstecken. Wenn er vom Herrn berührt wurde, hatte er verloren. Also galt es, auf der Hut zu sein und auszuweichen.

Genau das ist es. Der Ernst jenes Spieles. Im konstruierten Spaß auszuweichen und sich zu verstecken suchen. Weil man meint, man würde sonst verlieren. Wenn ich mir den Spiegel vorhalte, kann ich es nicht genau erkennen, mag dann auch noch denken: vielleicht, es könnte sein, man müsste doch mal, warum auch nicht, würde also viele Worte finden. Das eine Wort jedoch erlaubt keine Ausflüchte. Kräftiger und schärfer als jedes zweischneidige Schwert durchdringt es, zerlegt gewissermaßen die schützenden Bestandteile und Funktionen, die Vielgliedrigkeit und Komplexität der Zusammenhänge, in denen wir leben; es ist einfach da mit seinem kräftigen Anspruch an uns und deckt auf, wo wir diesem Anspruch nicht entsprechen. Jesus Christus ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Er sagt klar: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich“. Alles, was wir in unseren Gemeinden tun, alles, was wir unterlassen, muss sich an ihm ausrichten und messen lassen: die religiöse Kultur, die einem lieb und manchem zu teuer geworden ist, weil sie so viele Ausdrucksformen und Gestaltungsmöglichkeiten erlaubt; unsere Aktivitäten, wenn sie darauf ausgerichtet sind, Menschen zusammenzuhalten und den Bestand zu sichern, unsere diakonischen Einrichtungen, die mit neuem Tarifssystem dem Konkurrenzkampf auf dem Gesundheitssektor standzuhalten suchen: was auch immer an wichtigen kirchlichen Einrichtungen und Initiativen die Öffentlichkeit beansprucht: immer wird zu fragen sein, ob wir damit etwas verdecken oder ob wir uns diesem Wort Jesu stellen: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan “(Mt 25,46).Was dem Leben Sinn verleiht, ist nicht allein der staunende Blick in den gestirnten Himmel über mir, ist auch nicht die reflektierteste Versenkung nach dem ewigen Gesetz in mir ( so als müsste der tiefste seelische Winkel zur Selbsterkenntnis ausgeleuchtet werden): es ist die unmittelbare Verantwortung, in der jeder vor Gott gestellt ist. Mit ihm haben wir es zu tun. Und selbst wenn es mich bloß stellt, weil ich mich dann nicht rechtfertigen kann. Anziehend ist sein Wille, nicht den Blick vom Nächsten zu wenden.

Vergessen wir es nicht: Jesus berührte die Menschen, damit sie nicht verloren waren, sondern aufstehen und gehen konnten. Im Ernst: Lassen wir uns berühren. Von den Studierenden, die um ihre Zukunft bangen. Von den Rentnern, die die Praxisgebühr nicht zahlen können. Von den Kindern, denen das lachen fremd geworden ist.

Im Anfang war sein Wort. Am Ende wird es heißen: „Siehe, es ist alles neu geworden“(2.Kor 5,17).

P. Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen, den 11.02.04
Tel: 0551/31838
e-mail: W.Petrak@gmx.de

 


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