Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Septuagesimae, 8. Februar 2004
Predigt über 1. Korinther 9, 24-27 , verfaßt von Wilhelm v. der Recke
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Von dem amerikanischen Schriftsteller Mark Twain stammt der Satz: Die meisten Menschen haben Schwierigkeiten mit den Bibelstellen, die sie nicht verstehen. Ich für meinen Teil muß zugeben, dass mich gerade diejenigen Bibelstellen beunruhigen, die ich verstehe.

Was Paulus hier im 1. Korintherbrief sagen will, ist schon klar. Wir verstehen es, auch wenn wir es vielleicht nicht gerne hören; auch wenn wir manches einwenden könnten gegen das, was Paulus sagt:

Dass er den Glauben mit dem Leistungssport vergleicht, ist eher abschreckend; erst recht wenn man an heutige Spitzensportler denkt, die wie Formel 1-Rennwagen mit allen Mitteln optimiert werden. Der Vergleich von Paulus hinkt außerdem: Ein einzelner Christ soll ja gerade nicht auf Kosten der anderen siegen. Möglichst viele Menschen, am besten alle, sollen das Ziel des Glaubens erreichen. Dahin gelangen wir allerdings nicht auf einem Spaziergang. Wir müssen uns schon anstrengen.

Man kann gegen Paulus auch einwenden, dass er sich ziemlich leibfeindlich ausdrückt: Ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn . Auf solche Formulierungen reagieren wir heute empfindlich. Paulus, der körperlose Intellektuelle, der Glaubensfanatiker? - Wenn man seine Briefe sorgfältig liest, wird sich dieser Verdacht nicht bestätigen. Tatsächlich geht es ihm um den ganzen Menschen: Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel Gottes ist? ... Preist Gott mit eurem Leibe , schreibt er ein paar Kapitel vorher (6, 19f).

Paulus macht es uns nicht immer leicht mit den Vergleichen, die er zieht, und den Ausdrücken, die er wählt. – Aber eigentlich ist schon klar, was er will. Und eigentlich hat er ja recht, nur zu recht ! Das ist das wirklich Beunruhigende , wie es Marc Twain nennt: Wenn es uns ernst ist mit dem Christsein, dann müssen wir etwas dafür tun; dann müssen wir dementsprechend leben; dann müssen wir aus unserem Glauben Konsequenzen ziehen.

Dann können wir nicht nur nebenbei Christen sein, - neben allem anderen, was wir auch sind: Christen aus Treue und Gewohnheit. Christen, weil man ja an irgendetwas glauben muß. Christen, weil man dann auf der sicheren Seite ist – am Ende wird sich der liebe Gott schon erkenntlich zeigen.

Was Paulus schreibt ist beunruhigend, gerade weil er recht hat. Das Christentum ist eben mehr als nur irgendeine Religion oder Weltanschauung, zu man einfach dazu gehört. Seinem tiefsten Sinn nach ist es eine Glaubensüberzeugung. Diesen Glauben muß jeder für sich selbst finden. Es reicht nicht, mit den anderen mitzuschwimmen. - Trotzdem ist es richtig, wenn man vom Christentum a u c h als einer Religion und Weltanschauung spricht. Auch das hat seinen Sinn. Darauf komme ich später zu sprechen.

Zunächst wendet sich das Evangelium an jeden einzelnen Menschen – er darf ihm glauben, und er soll daraus Konsequenzen ziehen. Der Glaube ist vor allem Sache des einzelnen. Vermutlich wissen das auch die meisten von uns und beschäftigen sich irgendwann mit dieser Frage. Aber dann geben sie schnell auf. Aus vielen, oft nur allzumenschlichen Gründen. Aber auch, weil sie zu wenig Unterstützung erfahren; weil sie zu wenige Vorbilder haben; weil zu wenige andere mitmachen. Sie fühlen sich einfach überfordert.

In der Tat - jeder ist aufgerufen, Gott zu vertrauen und ihm Glauben zu schenken. Jeder soll zu seinem eigenen Glauben finden. Zu einem lebendigen Glauben, der dann weiter wachsen, sich entfalten und verändern kann. – Das muß nicht immer nach einem bestimmten Schema passieren. Dafür muß man nicht bestimmte Formulierungen wählen, wie sie in manchen Gemeinschaften üblich sind. Man muß nicht von Wiedergeburt oder Glaubensentscheidung oder Übergabe unseres Lebens an den Herrn Jesus reden. Man kann es auch anders oder schlichter sagen. - Das ist auch nicht abhängig davon, ob ich zu einer Landeskirche oder Freikirche gehöre, ob ich evangelisch oder katholisch, evangelikal oder eben einfach christlich bin - eher konservativ oder liberal oder sozial oder wie auch immer.

Der entscheidende Punkt ist, dass man irgendwann Stellung bezieht – für sich selbst und dann auch vor den anderen: Ja, ich versuche es, ich w i l l Christin oder Christ sein. Und darum b i n ich es. Das ist für mich der richtige Weg. Den gehe ich mit allen Konsequenzen. Dafür nehme ich auch Unannehmlichkeiten in Kauf. Das ist es mir wert. Was Paulus von uns Christen fordert ist im Grunde dasselbe, was jeder überzeugter Naturfreund oder Vegetarier auch tut, jeder der sich für Menschenrechte oder bestimmte politische Ziele einsetzt, jeder der für das Sportabzeichen trainiert oder ein paar Pfund abnehmen will. Wenn schon, denn schon. Man hat nur dann etwas davon, wenn man es aus vollem Herzen tut.

Es g i b t ja auch viele Christen, die sich das etwas kosten lassen, die viel Zeit und Kraft und manchmal auch Ärger in Kauf nehmen und sich für ihre Gemeinde einsetzen. Aber es gibt auch viele, denen es schwer fällt, eine bestimmte geistliche Disziplin auf sich zu nehmen: Es fällt mir schwer, eine schlechte Gewohnheit - vielleicht eine ganz üble Schwäche - zu bekämpfen, obwohl ich doch weiß, dass sie mit dem Glauben nicht vereinbar ist. Ich schaffe es einfach nicht, mir jeden Tag die Zeit freizuhalten, um in Ruhe einen Abschnitt aus der Bibel zu lesen und zu beten. Ein geistlich anregendes Buch zu lesen oder häufiger zum Gottesdienst zu gehen, das ist einfach nicht drin. Das ist ganz ehrlich gemeint. Trotzdem muss man zurückfragen: Wir nehmen uns doch selbstverständlich die Zeit für eine gründliche Körperpflege. Warum nicht auch zur Pflege unserer Seele? Wir können es einrichten, drei mal in der Woche zu walken oder mit den Hanteln zu üben. Wir finden doch die Zeit für einen Blick in die Tageszeitung und für die Tagesschau im Fernsehen. Ist es wirklich nicht möglich, sich jeden Tag für 10 Minuten zurückzuziehen und an Gott zu denken?

Wenn es mir wirklich wichtig ist, als Christ oder Christin zu leben, dann werde ich auch dafür Platz in meinem Leben finden. Denn ich habe auch etwas davon. Ich werde merken, wie wichtig der Glaube mir wird, ja wie unentbehrlich. Er gibt meinem Leben Sinn. Er gibt mir ein Zuhause. Er eröffnet mir Perspektiven für die Zukunft. Ich weiß, dass ich mit meinem Leben bei Gott in guten Händen bin – komme, was da wolle.

Den eigenen Glauben finden und verantworten und danach zu leben – das ist ein Anliegen, das uns verbindet uns mit Christen aus Freikirchen und christlichen Gemeinschaften. Was uns in den großen Volkskirchen darüber hinaus wichtig ist, dass wir als Kirchen für alle Menschen da sind, auch für die, die kaum mehr als dem Namen nach Christen sind. Manche meinen ja, unsere Landeskirchen zeigten zu wenig Profil. Sie seien wie Gemischtwarenhandlungen, wo jeder das findet, was er sucht. In Gottes Garten blühen tatsächlich viele Blumen. Ist es nicht ein Zeichen von großer Weisheit, von Verantwortung und Liebe, dass wir auf dieser Erde nicht nur mit den 100%igen Christen rechnen, sondern auch mit denen im Vorfeld, mit denen, die auf dem Wege sind:

Christen die aus Sitte und Gewohnheit dazugehören. Die hineingewachsen sind durch Taufe, religiöse Unterweisung und Konfirmation. Die es zunächst einmal (vielleicht auch für immer) nur oberflächlich berührt. Einen persönlichen Glauben kennen sie kaum, aber der gemeinsame Glaube gibt ihrem Leben eine gewisse Ordnung und einen gewissen Rahmen. Es verschafft ihnen eine grobe Orientierung für das, was oben und unten, was gut und böse, richtig und falsch ist. Sie wissen, dass sie dazugehören, ja, dass sie in gewisser Weise von den anderen, den praktizierenden Christen, mitgetragen werden. Sie möchten gerne, dass jeden Sonntag um 10 Uhr in ihrer Kirche Gottesdienst gefeiert wird, auch wenn sie nicht hingehen. Sie wollen sicher sein, dass der Pastor immer eine offene Tür hat, auch wenn sie ihn kaum in Anspruch nehmen. Sie ahnen, dass in dieser Religion ganz andere Kräfte schlummern, die unser Leben aus der Tiefe erneuern könnten – auch wenn sie manchmal mit Schrecken feststellen, wie wenig ein oberflächlicher Glaube hilft, wenn es einem wirklich schlecht geht.

Es ist gut, dass es bei uns noch die Volkskirchen und die Spuren christlicher Tradition gibt. Das empfinden viele Menschen heute stärker als früher. Heute, wo wir im Osten unseres Landes in weiten Bereichen auf ein völlig ahnungsloses Neuheidentum stoßen; heute, wo wir in unseren Großstädten mit geschlossenen muslimischen Lebenswelten zu tun haben.

Unendliche viele Menschen haben erst in außergewöhnlichen Lebenslagen zu einem selbst verantworteten Glauben gefunden. Aber sie kannten vorher schon das „Einmaleins“ des Christentums, sie kannten den Glauben von außen. Sie wussten, worauf sie zurückgreifen konnten, als sie Halt und Orientierung suchten. Deshalb will ich am Schluss an Helmuth v. Moltke erinnern, dem geistigen Kopf des deutschen Widerstandes gegen Hitler.

Moltke war getauft und konfirmiert, ohne dass dieses eine tiefere Bedeutung für ihn gehabt hätte. Aber in dem Maße, wie sein Widerstand gegen den National-Sozialismus wuchs, suchte er Rückhalt im christlichen Glauben. Dafür reichten ethische Prinzipien nicht, wie er schreibt. Ganz bewusst begann er mit seiner Frau den Glauben zu praktizieren, auch äußerlich. So erklärt er etwa die Einführung des gemeinsamen Tischgebetes. Seine späteren Briefe aus dem Gefängnis zeugen von einem geradezu kindlichem Vertrauen zu Gott. Im Januar 1945 verurteilte ihn der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, zum Tode. In der Verhandlung bemerkte dieser scharfsinnig: Nur in einem sind das Christentum und wir gleich: Wir fordern den ganzen Menschen .

Ja, aber darin unterscheidet es sich auch von der Nazi-Ideologie. Der christliche Glaube nimmt uns deshalb voll in Anspruch, weil er uns frei macht, frei zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes .

(Ich schlage vor, den Predigttext unmittelbar vor der Predigt zu lesen und eventuell schon Vers 23 dazuzunehmen. Damit würde der Zusammenhang leichter verständlich.)

Wilhelm v. der Recke, Cuxhaven, Pastor im Lektorendienst
e Mail: Wilhelm.v.der.Recke@t-online.de

 

 


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