Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

3. Sonntag nach Epiphanias, 25. Januar 2004
Predigt übe
r Römer 1, 14-17, verfaßt von Gerlinde Feine
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Griechen und Barbaren, Weisen und Ungebildeten bin ich (gleichermaßen) verpflichtet; daher meine Bereitschaft, auch euch in Rom das Evangelium zu verkündigen. – Ich schäme mich nämlich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, für den Juden zuerst, aber auch für den Griechen. Denn Gottes Gerechtigkeit wird in ihm offenbart aus Glauben auf Glauben hin, wie geschrieben steht: „Der aus Glauben Gerechte aber wird leben.“

(Übersetzung: P.Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, NTD 6, S.27)

Liebe Gemeinde –

„Ist's Menschenwerk, wird's untergehen, ist es aber Gottes Werk, so könnt ihr es nicht hindern!“ Diesen Satz hatte Paulus als junger Mann in Jerusalem gehört, in einer Gerichtsverhandlung des Hohen Rates gegen Petrus und seine Begleiter. Und mit diesen Worten hatte sein damaliger Lehrer, der berühmte Rabban Gamliel II., verhindert, daß die Apostel für ihre Predigttätigkeit im Tempelgelände verurteilt worden waren: „Ist's Menschenwerk, wird's untergehen, ist es aber Gottes Werk, so könnt ihr es nicht hindern!“

Ob Paulus an diese Szene denkt, als er im Frühjahr 56 in Korinth im Haus seines Freundes Gaius den Römerbrief diktiert? Viel ist passiert in den 20 Jahren seit seiner Studienzeit, vor allem mit ihm selbst. Aus dem ehrgeizigen Schriftgelehrten, der den Auftrag hatte, die jüdische Synagogengemeinde in Damaskus wieder „auf Kurs“ zu bringen und die Christusanhänger in ihrem Umfeld zu verfolgen, ist selbst ein Christ und Missionar geworden, der sich mit Leidenschaft einsetzt für das Evangelium, diese „Macht Gottes“ (das griechische Wort „dynamis“ klingt da noch energischer!). Am eigenen Leib und in seinem ganzen Leben hat Paulus diese Macht erfahren, die unwiderstehlich wirkt. Wir kennen ja die Geschichte seiner Bekehrung mit all ihrer Dramatik und ihrem wunderbaren Ausgang. Wir ahnen die Schwierigkeiten, die er überwinden musste, um nun als Christ unter denen zu leben, die ihn von früher kannten, wie er sich erst einüben musste in die neue Rolle. Wir wissen, daß er sich auch in der christlichen Gemeinde nicht nur Freunde gemacht hat. Immer wieder ist er in Streitigkeiten verwickelt, und ich denke mir, daß seine umfangreiche Kenntnis der Heiligen Schrift, sein logisches Denken und sein Mut zur scharfen Auseinandersetzung vielen Angst gemacht haben. Sein Ruf ist ihm sicher auch nach Rom vorausgeeilt, ebenso wie manches Gerücht. Das Bild, das da von ihm entstanden sein könnte, möchte Paulus korrigieren, ehe er sich auf die Reise in die Hauptstadt macht. Er braucht die Römische Gemeinde, er will ihre Unterstützung für seine Pläne, nach Westen zu gehen und Spanien zu missionieren.

Daran sehen wir, daß das Evangelium, von dem er als junger Mann ergriffen wurde, nicht nur auf das einzelne Leben zielt. Vielmehr ist ein universeller Anspruch damit verbunden. Die ganze Welt soll erfahren, was Gott in Jesus Christus für sie bewirkt hat. Alle Menschen sollen daran Anteil haben, ohne Einschränkungen, ohne Vorbedingungen, ohne besondere Rücksichtnahmen: Griechen und Barbaren, Weisen und Ungebildeten bin ich (gleichermaßen) verpflichtet. So hat er es bei all seinen Missionsreisen gehalten und standhaft beim Apostelkonzil vertreten. Er hat die Heilige Schrift – und damals war damit allein der Teil der Bibel gemeint, den wir das Alte Testament nennen – immer und immer wieder geprüft, durchaus auch in der Tradition seines alten Lehrers, und fand seine Überzeugung bestätigt: „Der aus Glauben Gerechte wird leben!“ (Hab 2,4). Was er in der Jerusalemer Tempelhochschule gelernt hat - nämlich: Gottes Gerechtigkeit meint Gottes Handeln als Schöpfer und Richter, mit dem er die Welt ordnet und in Ordnung hält -, das ist nun in Christus zur Erfüllung gekommen. Die ganze Schöpfung ist darin eingeschlossen, umschlossen von der heilsamen Gnade, überwältigt von der unbezwingbaren Macht Gottes, gegen die die lebensfeindlichen Mächte, Sünde und Tod, keine Chance haben: „Ist's Menschenwerk, wird's untergehen, ist es aber Gottes Werk, so lässt sich's nicht hindern!“

So stellt sich Paulus mit seinem Brief der Gemeinde in Rom vor, wirbt um Einverständnis mit seinen Plänen, nutzt die Gelegenheit zur ausführlichen Argumentation wichtiger Themen, versucht sich hineinzufühlen in die Menschen, an die er schreibt, denkt sich in ihre Fragen hinein und entwirft ein Konzept seiner Theologie ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Der Römerbrief ist keine ausgearbeitete Dogmatik. Er ist in eine ganz bestimmte Zeit und Situation hinein geschrieben. Aber er atmet das Selbstbewusstsein seines Autors: Ich schäme mich nicht für das, wovon ich überzeugt bin! Und er atmet die Macht, die Dynamis des Evangeliums, das seinen Absender vorantreibt: Ich bin bereit, auch euch in Rom das Evangelium zu verkünden.

Wie machtvoll dieses Evangelium aus ihm heraus bis zu uns in unsere Zeit hinein redet, erkennen wir schon daran, daß es dem Römerbrief immer wieder gelungen ist, sich vom Staub der Jahrhunderte zu befreien, sich nicht auf Dauer einschnüren zu lassen von festgefahrenen Auslegungstraditionen und ganz bestimmten Interessen. Es ist schon erstaunlich, daß ausgerechnet die Arbeit am Römerbrief immer wieder neue Impulse für Theologie und Kirche gebracht hat, sei es in der Reformationszeit mit Martin Luther, in der Zeit der Aufklärung mit dem Gründer der Methodistischen Kirche John Wesley oder am Anfang des vorigen Jahrhunderts, als Karl Barth mit seinem Römerbriefkommentar den Grundstein für die Dialektische Theologie legte. Allen gemeinsam ist, daß sie den Römerbrief nicht nur unter historischen Gesichtspunkten lasen, daß sie nicht nur danach fragten, wie Paulus das damals und für seine Zwecke gemeint haben mag oder welche Erkenntnisse im Laufe der Kirchengeschichte damit verbunden waren. Sie kamen mit den Fragen, den Zweifeln und Ängsten ihrer Zeit und ihrer Geschichte, und fanden Antworten für ihre ganz spezielle Situation, in denen sich dann wieder die besondere Kraft des Evangeliums entfaltete. Für Luther beispielsweise war klar: Im Gesetz ist das Verhältnis des Schöpfers zu seiner Welt geregelt. Deshalb fragte er: „Wie kriege ich einen gerechten Gott?“ Und las: Denn ich scheme mich des Euangelion von Christo nicht/ denn es ist eine Krafft Gottes/ die da selig machet/ alle/ die daran gleuben/ die Juden fürnehmlich vnd auch die Griechen/ Sintemal darinnen offenbaret wird die gerechtigkeit/ die fur Gott gilt/ welche kömpt aus glauben inn glauben/ wie denn geschrieben stehet/ Der Gerechte wird seines Glaubens leben. (Lutherbibel von 1534). – Heute mag das nicht mehr die wichtigste Frage sein, die man an den Römerbrief stellen kann. Wir wissen, daß das Christusgeschehen der ganzen Schöpfung gilt und suchen nach einer Gott gerechten Welt. Wir möchten spüren, wie unsere Wirklichkeit von Gott in Ordnung gebracht wird, wie seine Gerechtigkeit mit Macht unter uns wirkt und alle mit einschließt, die Juden zuerst, aber auch die Griechen , zu denen wir aus Sicht des Paulus gehören.

Wo aber die Gerechtigkeit Gottes machtvoll wirkt, breitet sich das Evangelium aus und sammelt sich Menschen zur Gemeinschaft mit Christus. „Dagegen“ lässt sich gar nichts machen, das war von Anfang an klar: „Ist's Menschenwerk, wird's untergehen, ist es aber Gottes Werk, so könnt ihr es nicht hindern!“ Doch manchmal beschleicht mich das Gefühl, als habe die Kirche selbst das Vertrauen in die dynamische Kraft des Evangeliums verloren, als fürchte sie, der Rat des Rabban Gamliel könnte sich womöglich in seinem ersten Teil erfüllen. So startet unsere (Amts-)Kirche geradezu panikartig aufwändige „Rettungsaktionen“. Da werden in Zeiten knapper Kassen Unsummen locker gemacht für Marketinganalysen und Werbekampagnen. Da suchen teuer eingekaufte Experten nach einer corporate identity, die die Kirche doch längst hat, aber in die sie offenbar kein Zutrauen mehr setzt. Da pumpt man auf dem Stuttgarter Flughafen viel heiße Luft in eine lustige Hüpfburg in Kirchenform und macht damit bei einer ganz bestimmten, vorher sorgfältig von Werbestrategen analysierten Schicht allenfalls Reklame für die Institution Kirche, nicht jedoch für den Glauben an den lebendigen Gott. Sie biedert sich den Leuten an, anstatt das Evangelium so zu verkündigen, wie Paulus es vormacht: ohne faule Kompromisse, ohne sich dafür zu schämen.

Gott sei Dank sucht sich das Evangelium selbst seinen Weg, wirkt machtvoll gerade da, wo die Medien nicht so oft hinschauen, in der Telefonseelsorge etwa oder bei den Hospizgruppen, im seelsorgerlichen Gespräch und auch im vergnügten Beisammensein einer Gruppe. Es wird weitergesagt, wenn die Kantorei oder der Gospelchor für einen Auftritt proben, und es sucht sich im Konzert seine Hörerinnen und Hörer. Es treibt Menschen an, an Gottes Reich mitzubauen und Gottes Gerechtigkeit erkennbar werden zu lassen in dieser Welt, für Frieden und Freiheit einzutreten und ihr Leben in seinem Geist zu gestalten. Es ist wirklich eine Macht Gottes zur Rettung für alle! Und wir tun als Gemeinde Jesu Christi gut daran, dieser Macht zu vertrauen, anstatt durch eigenen Aktionismus wertvolle Ressourcen sinnlos zu verprassen.

Auch hier können wir uns an Paulus ein Beispiel nehmen. In seiner Missionsarbeit war er außerordentlich ökonomisch, verknüpfte, z.B. in Korinth, geschickt wirtschaftliches Handeln mit seiner Predigttätigkeit, wenn er als Zeltmacher bei den Vorbereitungen der Isthmischen Spiele mitwirkte und dabei wichtige Unterstützung für die junge Gemeinde gewann. Modern gesprochen bildete er überall Multiplikatoren aus und dachte pragmatisch, wenn es um die Organisation seiner Reisen ging. Nicht umsonst widmet er beinahe das ganze Schlusskapitel des Römerbriefes der „Beziehungspflege“, grüßt Bekannte und empfiehlt Mitarbeiter. Es mag ihm später durchaus genützt haben, auch wenn aus den Spanien-Plänen nichts mehr wurde, weil er als Gefangener nach Rom kam. Doch selbst wenn ihm im Rahmen seiner Missionsarbeit die eine oder andere Predigt danebengeht, wie etwa in Athen, oder wenn immer wieder Konflikte die Zusammenarbeit mit ihm belasten - in seiner Verkündigung bleibt er kompromisslos: Ich schäme mich des Evangelium nicht, denn es ist eine Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt. Machtvoll wird sich dieses Evangelium weiter ausbreiten, auch bei uns und für uns: Denn es ist kein Menschenwerk, das untergehen könnte, sondern Gottes Werk, das sich nicht hindern lässt. Amen.

Pfarrerin Gerlinde Feine
Rohrgasse 4
D-72131 Ofterdingen
Tel. 07473/6334
Fax: 07473/270266
gerlinde.feine@t-online.de


(zurück zum Seitenanfang)