Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Epiphanias, 6. Januar 2004
Predigt übe
r Epheser 3, 2-3a.5-6, verfaßt von Jorg Christian Salzmann
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


I

Eigentlich will jeder irgendwo dazu gehören. Spätestens in der Schulklasse fängt das an. Und wehe, wenn du nicht dazu gehörst. Wehe, wenn du draußen bist, anders bist als die anderen. Wehe, wenn du die falschen Klamotten trägst, Mathe gerne machst oder dich nicht für den Sänger interessierst, der gerade „in“ ist. Du bist nicht nur einsam, wenn du nicht dazu gehörst, sondern womöglich hacken auch noch alle auf dir herum.

Als Erwachsene sind wir misstrauisch geworden gegen solche Vorgänge. Wir wissen, wie leicht der Wunsch, dazu zu gehören, ausgenutzt werden kann, um Menschen zu manipulieren, abhängig zu machen, für Zwecke zu benutzen, die sie eigentlich gar nicht wollen. Wir sind misstrauisch geworden gegen die Werbung, die aus dem Wunsch dazu zu gehören, nur Marktvorteile ziehen möchte. Wir sind misstrauisch gegen Politiker, die sich die Massen gefügig machen wollen, indem sie ihnen suggerieren, sie gehörten dazu, während andere die Bösen seien, alle Schuld trügen, sich draußen befänden, zu verachten und zu bekämpfen seien.

Und doch brauchen wir alle das, dass wir dazu gehören. Dazu gehören zu einer Familie, zu einer Gruppe von Freunden, zu einem Betrieb, zu einem Verein, vielleicht auch zur Kirche. Vielfach wollen die Menschen auch zu einem Land gehören, zu einem Volk mit seinen Traditionen; sie wollen wissen: hier ist mein Platz, hier bin ich zu Hause, hier gehöre ich hin.

II

Zur Zeit des Paulus fiel für viele Menschen die Zugehörigkeit zu einem Volk, zu einem Land und zu einem Gott zusammen. Das war das Normale: jedes Volk hat seinen Gott oder seine Götter. Die Menschen lebten in einem festen Gefüge aus Religion und Brauchtum, jeder gehörte zu einer eigenen kleinen Welt. Auf der anderen Seite hatte das riesige Römische Reich diese kleinen Welten auch aufgesprengt. Viele Menschen waren entwurzelt und wussten gar nicht mehr so genau, wo sie hin gehörten. Da kamen neue Religionen auf, die auch und gerade denen Zugehörigkeit boten, die entwurzelt waren. Für die sogenannten Mysterienreligionen musste man nicht einem bestimmten Volk angehören. Diese Religionen zelebrierten gerade das Dazugehören ganz besonders. Denn sie waren als Geheimkulte organisiert. Nur wer sich einem Einweihungsritus unterzogen hatte, gehörte dazu. Und nur wer dazu gehörte, durfte wissen, was drinnen geschah, was der Glaube war, welche Geheimnisse den Eingeweihten offenbart wurden. Wer aber dazu gehörte, wer in die Geheimnisse eingeweiht war, der war geborgen, dessen Leben hatte wieder Sinn; er war nicht mehr der Entwurzelung ausgeliefert.

So lebten die ersten Christen in einer Umwelt, in der es den Menschen selbstverständlich schien, zu einem Volk und dessen Göttern zu gehören, in der aber zugleich viele Leute ihre Wurzeln verloren hatten und auf der Suche nach neuen Zugehörigkeiten waren.

In diese Welt hinein verkündigte der Apostel Paulus etwas ganz Neues: den freien Zugang zu Gott für alle; die Öffnung des Geheimnisses Gottes; die Möglichkeit auch für die Heiden, zu dem Gott Israels zu gehören. Denn dieser Gott Israels ist der Gott der ganzen Welt. Im Geheimnis von Kreuz und Auferstehung Jesu hat er sich für alle offenbart. Nun gibt es Zugehörigkeit und Sinn auch für die Entwurzelten und Verlassenen. Sie brauchen weder zum Volk Israel zu gehören noch zu irgendeinem anderen auserwählten Volk. Und sie brauchen sich auch nicht auf obskure Geheimniskrämerei und esoterische Clübchen einzulassen. Durch die freie Gnade Gottes können sie zur Familie Gottes gehören.

III

Wir feiern heute Epiphanias, die Erscheinung Jesu Christi vor aller Welt. Dabei gedenken wir dankbar der Öffnung des Evangeliums, der frohen Botschaft auch für die Nichtjuden: sonst wären wir selbst nicht dabei und die Jesusbewegung wäre wohl eine Randerscheinung im Römischen Reiche geblieben.

Wegen dieser Öffnung gehört zu Epiphanias auch der Gedanke an die Mission dazu. Mit Mission allerdings haben wir in unserer Welt so manche Probleme. Können wir denn sagen, dass unser Glaube für Menschen, die in einer ganz anderen Lebenswelt sind als wir, das Richtige ist? Stimmt denn der Anspruch, dass in Jesus das Heil für die ganze Welt da ist? Haben nicht die Christen viel zu engstirnig gemeint, der Welt ihren Glauben und ihre Lebensweise aufzwingen zu müssen, notfalls sogar mit Gewalt? Mancher meint sogar, dass die Leute viel besser daran wären, hätte man sie ihrer eigenen Religion überlassen.

Der Epheserbrief wirft auf die Mission ein völlig anderes Licht, er lässt uns einmal die Perspektive wechseln und die Sache von einer ganz anderen Seite sehen. Paulus nämlich musste sich zur Wehr setzen gegen diejenigen, die das Christentum gern für sich behalten wollten. Es reicht doch, wenn der Erlöser zu Gottes Volk Israel kommt, meinten sie. Und wenn jemand Anteil haben will am Heil, dann muss er erst einmal in dieses Volk aufgenommen werden.

Dagegen leiht sich der Epheserbrief die Sprache der Mysterienreligionen. Zu Gott kann jeder kommen, der sich auf das Geheimnis Gottes einlässt. Das Heil ist nicht beschränkt auf ein bestimmtes Volk und einen bestimmten Winkel der Erde.

Vielmehr ist durch Paulus das Geheimnis Gottes offenbar geworden, und die Nichtjuden sind nicht mehr vom Heil ausgeschlossen, sie gehören durch Jesus Christus jetzt zur Familie Gottes, sind Miterben der Gnade Gottes, ja sie gehören zum Leib Christi dazu, sind in die engste Gottesbeziehung aufgenommen. Das klingt so ähnlich wie das, was die Mysterienkulte zu bieten hatten. Zugleich ist aber auch die Ähnlichkeit mit diesen Kulten schon wieder aufgehoben. Denn die Öffnung geht so weit, dass eben nicht nur ein kleines Häuflein Eingeweihter dazu gehört, sondern das Heil wird öffentlich aller Welt verkündet.

IV

Mission also einmal anders: als Öffnung verschlossener Türen für die, die draußen sind; als Einladung in die Familie Gottes; als Aufhebung des exklusiven Gehabes. Wer auf der Suche ist nach Zugehörigkeit: hier kann er sie finden. Wer sich sehnt nach der Geborgenheit einer Gruppe und der Sicherheit zu wissen: da gehöre ich hin, der ist hier eingeladen.

Hat aber nicht die Kirche wie so mancher Politiker die fatale Tendenz, die Welt einzuteilen in drinnen und draußen, in Gute und Böse, in Schwarz und Weiß? Da liegt dann auch die Gefahr nicht fern, die Menschen „drinnen“ zu manipulieren und für die eigenen Zwecke zu missbrauchen. Wir können uns von solchen Tendenzen wohl kaum freisprechen.

Gerade deshalb aber ist Mission für die Kirche so wichtig: dass sie offen bleibt und einlädt und nicht zumacht und alle draußen verteufelt. Aus dem Epheserbrief wird dabei deutlich: Wahre Mission ist nicht kirchlicher Aktionismus, sondern im Tiefsten Aktivität Gottes. Paulus wurde nicht aus eigenem Antrieb zum Apostel und Missionar. Es war nicht sein überragendes Wissen, das ihn predigen ließ. Er hatte kein unstillbares Fernweh, das ihn zu den Heiden trieb. Sondern es war Gottes Offenbarung, die ihn bewegte, zum Diener Jesu Christi zu werden. Und diejenigen, denen er das Evangelium predigte, wurden zu Miterben der Verheißung, weil Gott sie zu Miterben machte und nicht sie selbst sich dazu aufschwangen.

V

Wir hatten zu Anfang gesagt: Eigentlich will jeder irgendwo dazu gehören. Und schlimm ist es, draußen zu sein und Außenseiter. Was für eine frohe Botschaft zu Epiphanias: ihr gehört zum Leib Christi dazu, und Gott selbst hat sein Heil geöffnet für alle!

Prof. Dr. Jorg Christian Salzmann
Lutherische Theologische Hochschule Oberursel
dr.jchr@jmsalzmann.de


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