Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

2. Sonntag nach dem Christfest, 4. Januar 2004
Predigt übe
r 1. Johannes 5, 11-13, verfaßt von Detlef Reichert
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

der Gottesdienst zum Jahreswechsel liegt hinter uns, - Rückblick, Dankbares, erinnerte Abschiede, - leises Herantasten an Erwartungen und Hoffnungen, verbunden auch mit der Hoffnung, in der wir glauben. Ein Teil von Stille ist es immer noch, die in diesen Tagen mitgeht. Das volle gewohnte Tempo hat uns noch nicht erreicht. Wenn es im Markusevangelium heisst - die Jahreslosung, wie wir sie am Mittwoch gehört haben - „Jesus Christus spricht: Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen“, - dann nimmt das viel davon auf mit dem Blick auf Vergehendes und der Gewißheit unvergänglicher Zukunft. Und dass da etwas nicht vergeht, ewig ist, das fügt sich in solche Gedanken, - ist nicht, nicht so schnell, widerständig, weil es scheinbar zu erlebter Wirklichkeit und Gegenwart nicht im Widerspruch steht, -weil es seine Worte sind und nicht unser Tun, - seine Worte und nicht unser menschen-oder naturbewirktes Erleben.

Die Nachrichten und Bilder der Erdbebenkatastrophe im Iran, Tod und Leid der Menschen in Bam, niemanden lässt das unberührt, - die militärischen Dauermeldungen, wir nehmen sie hin, auch wenn wir uns nicht an sie gewöhnen, - und doch: Eine direktes unauflösbares Gegeneinander zur Jahreslosung ist dies auf der Gedanken- und Gefühlsebene noch nicht. Das Nicht-Vergehen, die Ewigkeit, von der die Jahreslosung redet, scheint so stark an ihn gebunden und unserem Tun entzogen, dass verträglich scheint, was im Kern so auseinanderklafft.

Der Predigttext aus dem 1. Johannesbrief für diesen zweiten Sonntag nach Weihnachten, die Verse 11-13 im 5. Kapitel, stellt die Frage schärfer. Und, liebe Gemeinde, auch dies ist zu Jahresbeginn ja nicht schlecht, in dem allgemeinen Innehalten auch nach dem Zueinander der Ebenen zu fragen, in denen wir leben, - wie sich Realität, gestaltete und erlittene Wirklichkeit, verhält und verträgt mit dem, was und wie ich glaube, was mich in meinem Leben trägt.

Also erster Johannesbrief: „Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und solches Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben. Wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. Solches habe ich euch geschrieben, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes, auf dass ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt.“

In diesen Worten gibt es keine freundlich helfende Distanz für die Zuordnung von Wirklichkeit und ewigem Leben. Ewiges Leben habt ihr, haben wir - wie?

Die von den Versworten für sich her scheinbar schnelle zuordnende und ausschließende Antwort - „wer Jesus hat, hat ewiges Leben, - wer Jesus nicht hat, hat ewiges Leben nicht“ - lasse ich getrost beiseite. Kein einzelnes Wort und kein einzelner Vers steht für sich. Ein wenig weiter müssen wir schon. Und das lassen Sie uns genauso getrost tun.

Wie gehört unser ewiges Leben zur Ewigkeit Gottes, denn darum geht es? Dass Ewigkeit zu Gott gehört, glauben wir gern, akzeptieren es als Axiom, lassen es, wo wir überhaupt von Gott reden, mit ihm rechnen, gelten. Dass alles, was uns umgibt, und wir selbst seinen Anfang hat und sein Ende, das wissen wir. Ob es Sekunden sind oder Jahrmillionen, ohne Anfang und ohne Ende ist nichts. Unsere Lebenserwartung mag weiter ansteigen wie in den vergangenen Jahrzehnten. Die Kunst, den Tod zu überlisten, wird sicher noch viel größere Fortschritte machen, als wir sie uns selbst vorstellen können, - im Gleichschritt im übrigen vermutlich mit der Kunst, dem Tod plötzlich Massenernten zu liefern. Die zunehmende Fähigkeit, Tod und Leben zu manipulieren und zu speichern, wird deren Grenzen zueinander verschieben. Nur aufheben wird sie den Tod nicht und wird das Leben nicht zu einem ewigen, einem ohne Ende hier werden lassen. Leben bleibt Leben auf Zeit und darum auf den Tod hin.

So wie wir Wissenschaft und Technik miterleben und -hilfreich oft genug zum Glück auch an uns selbst- erleben, sehen wir vieles, was zum Leben gehört, schärfer als Menschen früher.

S i e hatten, wenn sie vom ewigen Leben redeten, den realen Tod hart vor Augen, weil er sie täglicher und direkter begleitete als uns. Und doch konnten sie sich im Widerspruch gegen den Tod ein Leben ohne Tod denken. W i r dagegen sind gewöhnt und trainiert, Leben und Tod als biologische Phaenomene zu nehmen. Leben und Tod sind darin ein Prozess, ein Ablauf, untrennbar voneinander. Ewiges Leben scheint dem gegenüber ein Widerspruch, unauflösbar. Wir können uns kein Leben vorstellen, zu dem nicht Veränderung, Bewegung, Mangel und Unvollkommenes gehört.

D i e vor uns wussten, dass es Bilder sind, wenn geredet und geschrieben wurde und bekannt wird vom „ewigen Leben“ als einem paradiesischen Leben, einem Freudenmahl, einem Lobpreis des Himmels, einem Schauen der Herrlichkeit Gottes. Aber es waren für sie Bilder, die voll waren und gesättigt von Leben, - Leben satt. U n s ist die Spanne zwischen Bildern und Wirklichkeit ungeheuer groß geworden. So groß, dass die Wirklichkeit die Bilder aufzufresen droht und droht, sie unanwendbar zu machen dafür, mit ihnen vom ewigen Leben zu reden.

Wir müssen deswegen einfach noch einmal nachfragen danach, wie wir von Ewigkeit reden.

Natürlich, Ewigkeit ist ein Gegensatz zur Zeit. Das ist wahr. Immer. Aber wie? So, dass jede Begrenzung der Zeit durchgestrichen und aufgehoben wäre? So reden wir ja auch sonst im Alltag von Ewigkeit nicht. Wenn wir nur ein bischen länger als gewohnt irgendwo warten müssen und nicht genau wissen, wie lange wird es noch dauern, wie schnell sagen wir dann: Das dauert je eine Ewigkeit. Oder wir reden von ewigen Wahrheiten und meinen damit ganz einfach eine allgemeine Richtigkeit, die niemand bestreitet; die Summe der drei Winkel in einem Dreieck beträgt nun einmal 180 Grad; Diskussion darüber ist nicht sinnvoll. Irgendwie und meist ungenau hängen Zeit und Ewigkeit hier zusammen und sind nicht unüberbrückbar voneinander getrennt.

Wenn wir in der Bibel von dem lebendigen Gott als dem ewigen lesen, so sind auch da Zeit und Ewigkeit nicht getrennt, und die Zeit ist schon gar nicht gleichgültig dabei. Zeit ist eben nicht nur etwas, das ich mit der Uhr messen kann. Natürlich gehört das zu ihr. Aber sie ist mehr als nur eine Maßeinheit aus dem Physikunterricht in der Schule. Zeit ist für uns immer etwas, zu dem wir in einem Verhältnis stehen, - sei es unter Zeitnot, unter Zeitdruck oder gerade in einer unendlich schönen Zeitspanne. Pflanzen und Tiere sind der Zeit gegenüber ohne Distanz, wir Menschen nicht. Wir sind uns der Zeit bewußt, - wir hängen ihr nach, laufen ihr voraus und ganz selten sind wir genau und gerade mit ihr in Übereinstimmung. Wir denken an sie, planen, plagen uns mit ihr. Ob wir aus Tatendrang und Lebensgier nie genug von ihr haben oder sie aus Langeweile totschlagen, weil wir nun gerade wieder nichts mit ihr anfangen können, meist leben wir mit unserer Zeit im Zwiespalt - und damit mit uns selbst.

Mehr als alles andere um uns herum sind wir durch die Zeit bestimmt und von ihr. Alles was wirklich und nur zu uns gehört - Vernunft, Sprache, Gewissen - hängt mit dem zusammen, wie wir mit unserer Zeit zusammengehören. Und deswegen, denn das wissen wir sehr genau, deswegen wollen wir auch so unbedingt Herr unserer Zeit sein, - und sind ihr damit um so mehr unterworfen und von ihr abhängig.

Das ist der Angelpunkt von Zeit und Ewigkeit. Gott ist der Herr der Zeit, nicht wir. Darin ist Gott ewig mit der uneingeschränkten Zeitvollmacht, mit der unbeschränkten Freiheit, Zeit zu gewähren und sie zu begrenzen. Ewigkeit und Zeit lösen einander nicht ab und fallen nicht getrennt auseinander. Gott hält sie für uns beieinander, sie sind bei ihm zusammen: Wie Schöpfer und Schöpfung, so gehören in Gott Ewigkeit und Zeit zusammen.

Das macht ihn aus, und dann auch uns

Ewiges Leben hat erst einmal Gott allein. So wie wir an ihn glauben -als Geist und als Liebe- , darin wird klar, warum `ewig´ und `Leben´, warum ewiges Leben, kein Widerspruch ist. Der Geist, der lebendig macht und die Liebe, die nicht aufhört, sie lassen es nicht zu, dass man den Glauben an den Schöpfer zu einer Theorie darüber macht, wie Zeit, Welt und Leben entstanden sind, - eine Theorie, die wir dann nicht mehr in Übereinstimmung bringen mit dem, was wir naturwissenschaftlich wissen.

Geist und Liebe weisen auf das Leben hin. Darauf kommt es an, - das ist es, was uns heil sein liesse, wenn wir es hätten.

Wie hatte der Johannesbrief -unser Predigttext, von dem ich jetzt scheinbar die ganze Zeit nicht geredet habe- ,wie hatte er gesagt? „Ihr habt das Leben“...

Gott hat das ewige Leben. Der Mensch hat es nicht in sich und nicht aus sich, - er hat es verheissen bekommen. Nicht mehr, aber das. Unser Heil steht nicht bei uns. Darin besteht es, dass wir uns loslassen und uns ihm überlassen, der Geist und Liebe ist und sie uns verheißt, eben in Jesus Christus, in dem er - Weihnachten haben wir noch im Ohr und vor Augen - Mensch geworden ist für uns.

Darum ist das eigentliche Gegenüber, um das es geht, wenn ich ewiges Leben verstehen will, - darum ist sein eigentliches Gegenüber auch nicht der Tod, der mein Leben hier in der Zeit beendet. Sondern es ist dieses Leben hier, wo ich meine Zeit lebe.

Wo ich an ewiges Leben glaube, widerspreche ich jedem Leben, das sich in sich selbst verkrallt und sich haben will durch Genuss, durch Leistung, durch Sorge, durch Zerstreuung. Alles das bringt mich vom Tod nicht weg, sondern es treibt mich vielmehr zu ihm hin und verleiht ihm Macht über mich. Deswegen ist Glaube an ein ewiges Leben auch kein Spiel meiner Einbildungskraft, damit ich den Tod, vor dem ich stehe, verharmlosen und ertragen könnte, - sondern Glaube an das ewige Leben heisst, ernstmachen mit Gott, der der Herr unseres Lebens ist.

Wie stand es im ersten Johannesbrief : „Wer den Sohn hat -und ich lese das wie:`Wessen Herr der Sohn ist´- ,der hat das ewige Leben“.

Wir können das so „umlesen“, können es so verstehen, weil es das ist, was den ersten Christen aufgegangen ist an Jesus, und den sie darum -Gott zur Ehre- als Herren über Tod und Leben bekennen. So, wie wir es tun, in jedem Gottesdienst, in jedem Glaubensbekenntnis, immer, wenn wir sein Gebet sprechen miteinander.

Ewiges Leben ist nicht Ersatz und Fortsetzung dieses Lebens nach dem Tod, - nicht jene Vorstellung, die wir so schlecht ineinanderbekommen mit unserem Leben in unserer Welt, - ewiges Leben ist die Überwindung und Erfüllung dieses Lebens durch den Tod hindurch. Es ist ein anderes Leben als das, das nur den Tod vor sich hat. Zu ihm gehört - gebunden an Jesus Christus - Weihnachten wie das Kreuz. Und darum ist dies das Leben, an dem wir schon Anteil haben durch den Glauben an ihn..

Noch einmal der Predigttext: „Solches habe ich euch geschrieben, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes, auf dass ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt“ - und jetzt wieder „umgelesen“ und so verstanden: `Dass ihr ewiges Leben auch schon jetzt hier habt´.

Das ist wahr. Früher war er anschaulicher, der „Ort des ewigen Lebens“ , -im Himmel über uns und in der Zeit vor uns. Aber so gehört er nicht zum Glauben, auch wenn er als Bild früher vielen geholfen hat. Wir haben es nicht ganz so leicht, aber auch nicht weniger wirklich mit ewigem Leben.

Nicht wie wir Raum und Zeit kennen und uns darin erleben, macht ewiges Leben aus. Es ist unanschaulicher geworden für uns, zugleich aber auch viel deutlicher: Es ist bezogen auf die Erfahrung, in der es in unserem Leben seinen Ort hat,- eben Leben hier schon will. So wie Gottes Geist und seine Liebe Liebe hier will im Leben zum Leben.

Amen.

Superintendent Dr. Detlef Reichert
Gütersloh
SuperintendentGT@aol.com


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