Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 26. Dezember 2003
Predigt übe
r Matthäus 10,32-42, verfaßt von Jørgen Demant (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Man sagt, Weihnachten ist das Fest der Herzen. Wir sind mit den Menschen zusammen, mit denen wir eng verbunden sind. Unsere Familie, unsere Freunde. Weihnachten ist wie keines der großen Feste ein Sammlungspunkt für die Familie. Wir reisen mit Bahn, Auto, Schiff und Flugzeug weit umher, um dorthin zu kommen, wo wir zu Hause sind, wo wir herkommen, um mit den Menschen zusammen zu sein, mit denen wir seit unser frühesten Kindheit verbunden waren. Ob sich nun diese Sehnsucht nach dem Paradies zu Hause für ein paar Tage erfüllt wird und man deshalb aus Freude weint, oder ob sie sich nicht erfüllt, weil die Kindheit unwiderruflich verloren ist und man deshalb aus Trauer weinen muß - man hat sein Herz mit dabei.

Weihnachten ist der Traum vom verlorenen Paradies. Vom Paradies zu Hause. Zu Hause bei der Mutter, wo etwas in der Luft liegt, wie es in einem beliebten dänischen Adventslied heißt. Man weiß nicht was. Wie ein Frühling, auch wenn der Wald seine Blätter verloren hat. Deshalb müssen wir Weihnachten nach Hause. Ob wir nur wollen oder nicht. Auch ein Gemüt, das wie Disteln verstockt ist, wie der dänische Dichter Brorson in seinem Weihnachtslied sagt, Menschen, die allen Ernstes am 1. Dezember beteuern, daß diese Rituale und Traditionen nur zerbrochene Illusionen schaffen und Heulen und Zähneklappern. Selbst diese Verstockten stehen am Bahnsteig 4 in Kopenhagen und wollen nach Hause nach Løgumkloster, Ellum und Højst. Die Kindheit, der "süße Morgentraum des Herzens" (Grundtvig) treibt einen weiter als die erwachsene Vernunft, treibt einen nach Hause, ob nun Weihnachten ein Tanz auf Rosen ist oder man in einer Depression versinkt.

Beides, Freude und Leid, sind Ausdruck der Sehnsucht, so erkannt und gesehen zu werden, wie man gerne gesehen werden will: als geliebt und geachtet. Wenn wir einander Weihnachtsgeschenke geben und dabei oft unser Bankkonto überziehen, so ist das eine Erinnerung an die Weisen aus dem Morgenlande. So wie sie dem Jesuskinde Geschenke mitbrachten, so tun es auch wir, um den Bund zwischen uns zu erneuern: Wer das Geschenk erhält, hat unendliche Bedeutung für uns. Das Geschenk ist Ausdruck für eine Lebensbestätigung. Eine Bestätigung unserer Liebe zu einander.

Die Botschaft Jesu handelte von der Liebe, die zu uns hinabstieg. Vom Wort, das Fleisch wurde und unter uns wohnte. Wie wir das in dem Lied gesungen haben:

Heute geht aus seiner Kammer
Gottes Held,
der die Welt reißt aus allem jammer.
Gott wird Mensch dir,
Mensch zugute,
Gottes Kind,
das verbindt
sich mit unsrem Blute.
(Paul Gerhardt)

Paulus nannte die Liebe das vollkommene Band. Ein Band, das weiter reicht als die Bande, die wir sonst kennen und von denen wir uns binden lassen.

Ja ist denn die Liebe, die uns Gott Weihnachten erweist, eine andere Liebe als die, die wir einander erweisen? Sind wir von zwei Arten von Liebe gebunden? Die zu Gott und die zu Menschen?

Einiget könnte darauf hindeuten, mit der Geschichte, die wir heute gehört haben. Denn das ist nicht die Liebe der weihnachtlichen Gemütlichkeit.

"Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Ich bin gekommen, um Streit zu bewirken" (so die dänische Übersetzung). Das ist ein Mißton in unseren Ohren, wenn der, der das Wort der Liebe selbst ist, der unter uns wohnt, sagt, daß er nicht gekommen ist, Frieden zu stiften, sondern das Schwert. Streit zu bewirken zwischen denen, die miteinadner verbunden sind mit dem Band des Blutes, des Familienlebens. Weihnachten ist offenbar nach dem Evangelium dieses Tages mehr als Lebensbestätigung, mehr als Bestätigung der Werte von Familie, Heimat und Tradition.

Neulich konnte man in den Zeitungen von einem Mann lesen, der aus Kopenhagen in seine Heimat in Westjütland zurückgekehrt war. Als er in den Weg einbog, der zu seinem Hof führte, kam seine ganze Geschichte in ihm hoch: seine Urgroßmutter, Großmutter und die Geschichte der Vorfahren. Sie wurde durch die Landschaft wach, die Bäume, und die Büsche, die Luft und die Gerüche. Hier gehörte er hin. Und dennoch war das etwas, was nicht hierhin gehörte. Und das wurde deutlich in dem Mädchen, das ihn begleitete. Sie war kein Teil dieser Geschichte. Die hate Arbeit der Urgroßmutter, die man an den roten und runzeligen Fingern sehen konnte. Die Härte und der Opferwille der Großmutter. All das kannte sie nicht. Und wie sie sagte: Sie ist die Liebe, sie ist die Wahl.

Er war gebunden durch etwas anderes als seinen Geburtsort, seine Familie, die Heimat, die Gegend, aus der er stammnte. Das, was unser Schicksal ist. Seine Gebundenheit war etwas anderes. Seine Liebe zu der Geliebten war ein anderes Band. Ein Leben muß verloren gehen, damit neues Leben entstehen kann. Er wußte, daß da etwas war, was man aufgeben mußte, was er nicht mitnehmen konnte. Gebunden werden durch die Liebe eines anderen Menschen, Mittelpunkt werden für einen anderen Menschen, das bedeutet ja nicht, daß man das Erbe von zu hause aufgibt. Denn dieses Erbe sitzt in einem wie ein Schicksal. Aber die neue Liebe von einem anderen Menschen kann Konflikt bedeuten und Streit mit dem Leben, das ich mitbringe.

Es gibt eine Spannung zwischen dem, was ich empfange, und dem, was ich besitze. Zwischen dem Neuen, was zu mir kommt kommt, und dem Alten, was ich schon habe. Wer das Letztere retten will - das Erbe, das, was man schon hat, muß das Erste verlieren, das was zu einem kommt, die Liebe des geliebten. Und umgekehrt.

Die Liebe der Weihnacht ist auch ein Band. Es band Jesus an die Menschen. Für ihn war das Leben das geschenkte Leben, und das himmlische Leben war das Leben, das wir besitzen. Er gab sozusagen das auf, was sein Schicksal war - seine Gottheit, seinen Himmel. Er verzichtete auf sein göttliches Erbe - zu dem er bestimmt war, das himmlische Leben. Und gebunden von der Liebe Gottes zu uns begab er sich in die Macht der Menschen. Er wurde das geschenkte Leben für uns. Die himmlische Liebe wurde zum neuen Band. Das Band der Liebe, wo keine Sünde ist, kein Tod, wo alles Liebe ist.

Das gegebene Leben in Liebe ist Nächstenliebe. Das ist die Liebe, die allen gilt. Das ist die himmlische Liebe. Während die Liebe auf Erden, die Liebe, die für uns zu dem Leben gehört, das wir besitzen, das ist, was man mit Søren Kierkegard die "Vorlie­be" genannt hat, sie gilt nicht allen, sondern nur denen, die man ausgewählt hat.

Wir wollen nach Hause zu Weihnachten - zur Familie, Verwandten, nach Hause, der Heimat. Wir sind dadurch gebunden Das ist unser Schicksal. Das ist der Ort unserer Vorliebe. Sie hat uns gesegnet mit Leben, Fürsorge, Geborgenheit, Erziehung. Sie hat uns auf den Weg gebracht.

Aber durch die Liebe der Weihnacht werden wir gebunden ah an das Herz Jesu Christi und an das ewige Leben, das dieses Herz besitzt. Dadurch wird das ewige Leben für uns das gegebene Leben. Wenn ich das Leben, das ich besitze mit seiner Vorliebe, retten will, dann bin ich nicht wert, das gegebene Leben zu besitzen, ich muß es verlieren. Das hat seiner Parallele in dem jungen Mann, der mehr gebunden war durch seine Bindung an seine Kindheit, so daß wer seine Geliebte verlor, weil das gegebene Leben von ihr weniger wog als das Leben, das wir haben. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verloert um meinetwillenj, der wird's finden.

Wir feiern die Taufe heute. Was soll man da denken? Geht es wirklich darum daß das Kind in Jesus eingepflanzt wird, daß dieses Leben für die Eltern gefährlich werden kann? Daß es in einen Konflikt kommen kann? Eine Auseinandersetzung? Das ist ja fast eine christliche Tyrannei gegenüber den Eltern. Ja, in irgendeinem Sinne ist dies der Fall. Aber das geschieht, um die Freiheit des Getauften zu retten. Was aber ist die christliche Freiheit?

Freiheit besteht darin, eine andere Heimat zu haben als die der Familie, nämlich die Heimat der Kirche. Von dieser Heimat aus werden wir in die Welt gesandt. Die Heimat ist nämlich dazu da, Freiheit zu gewähren.

Das Kind in der Taufe hat wie wir gehört, daß wir in erster Linie Kinder Gottes sind und dann Kind unserer Eltern. Und das verpflichtet die Eltern, täglich sich klarzumachen, daß sie die Kinder nicht besitzen, sie sind ihnen nur anvertraut als ein Geschenk.

Darin besteht die christliche Verantwortung: Dein Kind dazu anzuregen, auf eigenen Füßen zu stehen mit einer Verantwortung, d.h. Verantwortung zu tragen für das eigene Leben, das Liebe, Gerechtigtkeit und Barmherzigkeit erfordert.

Wen die Liebe nicht weiter reicht als zur Familie, Verwandten und Bekannten, dann sind wir uns nur selbst genug. Wir halten uns an das, was wir selbst besitzen. Die Weihnachtsgeschichte erzählt von dem Leben, das uns von Gott geschenkt wird, um das zu besiegen, was wir als Menschen schon besitzen.

Das klingt wie eine tödliche Forderung, Aufgabe aller menschlichen Freiheit, aber es ist Liebe, denn im Himmel und auf Erden gilt, daß der, der sein Leben verliert, nicht stirbt, sonder aus der Gnade der Liebe lebt, und darin ist nicht Weinen, sondern Freude.

Amen

Pfarrer Jørgen Demant
Hjortekærsvej 74
DK-45 88 40 Lyngby
Tel.: ++ 45 - 45 88 40 75
email: j.demant@wanadoo.dk


(zurück zum Seitenanfang)