Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 26. Dezember 2003
Predigt übe
r Hebräer 1, 1-3, verfaßt von Dankwart Arndt
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So oder so: die Zeit vor Weihnachten ist eine Zeit der Spannung. Kinder führen uns das besonders deutlich vor Augen. Genau betrachtet, löst sich die Spannung nicht am Heiligen Abend; die Weihnachtsbotschaft führt vielmehr in vielerlei aufregende, allerdings neue Spannung, die, wenn es denn sein darf, außerordentlich fruchtbar ist.

„Vorzeiten“ und „zuletzt“ deutet ein erstes Spannungsmoment an. „Das ist mein letztes Wort“ sagen Menschen, wenn zähe Verhandlungen dicht vor dem Abbruch stehen.

„Das ist mein letztes Wort“ meint: Schluss der Debatte, jedes weitere Gespräch ist sinnlos. Als, früher, Kriege noch erklärt wurden, nannte man das „letzte Wort“ Ultimatum; danach wurde zurückgeschossen oder mit dem Schiessen erst eigentlich begonnen.

Unser letztes Wort schließt ab, schließt zu, bricht ab. Das letzte Wort dagegen, „in den letzten Tagen“ gesprochen, schließt auf. Unsere letzten Worte läuten ein Ende ein; Gottes letztes Wort setzt einen Beginn. Unsere letzten Worte machen – im Nu – die Gegenwart zur uneinholbaren Vergangenheit; Gottes letztes Wort eröffnet Zukunft. Wenn wir „letzte Worte“ gesprochen haben, kommt nichts mehr, geht nichts mehr, „läuft“ nichts mehr; nach Gottes letztem Wort kommt Gutes in Bewegung; da beginnt das Leben zu laufen.

Gottes „letztes Wort“ wird vernehmbar, nachdem er vorzeiten „auf mancherlei Weise geredet hat“. Damit tut sich ein weiterer Spannungsbogen auf: mit der Botschaft, die mit dem Namen Jesu von Nazareth verbunden ist, fängt nicht überhaupt erst alles an, was „Religion“ ist und bedeutet. Da gibt es vielmehr eine lange, ansehnliche, reiche Vorgeschichte, eine doch auch bewunderungswürdige Vorgeschichte der Sehnsucht, des Suchens und Hoffens, in der Gott „vorzeiten und vielfach und auf vielerlei Weise“ von sich reden gemacht hat.

Der Hebräer-Brief denkt vor allem an die „Vorzeit“ der Propheten Israels; an sie und das vielfache Glaubenszeugnis der Nachkommen Abrahams und Isaaks und Jakobs denken zunächst wir alle.

(Aber ich denke mit einem jetzt nicht zu diskutierenden Recht auch daran, dass Gott „vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise“ auch in anderen Religionen, Kulturen, Völkern „von sich reden gemacht“ hat. Und es ist ein spannendes Unternehmen, durch diese Vorzeit zu wandern und das „auf vielerlei Weise zur Sprache-Kommen Gottes“ zu entdecken: in tiefen philosophischen Überlegungen, in künstlerischen Aus-bildungen, in den Such-Bildern der Märchen und Mythen der Völker. Wer unvoreingenommen zusieht, wird ernstes, ehrliches Erschaudern vor der Majestät des Göttlichen entdecken, - wird heißes Bemühen erkennen, Sühne zu schaffen für Unrecht und Schuld. Ein großes Opfern und Fasten, ein Sorgen und Mühen, ein Prüfen und Sich-Ängsten ging um die Welt, wie denn wohl Heil zustande gebracht, Versöhnung gestiftet, ein Stückchen „Himmel auf Erden“ bewerkstelligt werden könnten. Gott hat vorzeiten vielfach und auf vielerlei Wiese von sich reden gemacht und Menschen bis ins Innerste bewegt.)

„Nun aber, in diesen letzten Tagen, hat er zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles.“ Gottes „letztes Wort“ hat „der Sohn“ geredet. Und dieses letzte Wort schließt nicht zu, sondern auf; es beendet nicht den Dialog, sondern lässt ihn beginnen.

Zuletzt hat Gott geredet in dem Christus-Geschehen. Aber – ein weitere Spannungsbogen tut sich auf -: was für ein Geschehen ist das! Gemessen an dem und verglichen mit all dem, was „vorzeiten“ gesagt, gebildet, gemalt, besungen wurde, ist dies Geschehen wahrhaft – kümmerlich! Mit einer einfachen Geschichte fängt's an: ein Handwerker-Paar bekommt ein Kind; das wird „der Sohn“, durch den Gott in den letzten Tagen redet. Eine schmucklose Geschichte: in ärmlichen Umständen wird ein Kind geboren – „der Sohn“, von Gott eingesetzt zum Erben über alles. Eine – leider!! – alltägliche Geschichte: gejagt ist dieses Leben von Anbeginn an: auch er, „der Sohn“ durch den alles geworden ist, soll „eingeschätzt“ werden nach dem Befehl des Kaisers. Eine nachdenkliche Geschichte: kein Platz ist da für dieses Kind, es ist ein herumgestoßener Asylant, und doch und gerade er „der Sohn“, durch den Gott die Welt geschaffen hat. Schlicht, schmucklos, unsensationell diese Geschichte; dennoch fasziniert sie. Wollten sich doch nur Menschen von ihr wirklich faszinieren lassen! Und nicht nur fasziniert sein in diesen Tagen von eigenen Befindlichkeiten, Gefühlen und Erinnerungen, so wichtig die auch sein mögen.

„Gott hat zu uns geredet durch den Sohn.“ Präzise meint der Sohnes-Titel, was wir meinen, wenn wir einen Jungen beobachten und zu dem Urteil finden: er ist „ganz der Vater“; er spricht, er bewegt sich, er verhält sich wie der Vater: „er ist ganz der Vater.“ Eben dies sagt das Christus-Lied am Anfang dieses Hebräer-Briefes: Er – der Sohn – ist der Abglanz seiner – des ewigen Gottes – Herrlichkeit; er ist das Ebenbild seines Wesens; er trägt alle Dinge mit seinem kräftigen, schöpferischen Wort, und er hat „vollbracht die Reinigung von den Sünden.“ Wer also diesen Sohn sieht, erkennt den himmlischen Vater, wer den Sohn hört, hört Gott; wer diesem Menschenkind – dessen Leben ausgespannt ist zwischen Krippe und Kreuz – sich nähert, kommt dem Ewigen nahe. Unendlicher Abstand ist also überwunden; die Ewigkeit ist eingegangen in die Zeit, Gott lebt und west unter uns als der Mensch Jesus von Nazareth. Gott stellt sich dar. Er teilt sich mit. Und das so, dass er verständlich wird für jeden Menschen.

„Der Sohn“ – „Abglanz von Gottes Herrlichkeit“. Diese Herrlichkeit, diese glanzvolle Majestät freilich erdrückt nicht, verbrennt nicht, macht nicht Angst. Dieser Abglanz lässt vielmehr Zuneigung, Vertrauen, Liebe wachsen. Dieser Abglanz fasziniert, zieht in sein Licht, macht frei und bereit, das Wunder anzubeten, dass Gottes „letztes Wort“ in dem Geschehen der Christ-Geburts-Nacht gesprochen ist. „Der Sohn“ – Ebenbild des Wesens Gottes. Dieses Wesen übermächtigt, überfährt, überwältigt nicht mit Gewalt „von oben herab“. Sein Wesen ist: mit der Welt zu sein, liebend in der Welt zu sein, ihr zugeneigt, ihr zugewandt: Immanuel. So ist er zur Welt gekommen, wie wir es staunend und voller Dankbarkeit feiern: als Kind, als Mensch, im hörbaren, verstehbaren Wort.

Dieses Wort schließt niemanden von vornherein aus. Es wendet sich an Arme und Reiche, an Mächtige wie an Ohnmächtige, an Unwissende und an Kenner. Dieses Wort ist von jener Einfachheit wie die Geste, mit der einer seinem Nächsten eine ausgestreckte Hand entgegenhält. Der Sohn und sein Wort. Gottes freundlich, offen, herzlich uns entgegengestreckte Hand.

Seine Liebe vollendet sich darin, dass er Schuld „auf-hebt“; das meint nun eben nicht, dass er sie einfach hin-fällig, nichtig sein lässt, sondern: auf-hebt, trägt und sie damit ihres Stachels beraubt.

„Er hat vollbracht die Reinigung von den Sünden“, so singt das Christus-Lied. Es singt in der Sprache des Opferkultes, in einem Zusammenhang also, der uns Heutigen nicht mehr vertraut ist. Wir sagen – und sagen es mit großer Dankbarkeit-: Er, „der Sohn“, hat die gefallene, verschuldete Schöpfung versöhnt mit ihrem Schöpfer; er hat beide wieder zusammengebracht; er hat, was sie trennte, überwunden; er hat sich selbst preisgegeben, hineingegeben in den Riss, der die Welt von ihrem Lebensgrund, der die Menschen von der sie tragenden und nährenden Güte trennt.

Der ein Recht hätte zu strafen, zu richten, zu vernichten, was ihm entgegensteht, - der ein Recht hätte darauf, dass wir rein vor ihm stehen: Derselbe trägt die Strafe, erleidet das Urteil über die Gottferne. Der, gegen den alle Rebellion, alle Ichsucht, alles daraus folgende Unglück letztlich sich richtete: Derselbe macht Rebellen zu seinen Kindern, nennt Kinder, die ihm nach dem Thorn trachteten, die „sein wollten wie Gott“. Er schenkt Erbrecht denen, die ihr Erbe – Kindschaft und Menschlichkeit – immer schon verspielt haben.

Das ist das Wunder des Christus-Geschehens, das in der Heiligen Nacht begonnen hat: dass der – eigentlich eherne – Schuld-Strafe-Zusammenhang, - dass das unausweichliche Zusammenspiel von „Sünde“ und „Verhängnis“ unterbrochen, ausgesetzt, überwunden, gelöscht ist.

Unsere „letzten Worte“ schließen zu; Gottes „letztes Wort“ öffnet Zukunft, ermöglicht Anfänge. Die Frage an die Hörer der Weihnachtsbotschaft ist die: ob Menschen sich faszinieren lassen von Erinnerungen und Gefühlen, von Vergangenem, oder ob sie sich in die je und je neu sich öffnende Zukunft hineinziehen lassen, ob sie zur froh-gemuten Anbetung des Geheimnisses um „den Sohn“ finden, ob sie damit dann gültig sein lassen, dass Schuld und Sünde nicht mehr zerstörerisch wirken müssen, dass vielmehr trennungüberwindende Liebe empfangen, geübt, gelebt und in Wirkung gesetzt werden kann.

Wer durch die Zumutung der Weihnachtsbotschaft – Gottes „letztes Wort“ hörbar geworden im Wort Jesu – hindurchstößt zur Freude und zum Dank für dieses eigentliche Weihnachtswunder, der wird bereit, wird sich fragen, aber auch sich ermutigen lassen zur Nachfolge. Auf dem Weg der Nachfolge aber werden sich viele – nicht alle! – Fragen lösen, die uns beschweren; und es werden sich Wege auftun, gegen die Heillosigkeit in der Welt das Heil Gottes bezeugend zu setzen, - Wege, Menschen in ihrem Kummer zu trösten, gegen Unrecht und Gemeinheit die Kraft der Liebe zu stellen, - Wege, Licht ins Dunkel zu tragen, Mut in die Bereiche der Mutlosigkeit, Sättigung in Mangel und Hunger. Es werden sich dem, der Gottes „letztem Wort“ vertraut Wege auftun – nicht gerade, ebene Bahnen, aber Wege - , die je und je ein kleines, aber wichtiges Stück weiterführen.

Gott hat zuletzt und endgültig geredet durch den Sohn – nichts weiter bedürfen wir. Aber dieses Wortes bedürfen wir wirklich.

Amen

Anmerkung:
Die Verse 1 – 3 sind so gefüllt, dass eine Erweiterung des Predigttextes um die Verse 4 – 6 nicht nötig erscheint.
Wer zum Stichwort „Religion“ theologisch die Position des frühen K. Barth einnimmt, lässt den eingeklammerten Teil der Predigt aus oder verwendet ihn nur teilweise.

Dr. Dankwart Arndt
Pastor i. R.
Auf dem Breckels 1
24329 Grebin

 


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