Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 26. Dezember 2003
Predigt übe
r Hebräer 1, 1-6, verfaßt von Jürgen Jüngling
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1 Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten,

2 hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat.

3 Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe

4 und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name.

5 Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum: »Ich werde sein Vater sein, und er wird mein Sohn sein«?

6 Und wenn er den Erstgeborenen wieder einführt in die Welt, spricht er: »Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.«

1.
Vorgestern Heiliger Abend: Das Kind in der Krippe, anschaulich und zum Anfassen wie beim Krippenspiel alle Jahre wieder, altvertraut seit Jahrhunderten, vertraut und immer wieder ersehnt auch in unserem Lebenslauf!

Gestern das große Fest: Weihnachten ins seiner ganzen Bedeutung, rot im Kalender, in allen Kirchen und Konfessionen begangen, die festliche Feier des Abendmahls, in Rom der Segen urbi et orbi!

Heute nun eine so ganz andere Weihnachtsgeschichte: Fast möchte man von ihr sagen: „Der Alltag hat uns wieder“, ganz nüchtern und theorielastig einerseits und doch in ihrer Begrifflichkeit sprudelnd wie Kaskaden, sprachlich hochkonzentriert und durch und durch bekenntnishaft! Ich lade Sie ein, sich mit mir auf diese so ganz andere Weihnachtsgeschichte nach dem Brief an die Hebräer einzulassen.

2.
Sie beginnt mit einem Gegensatz: Früher hat Gott vielfach zu den Altvorderen geredet, doch jetzt in den letzten Tagen – ganz aktuell also – redet er zu uns durch seinen Sohn. Hier ist etwas Umwerfendes passiert, denn eine Entwicklung ist – endlich – an ihr Ende gekommen. Ein langer Weg hat sein Ziel erreicht. Das Suchen ist im Finden aufgegangen, das Ahnen in der Gewissheit und das Tasten im Schauen. Gott hat auf dem Weg zu seinen Menschen den Meilenstein gesetzt, an dem sich alles Weitere orientieren und nach dem sich die Seinen richten werden. Dieses Ereignis hat Raum und Zeit eröffnet und umgriffen.

„Ein Sohn ist uns geboren“, und zwar d e r Sohn – Gottes großes und grundlegendes Ja zu uns Menschen. Das überbietet in der Tat alles das, was den Propheten versprochen war. Es gibt so viele verschiedene Jas – angefangen bei dem zaudernden „Ja – aber“ über das hinhaltende „Jaaa“ oder das gehorsame „Jawoll“ bis hin zu dem Grund legenden „Ja“. Ich denke da z. B. an den Amtseid, an ein tiefes Versprechen voreinander oder auch an das Ja, das sich zwei Menschen zueinander und füreinander sagen: Ja. Dieses Ja legt wirklich Grund, kann deshalb immer wieder neu Bezugspunkt der Erinnerung, der Ermutigung, der Selbstvergewisserung sein. Genau dieses Meilenstein-Ja Gottes uns Menschen gegenüber erfolgte damals in der Nacht draußen vor Bethlehem: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben“ (Jes 9,5) – Licht aus dem Dunkel, die Engelsbotschaft gegen tiefe Angst, die Erfüllung aller bisherigen Verheißung. Ja und abermals Ja – das elementare Wort von Weihnachten! Kurt Marti hat das große Ja Gottes unvergesslich zum Ausdruck gebracht: „Ich wurde nicht gefragt bei meiner Zeugung, und die mich zeugten, wurden auch nicht gefragt bei ihrer Zeugung. Niemand wurde gefragt außer dem einen, und der sagte Ja. Ich wurde nicht gefragt bei meiner Geburt, und die mich gebar, wurde auch nicht gefragt bei ihrer Geburt. Niemand wurde gefragt außer dem einen, und der sagte Ja.“

3.
Und – wie könnte es anders sein bei diesem letzten und großen Ja, bei dem Sohn und Erben? – dieser steht natürlich ein für die Verlässlichkeit, für die Beständigkeit, für die Verheißungen Gottes. Insofern ist die Mitteilung an die Hebräer nicht nur einleuchtend, sondern stimmig und konsequent, dass er ihn „eingesetzt hat zum Erben über alles“. Um das noch zu unterstreichen, um Zweifel überhaupt nicht erst aufkommen zu lassen, fügt der Briefschreiber hinzu, dass Gott durch ihn „auch die Welt gemacht hat“. Hier wird der ganz große Bogen geschlagen vom Uranfang an bis zum Ende aller Tage: Er und immer wieder er – wie am Anfang so auch jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit! In diesen Bildern werden wir förmlich erinnert an byzantinische Christusdarstellungen oder an die Ikonen der Orthodoxie: Wie er als Weltenherrscher, als Pantokrator in allem und über allem thront, die eine Hand zum Segen erhoben und in der anderen Hand die Heilige Schrift. Das Kind in der Krippe und dieser Weltenherrscher – unterschiedlicher kann man die Weihnachtserfahrung gar nicht ausdrücken, und doch gehört beides ganz eng zusammen, verweist das eine immer schon auf das andere und umgekehrt. Elementarer kann die Rolle überhaupt nicht geschildert werden, die Gott seinem Sohn zugedacht hat: Erfüllung und Heil, Garant und deshalb auch Erbe mit allen Rechten.

4.
Das aber hat Konsequenzen für die, die sich an ihn halten. Weil er nämlich als der Sohn und Erbe, als der Garant Gottes von letzter Wichtigkeit für Schöpfung und Welt, für Zukunft und Leben ist, deshalb gibt er mir den Rahmen und das Maß vor – für meinen Glauben, für meinen Alltag, für mein Selbstverständnis. Sicher, wir alle kennen genügend Einflüsterer im Großen und im Kleinen, kennen diejenigen nur zu gut, die in der Bibel an anderer Stelle „Mächte und Gewalten“ genannt werden. Wir kennen die, die sich als Engel ausgeben, und auch die, die lange schon gefallene Engel sind. Und weil deren Einflüsse und deren Rolle oft so groß sind, heißt es an die Hebräer ganz unmissverständlich: Der Sohn aber „ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name“. Deshalb muss sich für mich alles messen lassen an der Elle, die Jesus der Christus vorgegeben hat. Da können alle die Einflüsterer und erst recht die Einpeitscher Zeter und Mordio schreien; da können sie alle ihre Mittel einsetzen – gegenüber dem Erben Gottes sind sie durch die Bank hindurch nicht einmal zweite oder dritte Garnitur. Er als der Sohn und der Erbe ist der, der den Ton angibt. Das ist sicher fordernd, es ist aber unendlich mehr fördernd und sogar tröstlich. Wie heißt es so schön im alten Kirchenlied: „Hab ich das Haupt zum Freunde und bin geliebt bei Gott, was kann mir tun der Feinde und Widersacher Rott?“ (EG 351,1) Ein solches Selbst- und Lebensverständnis setzt Kraft frei und nicht weniger Mut und Vertrauen und Trost in guten wie in schweren Tagen, fürs Leben und auch dann, wenn es ans Sterben geht. Im Bibelwort für heute wird dieser Aspekt wieder auf ganz eigene Weise ausgedrückt: Er, der Erbe, „trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort“ – also die Sterne und die Atome, das Eichhörnchen und die Rose und deshalb auch uns und unser ganzes Leben. Deshalb können wir uns auch mitten in allen Turbulenzen, die dieses Leben mit sich bringt, auf das Wort Gottes verlassen. In unseren Tagen hat Jochen Klepper diese Glaubensüberzeugung, mit der er gelebt hat und mit der er sehr bewusst in den Tod gegangen ist, auf seine Art wiedergegeben:

„Ja, ich will euch tragen / bis zum Alter hin. / Und ihr sollt einst sagen / dass ich gnädig bin.
Stets will ich euch tragen / recht nach Retterart. / Wer sah mich versagen, / wo gebetet ward?
Lasst nun euer Fragen, / Hilfe ist genug. / Ja, ich will euch tragen, / wie ich immer trug.“
(EG 380, 1.4.7)

Amen.

Oberlandeskirchenrat Jürgen Jüngling
Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck
E-Mail: sonderseelsorge.lka@ekkw.de


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