Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 25. Dezember 2003
Predigt übe
r Titus 3, 4-7, verfaßt von Herwig Sturm
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

Weihnachten ist ein Wunder.

Wir machen uns Gedanken, was wir anderen schenken können. Wir investieren viel Geld und Zeit, um Familie und Freunde einzuladen und miteinander zu feiern. Wir haben Weihnachtskarten geschrieben und erhalten von Menschen, mit denen wir sonst übers Jahr kaum Kontakt haben. Die Geschenke sind heute schon ausgepackt, und sie sagen ihre Botschaft: Ich denke an Dich, ich möchte Dir eine Freude machen, ich bin dankbar, dass Du da bist.

Woher kommt dieses Weihnachtswunder? Unser Predigttext sagt es: Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe ist der Grund und Jesus Christus ist das Geschenk, das unser Leben verändert.

Nun wir wissen es alle: Tatsächlich verändern wir unser Leben zu Weihnachten, allerdings nur auf Zeit. Wir geben viel Geld aus. Wir wünschen uns Glück und Gottes Segen. Wir lassen es uns wirklich gut gehen; aber das kann man sich nur einmal im Jahr leisten, und auch um unserer Gesundheit willen ist es gut, dass diese Feiertage wieder vorbei gehen. Das ist das Problem unserer Weihnachten, dass es nicht brauchbar ist für das ganze Jahr; es dauert drei bis vier Tage, dann ist wieder Alltag. Das Geschenk Gottes will mehr, es will uns verändern, von Fesseln befreien, zur Gemeinschaft befähigen, zum Leben ermutigen.

Der Text gibt uns mehrere Hilfen, damit wir wirklich Weihnachten feiern und nicht nur üppige Tage verbringen. Hier werden einander gegenüber gestellt das Tun des Gesetzes und die Barmherzigkeit Gottes. Mit dem Tun des Gesetzes ist all das gemeint, was wir als Menschen ausdenken, organisieren und auch tun können. Nach bestem Wissen und Gewissen, mit Vernunft und Klarheit können wir Regeln zum Zusammenleben aufstellen; ich denke hier z.B. an den EU-Konvent und die EU-Verfassung. Nach bestem Wissen und Gewissen können wir die sozialen Verhältnisse regeln; ich denke hier an das Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, das am 1. Adventsonntag der Öffentlichkeit übergeben wurde. Das alles ist unter uns möglich und dafür sind wir dankbar. Es sind Regeln des Zusammenlebens, für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt, aber es verändert noch nicht den Menschen selbst.

Was den Menschen verändert, ist nie das, was er tut; denn dies ist ein endloses Geschäft und unterliegt den Gesetzen dieser Welt. Was den Menschen verändern kann ist ausschließlich ein Geschenk: Das Geschenk der Annahme ohne wenn und aber, die Zusage der Würde nach dem Bild Gottes, die Befreiung von den Gesetzen der Zeit durch die Dimension der Ewigkeit.
Unser Predigttext verwendet hier ganz große Worte und heilige Begriffe, um zu zeigen, dass es um eine neue Wirklichkeit geht. Der Text spricht hier von dem Bad der Wiedergeburt, gemeint ist die Taufe; und von der Erneuerung im Heiligen Geist, den Gott über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus und er spricht davon, dass wir Erben des ewigen Lebens sind nach unserer Hoffnung.

Damit sind wir aber bei einem weiteren Thema des Glaubens: Man sieht es den Menschen nicht an, aus welchem Grund heraus sie leben und handeln; aus den Werken des Gesetzes, oder aus dem Glauben. Im Titusbrief wird es zwar benannt als moralisch einwandfreies Leben im Unterschied zwischen einst und jetzt: „Wir waren früher unverständig, ungehorsam, gingen in die Irre, waren mancherlei Begierden und Gelüsten dienstbar und lebten in Bosheit und Neid“, so der alte Mensch, und der neue Mensch wird ebenfalls beschrieben: „Erinnere sie daran, dass sie der Gewalt der Obrigkeit untertan und gehorsam seien, zu allem guten Werk bereit, niemanden verleumden, nicht streiten, gütig sein, alle Sanftmut beweisen gegen alle Menschen“.

Aber das tun nicht nur wiedergeborene Christen; auch andere Menschen leben so: Humanisten, Atheisten, Gläubige anderer Religionen. Auch wenn wir die Themen wechseln; auch wenn wir ein Leben aus dem Glauben in unserem Kontext beschreiben, also etwa sagen: Versöhnung unter den Völkern und Frieden. Überwindung der Gewalt in Familie, in Beruf und auf der Straße. Wirtschaft im Dienst des Lebens und nicht neoliberale Ausbeutung ... usw., auch dann finden wir doch auf jeder Seite Christen und Nichtchristen.

Mit dieser Feststellung sind wir allerdings ganz genau bei Weihnachten.
Wir stehen an der Krippe, sehen ein Neugeborenes und seine Eltern und befinden uns in einem Stall, weil kein Platz mehr war in der Herberge. Gott wird Mensch, ein Mensch wie Du und ich. Nicht ein Marsmännchen, nicht ein Superman, nicht einmal ein Harry Potter. Und doch geht hier der Himmel auf, die Finsternis wird überwunden und die Engel singen vom Frieden auf Erden und von den Menschen, denen Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe gilt.

Das ist das große Geschenk, von dem leben; das ist der Grund, warum in unserer irdischen Zeit schon Gottes Herrlichkeit aufleuchtet und unser Leben trägt und stärkt. Weihnachten geht vorüber, das ist wahr und das werden wir auch nicht aufhalten. Doch das neue Leben wird bleiben, nämlich, dass die Eine und der Andere leuchten wie ein Licht in der Dunkelheit. Was bleiben wird ist, dass immer wieder Menschen sich hingeben wie die Kerze, die sich selber verbrennt. Was bleiben wird ist, dass Künstler, Wissenschaftler, Politiker oder auch einer von uns Geistesblitze haben aus dem Geist Jesu Christi, die die Welt verändern. Was bleiben wird ist, dass wir Barmherzigkeit üben aneinander, weil wir die Barmherzigkeit Gottes erfahren haben.

Das wirklich Neue, das mit Weihnachten in die Welt gekommen ist, bleibt verborgen, oder besser, es ist offenbart im Antlitz des Menschen. Wer das glaubt und erkennt, darf sich „Erbe des ewigen Lebens“ nennen. Von dieser Erbschaft lebt die Hoffnung; die Hoffnung jedes Einzelnen und die Hoffnung der ganzen Welt.

Amen.

Bischof Mag. Herwig Sturm
Wien
Evangelische Kirche A.B. in Österreich
Mail c/o a.philipp@okr-evang.at


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