Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

3. Sonntag im Advent, 14. Dezember 2003
Predigt übe
r 1. Korinther 4, 1-5, verfaßt von Joachim Goeze
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Exegetische und homiletische Vorentscheidungen

Text in der Übersetzung der "Guten Nachricht"

„Ihr seht also, wie man von uns denken muss. Wir sind Menschen, die Christus in seinen Dienst gestellt hat, um Gottes Geheimnisse zu verwalten. Von einem Verwalter verlangt man, dass er zuverlässig ist.

Ob ich das bin, könnt ihr nicht beurteilen. Das kann kein menschliches Gericht. Auch ich selbst masse mir kein Urteil darüber an. Zwar ist mein Gewissen rein, aber damit bin ich noch nicht freigesprochen. Mein Richter ist der Herr. Urteilt also nicht voreilig, bevor der Herr kommt, der das Verborgene ans Licht bringen und die geheimsten Gedanken enthüllen wird. Dann wird jeder von Gott das Lob erhalten, das er verdient.“

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

ich weiss nicht, ob Sie es gelesen haben, aber die öffentlichen Beifallsmesser auf dem letzten `christlichen´ Parteitag haben ergeben, dass Herr Stoiber gegenüber Frau Merkel benachteiligt worden ist. Sie hatte längeren Applaus als jener. Der Unterscheid liess sich sogar in Minuten messen! Und die klugen Kommentatoren dieser Nachricht folgern daraus weitreichende politische Konsequenzen. Auch auf anderen öffentlichen Veranstaltungen ist es jetzt üblich, Stärke und Dauer des Beifalls zu messen, als besonderer Höhepunkt gelten `standing ovations`.

Ja da lob ich mir doch so altertümliche Sprüche wie: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen.“ so Martin Luther vor Kaiser und Reich in Worms. Oder von Papst Johannes XXIII vor dem Konzil, der sich meldete mit den berühmten Worten:“ Hier stehe ich, ich kann auch anders!“ als mal wieder der Streit kein Ende nehmen wollte. Für beides hat es keinen Beifall gegeben.

Auch für einen andern Mann, der seiner Gemeinde einen Mahnbrief schrieb, hat es keinen Beifall gegeben. Es ist der Missionar und Kirchengründer Paulus, der sich wie andere verantworten muss, vor Menschen, denen das Urteil über seine Arbeit durchaus zusteht. Martin Luther hat es ausdrücklich als Recht der Kirchengemeinde bezeichnet, über „die Lehre der Prediger zu urtheilen.“

( 3,22b:) Alles gehört euch.(23) ihr aber gehört Christus, und Christus gehört Gott. 4,1: Ihr seht also, wie man von uns denken muss. Wir sind Menschen, die Christus in seinen Dienst gestellt hat, um Gottes Geheimnisse zu verwalten. Von einem Verwalter verlangt man, dass er zuverlässig ist. Ob ich das bin, könnt ihr nicht beurteilen. Das kann kein menschliches Gericht....(s.o.)

Wie also lautet die Rechtfertigung des Paulus? Ihr seid gar nicht zuständig. Gott ist zuständig, selbst ich bin nicht zuständig v.3. Mein Richter ist Gott.v.4. Und daraus zieht er die Folgerung:
Urteilt also nicht voreilig, bevor der Herr kommt.v.5 Ja, wer es so einfach hat, sich zu verteidigen, der hat gut lachen. Dann ist ja alles klar, nur auf Gott hören, alles durchziehn, was nötig ist, Gott wird`s schon richten.

Ja, wenn alles so einfach wäre, ich brauchte mich nur auf Gott zu beziehen und mein Handeln mit seinem Willen zu begründen, dann bin ich vor allem Urteilen und Richten sicher. In dieser vermeintlichen Sicherheit haben sich Päpste zu grösstem Unrecht hinreissen lassen, haben sich Fürsten `von Gottes Gnaden´ alle Gewalt im Himmel und auf Erden angemasst und sind Diktatoren an der Macht geblieben, die sich auf einen Eid ihrer Untertanen verliessen, den sie selbst längst gebrochen hatten.

Weil es eben nicht so einfach ist, mit dem Urteilen und dem dazu gehörigen Handeln, darum hat Jesus die Regel aufgestellt, „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ Darum ist die Liebe des Gesetzes Erfüllung, darum zählt auch das Motiv des Herzens für eine Tat und darum ist Vorsicht beim Urteilen geboten: “wenn der Herr kommt, wird er das Verborgene ans Licht bringen und die geheimsten Gedanken enthüllen. Dann wird jeder von Gott das Lob erhalten, das er verdient.“(v.5)

Unser Bibeltext bezieht sich daher auf den Advent Gottes, bringt eine Verteidigungssituation eines Apostels als ein Beispiel dafür, dass wir a l l e unablässig zum unterscheidenden Urteilen und Richten aufgefordert sind und andrerseits Gottes Urteil nicht vorgreifen sollen. Menschenurteil ist fehlerhaft, Gottes Urteil noch nicht vollendet, sein Lob noch nicht ausgesprochen.

Diese Existenz aller Christen zwischen dem 1.und 2.Advent Gottes, im Lichte seiner nicht nach Verdienst rechnenden Liebe und im Urteil endgültigen Lobes, sie wird uns an diesem Beispiel des Paulus deutlich.

Was es für eine Freiheit bedeutet, nicht nach Applaus schielen zu müssen! Was es für eine grossartige Unabhängigkeit ist, sagen zu können, ich habe das Meine getan, jetzt ist Gott an der Reihe, ob es gelingt und vollendet wird, ob aus den Bruchstücken meiner Mühe etwas wächst im Licht seiner lebensbejahenden Liebe ist nicht mehr meins. Nicht drei,zwei,eins – meins, sondern Gottes! Beten und das Tun des Gerechten ist Sache der Christen, sagt D.Bonhoeffer. Mehr können wir nicht tun. Und das Urteil steht Gott zu.

Haben wir nicht alle die Erfahrung gemacht, dass wir oft nur von aussen etwas beurteilen, was bei näherem Hinsehen, sich als ganz anderes erwies? Der Mensch sieht, was aussen ist, Gott aber sieht das Herz an. Auf dieses Wort beziehen sich unsere beiden Schlussverse. Die geheimen Motive mancher Wohltat erweisen sich nicht selten als ausgesprochen schäbig.Denken Sie nach, wie es war,das zu entdecken. Und manche Kritik an der Leistung öffentlicher Personen z.B. erweist sich als neidzerfressen und unsachlich.

Wie mag, so hat wiederum der nachdenkliche Bonhoeffer sich die Frage gestellt, wie mag Gott wohl mit unsern Fehlern fertigwerden, vielleicht leichter als mit unseren sogenannten Guttaten. Wie oft geschehen Massnahmen, die in guter Absicht gewollt sind, sich aber ganz anders auswirken? Das Tragische ist doch, dass alle Beteiligten oft das Beste und Uneigennützigste wollen. Aber erst ein Urteil, das in Gottes Kommen liegen wird, wird auch enthüllen, was gut und böse, was im Urteil der Menschen und im Urteil Gottes nicht übereinstimmt!

Aus diesem Dilemma für uns Christen, Kritik üben und entgegennehmen zu müssen, kommen wir nicht heraus. Das zeigt sich z.B. an der Diskussion, ob die Bibel als inhaltliches Einzelgesetzbuch gelten soll und damit massgebend für ein Urteil über die Bitte, eine Bindung gleichgeschlechtlicher Paare zu segnen. Das zeigt sich aber auch, wie wir einzelne immer auf geschehene Fehler festnageln und sie durch unser Vorurteil nicht rauslassen aus ihrer Schuld.

Wenn wir also uns am Advent Gottes beteiligen wollen, dann legt uns dieser Abschnitt aus einer Verteidigungsrede nahe, auf voreiliges Richten und vorschnelles, endgültiges Urteilen zu verzichten. Wie oft ist Wahrheit eine Frage des Datums?

Der israelische Schriftsteller Uri Avneri erzählte in einem Interview als er vor fünf Jahren mit dem Palästinerführer Arafat gesprochen habe, sei er mit dem Tode bedroht und ein eigenes Gesetz geschaffen worden, das den Umgang mit Palästinas Führungspersonen verbot....

Als Willi Brandt von Wandel durch Annäherung sprach,wurde er als Vaterlandsverräter gebrandmarkt, hat aber doch durch seinen Mut der Freiheit die Bahn gebrochen....

Wenn uns Gottes Advent etwas angeht, dann vielleicht darin, dass wir den Mut haben, etwas weniger zu verdammen und zu verurteilen,aber auch etwas weniger uns abhängig zu wissen vom Applaus anderer Menschen, weil wir Gott gehören. Sind wir auf ihn ausgerichtet, so sind wir frei – auf sein Kommen ausgerichtet, werden wir nur von ihm abhängig. In solcher Abhängigkeit sind wir dann frei als seine geliebten Kinder, die im kommenden Kind von Bethlehem den erkennen, der um uns wirbt und uns liebt, wie wir sind, ohne uns zu verurteilen. Vielleicht klingt es sozialromantisch, aber biblisch ist es ernstgemeint, es kommt auf jeden einzelnen an. Und wenn in uns der Kampf der Gesetze tobt, das Gewissen uns plagt, so sind wir beim Richten nicht selbst zuständig: denn wenn uns unser Herz verdammt: „Gott ist grösser als unser Herz.“Er wird dir geben, was dein Herz wünscht.

Anthony de Mello hat eine Meditation über diese Freiheit des Herzens aufgeschrieben, die ich Ihnen als Ermutigung, selbstständig im Urteil und in Gott zu sein, als Geschenk senden will; entnommen aus: Weihnachten mit Anthony de Mello Herder Verlag:

Gott sagt:“Gib mir Dein Herz!“ Und dann, als er meine Verlegenheit
sieht, höre ich seine Antwort: „Wo Dein Schatz ist, ist auch Dein Herz!“ Meine Schätze- das sind: Menschen – Orte – Tätigkeiten - Dinge – Erfahrungen von Früher – Zukunftshoffnungen und – träume... In dem Maß, wie mein Herz in diesen vergangenen Schätzen ist, bin ich versteinert und tot, denn Leben ist nur im Gegenwärtigen. So sage ich denn all diesen vergangenen Schätzen, diesen goldenen Gestern, lebt wohl!

Jedem Einzelnen erkläre ich, dass ich ihm zwar dankbar bin, dass er in mein Leben getreten ist, aber, dass er nun gehen müsse, weil mein Herz sonst nie lernen würde, die Gegenwart zu lieben...

Mein Herz ist auch in der Zukunft. Seine ängstliche Sorge um das, was morgen sein wird, lässt wenig Energie übrig, um ganz im Heute zu leben. Mein Herz ist in meinen Träumen, Wünschen,Hoffnungen, die mich in Zukunftsvorstellungen leben lassen.

Ich sage zu jedem einzelnen: „Lass Gottes Willen geschehen, lass ihn mit dir machen, was er für richtig hält.“ Nun überschaue ich meine augenblicklichen Schätze: Jedem geliebten Menschen sage ich voll Zärtlichkeit:“Du bist mir so kostbar, aber du bist nicht mein Leben. Ich muss ein Leben leben, einem Schicksal begegnen, das anders ist als du“...

Ich sage zu den Dingen, die scheinbar mein eigenstes Sein ausmachen: meine Gesundheit, meine Vorstellungen, mein guter Name, mein Ruf... ja, ich sage es sogar zu meinem Leben, das eines Tages dem Tod unterliegen muss: „Ihr seid begehrenswert und kostbar,aber ihr seid nicht mein Leben. Mein Leben und mein Geschick sind anderswo.“

Zuletzt stehe ich allein vor dem Herrn. Ich gebe ihm mein Herz. Ich sage:“Du, Herr, bist mein Leben. Du bist mein Geschick.“

Amen

Exegetische und homiletische Vorentscheidungen

Schon der kleine Abschnitt unseres Textes verrät, dass es sich um einen Teil einer längeren Verteidigungsrede des Paulus an seine Gemeinde in Korinth/Griechenland handelt. Es gab dort nicht nur Lehrdifferenzen, zum Beispiel über die Taufe, sondern sie wurden auch an einzelnen Personen, den in v.6 genannten Paulus und Apollos festgemacht (Kap.11,18). Auch gab es so etwas wie Personenkult, Kap.3, 21, und Petrus, Paulus und Apollos hatten ihre eigenen `Fans´. Paulus warnt als Gemeindegründer vor Spaltung und falscher Hochschätzung des Urteils auch der weisesten Menschen, das in Gottes Augen sinnlos sei.(3,21) Alles kommt auf die Beziehung zu Gott und auf dessen Urteil an, das wie das Kreuz zeigt, den Menschen Torheit und Ärgernis ist.(Kap.1) Wir gehören Gott, (3,23) also spricht auch er sein Urteil über alle Christen, wie auch über Paulus erst, wenn er kommt. v.5.

Homiletisch ist damit der Gerichtsgedanke die klare Verbindung zur Adventszeit. Dies ist nur dann nicht einleuchtend, wie manche Ausleger meinen, wenn der Ernst der Adventszeit im Trubel der Weihnachtsvorbereitung verloren gegangen ist. Freilich ist nun die Fokussierung auf : Paulus vor seinem Richter zugleich ein Engpass. Die Situation des Gemeindegründers, ja überhaupt das Verweilen in innergemeindlichen Stürmen im Wasserglas, also die Beschäftigung der Kirche mit sich selbst, könnte ablenken von der existentiellen Dimension dieser Rechtfertigung eines einzelnen vor seiner Gemeinde. Auch halte ich die Engführung auf das Verhältnis Pastor/Kirchengemeinde, wie Doerne (Altk.Episteln)vorschlägt, für zu kirchenbezogen, so wichtig die Gestalt der Kirche und ihre Kommunikation als Vorbild auch sein mögen.

Darum treffe ich die bewusste Entscheidung zur Adventszeit, die Verteidigungssituation des Paulus und seine Beziehung zu Gott als seinem Richter, der“ von Gott das Lob erhalten wird, das er verdient,“ (v.5) kollektiv als für alle Christen geltend zu deuten. Dann bedeutet Advent für uns alle, Gottes lobendem Urteil entgegenzugehen und damit Freiheit der Kinder Gottes zu erfahren. Darin ist dann jeder und jede Dienerin und Diener der Geheimnisse Gottes, die sich in seinem Kommen enthüllen werden.

Dr. Joachim Goeze, Wolfsburg
E-Mail: joachim.goeze@web.de


(zurück zum Seitenanfang)