Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

3. Sonntag im Advent, 14. Dezember 2003
Predigt übe
r Lukas 1, 67-80, verfaßt von Hanne Sander (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Ein großer Sprung ist das, seit wir das letzte Mal von dem priesterlichen Vater von Johannes dem Täufer gehört haben. Das war vor neun Monaten, und da war er stumm. Jetzt aber strömen die Worte nur so aus ihm.

Damals im März - als Zacharias hörte, daß der sehnlichste Wunsch seiner Frau Elisabeth, ein Kind zu bekommen, in Erfüllung gegangen war, wagte er nicht, daran zu glauben. So lange hatten sie geträumt und so oft gehofft, daß Elisabeth schwanger sei, und immer waren sie enttäuscht worden. Das hatte Zacharias skeptisch gemacht und er hörte auf zu hoffen - und deshalb erstarrt Zacharias völlig, als es schließlich doch Wirklichkeit wird.

Nun kann man ja sagen, daß er ja auch darüber neun Monate lang gebrütet hat - und nun bei der Geburt des Jungen zerbricht sein Schweigen.

Er selbst wird befreit und kommt aus seiner Eingeschlossenheit, in die ihn sein Mißmut und seine Freudlosigkeit gebracht hat. Er fühlt wirklich, daß sein fehlender Glaube ihm vergeben ist, und er hat sich selbst mit seinem Dasein versöhnt.

Und in prophetischer Weise überträgt Zacharias seine persönliche Erfahrung auf das ganze Volk. Die Befreiung, die er selbst erlebt hat, sollen die Völker der Erde erleben. An der Freude, die ihn nun erfüllt, sollen alle Menschen teilhaben. Es gibt Vergebung in der Welt, so daß ein Mensch nicht mehr in altem Mißmut und alter Verschlossenheit hängenbleiben muß, und das soll alle Welt wissen.

So wie er gemerkt hat, daß in ihm etwas Neues unterwegs ist, ist auch etwas Neues in der Welt im Kommen: "Der Aufgang aus der Höhe wird uns besuchen, auf daß er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes". Und Zacharias sieht, wie sein Junge an dieser neuen Bewegung teilhat; er soll mit dazu beitragen und dazu helfen, daß Gott und das Reich Gottes in der Welt mehr wirklich werden: Das Licht soll sich ausbreiten, mehr Menschen sollen den Weg des Friedens gehen.

"Und das Kindlein wuchs und ward stark im Geist. Und er war in der Wüste, bis daß er sollte hervortreten vor das Volk Israel". Von Zacharias aber hören wir nichts mehr. Man muß fast hoffen, daß er die Entwicklung und das Schicksal seines Sohnes nicht mehr erlebt hat.

Denn Johannes wurde ein Extremist, der der Welt nur Verachtung entgegenbringen konnte. Mir ist es immer so vorgekommen, daß Johannes in seinem Sinnen und Denken durch die Wüste geprägt und bestimmt war. Sein Denken ist hart und steril. Als könne er nur die Finsternis und den Tod und die Schatten in der Welt sehen. Die Welt ist in der Sicht des Johannes faul, und deshalb ist es nur gut, daß sie zugrunde geht, damit eine neue und bessere Welt kommen kann.

Zacharias hatte an seinem eigenen Leibe erlebt, wie das ist, keine Erwartungen an das Dasein zu haben, und was für eine Befreiung das ist, wieder hoffen und glauben zu können. Deshalb kann sich Zacharias für das Dasein öffnen. Er ist mit seiner eigenen Unvollkommenheit versöhnt und kann deshalb mit der Unvollkommenheit anderer leben - sein Sohn aber wurde zu einem Fanatiker.

Vor zwei Jahren sah ich auf einem Lehrgang über den Islam einen englischen Film, der in seiner Weise die Geschichte von Johannes und Zacharias nachdichtet. Der Film heißt: "My son, the fanatic", "Mein Sohn, der Fanatiker". In dem Film begegnen wir einem gutwilligen Muslim, der versucht, das Dasein für seine Frau und seine Kinder so gut wie möglich zu machen, auch für die Menschen, denen er begegnet. Er ist Taxifahrer und lernt die englische Gesellschaft sozusagen von ihrer Vorderseite und ihrer Kehrseite kennen, aber er ist imstande, den einzelnen Menschen hinter religiösen und sozialen Fassaden zu erkennen. Er ist nicht blind für seine eigenen Fehler und hat deshalb Verständnis für andere.

Er engagiert sich für seinen Sohn, daß der eine gute Ausbildung erhält und am liebsten auch ein englisches Mädchen bekommt. Selbst geht er treu zum Freitagsgebet, paßt aber sonst seine muslimischen Regeln der englischen Gesellschaft an. Der Sohn aber distanziert sich von dieser Gesellschaft, die er für verdorben und gottlos hält - und wird zu einem Fanatiker, der versucht, sowohl sein Familienleben als auch die Gesellschaft in feste Formen zu pressen. Er verdammt den Vater und dessen versöhnliche Haltung.

Der Vater bewahrt in dem Film seine Menschlichkeit, aus meiner Sicht ähnelt er Zacharias - so wie der fanatische Sohn Johannes dem Täufer ähnelt.

Die Stärke des Johannes liegt daran, daß er den Mut hat, konkrete Unmoral, Doppelmoral und Gottlosigkeit im Allgemei­nen zu kritisieren.

Seine Schwäche ist, daß er nicht vergeben kann und daß er meint, man müsse die Fäulnis radikal ausrotten, ehe etwas Neues werden kann.

Er verwies auf den Weg des Friedens, er ging ihn aber selbst nicht. Er verwies auf das Licht, blieb aber selbst im Dunkel. Er predigte die Barmherzigkeit Gottes, konnte aber selber nicht barmherzig sein.

Nun ist das nicht ganz richtig, was ich sage. Denn Johannes kamen selbst Zweifel - über sein Projekt, ob er Recht hatte.

Wenn er länger gelebt hätte, wären seine Predigten vielleicht weniger verurteilend gewesen. Vielleicht hätte er sehen können, daß das entscheidend Neue, für das er gerne den Weg bereiten wollte, eben eine Vergebung enthält, daß man sich aus dem Dunkel herauswagt - hinein in das Licht, in dem unsere Schwächen zwar an den Tag kommen, wo wir aber deshalb nicht verworfen werden.

Denn das Licht, das auf uns leuchtet, ist ein gnädiges Licht.

In diesem Licht ist Segen, so daß wir darin leben können. In diesem Licht ist Gnade, und deshalb können wir die sein, die wir sind - in diesem Licht.

In diesem Licht ist Friede, daß wir glauben und hoffen können, daß die Finsternis zwar nicht abgeschafft und verschwunden ist, aber das Licht dennoch stärker ist. Amen.

Pfarrerin Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk



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