Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

2. Sonntag im Advent, 7. Dezember 2003
Predigt übe
r Jakobus 5, 7-8, verfaßt von Gerhard Weber
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


7    So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn.
    Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde
und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.
8    Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen;
    denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Liebe Gemeinde,

in den Wochen vor Weihnachten wird in unseren Häusern wieder viel gebacken. Unsere Kinder können die Zeit kaum abwarten. Und wenn es darum geht ein leckeres Lebkuchenhaus herzustellen, erfordert es eine fast unendliche Geduld von unsern Kindern. Die einzelnen Zutaten müssen genau nach Rezept in einer ganz bestimmten Reihenfolge verrührt werden. Die Formen vorbereitet, der Backofen auf eine ganz bestimmte Temperatur vorgeheizt; dann kann das Ganze gelingen.
Und wie sie dann ungeduldig vor dem Backofen stehen, wann ist der Kuchen fertig, wie oft wird schnell mal die Ofentür aufgemacht und versucht zu probieren, ob der Kuchen nicht schon fertig ist. “Nein! Ihr müsst noch warten. Macht schon mal den Zuckerguß”. Und wenn die einzelnen Teile aus dem Ofen kommen, muss immer noch gewartet werden bis der Kuchen abgekühlt ist.
Geduldig und mit Vorsicht müssen die Teile des Kuchenhauses zusammengesetzt, mit Zuckerguß verklebt und bunt verziert werden. Wirklich eine Geduldsarbeit. Aber die Kinder machen es mit. Sie haben ein Ziel vor Augen, ein wunderschönes, leckeres Lebkuchenhaus. Nun steht es bei uns in der Küche. Jedes mal, wenn ich dieses originelle Lebkuchenhäuschen sehe, ist es an einer anderen Stelle angeknabbert. An Weihnachten werden wir Eltern wohl nur noch die weniger süßen Grundmauerreste essen können.

Geduld ist schwer zu lernen und es scheint als wenn es immer schwerer wird.
Und warum sollte ich überhaupt geduldig sein? Lebkuchen und Glühwein im Sommer, warum denn eigentlich nicht? Wenn ich den Sommer im Winter will, dann gehe ich halt ins Sonnenstudio oder zu Weihnachten in die Karibik.

Vielleicht sind wir dabei zu vergessen, dass es gut und sinnvoll ist, dass alles seine bestimmte Zeit hat.

Auf der anderen Seite kann ich nur dann geduldig sein, wenn ich wirklich etwas für mich Hilfreiches und Wertvolles zu erwarten habe. Ich bringe dann den langen Atem auf, wenn ich weiß, etwas Wertvolles liegt verborgen in der Zukunft, jetzt noch nicht sichtbar und aber ich geduldig, aber auch beharrlich diesem Ziel entgegen gehe.

Ohne ein inneres Bild vor Augen, ohne ein klar erkennbares Ziel, kann ich nicht geduldig sein.

Ich denke wir werden immer wieder von der Fülle der Angebote erschlagen. Ich befürchte, weder ein “Göttliches Göttingen” noch ein himmlisches Kaufvergnügen werden unsere Sehnsucht nach Glück erfüllen können. Die Enttäuschungen kommen doch schneller als wir denken.

Aber wo können wir diese tieferen Erfahrungen des Glück oder der Zufriedenheit finden?

Diese Woche bin ich einem jungen Mann auf dem Friedhof begegnet. Er hat seine Mutter besucht. Sie ist vor einigen Wochen gestorben. Sie war längere Zeit schwer krank und er hat sie mit großer Geduld gepflegt. Er hat sein Studium unterbrochen und hat immer sehr genau gespürt, was seine Mutter brauchte. Auch wenn ganz klar war, dass sie sterben würde, hat er ihr immer wieder Mut gemacht und sie konnte wieder neu innere und äußere Kräfte sammeln. Ich habe gespürt, dass diese Geduld großen Lebensmut ausgestrahlt hat mit dem Sterben und dem Tod getröstet umzugehen.

Ich glaube, wir müssen immer wieder neu lernen, im richtigen Augenblick, das Wesentliche von dem Unwesentlichen zu unterscheiden, anstatt uns orientierungslos treiben und hetzen zu lassen.
Wie oft haben wir den Eindruck, etwas zu versäumen, wenn wir nicht in jeder Beziehung auf dem allerneusten Stand sind? Aber wenn wir dabei nur einen Augenblick innehalten und unsere Lage bedenken, spüren wir sofort, dass uns diese Wogen des Immer-Neuen überrollen und ins Abseits schleudern werden, weil wir alle dem Lauf der Zeit und damit der Vergänglichkeit unterworfen sind.

Aber beim Stichwort “Geduld” werden wir immer wieder bei unseren eigenen Schwächen gepackt. Wie schwer fällt es uns, Geduld mit unseren Mitmenschen zu haben. Wie schnell urteilen wir über andere Menschen ohne sie selbst zu hören, wie leichtfertig reden wir oft und gerne über andere anstatt mit ihnen zu reden, auch wenn es vielleicht unbequem und lästig ist. Wir suchen doch immer eher den scheinbar bequemeren Weg.

“ Geduld” schenkt dem anderen die Freiheit, sich auf seine Weise zu entwickeln, auch einmal Fehler machen zu dürfen und daraus gegenseitig zu lernen, daran sogar zu wachsen und stark zu werden. Aber nicht nach dem Motto: “Ich bin sowieso der Beste und immer besser als alle anderen”, sondern ich nehme mich selbst zurück und schenke dem anderen und damit natürlich auch mir neue  Entwicklungsmöglichkeiten.

So wie ein Bauer auf die kostbare Frucht seiner Ernte aus ist, können auch wir auf unsere Hoffnung hin leben. Durch Jesus Christus hat Gott uns seine Begleitung versprochen. Er will den oft schweren Weg durch unseren Alltag mitgehen. Er will geduldig am Haus unseres Lebens bauen. Er gibt uns die Zusage seiner Nähe.

Wir werden seine Nähe spüren, wenn wir bereit sind, uns immer wieder neu auf ihn einzulassen. Die Ungeduld der Kinder an Weihnachten hat natürlich auch etwas Faszinierendes: Sie erwarten etwas Großes. Sie verbinden große Hoffnungen damit.

Uns Erwachsenen ist diese Hoffnung wohl etwas verloren gegangen. Die Zeit, in der die Tage immer noch dunkler und kälter werden, ist ein Bild für die Grundlebenssituation von uns Menschen: Wir leben in der Ungeborgenheit und der Kälte.
Aber in der Adventszeit spüren wir die Sehnsucht nach Geborgenheit besonders. Vertraute Symbole, Riten und Kerzen öffnen unsere Herzen. Gott kommt in die Nacht. Er wird arm, klein und unscheinbar und macht sich so sehr auf den Weg zu uns, das er ein Teil von uns wird. Er teilt mit uns, um unser Leben von innen her aufzubrechen und es zu öffnen für Gottes Licht.

Auf diesem Weg bewahre der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.


Gerhard Weber
Pastor in St. Martin Geismar
Charlottenburger Straße 10
37085 Göttingen
email: gerhard.weber.goe@t-online.de




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