Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

2. Sonntag im Advent, 7. Dezember 2003
Predigt übe
r Jakobus 5, 7-8, verfaßt von Reinhard Schmidt-Rost
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis auf die Zukunft des Herrn. Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid ihr auch geduldig und stärkt eure Herzen; denn die Zukunft des Herrn ist nahe."

Liebe Gemeinde,

Sollen wir weiter auf die Wiederkunft des Christus warten?

Dazu gibt es bei denen, die sich mit dieser Frage ernsthaft auseinandersetzen, mindestens drei verschiedene Auffassungen:

•  Vergebliche Mühe, sagen die einen, er kommt nicht wieder; sie fassen die Aussage rein zeitlich auf und wollen nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag warten. Sie sind zwar enttäuscht, aber sie finden die Worte der Bibel immerhin so einleuchtend, daß sie versuchen, sich in ihrem Leben daran zu halten, so wie sie es z. B. aus den Geboten verstehen, die Mose gebracht und Jesus Christus erläutert hat.

•  Er ist doch schon da, er kommt täglich zu den Menschen, sagen andere; Christus hat doch selbst gesagt, daß er in einem jeden der geringsten Brüder zu erkennen sei, sie warten nicht auf einen fernen oder nahen Zeitpunkt seiner Wiederkunft; manche, die so reden, warten dann aber auch lieber gar nicht mehr. Sie reden nicht enttäuscht vom Sankt Nimmerleinstag, sondern von den Aufgaben, die vor ihnen liegen, weil sie in bedürftigen Mitmenschen Christus erkennen.

•  Die dritten sagen: Wir warten gerne, wir leben aus der Vorfreude, vielleicht erleben w i r es ja noch. Vorfreude ist für uns die schönste Freude und einstweilen haben wir mit den Vorbereitungen noch genug zu tun.

Dies sind drei ernsthafte Möglichkeiten, sich mit der alten Verheißung, Christus werde wiederkommen, auseinander zusetzen; man kann sie nebeneinander gelten lassen, braucht sie nicht gegeneinander auszuspielen, denn sie beeinflussen das Leben der Menschen, die ihnen anhängen, positiv.

In meinem Leben ist mir die zweite Auffassung am wichtigsten, aber auch die dritte beeinflusst mich gelegentlich: Dass ich in einem anderen Menschen Christus erkennen soll, ist für mich und für viele Menschen eine starke Herausforderung. Sollen wir den Bedürftigen auf der Straße etwas geben von unserem mehr oder weniger reichlichen Geld? Begegnet uns Christus in der pflegebedürftigen Nachbarin, und wie sollen wir mit ihr umgehen, wenn uns selbst die Kräfte kaum reichen.

Die Behauptung der Christen, dass uns Christus in jedem bedürftigen Menschen begegnet, ist ein echtes Kontrastprogramm, sie durchbricht die üblichen Ordnungen von Gemeinschaften und Völkern, ist ein Schritt auf dem Weg in die Globalisierung.

Die Nähe Christi in meinem Nächsten gibt jedem Augenblick in meinem Leben Gewicht: Nicht erst nach dem Tod oder nach der Auferstehung, nicht erst jenseits unserer Lebenszeit ist Gott uns nahe; nein, schon hier auf der Erde begegnet er uns in jedem Bedürftigen, der unsere Hilfe braucht.

Es ist ein immens hohes Maß an Verantwortung, das dieser Satz fordert: Kein Mensch soll aus der Fürsorge seiner Mitmenschen herausfallen.

Andererseits soll aber auch kein Mensch ohne Not seine Mitmenschen belasten, und so bleibt es die alltägliche Aufgabe zu schauen, wer wirklich unsere Sorge braucht.

Der Gedanke, dass Christus eines Tages wieder kommen könnte, liegt dem allgemeinen Bewußtsein im übrigen viel näher als der Gedanke an seine Gegenwart in den Bedürftigen. Denn letztlich stellen sich alle bewußt lebenden Menschen immer wieder die Frage: Was machen wir aus unserem Leben, sei es bis zu unserem Lebensende, sei es bis zur Wiederkehr Christi. Wie kann ich mein Leben sinnvoll einrichten?

Von solchem bewußten Gestalten einer Zwischenzeit, vom geduldigen Warten, nicht vom hektischen Warten, berichtet der Predigttext:

„Siehe ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid ihr auch geduldig und stärket eure Herzen.“

Liebe Gemeinde,

Deutschland ist kein Agrarstaat mehr, aber das Bild vom Ackermann versteht immer noch jeder.

Man weiß, daß ein Bauer nicht untätig wartet, er sitzt nicht faul herum, wartet nicht ab, bis ihm gebratene Tauben in den Mund fliegen; Ackerland ist kein Schlaraffenland. Erfahrene Landwirte haben aber ein klares Gefühl dafür, wann sie etwas wachsen lassen müssen und wann sie zugreifen können und müssen, wann bewässert werden muß, wann Unkraut entfernt oder die Pflanzen auseinandergesetzt werden müssen, ganz zu schweigen von der intensiven Vorbereitung, die der Wachstumsphase voraus geht, ohne Bodenbearbeitung kein Ertrag. Aber Geduld ist dann schon auch notwendig, nur ist das keine Schafsgeduld, wie ein Schaf bei der Schur geduldig ist, sondern eher eine Engelsgeduld, die den Segen des Himmels abwarten kann, der das Wachstum anregt, - und nicht selten brauchen Bauern wirklich eine Engelsgeduld, wenn der Mairegen ausbleibt oder die Schafskälte im Juni das Wachstum hemmt.

Wie Bauern tätig und aufmerksam auf den Segen der Ernte warten, so sollen es alle Menschen in ihrem ganzen Leben machen, empfiehlt Jakobus. Ausschau halten nach den Früchten des Lebens, nach den Spuren des Segens im Leben, in unserem Leben.

Bauern wissen, worauf sie warten, denn sie haben das Korn ja gesät, oder die Erdbeerpflanzen gesetzt oder die Reben oder die Apfelbäume. Aber sie sind natürlich gespannt, was bei Ihrer Saat herauskommt, wieviel und wie gut, welche Güteklasse, wieviel Öchsle. Landwirtschaftliche Laien sehen wenig mehr als die Menge und Größe, viel oder wenig, klein oder groß, ein Fachmann sieht die Qualität.

Wissen wir, worauf wir warten? Welche Spuren wachsenden Lebens wir suchen? Sind wir Fachleute eines guten, humanen Lebens?

Ein ist ja ein schlichtes Bild, das Bild vom Ackermann, aber es ist zugleich ausdrucksstark: Es ist etwas gesät, die Saat ist schon ausgebracht. Und für uns sagt dieses Bild: Christus hat das Wort Gottes in die Herzen der Menschen gesät und die Saat wird wachsen und ist gewachsen; die Liebe Gottes ist ausgegossen in die Herzen der Menschen (Röm. 5,5). Das ist geschehen, dieses Ereignis steht am Anfang der Kirche, ohne dieses Grundgeschehen hätte die Kirche gar nicht wachsen können.

Nun ist die Liebe Gottes ein Saatgut von besonderer Empfindlichkeit. Die Pflanzung braucht intensive Pflege, damit sie nicht lange vor der Reife an der Kälte der Menschenherzen, in denen sie wachsen soll, eingeht. Die Pflanzung braucht auch viel Bewässerung durch den Geist. Es liegt zwar weiterhin nicht an den Menschen, ob Gottes Liebe wächst, aber wir können einiges beitragen, die Pflanzung der Liebe Gottes zu kultivieren.

Das Warten auf das Reich Gottes oder auf die Wiederkehr Christi hat wenig zu tun mit dem Warten auf einen unpünktlichen Zug, wo wir wohl wissen, was wir erwarten und unzufrieden auf dem Bahnsteig frieren, weil der Zug nicht kommt, das Warten auf die Begegnung mit Christus hat auch wenig zu tun mit der hektischen Vorbereitung auf einen lange erwarteten Besuch, wo wir Ordnung im eigenen Haus machen, wie wir es für uns selbst nicht tun würden, um in den Augen des Gastes gut dazustehen.

Das Warten auf das Reich Gottes ist wie das tätige Warten des Bauern, der vorbereitend wartet und beim Warten weiter vorbereitet, der das Wachstum wachsam beobachtet. Zu solchem Warten gehört es auch, sich darauf einzustellen, dass Christus uns in jedem Bedürftigen begegnen kann. Denn in solchen Begegnungen kann die Liebe Gottes zur Wirkung kommen, die unter den Menschen durch Christus gesät ist.

Die Liebe Gottes reift immer wieder unter den Menschen, von Generation zu Generation gewinnt sie Gestalt, eben in der Zuwendung zu den Bedürftigen und überhaupt in jeder freundlichen Verantwortung von Menschen füreinander.

Dazu gebe uns Gott Kraft und seinen Segen.

Amen.

Prof. Dr- Reinhard Schmidt-Rost, Bonn
e-mail: R.Schmidt-Rost@web.de


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