Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

1. Sonntag im Advent, 30. November 2003
Predigt übe
r Römer 13, 8-12, verfaßt von Joachim Goeze
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Exegetische und homiletische Entscheidungen

(Text nach der "Guten Nachricht" Leben im Licht)

8) Bleibt keinem etwas schuldig – ausser der Schuld, die ihr nie abtragen könnt: der Liebe, die ihr einander erweisen sollt. Wer den andern liebt, hat den Willen Gottes erfüllt.

9) Die Gebote “Zerstöre keine Ehe, morde nicht, beraube niemand, blicke nicht begehrlich auf das, was einem andern gehört“ - diese Gebote und alle anderen sind in dem einen Satz zusammengefasst: “Liebe Deinen Mitmenschen wie dich selbst“.

10) Wer seinen Mitmenschen liebt, fügt ihm kein Unrecht zu. Den andern lieben bedeutet also: das ganze Gesetz Gottes erfüllen.

11) Macht ernst damit! Ihr wisst doch, was die Stunde geschlagen hat. Es ist Zeit für euch, aus dem Schlaf aufzuwachen! Denn der Zeitpunkt ist jetzt näher als damals, als wir zum Glauben kamen.

12) Die Nacht geht zu Ende, bald ist es Tag. Deshalb wollen wir nicht Dinge tun, die in die Dunkelheit gehören, sondern mit den Waffen des Lichts kämpfen.13a) Wir wollen so leben, wie es zum hellen Tag passt.“

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

heute am ersten Advent atmen viele auf, weil die dunkle Zeit der Trauer und der Erinnerung an den Tod und die wir verloren haben, für dieses Jahr vorüber ist. Im Dezember ist Sonne im Hintergrund, mit Weihnachten warten wir auf etwas Fröhliches und die Vorbereitungen auf das Fest fördern die Gemeinschaft. Das erste Adventslicht brennt, weil auch das Schwere, Dunkle, Traurige eines Novembers erhellt wird durch die Ankunft Gottes auch in unserm Dunkel und in unserer Traurigkeit, in unserm Leben. Auch dessen finstere und dunkle Momente sind in Gottes Händen aufgehoben und Advent will uns lehren, auf das Helle und das Licht in unserm Leben zu achten. Die Rede von der Ankunft Gottes, will uns daran erinnern, kein Dunkel ist so tief, dass es nicht durch Gottes Licht hell werden kann, keine Last und Schuld so gross, dass sie nicht durch Gottes Liebe aufgehoben und verwandelt werden kann. Gottes Tag endet jede dunkle Nacht. Und gerade, wenn wir uns verlassen und im einsamsten Dunkel fern von einem liebenden Vater im Himmel glauben, dann ruft uns ein Wort aus dem Buch der Erfahrung mit Gott, erleuchtet uns jedes Adventslicht hier in der Kirche, erinnert uns jeder Mitmensch mit seinem und ihrem Wunsch nach Anerkennung und Liebe: Du bist nicht verlassen, alle Herren dieser Welt gehen, aber Dein Herr kommt. Auch Deine Nacht geht zu Ende, auch Deine Lieblosigkeit kann verwandelt werden, weil Gottes Tag kommt und sie hell macht. So hört, wie der Apostel Paulus von Gottes Kommen und unseren menschlichen Möglichkeiten spricht - im Angesicht der Erfahrung, dass, auch wenn uns alle allein gelassen haben, wir Gott nicht gleichgültig sind. Er braucht uns und er begabt uns zugleich zur Liebe: Text „Bleibt keinem etwas schuldig- ausser der Schuld, die ihr nie abtragen könnt, der Liebe, die ihr einander erweisen sollt.“ Mit diesem einleitenden Wort sagt der Apostel etwas Grundsätzliches über uns, das uns auch wohl bedrücken kann, und das ebenso zu den Dunkelheiten unseres Lebens gehören kann, wie Schuld und echte Gesetzesverletzungen und Beschädigungen anderer Menschen.

Wir sollen etwas tun, was aber zugleich als etwas Unmögliches genannt wird: Liebe üben, obwohl das Arbeiten ohne Ende und in vielen Fällen sogar ohne Dank und Echo bedeutet. Hier wird so etwas wie eine Beziehungshaltung zum Ausdruck gebracht und gefordert: bleib keinem etwas schuldig. Ja das kennen wir, und das wollen wir ja auch nicht. Wir wollen mit sauberen Konten abrechnen und nicht im Minus und bei den Schuldnern stehen. Wie sehr wir darin verhaftet sind, zeigt schon unsere Sprache: wenn etwas Gutes geschehen ist und jemand etwas geschenkt bekommen hat, dann hört man doch “Ja, wie kann ich denn das wieder gut machen?“ und oft hilft dann erst die Frage:“ ja, ist denn etwas Schlimmes geschehen?“ einzusehen, dass wir mal wieder auf das ewige Rechnen reingefallen sind. Wer den andern liebt, hat den Willen Gottes erfüllt. Die Haltung ist´s und nicht die Berücksichtigung von Einzelregeln. Die Achtsamkeit für meinen Mitmenschen macht aus der Befolgung von Regeln, das, was wir einander wirklich schulden:Liebe.

Genau diesen Gedanken fasst der Apostel in die Worte: die Gebote, die Einzelgesetze sind in einem zusammengefasst: Liebe Deinen Mitmenschen wie dich selbst.v9. Und diese berühmte Zusammenfassung der Worte Jesu durch den Apostel auch hier in seinem Empfehlungsbrief an die Hauptstadtgemeinde in Rom, sie nennt damit einen Massstab der Sorge um meinen Mitmenschen: so wie ich für mich sorge und aufpasse, so auch für meinen Mitmenschen. Und das, das nicht zu tun, ist die Schuld, die ich meinem Mitmenschen und dem Kind Gottes, das mir begegnet, schuldig bin. Und übrigens gilt das natürlich auch, wenn ich mich selbst vernachlässige, ich bin auch mir als Geschöpf Gottes schuldig, dass ich auf mich aufpasse und achte – schon damit eine mögliche Rettungsinsel für andere nicht untergeht. Achtung, Sorge und Achtsamkeit bin ich also allen Kindern Gottes schuldig.

Was dabei passieren kann, wie es dazu kommt, dass wir uns in diesem Sinne als Schuldner fühlen müssen, hat Dietrich Bonhoeffer einmal mit einem Beispiel erklärt.(WuE). Stell Dir vor, ein Mensch klopft an deine Tür, er wird verfolgt, zu Unrecht, wie er Dir glaubhaft versichert. Du machst auf, denn Du willst ja Liebe üben. Nach einer Stunde klopft die Gestapo an deiner Tür: hat sich der xx hier versteckt? Was, meinst du, hat jetzt jener Mensch für eine Wahl? Er will doch das Gesetz und die Gebote halten! Darf er lügen? Wenn nein, wird er für den Tod des Flüchtlings verantwortlich. Wir sind schuldig, weil wir leben, sagt Bonhoeffer. Und jetzt, liebe Schwestern und Brüder in Christus, wird klar, warum gerade diese Geschichte zu unserm Predigttext passt, weil sie noch einmal zuspitzt: „wer seinen Mitmenschen liebt, fügt ihm kein Unrecht zu.“ v.10. In diesem Fall wird einer schuldig, weil er verantwortlich Liebe übt und die Entscheidungssituation untersucht, bevor er sich damit abfindet. entweder das Gebot: Du sollst nicht lügen oder Du sollst nicht töten verletzt zu haben. Wir sind schuldig, zu lieben.

Nun verstehen wir auch durch diese konkrete Entscheidungssituation aufmerksam gemacht, warum Paulus daran erinnert: v.11“so ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung“ wie Luther übersetzt. Jetzt wird auch durch die Konkretheit dieses Beispiels klar, warum zur Wachsamkeit und zur Achtsamkeit aufgerufen wird. v.12:wer Liebe üben will, muss ausgeschlafen sein und aufmerksam, muss wissen, was die Stunde geschlagen hat und dann entscheiden. Hier liegt dann auch die Freiheit eines Christenmenschen, der womöglich falsch entscheidet, dann aber seinem Gott sagen muss, im Lichte meiner Urteilskraft hat das so und so ausgesehen, habe ich so und so entscheiden zu müssen geglaubt.

Darum sehen wir nun auch, dass Liebe üben auch Kämpfen bedeutet: nicht dem Dunkel, auch der eigenen Bequemlichkeit nachgeben, sondern kämpfen und die Waffen des Lichts anziehen.

Ein Christ, der es ernst meint mit der Liebe zu seinen Mitmenschen, ist eigentlich immer in Schwierigkeiten. Darum kann die Empfehlung nur sein: Nichts tun, was das Licht des hellen Tages scheuen muss: wir wollen leben, wie es zum hellen Tag passt.v13a. Nichts muss im Dunkel bleiben, selbst wenn es Schuld ist, die beschwert, selbst wenn wir bestens Wissens und Gewissens etwas getan haben, was dann in den Augen der Mitmenschen uns schuldig macht. Wir wissen ja, was die Stunde geschlagen hat, aufzustehen vom Schlaf, aufzuwachen, weil unsere Rettung aus aller Verstrickung und Schuld und die Befreiung von aller Last uns näher ist, als wir zum Glauben kamen, v.11. Es gibt daher, das finde ich doch auch für meine eigenen Versuche, Christ zu sein, eine grosse Entlastung, es gibt ein Wachstum auf dem Weg des Glaubens. Haben wir uns auf den Weg der Liebe zu Gott aufgemacht, so gewinnen wir Freiheit gegenüber uns selbst und unseren Mitmenschen, wirklich zu leben, auf die Stunde des Handelns zu achten und dann mutig zu tun, was wir Gott, der uns gewollt und unser Leben bestimmt hat, und unsern Mitmenschen schuldig sind.

Erich Fried: Es ist, was es ist

Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist, sagt die Liebe

Es ist Glück, sagt die Berechnung,
es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst,
es ist aussichtslos, sagt die Einsicht.

Es ist, was es ist, sagt die Liebe.

Es ist lächerlich, sagt der Stolz,
es ist Leichtsinn, sagt die Vorsicht,
es ist unmöglich, sagt die Erfahrung.

Es ist, was es ist, sagt die Liebe.

So meine ich, kann Advent werden, so begreifen wir den oft unbegreiflichen Zusammenhang von Schuld und Liebe, erfassen, dass, wenn ich meinen Mitmenschen in Liebe begegne und es in meinem Herzen Advent werden lasse, ich zugleich ein Stück zu mir selbst komme, dass ich achtsam auf jeden Augenblick werde, der mir zur Rettung zum Heil der Gottesnähe und zum Ort der Menschenliebe werden kann.

Die Bilder vom hellen Tag Gottes, von seinem Licht und von seiner Ankunft in unsere dunkle Lebenswirklichkeit bringen uns Gott näher, nicht in diesem drohenden NovemberSinn unseres sicheren Todes, sondern in jenem entlastenden, das von seiner erhellenden und heilenden Ankunft spricht. Und das können wir nicht genug feiern, nicht nur jedes Jahr wieder feiern, sondern wir alle erwarten, die wir uns heute in Gottes Licht geborgen wissen wollen, wieder seinen Advent in unserer Wirklichkeit, sein helles Kommen in unsere Dunkelheiten, seine Zuversicht, dass die Nacht nicht bleibt, sondern der Tag des Lichtes, des ewigen auch für uns anbrechen wird.

Dann wird Advent zu einem Ort der Erfahrung, wohin uns Weihnachten und alle Adventssonntage verweisen: „heut schleusst er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob her und Preis.“ So wird denn für einen Christen, den das Licht des Advents erleuchtet, und der den Tag Gottes nicht fürchtet, weil er weiss, nichts trennt mich von der Liebe Gottes, so wird denn, wenn die Liebe die einzige geschuldete Haltung ist, jede Sekunde zur Möglichkeit, dass das Ewige im Jetzt wirkt, dass Gott auch durch mich seinen Advent in unserer Wirklichkeit hält. Hier und heute ist Jerusalem, in das Jesus einziehen will mit seinem Weg zu lieben, hier schlägt das Herz, das sich für seine besten Möglichkeiten öffnen, seinen Mitmensch, sich und Gott einlassen will, und die einzige Schuldigkeit tun kann, Mitmensch, sich und Gott zu lieben und zu achten.

Von der Verantwortung des Christen, Gottes Liebe zu üben, achtsam zu sein, was die Stunde geschlagen hat und die lichten Momente meines Lebens zu nutzen, also die grosse positive Möglichkeit des Lebens wahrzunehmen, so, dass Gottes Nähe jeden Augenblick meines Lebens qualifiziert, spricht Andreas Gryphius,1616-1694, folgendermassen: „Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen; mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen; der A u g e n b l i c k ist mein, und nehm ich d e n in acht, so ist d e r mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“ In Gottes Kommen sind also die dunklen November- und die hellen Adventszeiten auch meines Lebens eingeschlossen. Und Gott sei Dank auch dieser, der erste Tag vom Rest meines Lebens, ja jeder Augenblick, in dem ich mir von ihm sagen lasse: Sorge nicht, sondern liebe. Amen

Exegetische und homiletische Entscheidungen

Zwischen dem Aufruf des Paulus zu vernünftigem Gottesdienst (Kap12.1ff) und seinen Mahnungen für gutes Zusammenleben in der Gemeinde (Kap14) steht unser Abschnitt als Aufruf und Begründung für „die grosse positive Möglichkeit“ (Barth) der Christen, zur rechten Zeit in Gottes Licht und Liebe wach zu leben und zu lieben, wie es zum hellen Tag Gottes passt, den wir als unsere Rettung erwarten. Mit dieser Zusammenfassung sind zugleich die Wahl als Text zum 1.Advent begründet, wie auch der innere Zusammenhang mit dem Ewigkeitssonntag durch die Ethik für Christen als Inhalt, der die Christen auf die Verantwortung für ihr eigenes Leben hinweist. Dennoch ist diese begrenzt, weil es Gottes Kommen, Gottes Zeit und Gottes Möglichkeiten sind, die dem in der Dunkelheit kämpfenden Menschen zur Rettung werden. Erst diese Einsicht macht alle Aktivitäten sinnvoll, macht Liebe als eine über den Einzelgesetzen stehende Lebenshaltung möglich. Deshalb gehört exegetisch der 1.Satz von v.13 zur Perikope hinzu.

Homiletisch wird im Bewusstsein evangelischer Kirchenmitglieder die Zeit des 1.Advents und damit die Einstimmung auf Gottes Kommen als Kind deutlich als Neuanfang erlebt, was der Beginn des neuen Kirchenjahres ja auch betont. Aber der inhaltliche innere Zusammenhang von Ewigkeitssonntag und Advent als Zeit für Umkehr und Busse ist m.E weniger verankert. Kirchenjahrszeitlich mit gutem Recht könnte daher eine Predigt die Motive Dunkel- Licht aufnehmen und auf den Trauermonat November und die Adventszeit beziehen. Ebenso gibt auch das Motivthema: Liebe hinreichend Gelegenheit, auf das Fest der Liebe ect. ect. einschliesslich der Gründe für den `Weihnachtsrummel´ hinzuweisen. Aber das ist mir zu wenig für einen so existentiellen Text.

Ausschlaggebend wird mir darum die Adventszeit als Zeit, zu bedenken, dass wir alle Gott entgegengehen, der kommen wird – alle Jahre wieder - aber biografisch doch so, dass mit dem Licht des Gottestages auch unser irdisches Ende wieder ein Jahr näher gekommen ist. M.a.W. das Motiv des Trauermonats, mein Ende, und die große positive Möglichkeit zu leben im Horizont der Ankunft Gottes, das Motiv des Advents, sollen durch das Thema:“ seid niemandem etwas schuldig, ausser Liebe zu üben „ (v.8) anschaulich verbunden werden. Ich meine, mit dieser Verbindung von wiederkehrendem und linearem Zeitverständnis dem Status der Christen gerecht werden zu können: Wir sind Empfänger von Gottes rettendem Heil und zugleich Verantwortungsträger für gelebte Liebe zwischen dem 1.Advent des Kirchenjahres und dem ausstehenden 2.Advent Gottes.

Dr. Joachim Goeze, Pfarrer i.R.
Braunschweig
joachim.goeze@web.de


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