Gott, der allmächtige Vater
Martin Luther, WA 30 I, 10,6: "Wer einen Gott anzeigen wil, der mus anzeigen, was er kan und vermag."

Reflexion zum Glaubensbekenntnis
" Ich glaube an Gott, ... den Allmächtigen...“
Christian-Erdmann Schott

Vor der Allmacht Gottes kann der Mensch eigentlich nur niederknieen und anbeten, - so wie es der Beter des 150. Psalms, dieses gewaltigen Lobgesanges, der das Buch der Psalter im Alten Testament abschließt, getan hat:

"Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum,
lobet ihn in der Feste seiner Macht!
Lobet ihn für seine Taten,
lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit!"

Hier zeigt sich, dass Heiligkeit, Hoheit, Herrlichkeit und Allmacht Gottes zusammengehören und zusammenwirken, aber von uns Menschen kaum ganz verstanden, sondern eigentlich nur lobpreisend besungen werden können:

"Alles was Odem hat, lobe den Herrn! Halleluja!"

Und doch: Auch wenn wir das Wirken des Allmächtigen nicht wirklich erfassen können, sollen und wollen wir doch versuchen, uns wenigstens ein Stück weit in sie hineinzudenken und den Spuren der Allmacht Gottes in unserer Welt nachzuspüren. Ich denke, dass sie für die heute lebenden Generationen in vier Bereichen erkennbar sein können:

I. Im Bereich der Schöpfung und der Erhaltung der Schöpfung.

In unsere Lebenszeit fallen Gefährdungen unseres Planeten in einem noch nie dagewesenen Ausmaß durch Raubbau und Umweltzerstörungen, durch Atom- und Wasserstoffbomben, durch Naturkatastrophen und technische Fehlentwicklungen, durch Kriege, Kriminalität und den Terrorismus in seinen immer wieder neuen vielfältigen Spielarten. Aber wir erleben zugleich, dass die Welt noch steht und die Naturordnung wirksam ist; dass Gott diese Welt noch immer in seinen Händen hält, - in Händen, die so stark und mächtig sind, dass auch die geballte Kraft des gesamtmenschheitlichen Zerstörungswütens dagegen nicht ankommt. Still, beständig, zuverlässig und zugleich mit seiner, wie es aussieht, nicht zu erschöpfenden Allmacht schützt Gott das Leben und die Erde als die Grundlage des Lebens, - so wie er es Noah nach der Sintflut versprochen hatte: "Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht" (l. Mose 8,22).

II. Im Bereich der Geschichte.

Die älteren unter uns haben zwei Wenden erlebt: 1945 und 1989. Beide male sind Systeme zusammengebrochen, die durchaus unterschiedlich waren. Aber in einem Punkte waren sich Nationalsozialisten und Kommunisten einig: Sie verachteten Gott und seine Gebote. Sie glaubten nicht an Gott und kannten seine Allmacht nicht. So meinten sie, sich über alle Grenzen hinwegsetzen zu dürfen und Menschen, Völker, das Leben nach ihren Vorstellungen einzurichten. Sie beanspruchten für sich die absolute Macht und nahmen eine Stelle ein, die nur Gott einnehmen kann. Zuletzt sind beide Systeme in Lüge, Terror, Unrecht, Entrechtung und Ermordung Andersdenkender geendet.

Gott hat sich das eine Weile angesehen. Er hat sie zeigen lassen vor aller Augen, was in ihnen ist und wozu sie fähig sind. Dann hat er zugeschlagen. Über Nacht sind sie ganz tief gestürzt. Das war das Gericht Gottes. In seiner Allmacht brauchte er nur einen Finger zu bewegen - und die ganze scheinbar unüberwindbare, für die Ewigkeit angelegte Herrlichkeit, die sich die Nazis und die Kommunisten aufgebaut hatten, war weg. Der Apostel Paulus hat wohl recht, wenn er uns warnt, Gott zu unterschätzen. Seine Allmacht ist fast immer mit einer unsere Menschenmaße unbegreiflich weit übersteigenden Langmut verbunden. Aber das ist nicht Schwäche, im Gegenteil, seine Allmacht in Verbindung mit seiner Langmütigkeit und Gerechtigkeit ist seine Stärke. Darum sagt Paulus: „Irret euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten“ (Gal. 6,7).

III. Im Bereich der Kirche.

Wer die Kirchengeschichte des letzten halben Jahrhunderts miterlebt hat, weiß, dass die Kirchen vielfältig gefährdet waren - bei den Nazis, bei den Kommunisten, durch Gleichgültigkeit, durch Hass, aber natürlich auch durch eigene Fehler und Versäumnisse. Aber wir haben doch auch miterlebt und sehen es täglich, dass die Kirche nicht untergegangen ist. Sie steht nicht gerade glänzend da - aber wann hat sie eigentlich jemals glänzend dagestanden? - und ist unverändert und bleibend das Gefäß des Geistes Gottes in dieser Welt.

Ihre Erhaltung ist im Grunde ein Wunder. Ohne die Allmacht Gottes könnte es dieses Wunder nicht geben. Dabei ist die Allmacht Gottes hier verbunden mit seinem Willen zur Gemeinschaft mit den Menschen. Er lässt die Kirche nicht untergehen, weil er sie brauchen will zur Verkündigung seines Willens, zur Sammlung von Menschen, die auf ihn hören, nach seinem Willen leben, ihn als ihren Schöpfer loben und ihm danken.

Man kann es auch etwas anders sagen: Gott setzt seine Allmacht zum Aufbau seines Reiches in dieser Welt ein. Darum hat er die Propheten, darum hat er Jesus Christus gesandt und nach seinem Tod auferweckt und seinen Namen bis heute geschützt. Der Name des Sohnes, Jesus Christus, verkündigt durch die Kirche ist kein toter, vergessener, sondern ein mit seiner Botschaft neues Leben schenkender Name.

IV. Im Bereich unseres persönlichen Lebens.

Ich habe eine Menge Menschen kennen gelernt, die mir von Wundern in ihrem Leben erzählt haben. Da sind Menschen gesund geworden, die die Ärzte schon aufgegeben hatten. Da sind Menschen aus gefährlichen Situationen im Straßenverkehr oder im Urlaub unbeschädigt herausgekommen. Andere haben im Feld persönlicher Beziehungen Erhörungen ihrer Gebete erfahren, die sie nur staunen und sehr dankbar werden ließen. Sie alle stehen dafür ein, dass es Wunder heute gibt, wie es sie immer gegeben hat.

Hier wird zugleich deutlich, wie sehr wir, häufig nicht reflektiert, mit der Allmacht Gottes rechnen. Jedes Gebet um Hilfe, auch für andere, ruft Gott an, damit er eingreife und handle, wo andere kaum noch einen Weg sehen. Und hier sind dann auch die Wunder angesiedelt. Das ist auch im Neuen Testament so. Mehr als die Hälfte der Wunder des Neuen Testamentes sind Gebetserhörungen. Meist sind es nur sehr kurze Gebete "Herr, erbarme dich“ oder ähnlich. Aber sie sind doch immer von dem Glauben getragen, dass der Herr, den wir anrufen, auch die Macht, die Allmacht hat, uns zu helfen; ja, dass er diese seine Allmacht mit seiner Barmherzigkeit verbindet und etwas für uns tut, was niemand sonst tun kann.

Die Allmacht - das hat diese Spurensuche gezeigt - ist eine Eigenschaft Gottes, die in Verbindung mit anderen Eigenschaften und Wesenszügen Gottes wirksam wird. In Verbindung mit seinem Zorn wirkt sie das Gericht. In Verbindung mit seiner Menschenfreundlichkeit ermöglicht, schafft und erhält sie Gemeinschaft, die sich auf unserer Seite in Lob, Dank, Lebensfreude, Geborgenheit verwirklicht. Durch das Glaubensbekenntnis aber wird deutlich: Alle diese Aussagen über "Den Allmächtigen“ stehen unter dem Vorzeichen des Glaubens. Durch den Glauben und im Glauben ist es dem Christen möglich, hinter den sichtbaren Dingen und Ereignissen eine Wirklichkeit, die wir Gott nennen, und ihre Wirkungen in Leben und Welt wahrzunehmen. Diese Möglichkeit des Erkennens und Kommunizierens ist dem Unglauben verschlossen.


Dr. Christian-Erdmann Schott
Pfarrer em.
Elsa-Braendstroem-Str. 21
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Tel.: 06131/690488
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