Der Heilige Geist, der mich heilig spricht
Martin Luther, WA 30 I, 91,13-16: "Ut ergo Christi mors et resurrectio occulta non maneret, venit spiritus sanctus, praedicat, das heisst, quod spiritus sanctus te ducat ad dominum, qui te liberat. Quando ergo te quaero: Quid significat iste articulus? responde: Ego credo, quod spiritus dei me sanctificet."

Der Heilige Geist, der mich heilig spricht
Predigt von Esko Ryökäs (Finnland)
über Apostelgeschichte 8,26-39

1. Zwei Verkaufsverteter einer Schuhfabrik besuchten ein Entwicklungsland in der Äquitorialgegend Afrikas. Sie sollten dort Schuhe vertreiben. Nach ein Paar Tagen meldete sich einer von beiden eilig: Meine Reise ist völlig umsonst. Niemand trägt hier Schuhe. Unmittelbar danach schickte der andere Vertreter seine Meldung: Eine glänzende Reise. Unedlich breiter Markt. Noch niemand trägt hier Schuhe.

Man kann die Wirklichkeit aus verschiedenen Gesichtswinkeln betrachten, obgleich sie nur eine ist. Einer sieht die eine, einer die andere Seite. Die Situation ist auch uns bekannt.

Der Mensch versteht die Wirklichkeit aus seinem eigenen Erfahrungshorizont und aus seiner eigenen Gedankenwelt heraus. Unsere Augen sehen bestimmte Konturen und von diesen Konturen entsteht im Gehirn ein Bild. Bei der Reise in ein fremdes Land kann es geschehen, dass wir glauben, einem Nachbarn oder einem Arbeitskollegen zu begegnen. Aber bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass es nicht so war. In den Gesichtszügen gibt es vielleicht eine Ähnlichkeit, und so können wir uns in unseren Gedanken davon eine Vorstellung machen. Der Mensch wählt, was er sieht.

2. Zwei Betrachter standen vor 2000 Jahren in Jerusalem. Sie beobachteten eine Kreuzigung von Verbrechern. Der Erste sah, dass drei Verbrecher ihre verdiente Strafe bekamen. Ihre Kleider wurden abgezogen, sie wurden gekreuzigt und auf dem Kreuz in der Sonnen sterben gelassen. Er dachte, dass das Böse vergolten würde. Gleichzeitig sah der Andere neben ihm etwas anderes. Die gleichen Verbrecher gingen ihren letzten Weg. Die gleichen Menschen wurde gekreuzigt und zum Sterben gelassen. Aber er sah, dass der Mensch auf dem mittleren Kreuz kein Verbrecher war. Er sah dort Gottes Sohn, den Messias, der die Welt mit Gott versöhnen wollte. Er sah im Menschen Gottes Sohn.

Der Glaube ist etwas, was einer hat und der andere nicht. Durch den Glauben sieht die Realität anders aus. Die Wirklichkeit ist für alle gleich, aber ins Gehirn des Betrachters wird die Meldung vermittelt: Hier wirkt Gott, hier ist noch eine andere Wirklichkeit vorhanden. Zwei Menschen sehen die Welt anders, abhängig davon, ob sie glauben oder nicht.

Was bedeutet diese andere Wirklichkeit, und wie kann man sie zu verstehen versuchen? Viele grosse Denker haben über diese Frage nachgedacht. Es wäre schön, die Welt so sehen zu können, wie Gott sie sieht. Wie wäre dies möglich?

3. Martin Luther war ein grosser Denker. Ihm war es wichtig heraus zu finden, wie der Mensch mit Gott leben kann. Die Lösung von Luther kann man in seinen Predigten finden: In ipsa fide Christus adest; im Glauben selbst ist Christus anwesend (WA 40, 1, 228-229). Wenn der Mensch glaubt, kommt Gott zu ihm, nach Luthers Worten: Christus kommt zu ihm. Er ist nicht mehr derselbe unvollständige Mensch. Er ist immer noch ein Mensch, egoistisch und auf seinen eigenen Vorteil bedacht, aber in ihm wohnt Gott, in ihm ist Gott anwesend. Und Gott bewirkt, dass er gleichzeitig auch ein anderer Mensch ist. Er ist gleichzeitig durch und durch ein Sünder und aber auch gottgefällig. Im Glauben leben in einem Menschen zwei verschiedene Menschen.

Dies ist natürlich eine Wahrheit auf der Glaubensebene. Durch den Glauben kann man auf die Ansicht Luthers vertrauen. Im Glauben kann man verstehen, dass im menschlichen Körper Gott, Christus anwesend ist. Im Glauben kann man verstehen, dass Christus durch die Taten, die der Mensch verrichtet, lebt und wirkt. Dies ist eine Realität auf der Ebene des Glaubens. Und wie kann man sie sich aneignen?

So kommen wir zur Realität des Heiligen Geistes. Die dritte Person Gottes ist eine Tatsache, die die Wirklichkeit verändert.

4. In der Welt gibt es etwa 65 Millionen Lutheraner. In letzten Jahren ist das durch charismatische und Pfingstbewegung betonte Christentum grösser geworden. Diese Gruppen sind schwer zu bestimmen, weil sie keine deutliche Konfession vertreten. Sogar nach vorsichtigen Einschätzungen ist diese Gruppe, die die Tätigkeit des Heiligen Geistes betont, zahlenmäßig eine größere Gruppe als die Menschen, die der lutherischen Kirchengemeinschaft angehören. Die Mitgliedschaft dieser Bewegung ist besonders in der Dritten Welt gestiegen, aber auch innerhalb der alten Kirchen ist ihr Einfluss unter der Leuten gewachsen. Die charismatische Bewegung hat verschiedene Phasen durchgemacht. Am Anfang des 20. Jahrhunderts hob sich Zungenreden und Geistestaufe hervor. Danach betonten sie andere, sogenannte Geistesgaben. In den zwei letzen Jahrzehnten trat die Richtung mit "Wunder und Zeichen" auch international hervor. Im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Heiligen Geistes wurde über ähnliche Bekenntnistaten wie am Anfang der ersten Zeiten der Kirche berichtet. Es wird behauptet, dass Kranke geheilt, Essen erschaffen, sogar Tote zum Leben erweckt wurden.

Luther betont in seiner Lehre Christus, nicht den Heiligen Geist. Dies hat das Luthertum geprägt. Luther setzt sich jedoch nicht gegen den Heilige Geist. Der Heilige Geist ist ihm wichtig als Glaubenserzeuger, Tröster. Luthers Gott ist dreieinig, wie in der Hauptbekenntnisschrift des Luthertums, im Augsburger Bekenntnis, schon in den ersten Seiten festgestellt wird. (CA I) Der Unterschied zwischen den verschiedenen Personen Gottes bedeutet nicht, dass einige Personen weniger wichtig wären.

Für Luther ist der Heilige Geist Kraftgeber, Heiligender. Es hat Luther ausgereicht, was der Heilige Geist wirkt, mehr brauchte er nicht. Daraus sollte man nicht den Schluss ziehen, dass man sich im Luthertum Wunder und Zeichen oder Zungenreden und andere in der Bibel berichtete Gnadensgaben widersetzen sollte. Sie waren Luther nicht so aktuell wie heutzutage. Die genannten Zeichen können anderen Menschen wichtig sein, und sei es so, aber Luther reichte es aus, was der Heilige Geist bewirkt.

5. Warum? Weil der Heilige Geist so vieles bewirkt. Der Mensch ist und bleibt durch sein Leben derselbe. Es liegt in der menschlichen Natur, gegen andere zuwiderzuhandeln. Leider ist es so. So ein Mensch ist für Gott nicht tauglich. Aber der Heilige Geist wirkt Wunder. Wenn der Heilige Geist wirkt, verändert sich die Realität, sie wird eine andere Wirklichkeit. Der sündige Mensch bleibt gleich sündig, aber jetzt wohnt in ihm Gott, mit dem und durch den Glauben. Deswegen taugt der Mensch zu allem, auch für Gott. Im Glauben ist Christus in ihm innewohnend, durch Christus ist der Mensch heilig, gottgefällig, vollständig. Der Heilige Geist heiligt den Menschen so, dass es dem Menschen gut ist, bei Gott zu sein.

In der Apostelgeschichte wird über einen sehr hohen Beamten am Hof des Königs von Äthiopien berichtet. Er erforschte die Bibeltexte. Er hatte sie schon lange gelesen, aber die Stellung Christi hatte er noch nicht verstanden. Plötzlich kam ein Unbekannter zu ihm und sagte, wie die Sachen zu verstehen sind. Der Beamte hörte zu, und die Welt veränderte sich. Auf einmal verstand er, was er lange Zeit gelesen hatte. Die Realität wurde anders. Ihm eröffnete sich der Glaube, der Glaube an Christus.

6. Eine tragische Lehre des Golfkrieges war und ist, dass die Menschen verschiedene Sachen in ihrer Umgebung sehen. Dort wo einige Verhandlungsmöglichkeiten finden, vertreten die anderen der Meinung, dass alle Alternative schon erschöpft sind. Wie am Anfang dieser Rede die zwei Vertreter in einem Entwicklungsland zwei Realitäten fanden. Und auch in dem Gekreuzigten können wir zwei verschiedene Menschen finden. Die Menschen sehen verschiedene Sachen.

Die Text von heute berichtet uns, dass der Heilige Geist in der Welt durch den Glauben wirkt und dass der Mensch durch seinen Glauben die Tätigkeit Gottes sehen kann. So kann man auch verstehen, dass der Heilige Geist im Menschen wohnen kann. Der Heilige Geist kann unser Wollen und Tun bewirken. Alle sehen das aber nicht.

Die Wunder und Zeichen können einem viel über die Tätigkeit Gottes sagen und der andere glaubt nicht, unabhängig davon, was er zu sehen bekommt. Die Erzählungen über die Heilung der Kranken und über das Erwecken der Toten sind in der charismatischen Bewegung bekannt. Sie sind wirkliche Ereignisse. Luther stellt fest: Der Mensch glaubt nicht an Gott, wenn der Heilige Geist ihm nicht den Glauben schenkt. Die Wunder und Zeichen überzeugen nicht, wenn der Heilige Geist es nicht bewirkt. Deswegen ist es verständlich, dass Luther den Heiligen Geist nicht mehr brauchte. Der Glaube an die Taten Christi reicht dem Menschen, und diesen Glauben bekommt er von Gottes Wirken durch den Heiligen Geist. Durch den Heiligen Geist sieht die Welt anders aus.

Und dazu will ich noch eine Geschichte erzählen:

7. Es war ein langer Winter. Die Kälte dauerte über viele Wochen. Johannes hatte schon lange auf Frühlingszeichen gewartet. Jeden Morgen war er nach draussen gegangen und hatte sich umgeschaut, vergebens. Der Winter dauerte und dauerte.

So auch heute morgen. Der Morgen war nicht hell. Am Himmel gab es Wolken. Es erweckte keine fröhliche Stimmung, durchs Fenster nach draussen zu schauen. Johannes trat mit pessimistischer Miene durch die Tür nach draussen. Aber etwas war anders. Es war dunkel, am Himmel gab es Wolken, es gab nicht viel Licht, aber trotzdem fühlte Johannes etwas besonderes. Was es genau genommen war, das konnte Johannes nicht klären, aber einer Sache war er sicher: In der Luft lag Frühling. Alles war wie sonst: dunkel und kalt. Aber es war auch etwas anderes. Johannes war völlig überzeugt davon, dass jetzt, gerade jetzt, der Frühling in die Stadt gekommen war.

Johannes trat wieder herein. Er zündete ein Licht an, weil es immer noch dunkel war. Es setzte sich auf einem Stuhl neben dem Fenster und schaute nach draussen. Die Dunkelheit war immer noch da, aber Johannes war fröhlich. Die Stimme in seinem Inneren versicherte ihm: Die Dunkelheit setzt sich nicht fort bis in die Ewigkeit fort. Der Frühling naht, seine ersten Zeichen sind schon da. Und der Winter wird endlich zurückgehen. Der Tag war für Johannes nicht mehr dunkel und grau, obgleich er auf gleiche Weise dunkel und traurig war, wie schon seit vielen Wochen. Die Wolken waren nicht mehr schwer und traurig, obgleich sie gleich traurig und schwer waren wie früher. Der Hof war nicht mehr so nackt und traurig wie früher, obwohl er ebenso nackt und traurig war wie früher. In seinem Inneren wusste Johannes, dass sich alles jetzt verändern wird. Er hatte in seinem Inneren die Sicherheit, und so veränderte sich auch die Wirklichkeit.

8. Das Wirken des Heiligen Geistes ist ähnlich wie das Wirken des werdenden Frühlings für Johannes. Auf einmal weiss man, dass alles anders geworden ist, obgleich sich nichts äusserlich verändert hat. Man versteht plötzlich, was man sieht, dass im Inneren der Wirklichkeit eine andere Realität steckt, ebenso wirklich wie die, die wir sehen. Und hier haben wir die Hoffnung. Wer dieses erleben kann, erlebt das gleiche, was nach der Apostelgeschichte der hohe Beamte des Hofes des Königs von Äthiopien erlebt hat. Über ihn wird berichtet: Er setzte seine Fahrt fröhlich fort. Jetzt sah er, und er hatte Hoffnung.

Dr. Esko Ryökäs
Joensuun yliopisto PL 111
80101 Joensuu
013-251 3041
Finnland
E-Mail: esko.ryokas@joensuu.fi

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