|
Christus, Gottes eingeborener Sohn
Martin Luther, WA 30 I, 90,9f: „Nam Evangelium nihil aliud est
quam praedicatio de concepto, nato etc. Christo"
Christus, Gottes eingeborener Sohn
Reflexion von Michael Plathow
Evangelium bedeutet die Verkündigung der Menschwerdung Gottes in
Jesus Christus; in seiner Einzigartigkeit und Universalität erschließt
der eingeborene Sohn Gottes die neue Wirklichkeit.
Im Jahr des Gedenkens an den 100. Geburtstag an Jochen Klepper sei aus
seinem „Kyrie“ (1938) an das „Weihnachtslied“ erinnert:
Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht?
Der Engel Lob ward dir gebracht.
Bei Gott warst du vor aller Zeit.
Du warst der Glanz der Herrlichkeit.
Beschlossen war in dir, was lebt.
Geschaffen war durch dich, was webt.
Himmel und Erde ward durch dich gemacht.
Gott selbst warst du vor dieser Nacht.
Wer war ich, Herr, vor dieser Nacht?
Des sei in Scham und Schmerz gedacht!
Denn ich war Fleisch und ganz verderbt,
verloren und des Heils enterbt.
Erloschen war mir alles Licht.
Verfallen war ich dem Gericht.
Ich, dem Gott Heil und Gnade zugedacht,
war Finsternis und Tod und Nacht!
Wer wardst du, Herr, in dieser Nacht?
Du, dem der Engel Mund gelacht,
dem nichts an Ruhm und Preis gefehlt,
hast meine Strafe dir erwählt.
Du wardst ein Kind im armen Stall
und sühntest für der Menschheit Fall.
Du, Herr, in deiner Himmel höchster Pracht
wardst ein Gefährte meiner Nacht!
Wer ward ich, Herr, in dieser Nacht?
Herz, halte still und poche sacht!
In Gottes Sohn ward ich Sein Kind.
Gott ward als Vater mit gesinnt.
Noch weiß ich nicht: Was werd´ ich sein?
Ich spüre nur den hellen Schein!
Den hast du mir in dieser heil´gen Nacht
an deiner Krippe, Herr, entfacht!
Auf diesem Hintergrund, der sich gegenwärtig verbindet mit der
Sehnsucht nach gelingendem Leben in Zeit und Ewigkeit angesichts der
Sorge und Angst (vgl. FAZ vom 7.1.2003, 31-33) vor den dunklen Mächten
der Sünde, des Bösen und des Todes und angesichts einer nicht
geringen Verunsicherung und Orientierungssuche, lesen wir das obige Zitat
des Schrift- und Frömmigkeitstheologen Martin Luther in seinem Zusammenhang
(WA 30 I, 89, 7ff):
„Cum interrogaris: was meinstu damit, quando dicis: 'Credo in Jesum
Christum’u.? responde: das meine ich damit, quod Jesus Christus verus die
filius, sit meus dominus factus. Quo modo? quod me liberavit a morte, peccatis,
inferis et omni malo u. Nam antea non habui Regem, Dominum. Sed diabolus erat
noster dominus, Rex, blindheit, tod, pedccatum, caro, mundus erant domini nostri,
his serviebamus. Illi omnes iam expulsi et loco horum datus est Christus, qui
est dominus iusticiae, salutis, omnis boni u…
De illo articulo dicimur Christiani. Nam qui Christum agnoscunt et invovant,
dicuntur Christiani. Quae sequuntur : ‘Conceptus a spiritu sancto’ u…
Totum Euangelium ist gefasst yhn den artickel. Nam Euangelium nihil aliud est
quam praedicatio de concepto, nato u. Christo. Discite igitur apprehendere
hoc verbum ‘dominum nostrum’.“
Für den Reformator geht es bei dem Evangelium von Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn, um das entscheidend und unterscheidend Christliche
der glaubenden Christen: die Heilsgewissheit als Gottes- und Lebensgewissheit
im grundlegenden, Leben bestimmenden Vertrauen auf die Menschwerdung
Gottes „uns zugut“. Denn das besondere ist nicht, dass Gott
Gott ist, sondern dass Gott Mensch wurde. Alle Christen leben aus dieser
Gewissheit der Selbsterschließung des dreieinen Gottes in Jesus
Christus durch den heiligen Geist, wie es das Wort Gottes heute als Wirkwort
verheißt. Im Kontext der vielstimmigen Zeugnisse der heiligen Schrift
als „auctoritas normativa et causativa“ beanspruchen bei
den Reformatoren wie bei den meisten christlichen Kirchen die Bekenntnisse
von Nicäa-Konstantinopel (381), Ephesus (431) und Chalcedon (451)
zum dreieinen Gott und zu Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch,
Geltung. Das Bekenntnis von Nicäa-Konstantinopel hat zusammen mit
dem Apostolische Glaubensbekenntnis seinen „Sitz im Leben“ in
der Feier des Gottesdienstes, wo die Gemeinde preisend antwortet auf
das gegenwärtige Heilshandeln des dreieinen Gottes in der Menschwerdung
Jesu Christi.
Die Inkarnation des dreieinen Gottes, das „deus est factus homo“,
das „verbum incarnatum“ bedeutet im christlichen Glauben
die einzige Menschwerdung Gottes in dem jüdischen Kind Jesus von
Nazareth, empfangen durch den heiligen Geist und geboren von Maria. Spekulative
Theorien von der Vereinigung vom göttlichen und menschlichem Prinzip,
von Ewigkeit und Zeitlichkeit, Mythologien vom heroischen Gottmenschen,
abstrakte Philosophumena vom Zusammenfallen des absolut Gegensätzlichen
oder von Absolutem und Konkretem stehen der Frage „Wer ist Jesus
Christus?“ mit Unverstand gegenüber. Jesus Christus erweist
sich weder als Idealisierung des Menschseins, wie kompatible Zuordnungen
zu Buddha, Mohammed oder andere vorbildliche Persönlichkeiten es
zeigen wollen, noch als Manifestation des Göttlichen etwa in der
Gestalt der hinduistischen Avataras. Religionstheologische Relativierung
und Gleich-Gültigkeit stehen der Einzigkeit und Universalität
Jesu Christi entgegen, auch wenn Heilselemente, „Logoi spermatikoi“,
religiöse Sinngebung in anderen Religionen, die Gottes Geduld und
Toleranz in ihrer Besonderheit trägt und erhält, aus christlicher
Perspektive erkannt werden in einer Gemeinschaft von Kommunikation, Konvivenz
und Zeugnis. Gott wird Mensch in dem konkreten Menschen und in der konkreten
Lebensgeschichte Jesu von Nazareth: eine Mensch - wie wir - im Wachsen
und Werden, mit Glück und Leid, Versuchung und die Macht des Bösen
und des Todes erfahrend, doch ohne Sünde. M. Luther betont in seinen
Predigten und in seinen Liedern das wahre Menschsein Jesu. Zugleich ist
Jesus Christus „wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren“(BSLK
511, 4), der „einige und ewige Gottessohn“ (BSLK 651, 50);
in ihm verdichtet sich „das ganze Evangelium“ (BSLK 653,
11).
M. Luther geht nicht auf den Streit der gegensätzlichen Positionen
zwischen Thomisten und Scotisten über die Frage nach dem Motiv der
Inkarnation ein: wurde Gott Mensch nur wegen der Sünde oder unabhängig
von ihr aus grundloser Liebe, wie sie sich in der Schöpfung schon
als ewige Erwählung zeigt. M. Luther geht es vor allem um das Heilshandeln
des dreieinen Gottes in Jesus Christus durch den heiligen Geist. Person
und Werk Jesu Christi wie auch seine Erniedrigung und Erhöhung gehören
zusammen: Gott liebt seine Schöpfung ins Dasein; Gott erhält
sie trotz der Gemeinschaftslosigkeit der Menschen mit Gott und ihrem
selbstverschließenden Unglauben in seiner Geduld um der Erlösung
willen. Gott schenkt in seiner erbarmenden Liebe der Welt unter der Herrschaft
der Sünde, des Bösen und des Todes in Jesus Christus, dem Spiegel
seines väterlichen Herzens, die Erlösung. Gott schafft die
Welt neu durch den heiligen Geist auf die endgültige Vollendung
hin, indem er den Glauben des einzelnen und der Gemeinde schafft, Vergebung
der Sünden, d.h. Leben und Seligkeit, schenkt und die Toten auferweckt
zum Leben bei Gott durch Gericht und Gnade.
In dem dramatischen Geschehen von Jesu Predigen, Heilen, Sterben am
Kreuz und Auferstehen am dritten Tag schafft der dreieine Gott selbst
die neue Wirklichkeit. M. Luther versteht sie nicht nur als Ende des
Gesetzes, sondern mit den altkirchlichen Vätern als Sieg Christi über
die Macht der Sünde, des Bösen und des Todes: das eschatologische
Kraftfeld des „Christus victor“ auf die endgültige Vollendung
hin. Es hat seinen Grund in der liebenden Hingabe Gottes in der Stellvertretung
Jesu Christi am Kreuz „für uns“, im „fröhlichen
Wechsel“ und „seligen Tausch“, das die neue Wirtschaftsordnung „für
uns“ begründet.
M. Luther betonte das Menschsein Jesu Christi; er war unser „erstgeborener
Bruder“ und als solcher „Gottes eingeborener Sohn“.
In allem nahm er am Geschick der Menschen teil, doch ohne Sünde.
Hat er nun als Mensch, „qua homo“ den „Sieg“,
das Heil, die Erlösung erwirkt oder mitbewirkt? Etwa durch den menschlichen
Willen und ein menschliches Aktzentrum, wie Anselm von Canterbury in
seiner Satisfaktionslehre betont und in anderer Weise auch Thomas von
Aquin (Sth III qu 48,3 ad 1 u.a.) hervorhebt? Für M. Luther nun
hat in der Personeinheit von wahrer Mensch und wahrer Gott Jesus Christus
durch die universale Gottespräsenz in der sog. Ideomenkommunikation
nach seiner Gottheit im auferweckten Gekreuzigten die Macht der Sünde,
des Bösen und des Todes überwunden. Im Heilsgeschehen blieb
seine menschliche Natur inaktiv, wie M. Luther es im Bild vom „geköderten
Leviathan“ in Predigten veranschaulicht (WA 20, 334,16-335,2; WA
40 I, 417,29-418,10). Der dreieine Gott in seiner Liebe ist „solo
Christo“ Autor des Heils. Damit wird nicht nur der kategoriale
Unterschied von Gottes Handeln und menschlichem Tun betont, sondern gerade
Gottes gnädiges und barmherziges Heilshandeln, also das „sola
gratia“. Entscheidende Bedeutung – auch unter konfessionsspezifischem
Aspekt - hat dies für das Verständnis des Menschen in seiner
Beziehung zu Gott, der Willensfreiheit „coram deo“ und der
Rechtfertigung des Sünders, aber auch für das Kirchenverständnis
und die theologische Qualität der Kirchengestalt.
In Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, unserem „erstgeborenen
Bruder“ und „Gottes eingeborenem Sohn“ erschließt
sich die neue Wirtschaftsordnung und das neue Wirklichkeit Gottes. Die
Bestimmung des Menschen widerfährt uns und erfahren wir in Jesus
Christus, indem wir in der Glaubens- und Geistgemeinschaft mit ihm als – in
den Worten Augustins gesprochen – „sacramentum et exemplum“ verheißungsorientiert
in der Gemeinde den Weg der endgültigen Vollendung entgegengehen,
d.h. aus und mit dem Evangelium, dem Christus praesens, leben, das sich
zueignet in der Taufe, im Leben eröffnenden und Freiheit schenkenden
Wort der Predigt, in der Gemeinschaft des Abendmahls mit Christus und
untereinander, im Zuspruch der Sündenvergebung, die neues Leben
im Sog des ewigen Lebens schenkt, und auch im geschwisterlicher Trost
und Weisungswort (SA III, 4). In der Gottvergessenheit, in der Gemeinschaftslosigkeit
mit Gott und in der Selbstverschließung gegen den guten Willen
Gottes verwirkt der Mensch sein Bestimmung im Produzieren selbstgemachter,
oft virtueller Realität.
In Jesus Christus, „Gottes eingeborenen Sohn“, dem „Spiegel
des väterlichen Herzens“ Gottes, dem Schöpfungsmittler
in der Gemeinschaft des dreieinen Gottes, erfährt die Welt und widerfährt
der Welt ihre Bestimmung als von Gott geliebte und in Geduld trotz der
Sünde und des Bösen durch den heiligen Geist erhaltene Schöpfung
auf die Erlösung und Vollendung hin (Röm 8, 28). Sie, wie alle
Lebensbereiche und Lebenswelten, ist ihm, unserm Herrn“ eigen,
eben „unser ganzes Leben“ (Barmen II).
In den vielstimmigen biblischen Zeugnissen wird in doppelter Denkrichtung
von „Jesus Christus, unserem Herrn“ (BSLK 651, 21f, 29-36)
geredet: in einer „Christologie von unten“ ( Röm 1,
1-3) und in einer „Christologie von oben“ (Joh 1, 1-14; Gal
4,4). In der historischen Folge des Lebens, Predigens, Heilens und Sterbens
Jesu unterliegt noch der Uneindeutigkeit menschlicher Erkenntnis; erst
von der Auferstehung Jesu Christi durch Gott den Vater her bekennt die
christliche Gemeinde: „’Dieser ist wahrlich Gottes Sohn’,
er, der da ist, der da war und der da kommt. Ihm sei Ehre in Ewigkeit“.
Geschichtswahrheit wird da durch die Tat des dreieinen Gottes zur Glaubenswahrheit,
die eine neue Wirklichkeit erschließt und ein neues Wirklichkeitsverständnis
in der Verbindung von Gottes- Selbst- und Weltverständnis, das sich
im „solus Christus“, „sola gratia“ und „sola
fide“ zentriert.
Das besondere ist nicht, dass Gott Gott ist, sondern dass Gott Mensch
wurde „uns zugute“ – so erweist sich das Evangelium
heute in unserer von Sehnsucht und Angst besetzten, nach Veränderung
und Erneuerung ausschauenden Kirche und Gesellschaft.
Jochen Klepper hat der neuen Wirklichkeit in der Menschwerdung Jesu Christi
- mit dem Johannes-Prolog - durch die Sprache der Lichtmetaphorik Ausdruck
verliehen: „Das Licht scheint in der Finsternis...Und das Wort
ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit, eine
Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit“ (Joh
1, 5, 14). “Du, Herr, in deiner Himmel höchster Pracht wardst
ein Gefährte meiner Nacht...In Gottes Sohn ward ich sein Kind. Gott
ward als Vater mir gesinnt“.
Prof. Dr. Michael Plathow
Franz-Kafka-Str.15
69221 Dossenheim
KI-EB@t-online.de
Zurück zur Übersicht
|
|