Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Predigt über biblische Gestalten im Jahr der Bibel 2003
"Petrus", verfaßt von Stephan Hölter
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Der Predigt gingen in diesem Gottesdienst 4 Lesungen voran:

1. Mt 14,24-31 (Seewandel Jesu und Petri)
2. Joh 18,3-5.10-12 (Gefangennahme Jesu)
3. Lk 22,33-34.54-62 (Verleugnung des Petrus)
4. Lesung: Mt 16,13-19 (Bekenntnis Petri und Felsenwort Jesu)

Liebe Gemeinde,

wir haben jetzt in den Lesungen viel über Petrus gehört. Ich hoffe, er ist uns allen dadurch im Moment gut vor Augen. Wir haben ein Bild von ihm, von seinem Leben, von seinem Weg, den er mit Jesus gegangen ist.

Von all den Leuten, die damals mit Jesus gegangen sind, erscheint mir Petrus, der Fischer, am nächsten. Er darf versagen! Mit ihm kann ich mich am ehesten identifizieren. In ihn kann ich mich am ehesten hineinversetzen. Und in ihn versetze ich mich auch am liebsten hinein. Er darf scheitern! Durch die Augen des Petrus kann ich die Geschichte Jesu am besten miterleben. Er ist uns als Lesern besonders nah. Er erscheint uns besonders menschlich und wir können ihn besonders gut verstehen. Er darf kleingläubig sein!

Petrus wird in der Bibel nicht als große, leuchtende Vorbildgestalt dargestellt. Er ist nicht der Übermensch, der immer alles richtig macht und vor Gott aus eigener Kraft besteht. Im Gegenteil: Er versucht dies zuweilen zwar, scheitert aber gerade daran. Er meint zuweilen, er könne dasselbe Joch auf sich nehmen, dieselben Prüfungen bestehen und denselben Leidenskelch trinken, wie sein Herr, Jesus Christus. „Ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen,“ sagt Petrus zu Jesus. Doch stattdessen passiert das, was Jesus vorausgesagt hat: Petrus verleugnet ihn dreimal in nur einer Nacht. Selbst am Höhepunkt des Weges Christi, den Petrus begleitet, steht er als der Versager da. Aus Angst, selbst mitverurteilt zu werden, bestreitet er wider besseres Wissen, Jesus zu kennen. Diese Angst, die Petrus da gehabt hat, kann man sich gut vorstellen. Deshalb erscheint uns Petrus hier auch so menschlich und so nah.

Ebenfalls nah und gut verständlich erscheint er uns, als er kurz darauf seinen Fehler erkennt und verzweifelt zu weinen beginnt. Er spürt seine Hilflosigkeit. Er weiß, was er falsch gemacht hat, aber er kann nichts mehr dagegen tun. Wahrscheinlich weiß er auch, dass er denselben Fehler in derselben Situation wieder machen würde. Das macht ihn hilflos - so hilflos, wie wir uns auch oft fühlen, wenn wir wider unser besseres Wissen falsch handeln, es aber nicht wiedergutmachen können. Wie will man wiedergutmachen, was man in seinem Leben schon alles anderen an Schaden zugefügt hat? Kann man es denn ungeschehen machen?

Auch Petrus muss diese Erfahrung machen, völlig hilflos zu sein. Allerdings lernt er dabei etwas wichtiges: nämlich, nicht allein sich selbst und seinen eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, sondern auch dem, der es besser weiß: Gott. Er lernt von Jesus, dass er sich selbst nicht überschätzen darf. Er kann eben nicht dasselbe Joch tragen und denselben Leidensweg gehen wie sein Meister.

Teilweise ist er sich dessen auch von Anfang an bewusst. Als Jesus ihn nämlich überhaupt erst zum Apostel berufen will, weigert er sich zunächst, weil er glaubt, unwürdig zu sein. Er spürt, dass da jemand vor ihm steht, der größer ist als er, und der größere Aufgaben bewältigen kann als er. Er spürt, dass er eben nicht überall hin folgen kann, wo der hingeht. Deshalb kommt er anfangs nur sehr widerwillig mit. Lieber wäre er Fischer geblieben als Apostel zu werden.

Aber dann zeigt sich eben, dass er sich letztlich trotzdem noch selbst überschätzt. Und er muss erst von Jesus lernen, nicht nur sich selbst zu vertrauen, sondern vor allem Gott. Als Jesus gefangen genommen wird, versucht Petrus, dies mit Gewalt zu verhindern. Er vertraut darauf, mit seinen Waffen und seiner Stärke die Lage in den Griff bekommen und Jesus retten zu können. Aber Jesus verweist ihn darauf, dass Gott selbst verhindern würde, was hier geschieht, wenn er es denn wollte. Doch was hier geschieht, ist Gottes Wille. Und auch wenn der schwer zu akzeptieren ist, muss Petrus lernen, Gott nicht nur genauso, sondern sogar mehr zu vertrauen als sich selbst. Er würde am liebsten mit dem Schwert drein schlagen, aber er muss sich zurückhalten und unter den Willen Gottes beugen.

Petrus widersetzt sich dem Willen Gottes aber nicht in böser Absicht. Sonst wäre er wohl kaum die Gestalt im Umfeld Jesu, in die wir uns besonders gut hinein versetzen können. Was Petrus gerade zu dem macht, in den wir uns besonders gut hinein versetzen können, ist, dass er all diese Fehler stets mit den besten Absichten begeht. Als er Jesus mit dem Schwert verteidigen will, tut er dass ja nur, um seinen Meister zu retten. Er möchte so gerne alles für Jesus tun, was in seiner Macht steht. Aus demselben Grunde sagt er auch, er würde mit ihm bis in den Tod gehen, wenn es sein muss. Doch all dies gelingt ihm nicht. Er handelt nur mit den besten Absichten und scheitert doch immer wieder – eine Erfahrung, die nicht nur er gemacht hat, sondern die uns immer wieder und überall begegnet.

Und genau wie auch jeder von uns, muss Petrus immer wieder neu lernen, Gott mehr zu vertrauen als sich selbst. Durch das ganze Evangelium hindurch tritt er immer wieder als die Gestalt auf, die an ihrem Gottvertrauen scheitert. Am deutlichsten wird dies in der Geschichte gesagt, in der er versucht, wie Jesus, über´s Wasser zu gehen. Aber er versinkt und muss von Jesus aus dem Wasser gezogen werden, um nicht zu ertrinken. Und Jesus sagt ihm ganz deutlich, warum er gescheitert ist: „Dein Glaube ist zu schwach.“

Er geht nicht aus irgendwelchen bösen Antrieben heraus auf das Wasser. Weder will er sich selbst in den Vordergrund spielen und Jesus die Show stehlen, noch geht er ihm mit irgendwelchen feindseligen Absichten entgegen. Er will einfach nur tun, was Jesus tut und sein wo Jesus ist. Er nimmt ihn sich zum Vorbild. Eine gute Absicht, aber er scheitert daran, weil sein Glaube zu schwach ist, weil er mehr auf sich selbst vertraut als auf Gott, weil er denkt: „Ich schaffe das schon, auch so zu sein, wie Jesus.“ Aber Jesus sagt ihm, sein Glaube sei zu schwach. Er müsse erst lernen, Gott mehr zu vertrauen, als sich selbst.

So scheitert Petrus immer wieder. Er begegnet uns als der, der Jesus nachfolgen möchte bis in den Tod, dies aber doch nicht kann. Er begegnet uns als der, der sich Jesus zum Vorbild nimmt und werden möchte wie er, dem dies aber nicht gelingt. Er begegnet uns als der, der bereit ist, alles für Jesus zu tun, was in seiner Macht steht, dabei aber übersieht, dass der Allmächtige etwas ganz anderes geplant hat. In alledem kann ich das Tun und Denken des Petrus gut nachvollziehen. Er handelt nur in bester Absicht. Wie kann man es ihm verübeln, dass er sich Jesus zum Vorbild nimmt, ihm nachfolgen und alles für ihn tun möchte? Wollen wir das nicht zuweilen auch? Ist das nicht christlich? Aber genau wie Petrus müssen wir dann erkennen, dass wir daran scheitern. Das macht ihn uns so nahe, so menschlich, so gut zu verstehen.

Aber das schönste und wichtigste an der Figur des Petrus in der Bibel ist: Er darf scheitern und versagen. Gott nimmt ihn trotzdem an. Petrus ist nicht nur der, der immer wieder Fehler macht und dann als der Dumme dasteht, sondern er ist zugleich auch der, zu dem Jesus sagt: „Du bist der Felsen, auf den ich meine Kirche bauen will.“ Der Name „Petrus“ heißt übersetzt „Felsen“. Und in der Tat wird Petrus nachher, nach Jesu Himmelfahrt, das Oberhaupt der ersten christlichen Gemeinde – der Felsen, auf dem die Gemeinde Jesu Christi steht.

Es ist fast absurd: Petrus muss erkennen, dass er selbst überhaupt nichts für Gott und für Jesus tun kann – jedenfalls nicht von sich aus. Und gerade dann und darum wird er zum Werkzeug Gottes. Er wird vom einfachen Fischer zum „Menschenfischer“, wie Jesus sagt. Er fängt nun Menschen für Jesus und seine Gemeinde und dient ihr damit. D.h.: Er kann letztlich doch etwas für Jesus tun, aber nicht aus eigener Kraft, sondern indem Gott ihn zum Menschenfischer macht. Erst als Petrus sich ganz klein macht und sich selbst ganz zurück nimmt, macht Gott etwas ganz großes aus ihm: den Felsen, auf dem die Kirche gebaut ist. Als Petrus selbst aufgibt, aus eigener Kraft etwas für seinen Herrn tun zu wollen, kann dieser ihn zu einem wirksamen Werkzeug machen.

Ich versuche oft, das Evangelium aus der Sicht des Petrus zu lesen. In ihn kann ich mich am besten hinein versetzen. Ich freue mich, vor Gott zu meiner ganzen Schwachheit stehen zu dürfen. Genau wie Petrus muss ich mich immer wieder daran erinnern lassen, dass ich von mir aus nichts wirklich wirksames tun kann. Meine Fähigkeiten sind zu gering.

Aber die Geschichte des Petrus sagt uns allen: Wenn ihr lernt, Gott mehr zu vertrauen als euch selbst, könnt ihr zu seinen Werkzeugen werden. Werdet von einfachen Fischern zu Menschenfischern, indem ihr euch Gott anvertraut und ihn durch euch handeln lasst! Ihr könnt aus eigener Kraft nichts erreichen und müsst es auch nicht, aber wenn ihr Gott machen lasst, wird er durch euch großes vollbringen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, stärke und bewahre uns im Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn. Amen.

Stephan Hölter
Hoelter75@aol.com

 


(zurück zum Seitenanfang)