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Gott, der allmächtige Vater
Martin Luther, WA 30 I, 10,6: "Wer einen Gott anzeigen wil, der mus anzeigen,
was er kan und vermag."
Reflexion zum Glaubensbekenntnis
Die
Allmacht Gottes: worin besteht sie?
Traugott Koch
Seit uralten Zeiten, seit Menschengedenken, sind die Götter stark
und eben nicht schwächlich oder ohnmächtig. Zur Gottheit gehört
Macht – und anders ist noch nie ein Gott gedacht, geglaubt und
verehrt worden. Fragt sich nur, wie und welche Macht zu Gottes Gottsein
gehört. Anfänglich liegt der Ansicht von der Macht Gottes die
primitive, naturnahe Vorstellung von Macht und Gewalt zugrunde, die genommen
ist aus dem vitalen Widerstreit in allem von Natur Lebendigen, dem Widerstreit
von stark und schwach.
Doch halten wir fest: Ein Gott – oder Gott -, der als Nichtskönner
unfähig oder ein Versager wäre, der wäre nur zu verachten
und nur eine lächerliche Karikatur. Gott ist nicht schwach oder
schwächlich. Ein nur ohnmächtiger Gott wäre keiner und
gewiß keiner, an den man glauben oder auf den man sich verlassen
könnte. Gott kann nicht Anderem oder seinem Gegenteil unterlegen
sein, irgend etwas Anderem auf Gedeih und Verderb’ ausgeliefert
sein. Sonst wäre er nicht absolut und nicht unbedingt. Das Andere
oder sein Gegenteil wäre stärker als er: Und also wäre
dies Andere oder sein Gegenteil der wirklich Gott. – Nichts kann
Gott überlegen sein. Nichts kann Gott sein Gottsein rauben. M.a.W.,
Gott ist unüberwindlich.
Zum Gottsein Gottes gehört also Macht und damit Überlegenheit.
Wäre er nicht allem Anderen überlegen, so wäre er nicht
frei. Und ein Gott, der sich nicht frei zu dem Anderen seiner verhalten
könnte, sondern vom Anderen gebunden und beherrscht würde,
wäre nicht Gott. Anders gesagt: Gott ist ein einziger Gott; neben
ihm sind nicht andere Größen, denen auch – separat für
sich – Absolutheit und Unbedingtheit zukäme. Vor allem kann
das Böse kein zweiter Gott von gleicher Macht sein. Folglich redet
der, der die Unbedingtheit und Absolutheit Gottes nicht begriffen hat,
nicht von Gott, sondern an Gott vorbei. Gott ist, als einer, eindeutig
Gott. – Doch fragt sich, wie diese Unbedingtheit und Absolutheit
des einen Gottes – wie mithin seine Macht – recht, wahrheitsgemäß begriffen
ist: etwa nur exklusiv, alles Andere ausschließend, nur separat
für sich?
Weil Gott als Gott wesentlich ein einziger ist, kam es zum Monotheismus,
zur Religion des einen Gottes. Nun war klar: Nur ein Gott hat allem Anderen überlegene
und insofern bedingungslose Macht. Er hat Allmacht. Was auch wären
Götter, die sich gegenseitig begrenzten? Sie wären nichts als
Nichtgötter; keiner von ihnen wäre Gott.
II.
Wie die christliche Tradition die Allmacht Gottes verstanden
hat, dafür
sei beispielhaft eine Stelle aus einer Schrift zitiert, die dem Kirchenvater
Augustinus zugeschrieben wurde: aus dem „Soliloquiorum animae ad
Deum liber“ (aus dem Buch der „Gespräche der Seele zu
Gott“). Danach stammt Gottes Allmacht aus seiner Einzigartigkeit
und bekundet sich darin, daß er allein der Schöpfer von allem,
der Erhalter von allem, der alles Regierende und Lenkende ist. Es heißt:
'Ich bekenne und bete an den einen, einzigen und dreieinigen Gott, den
einigen
Ursprung aller Dinge und das einige Ziel von allem, den einen Schöpfer
Himmels und der Erde, durch den alles lebt, was da lebt, durch den alles
erhalten wird und besteht, durch den alles gelenkt, regiert und belebt
wird, was im Himmel, auf Erden und unter der Erde ist, und neben dem
kein Gott ist im Himmel und auf Erden.’ (MPL 40, 892) So singen
wir ja auch: „Gott des Himmels und der Erden, Vater, Sohn und Heiliger
Geist, der es Tag und Nacht läßt werden, Sonn und Mond uns
scheinen heißt, dessen starke Hand die Welt und was drinnen ist,
erhält“ (H. Albert, 1642 = EG 445, 1). Die Allmacht Gottes
kann man demnach genau erkennen: nämlich daran, daß ohne Gottes
Macht nichts wäre und alles sich auflöste und zerfiele – daran
also, daß er der Schöpfer und Erhalter von allem ist. Man
hat die Welt um einen herum in früheren Zeiten tatsächlich
so gesehen und tagtäglich so erlebt. (Wir in der Neuzeit wissen,
daß Naturgesetze die Natur bestimmen, Tag und Nacht werden lassen.)
Nach traditioneller lutherischer Lehre ist die „Macht“ Gottes
(seine „potentia“) das, 'wodurch Gott unabhängig,
allein durch die ewige Wirksamkeit seines Wesens alles im Himmel und
auf Erden schaffen kann, was sich nicht selbst widerspricht.’ 'Die
Allmacht Gottes umfaßt alles, was in irgendeinem Sinne möglich
ist.’ (H. Schmid, Die Dogmatik, 1893, S. 80 u. 86) Sollte jemand
sagen, Gott könne auch das, was er nicht kann oder was ihm selbst
widerspricht oder in sich unsinnig ist, so redet er eben Unsinn und verneint
Gott als glaubhaftes Subjekt. Gottes Allmacht als überlegene Macht über
Tod und Teufel erweist sich darin, daß er die an Christus Glaubenden
vom Tod errettet und dem satanischen Höllenrachen entreißt.
Gott ist der, „der die Toten auferweckt“ (2. Kor. 1,9), „der
da lebendig macht die Toten und ruft dem, was nicht ist, daß es
sei.“ (Röm. 4, 17) Und eben das ist er in seiner Allmacht.
III.
Doch was genau ist gemeint, wenn wir von der Macht
Gottes und von seiner Allmacht sprechen: Worin besteht sie? Wenn das
nicht geklärt wird,
so liegt es allzu nahe, wie selbstverständlich, unsere Vorstellungen
von Macht auf Gott zu übertragen, und das, ohne zu fragen, ob sie
Gott angemessen sind.
Allmacht Gottes, wenn sie wirklich Gottes ist, kann zum ersten nicht heißen, Gott kann alles, alles Beliebige, Mögliche. Denn dann
ist oder wäre für Gott alles, was er kann und tut, selbst bloß beliebig:
Er kann das und das tun oder auch nicht tun. Sein eigenes Tun ist dann
für ihn selbst beliebig. Und alles, was er tut und ausführt,
ist bloß zufällig: kann sein oder auch nicht sein. Es bedeutet
das alles nichts; es bedeutet auch für Gott nichts. Wenn göttliche
Macht mit den Menschen nach Belieben verfährt, bleibt den Menschen
nur das demütige Verstummen. Gott gegenüber bleibt dem Menschen
dann nur, sich selbst aufzugeben und Gott sich ausliefern; bleibt ihm
nur ein „blindes“ Vertrauen – in der Tradition oft
ausgegeben als „kindliches“ Vertrauen. Ein Glaube daran,
daß Gott es gut mit uns meint, kann dann nicht aufkommen.
Der wahre Gott dagegen, der Gott, den jeder wollen kann, dem jeder sich
frei verbinden und anvertrauen kann, an den also jeder glauben kann,
ist der Gott, der über die pure Allmacht der Willkür und Beliebigkeit
hinaus ist. Er verteilt nicht Glück und Unglück nach Lust und
Laune, muß nicht – etwa durch Bittgebete – von uns
Menschen immer wieder beschwichtigt und gnädig gestimmt werden;
sondern er ist verläßlich in seiner das Leben eines jeden
bejahenden und fördernden Macht. Dieser Schritt der Gotteserkenntnis über
die blanke, willkürliche Allmacht Gottes hinaus wird erst im Christentum
vollzogen mit der Erkenntnis, daß Gott die Liebe selbst ist. Der
vorchristliche, willkürlich allmächtige Gott wurde nie als
Liebe verstanden. Liebe achtet nämlich den Anderen, berücksichtigt
ihn und läßt ihn gelten.
Die Allmacht Gottes kann keine schrankenlos unbestimmte, keine totale,
keine blank „souveräne“, herrschaftliche und also keine „absolutistische“ sein – wenn
Gott in sich wahr, eindeutig wahr ist. Und folglich kann „Allmacht
Gottes“ zum anderen nicht heißen: Alles, was Gott tut, erstellt
und zustande bringt, ist nur dazu da, um daran seine Macht zu erweisen. – Mit
der Macht hat es nämlich eine eigentümliche Bewandtnis: Macht
ist nur Macht, wenn sie ausgeübt wird, wenn sie sich über Anderes
als machtvoll, machthabend, erweist. Macht, blanke Macht, und um sich
herum nichts, ist keine, ist ohne jede Kraft, denn sie kann sich nicht
erweisen: sie hat nichts, woran sie sich erweisen könnte. Unbegrenzte,
schiere Macht allein ist nicht, gibt es nicht, läßt sich nicht
denken. Darum ist ja auch jeder Versuch, Macht um ihrer selbst willen
zu demonstrieren – Macht, die nichts erreichen will, ohne Zweck
ist – sinnlos. Macht muß Anderes neben sich dulden – und
damit ist sie prinzipiell begrenzt. Denn das, woran sie sich erweist,
muß schon da sein vor ihrem Machterweis. Macht braucht mithin Andere,
um sich an ihnen auszuüben. Das, wovon alles Übrige schlechthin
abhängig ist, das ist selbst davon abhängig, daß alles
von ihm abhängig ist. Denn sonst wäre es nicht das, wovon alles
abhängig ist. Ihre Uneingeschränktheit, ihre souveräne
Unabhängigkeit könnte die Macht – etwa gar die so vorgestellte
Macht Gottes – nur durchsetzen, wenn sie das Andere vernichtete.
Doch dann wäre mit diesem einen Akt auch die Macht zu Ende.
Eine exklusive, souveräne Macht, die absolutistisch nur sich kennt,
verneint bei sich selbst, was sie zwar wahrnimmt, aber nicht wahrhaben
kann und will: das Dasein des Anderen. Sie muß das Andere zulassen,
dulden – und erfährt es doch als Einschränkung der eigenen
Macht, kann es also nicht gelten lassen. M.a.W., eine solche Macht ist
in sich unwahr. Sie kann des wahren Gottes Macht nicht sein.
Die exklusiv souveräne Macht muß das Andere dulden und erfährt
es doch als Einschränkung des Eigenen: folglich als permanente Bedrohung,
gegen die sie sich durchsetzen muß. Solche Macht schafft sich ihre
Gegnerschaft selber. Und blanke, nicht weiter bestimmte und somit begrenzte
Macht ist in sich zwanghaft. Mag sie vom Machthaber her frei – willkürlich
sein – in sich selbst ist sie unfrei: sie muß sich durchsetzen,
muß sich selbst behaupten. Ihre Überlegenheit kann sie in
dieser Stellung nur durchsetzen und behaupten im Niederhalten, im Unterwerfen
des Anderen, im Beherrschen und Verfügen über den Anderen,
im Unterfangen, sich seiner zu bemächtigen, ihn zu überwältigen.
Was sie bekämpft, wogegen sie kämpfen muß, das ist die
Selbständigkeit und Freiheit des Anderen. Blanke, ungebundene Macht
ist freiheitsfeindlich. Aus der Sicht des souveränen Machthabers
sind die Anderen immer die Schwachen, Armen, Kleinen, Unfähigen
und als solche verächtlich.
Die als total unabhängig, völlig unbegrenzt, alles könnend
vorgestellte Allmacht Gottes und die Ohnmacht des Menschen bedingen sich.
Doch bereits dadurch ist die Allmacht bedingt und nicht einfach über
alles mächtig und eben nicht völlig unabhängig souverän.
Wenn jedoch nach dieser Vorstellung der Mensch nicht gänzlich ohnmächtig
und ausschließlich nur passiv wäre, wenn er Gott gegenüber
auch nur irgend etwas Eigenes – gar Freiheit – hätte,
so könnte Gott, nach dieser Vorstellung, nicht allmächtig sein,
so wäre er davon abhängig und somit bedingt. Folglich läßt
Gott, so vorgestellt, die Menschen nur gelten, sofern sie für ihn
brauchbar sind, brauchbare Werkzeuge oder Mittel für seine Zwecke,
Diener und Untergebene, oder gar nur Stücke seines Eigentums sind. – Jedoch
die so vorgestellte Allmacht, entgeht, wie gezeigt, der Bedingtheit nicht:
Sie läßt sich folglich nicht halten, nicht als wahr annehmen.
Und noch eine weitere Überlegung dazu: Wenn Gott endliche Freiheit
nicht frei und wahrhaft zuließe, wenn er nicht fähig wäre,
endliche Freiheit neben sich anzuerkennen, so erwiese er sich als unfähig
zu lieben und somit als begrenzt. Vor der Liebe erwiese er sich als darin
eingeschränkt, den Anderen und dessen endliche Freiheit nur als
Einschränkung des Eigenen und als dessen Bedrohung wahrnehmen zu
können. Im Vergleich mit einem solchen Gott – wie wir gesehen
haben: vermeintlich – unbeschränkter Allmacht ist die Liebe
absolut und also der wahre Gott: freilich nur die Liebe, die den Anderen
freiläßt selbst zum Widerspruch, die unter jedem Widerspruch,
unter jeder Lieblosigkeit, leidet und dennoch bleibt, was sie ist: nicht
aufhörende Liebe, die selbst noch den Verirrten, den Verkehrten,
den „Sünder“ sucht. Die Allmacht des wahren Gottes kann
nur die Macht freilassender Liebe und der Wahrheit sein.
Sie kann folglich, drittens, nicht die einer Befehlsgewalt sein, der
gegenüber der Andere nur untertänig, willfährig und also
gehorsam zu sein hat. Denn auch eine solche Herrschaft über den
Anderen enthält unübersehbar Gewalt, „funktioniert“ nur
mit Gewalt. Der Befehlende kann den eigenen Willen des Anderen nicht
aufkommen lassen, nicht respektieren: Er muß ihn niederzwingen
und sich unterwerfen. Und der Gehorsame, der sich dem fremden Willen
unterwirft, muß den eigenen Willen unterdrücken, also Gewalt
gegen sich selbst anwenden. Solch ein Befehls- und Gehorsamsverhältnis
schließt jede Kommunikation zwischen den beiden aus.
Gott – vorgestellt in der üblichen Annahme seiner Allmächtigkeit – kann,
zum vierten, nicht die „alles bestimmende Wirklichkeit“ sein.
Eine Position, die das behauptet, muß jedes Leiden, alle Krankheit,
die schrecklichste Not, die Naturkatastrophen und die Geschichtsverbrechen
(„Auschwitz“) als von Gott ausgehend erklären, als uns
von Gott bestimmt ausgeben. Solches Reden von einem allmächtigen
Gott scheitert allemal im tatsächlichen Leben, im Gespräch
mit einem Betroffenen, am Theodizee-Syndrom, kommt nicht nur darüber
nicht hinaus, sondern hilft vor allem darüber nicht hinweg. Jedoch
eine sich Theologie nennende Position, die sagt, Gott sei angesichts
des unfaßlichen Elends dieser Welt, des ganzen Unheils und Verbrechens,
oder auch nur einem Leiden gegenüber, ohnmächtig, d. i. hilflos,
hat Gott verraten. Nein, nicht so, sondern dies ist aus Überzeugung
zu sagen: Gott ist unüberwindlich. Aber wir Menschen können
Gott nicht nur, furchtbarerweise, beleidigen, schädigen, entstellen,
sondern ihm sogar sein Gottsein streitig machen und ihm den Tod antun;
und die Natur kann das in ihrer Weise auch. Doch selbst da, noch im Tod,
bleibt Gott, was er ist: die alle suchende, niemanden aufgebende Liebe.
Es ist nicht einfach so zu behaupten: Bei Gott sind alle Dinge möglich.
Klar: Möglich ist immer alles. Aber das zu sagen, ist nur der Gipfel
der Abstraktion. Und damit ist, genau besehen, nichts gesagt; denn das
besagt nichts. Bereits nach traditioneller Lehre sind bei Gott zwar alle
Dinge (!) möglich, aber das Böse, Widergöttliche und an
sich Unsinnige nicht. Also ist bei Gott nicht möglich, was gegen
sein Gottsein, gegen das ist, was er selber ist: der Geist der Wahrheit
und der Liebe, das Lebendigmachende in allem Lebenden, der Sinn in allem
Sinnvollen. Und bei Gott ist das nicht möglich, oder das will Gott
nicht, was gegen seinen Willen ist: und er will das Leben, den Tod jedoch
will er nicht. Und er will uns Menschen: Er will, was er will, nicht
ohne uns. Wäre es anders, so wäre Gott blinde Notwendigkeit,
und keiner, der bei Sinnen ist, könnte ihm trauen. So sei klar und
deutlich gesagt: Gott will das Böse nicht und läßt es
auch gerade nicht zu, sondern er und sein Geist bestehen und überwinden
es.
Daß Gott nicht die blinde Notwendigkeit und die unbestimmte „Macht
an sich“ sein kann, ist bei K. Barth deutlich ausgesprochen. Er
fragt: „Ist Gott der Inbegriff aller Souveränität, schlechthin
potentia?“ Und er antwortet: „... nicht der 'Allmächtige’ ist
Gott, nicht von einem höchsten Inbegriff von Macht aus ist zu verstehen,
was Gott ist. Und wer den 'Allmächtigen’ Gott nennt,
der redet in der furchtbarsten Weise an Gott vorbei.“ (Dogmatik
im Grundr., 1947, S. 54)
Wenn jedoch jener Satz, wonach bei Gott alle Dinge möglich sind,
präzisiert, d. h. inhaltlich näherbestimmt wird und wenn er
folglich lautet: Bei Gott ist auch das noch möglich, was uns unmöglich
zu sein scheint – und wenn er so ein Satz der Hoffnung auf das
unausschöpfbar Gute Gottes ist, dann hat er einen guten, theologischen
Sinn. Denn dann kann er dem zur Resignation Geneigten Mut zum Aufstehen,
Freiheit zum Leben geben.
Nicht selten ist die Behauptung zu hören, für Gott sei auch
das Böse zu etwas gut. Wenn dem so wäre, dann müßte
für den Menschen, der das „glaubt“, gut und böse
gleich sein, alles „egal“ und gleichgültig sein. Und übrigens
verstünde uns dann Gott nicht, kennte er uns nicht als die, die
unter dem lebenszerstörerischen Bösen und Unheilvollen leiden,
oder es wäre ihm gleichgültig. Bereits I. Kant, der Philosoph,
hat geltend gemacht: Wenn der Gottesgedanke nicht durch das vernünftig
Gute bestimmt ist, so bleiben dem Inhalt nach nur übrig die „Eigenschaften
der Ehr- und Herrschbegierde, mit den furchtbaren Vorstellungen der Macht
und des Racheifers verbunden“. Eine solche Gottesvorstellung jedoch
zerstört nicht nur jede sittlich-ethische – vertrauensvolle – Beziehung
zwischen Mensch und Gott, sondern – sollte ein Mensch dieser Gottesvorstellung
wirklich folgen – auch die Geltung des moralischen Gesetzes (die
Geltung ethischer Normen) unter den Menschen. Denn wenn bei Gott das
unter den Menschen Böse gut sein kann, wenn alles immer auch anders
sein kann, dann gibt es für den, der das glaubt, keine Ethik, keine
Verpflichtung, keine Moralität (Kant, Grundl. zur Metaph. d. Sitten,
B 92).
Irgendwelche Abschwächungen oder Ermäßigungen tragen
da gar nichts aus. Bei D. Bonhoeffer steht: „Ich glaube, daß Gott
aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und
will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten
dienen lassen.“ (Widerstand und Ergebung, 1997, S. 47) Wenn Menschen,
einfach so, sich alle Dinge zum Besten dienen lassen, dann gibt es für
diese das lebenszerstörerische Böse nicht. Und dann 'brauchen’ sie
Gott dafür nicht, und „braucht“ Gott sie nicht für
sein Entstehenlassen des Guten aus dem Bösen. Denn dann ist ja alles,
wie man so schön sagt, „schon gelaufen“. Bei Bonhoeffer
heißt es weiter: „Ich glaube daß Gott uns in jeder
Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er
gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern
allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte [!] alle
Angst vor der Zukunft überwunden sein.“ Schrecklich, kalkulierte
Gott in seiner Pädagogik unser Beinahe-Versinken und gäbe er
seine Hilfe dosiert.
Nein, nicht so! Das ganze Elend dieser Welt, das über Menschen
hereinbrechende Unheil, die ganzen Verbrechen: sie sind ein Skandal,
bei dem man sich nicht beruhigen kann; sie sind ein gerade von Gott als
dem absolut Guten aufgedeckter Skandal. Sehe nur jeder, jede, zu, wie
er oder sie ihn bestehen, ihn verkraften will – und aus welcher
Kraft er oder sie das vermag.
Sagt man, es geschehe nichts ohne Gottes Willen, so ist auch dieser
Satz falsch, wenn es bei der Unbestimmtheit bleibt. Ja, es geschieht
nichts ohne Gottes Willen, aber viel, viel zuviel, gegen seinen Willen:
dann, wenn der Wille Gottes verkehrt, verstellt und verdeckt wird, weil
Menschen ihn nicht in ihr eigenes Wollen aufgenommen haben und eben nicht
tun.
Auch ist, fünftens, nicht zu sagen: Gott ist Herr über Leben
und Tod, er gibt wie das Leben, so auch den Tod – und das nach
Belieben. Wieder geriete mit solcher Rede Gott ins Unbestimmte und müßte
er, um sein Belieben durchzusetzen, unseren Lebenswillen, den Lebenswillen
alles Lebendigen, mißachten und niedertreten. Dagegen gilt vielmehr:
Gott ist die Quelle des Lebens, der Geist, der lebendig macht und lebendig
hält. Er ist eindeutig für das Leben. Er gibt das Leben und
will das Leben, das Leben eines jeden, er will das Leben und nicht den
Tod, das Leben sogar über den Tod hinaus. Er nimmt uns nicht das
Leben: Täte er das, so würde er selbst vernichten, was er erweckt
hat. Doch er läßt uns sterben, weil das Sterbenmüssen
zum Leben in der Zeit gehört. Er läßt uns sterben – aber
mit dem Willen, daß wir nicht im Tod vergehen, sondern bei ihm
ewig leben.
IV.
Der neuzeitliche Rechtsstaat kennt in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit
zulässigerweise keine ungebundene Macht mehr. Über solche alte
Gottes- und Obrigkeitsvorstellung ist er qualitativ hinaus. Er kennt
als zulässig nur die an das Recht gebundene, vom Recht geregelte
Macht. In einem demokratischen Rechtsstaat, auch mit einer konstitutionellen
Monarchie, ist staatliche Macht, die auch rechtsetzende Macht ist, nach
Verfassungsrecht immer dem Regierenden, also den Inhabern von Macht,
eingeräumte, zeitlich befristete und dem Staatsvolk rechenschaftspflichtige
Macht. Die Inhaber staatlicher Macht sind nach Verfassungsrecht abwählbar.
Nur nach Verfassungsrecht sind und handeln sie rechtmäßig. – Zulässige
gesellschaftliche Macht von Gruppen und Verbänden ist solche, die
auf rechtlich geregelte Übereinkunft und Absprache, entscheidend
auf Verträgen, beruht. – Übrigens ist das staatlich gesetzte,
mit Durchsetzungsmacht bewehrte Recht immer auch ein Schutz gegen Machtansprüche
Anderer.
Nicht ist Macht an sich böse; nur die unbestimmte, uneingeschränkte,
die absolutistische, in der Öffentlichkeit des Zusammenlebens nicht
an das Recht gebundene Macht. Die nicht an das Recht gebundene, von ihm
geregelte Macht ist in der Öffentlichkeit unrechte Gewalt und deren
Ausübung Gewalttat und als solche Unrecht.
Folglich sollte uns jede Glorifizierung von Macht nur als solcher vergangen
sein. Die Demonstration von Macht als Macht – und sei sie noch
so gewaltig, wie sie als Naturgewalt in Blitz und Donner daherfährt
oder aufzieht als siegreiche Streitmacht, oder wie sie noch so herrlich
und herrschaftlich inszeniert sein mag – sollte niemandem mehr
imponieren. Die Macht nur als Macht hat ihr Faszinierendes verloren.
Und die Gewalttat erscheint nur noch als brutal und verwerflich.
V.
Die absolute Macht, die allem überlegene und darum vor nichts
und niemandem weichende Macht – die Allmacht – des wahren
Gottes kann nur die der Wahrheit und der Liebe sein. Und diese Macht
ist gewaltfrei
eine freilassende, nichts erzwingende Macht.
Die Macht der Gottesliebe ist die der Liebe, die nichts erzwingt, die
in sich so stark, ihrer selbst so gewiß ist, daß sie nur
wirbt, unermüdlich, frei um den Anderen, den Menschen, wirbt, auf
daß er sich von ihr erwecken lasse und so beide, Gott und der Mensch,
zusammenkommen und zusammenseien. Die Macht der Liebe ist die Macht,
die furchtlos es nicht nötig hat, den Anderen zu beherrschen, über
ihn zu verfügen. Sie nötigt den Anderen nicht, weil sie ihn
nicht für sich benötigt, sie braucht den Anderen nicht, um
ihn für sich zu gebrauchen. Sie achtet den Anderen, läßt
ihn gelten. Und als göttliche Liebe ist es die sich nicht geschlagen
gebende und die nicht aufgebende Liebe, die unbedingt zum Anderen hält,
selbst noch in dessen Liebesverschlossenheit. Ihre Stärke besteht
im Ausharren: widerständig im Leiden an den ihr zugefügten
Beleidigungen, Entstellungen und Beschädigungen durch die Liebesverweigerung
und Wahrheitswidrigkeiten zu sein – und in solchen Verletzungen
immer noch Liebe, aufgeschlossen für den Anderen, zu sein, also
weiterhin sie selbst zu sein: somit nicht überwältigt zu werden
und so, im Aushalten, überlegen zu sein.
Wie es ebenso als Macht des wahren Gottes die Macht der Wahrheit ist:
Sie überzeugt, wen sie überzeugt, frei. Sie überredet
nicht, bezwingt nicht, setzt sich dem Einspruch und der Abweisung des
Anderen aus, schlägt den Widerspruch nicht nieder, sondern versucht,
auch ihn zu versehen. Sie drängt sich nicht auf, sondern setzt geduldig
darauf, daß sie von selbst einleuchtet, setzt also einzig auf die
freie Einsicht des Anderen. Und sie ergreift und bewegt den und lichtet
den Weg dem, der auf sie hört und sie bei sich einläßt.
Eine achtsame, des Anderen gewärtige und seine freie Teilnahme
intendierende Macht ist die des wahren Gottes. Sie schafft, macht lebendig,
indem sie erweckt. Es wird ja auch niemals etwas Gutes durch bloße
Macht erreicht; allenfalls das Böse verhindern läßt sich
mittels – aber nur mittels rechtsförmiger – Gewalt.
Nur der Gott, der gewaltfrei, also ohne zwingende Macht und ohne Gewalttat,
die Gewalt des Unrechts besteht und darüber hinausführt zu
einem Leben der Wahrheit und der Liebe, kann der wahre Gott und glaubwürdig
sein. Er mißachtet die Menschen nicht, indem er sie als hilflos,
ohnmächtig, unselbständig und subjektlos behandelt. Er will
sie viel mehr in seiner Liebe als sie selbst: als wahrheitsfähige,
liebesfähige Personen. Immer wenn diese einwilligen, kommt seine
Liebe zur Vollendung, ist sie in Freiheit absolut.
Prof. Dr. Traugott Koch
E-Mail: FB01-ISyTh@theologie.uni-hamburg.de
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