Gott, der allmächtige Vater
Martin Luther, WA 30 I, 10,6: "Wer einen Gott anzeigen wil, der mus anzeigen, was er kan und vermag."

Reflexion zum Glaubensbekenntnis
Die Allmacht Gottes: worin besteht sie?
Traugott Koch

Seit uralten Zeiten, seit Menschengedenken, sind die Götter stark und eben nicht schwächlich oder ohnmächtig. Zur Gottheit gehört Macht – und anders ist noch nie ein Gott gedacht, geglaubt und verehrt worden. Fragt sich nur, wie und welche Macht zu Gottes Gottsein gehört. Anfänglich liegt der Ansicht von der Macht Gottes die primitive, naturnahe Vorstellung von Macht und Gewalt zugrunde, die genommen ist aus dem vitalen Widerstreit in allem von Natur Lebendigen, dem Widerstreit von stark und schwach.

Doch halten wir fest: Ein Gott – oder Gott -, der als Nichtskönner unfähig oder ein Versager wäre, der wäre nur zu verachten und nur eine lächerliche Karikatur. Gott ist nicht schwach oder schwächlich. Ein nur ohnmächtiger Gott wäre keiner und gewiß keiner, an den man glauben oder auf den man sich verlassen könnte. Gott kann nicht Anderem oder seinem Gegenteil unterlegen sein, irgend etwas Anderem auf Gedeih und Verderb’ ausgeliefert sein. Sonst wäre er nicht absolut und nicht unbedingt. Das Andere oder sein Gegenteil wäre stärker als er: Und also wäre dies Andere oder sein Gegenteil der wirklich Gott. – Nichts kann Gott überlegen sein. Nichts kann Gott sein Gottsein rauben. M.a.W., Gott ist unüberwindlich.

Zum Gottsein Gottes gehört also Macht und damit Überlegenheit. Wäre er nicht allem Anderen überlegen, so wäre er nicht frei. Und ein Gott, der sich nicht frei zu dem Anderen seiner verhalten könnte, sondern vom Anderen gebunden und beherrscht würde, wäre nicht Gott. Anders gesagt: Gott ist ein einziger Gott; neben ihm sind nicht andere Größen, denen auch – separat für sich – Absolutheit und Unbedingtheit zukäme. Vor allem kann das Böse kein zweiter Gott von gleicher Macht sein. Folglich redet der, der die Unbedingtheit und Absolutheit Gottes nicht begriffen hat, nicht von Gott, sondern an Gott vorbei. Gott ist, als einer, eindeutig Gott. – Doch fragt sich, wie diese Unbedingtheit und Absolutheit des einen Gottes – wie mithin seine Macht – recht, wahrheitsgemäß begriffen ist: etwa nur exklusiv, alles Andere ausschließend, nur separat für sich?

Weil Gott als Gott wesentlich ein einziger ist, kam es zum Monotheismus, zur Religion des einen Gottes. Nun war klar: Nur ein Gott hat allem Anderen überlegene und insofern bedingungslose Macht. Er hat Allmacht. Was auch wären Götter, die sich gegenseitig begrenzten? Sie wären nichts als Nichtgötter; keiner von ihnen wäre Gott.

II.

Wie die christliche Tradition die Allmacht Gottes verstanden hat, dafür sei beispielhaft eine Stelle aus einer Schrift zitiert, die dem Kirchenvater Augustinus zugeschrieben wurde: aus dem „Soliloquiorum animae ad Deum liber“ (aus dem Buch der „Gespräche der Seele zu Gott“). Danach stammt Gottes Allmacht aus seiner Einzigartigkeit und bekundet sich darin, daß er allein der Schöpfer von allem, der Erhalter von allem, der alles Regierende und Lenkende ist. Es heißt: 'Ich bekenne und bete an den einen, einzigen und dreieinigen Gott, den einigen Ursprung aller Dinge und das einige Ziel von allem, den einen Schöpfer Himmels und der Erde, durch den alles lebt, was da lebt, durch den alles erhalten wird und besteht, durch den alles gelenkt, regiert und belebt wird, was im Himmel, auf Erden und unter der Erde ist, und neben dem kein Gott ist im Himmel und auf Erden.’ (MPL 40, 892) So singen wir ja auch: „Gott des Himmels und der Erden, Vater, Sohn und Heiliger Geist, der es Tag und Nacht läßt werden, Sonn und Mond uns scheinen heißt, dessen starke Hand die Welt und was drinnen ist, erhält“ (H. Albert, 1642 = EG 445, 1). Die Allmacht Gottes kann man demnach genau erkennen: nämlich daran, daß ohne Gottes Macht nichts wäre und alles sich auflöste und zerfiele – daran also, daß er der Schöpfer und Erhalter von allem ist. Man hat die Welt um einen herum in früheren Zeiten tatsächlich so gesehen und tagtäglich so erlebt. (Wir in der Neuzeit wissen, daß Naturgesetze die Natur bestimmen, Tag und Nacht werden lassen.) Nach traditioneller lutherischer Lehre ist die „Macht“ Gottes (seine „potentia“) das, 'wodurch Gott unabhängig, allein durch die ewige Wirksamkeit seines Wesens alles im Himmel und auf Erden schaffen kann, was sich nicht selbst widerspricht.’ 'Die Allmacht Gottes umfaßt alles, was in irgendeinem Sinne möglich ist.’ (H. Schmid, Die Dogmatik, 1893, S. 80 u. 86) Sollte jemand sagen, Gott könne auch das, was er nicht kann oder was ihm selbst widerspricht oder in sich unsinnig ist, so redet er eben Unsinn und verneint Gott als glaubhaftes Subjekt. Gottes Allmacht als überlegene Macht über Tod und Teufel erweist sich darin, daß er die an Christus Glaubenden vom Tod errettet und dem satanischen Höllenrachen entreißt. Gott ist der, „der die Toten auferweckt“ (2. Kor. 1,9), „der da lebendig macht die Toten und ruft dem, was nicht ist, daß es sei.“ (Röm. 4, 17) Und eben das ist er in seiner Allmacht.

III.

Doch was genau ist gemeint, wenn wir von der Macht Gottes und von seiner Allmacht sprechen: Worin besteht sie? Wenn das nicht geklärt wird, so liegt es allzu nahe, wie selbstverständlich, unsere Vorstellungen von Macht auf Gott zu übertragen, und das, ohne zu fragen, ob sie Gott angemessen sind.

Allmacht Gottes, wenn sie wirklich Gottes ist, kann zum ersten nicht heißen, Gott kann alles, alles Beliebige, Mögliche. Denn dann ist oder wäre für Gott alles, was er kann und tut, selbst bloß beliebig: Er kann das und das tun oder auch nicht tun. Sein eigenes Tun ist dann für ihn selbst beliebig. Und alles, was er tut und ausführt, ist bloß zufällig: kann sein oder auch nicht sein. Es bedeutet das alles nichts; es bedeutet auch für Gott nichts. Wenn göttliche Macht mit den Menschen nach Belieben verfährt, bleibt den Menschen nur das demütige Verstummen. Gott gegenüber bleibt dem Menschen dann nur, sich selbst aufzugeben und Gott sich ausliefern; bleibt ihm nur ein „blindes“ Vertrauen – in der Tradition oft ausgegeben als „kindliches“ Vertrauen. Ein Glaube daran, daß Gott es gut mit uns meint, kann dann nicht aufkommen.

Der wahre Gott dagegen, der Gott, den jeder wollen kann, dem jeder sich frei verbinden und anvertrauen kann, an den also jeder glauben kann, ist der Gott, der über die pure Allmacht der Willkür und Beliebigkeit hinaus ist. Er verteilt nicht Glück und Unglück nach Lust und Laune, muß nicht – etwa durch Bittgebete – von uns Menschen immer wieder beschwichtigt und gnädig gestimmt werden; sondern er ist verläßlich in seiner das Leben eines jeden bejahenden und fördernden Macht. Dieser Schritt der Gotteserkenntnis über die blanke, willkürliche Allmacht Gottes hinaus wird erst im Christentum vollzogen mit der Erkenntnis, daß Gott die Liebe selbst ist. Der vorchristliche, willkürlich allmächtige Gott wurde nie als Liebe verstanden. Liebe achtet nämlich den Anderen, berücksichtigt ihn und läßt ihn gelten.

Die Allmacht Gottes kann keine schrankenlos unbestimmte, keine totale, keine blank „souveräne“, herrschaftliche und also keine „absolutistische“ sein – wenn Gott in sich wahr, eindeutig wahr ist. Und folglich kann „Allmacht Gottes“ zum anderen nicht heißen: Alles, was Gott tut, erstellt und zustande bringt, ist nur dazu da, um daran seine Macht zu erweisen. – Mit der Macht hat es nämlich eine eigentümliche Bewandtnis: Macht ist nur Macht, wenn sie ausgeübt wird, wenn sie sich über Anderes als machtvoll, machthabend, erweist. Macht, blanke Macht, und um sich herum nichts, ist keine, ist ohne jede Kraft, denn sie kann sich nicht erweisen: sie hat nichts, woran sie sich erweisen könnte. Unbegrenzte, schiere Macht allein ist nicht, gibt es nicht, läßt sich nicht denken. Darum ist ja auch jeder Versuch, Macht um ihrer selbst willen zu demonstrieren – Macht, die nichts erreichen will, ohne Zweck ist – sinnlos. Macht muß Anderes neben sich dulden – und damit ist sie prinzipiell begrenzt. Denn das, woran sie sich erweist, muß schon da sein vor ihrem Machterweis. Macht braucht mithin Andere, um sich an ihnen auszuüben. Das, wovon alles Übrige schlechthin abhängig ist, das ist selbst davon abhängig, daß alles von ihm abhängig ist. Denn sonst wäre es nicht das, wovon alles abhängig ist. Ihre Uneingeschränktheit, ihre souveräne Unabhängigkeit könnte die Macht – etwa gar die so vorgestellte Macht Gottes – nur durchsetzen, wenn sie das Andere vernichtete. Doch dann wäre mit diesem einen Akt auch die Macht zu Ende.

Eine exklusive, souveräne Macht, die absolutistisch nur sich kennt, verneint bei sich selbst, was sie zwar wahrnimmt, aber nicht wahrhaben kann und will: das Dasein des Anderen. Sie muß das Andere zulassen, dulden – und erfährt es doch als Einschränkung der eigenen Macht, kann es also nicht gelten lassen. M.a.W., eine solche Macht ist in sich unwahr. Sie kann des wahren Gottes Macht nicht sein.

Die exklusiv souveräne Macht muß das Andere dulden und erfährt es doch als Einschränkung des Eigenen: folglich als permanente Bedrohung, gegen die sie sich durchsetzen muß. Solche Macht schafft sich ihre Gegnerschaft selber. Und blanke, nicht weiter bestimmte und somit begrenzte Macht ist in sich zwanghaft. Mag sie vom Machthaber her frei – willkürlich sein – in sich selbst ist sie unfrei: sie muß sich durchsetzen, muß sich selbst behaupten. Ihre Überlegenheit kann sie in dieser Stellung nur durchsetzen und behaupten im Niederhalten, im Unterwerfen des Anderen, im Beherrschen und Verfügen über den Anderen, im Unterfangen, sich seiner zu bemächtigen, ihn zu überwältigen. Was sie bekämpft, wogegen sie kämpfen muß, das ist die Selbständigkeit und Freiheit des Anderen. Blanke, ungebundene Macht ist freiheitsfeindlich. Aus der Sicht des souveränen Machthabers sind die Anderen immer die Schwachen, Armen, Kleinen, Unfähigen und als solche verächtlich.

Die als total unabhängig, völlig unbegrenzt, alles könnend vorgestellte Allmacht Gottes und die Ohnmacht des Menschen bedingen sich. Doch bereits dadurch ist die Allmacht bedingt und nicht einfach über alles mächtig und eben nicht völlig unabhängig souverän. Wenn jedoch nach dieser Vorstellung der Mensch nicht gänzlich ohnmächtig und ausschließlich nur passiv wäre, wenn er Gott gegenüber auch nur irgend etwas Eigenes – gar Freiheit – hätte, so könnte Gott, nach dieser Vorstellung, nicht allmächtig sein, so wäre er davon abhängig und somit bedingt. Folglich läßt Gott, so vorgestellt, die Menschen nur gelten, sofern sie für ihn brauchbar sind, brauchbare Werkzeuge oder Mittel für seine Zwecke, Diener und Untergebene, oder gar nur Stücke seines Eigentums sind. – Jedoch die so vorgestellte Allmacht, entgeht, wie gezeigt, der Bedingtheit nicht: Sie läßt sich folglich nicht halten, nicht als wahr annehmen.

Und noch eine weitere Überlegung dazu: Wenn Gott endliche Freiheit nicht frei und wahrhaft zuließe, wenn er nicht fähig wäre, endliche Freiheit neben sich anzuerkennen, so erwiese er sich als unfähig zu lieben und somit als begrenzt. Vor der Liebe erwiese er sich als darin eingeschränkt, den Anderen und dessen endliche Freiheit nur als Einschränkung des Eigenen und als dessen Bedrohung wahrnehmen zu können. Im Vergleich mit einem solchen Gott – wie wir gesehen haben: vermeintlich – unbeschränkter Allmacht ist die Liebe absolut und also der wahre Gott: freilich nur die Liebe, die den Anderen freiläßt selbst zum Widerspruch, die unter jedem Widerspruch, unter jeder Lieblosigkeit, leidet und dennoch bleibt, was sie ist: nicht aufhörende Liebe, die selbst noch den Verirrten, den Verkehrten, den „Sünder“ sucht. Die Allmacht des wahren Gottes kann nur die Macht freilassender Liebe und der Wahrheit sein.

Sie kann folglich, drittens, nicht die einer Befehlsgewalt sein, der gegenüber der Andere nur untertänig, willfährig und also gehorsam zu sein hat. Denn auch eine solche Herrschaft über den Anderen enthält unübersehbar Gewalt, „funktioniert“ nur mit Gewalt. Der Befehlende kann den eigenen Willen des Anderen nicht aufkommen lassen, nicht respektieren: Er muß ihn niederzwingen und sich unterwerfen. Und der Gehorsame, der sich dem fremden Willen unterwirft, muß den eigenen Willen unterdrücken, also Gewalt gegen sich selbst anwenden. Solch ein Befehls- und Gehorsamsverhältnis schließt jede Kommunikation zwischen den beiden aus.

Gott – vorgestellt in der üblichen Annahme seiner Allmächtigkeit – kann, zum vierten, nicht die „alles bestimmende Wirklichkeit“ sein. Eine Position, die das behauptet, muß jedes Leiden, alle Krankheit, die schrecklichste Not, die Naturkatastrophen und die Geschichtsverbrechen („Auschwitz“) als von Gott ausgehend erklären, als uns von Gott bestimmt ausgeben. Solches Reden von einem allmächtigen Gott scheitert allemal im tatsächlichen Leben, im Gespräch mit einem Betroffenen, am Theodizee-Syndrom, kommt nicht nur darüber nicht hinaus, sondern hilft vor allem darüber nicht hinweg. Jedoch eine sich Theologie nennende Position, die sagt, Gott sei angesichts des unfaßlichen Elends dieser Welt, des ganzen Unheils und Verbrechens, oder auch nur einem Leiden gegenüber, ohnmächtig, d. i. hilflos, hat Gott verraten. Nein, nicht so, sondern dies ist aus Überzeugung zu sagen: Gott ist unüberwindlich. Aber wir Menschen können Gott nicht nur, furchtbarerweise, beleidigen, schädigen, entstellen, sondern ihm sogar sein Gottsein streitig machen und ihm den Tod antun; und die Natur kann das in ihrer Weise auch. Doch selbst da, noch im Tod, bleibt Gott, was er ist: die alle suchende, niemanden aufgebende Liebe.

Es ist nicht einfach so zu behaupten: Bei Gott sind alle Dinge möglich. Klar: Möglich ist immer alles. Aber das zu sagen, ist nur der Gipfel der Abstraktion. Und damit ist, genau besehen, nichts gesagt; denn das besagt nichts. Bereits nach traditioneller Lehre sind bei Gott zwar alle Dinge (!) möglich, aber das Böse, Widergöttliche und an sich Unsinnige nicht. Also ist bei Gott nicht möglich, was gegen sein Gottsein, gegen das ist, was er selber ist: der Geist der Wahrheit und der Liebe, das Lebendigmachende in allem Lebenden, der Sinn in allem Sinnvollen. Und bei Gott ist das nicht möglich, oder das will Gott nicht, was gegen seinen Willen ist: und er will das Leben, den Tod jedoch will er nicht. Und er will uns Menschen: Er will, was er will, nicht ohne uns. Wäre es anders, so wäre Gott blinde Notwendigkeit, und keiner, der bei Sinnen ist, könnte ihm trauen. So sei klar und deutlich gesagt: Gott will das Böse nicht und läßt es auch gerade nicht zu, sondern er und sein Geist bestehen und überwinden es.

Daß Gott nicht die blinde Notwendigkeit und die unbestimmte „Macht an sich“ sein kann, ist bei K. Barth deutlich ausgesprochen. Er fragt: „Ist Gott der Inbegriff aller Souveränität, schlechthin potentia?“ Und er antwortet: „... nicht der 'Allmächtige’ ist Gott, nicht von einem höchsten Inbegriff von Macht aus ist zu verstehen, was Gott ist. Und wer den 'Allmächtigen’ Gott nennt, der redet in der furchtbarsten Weise an Gott vorbei.“ (Dogmatik im Grundr., 1947, S. 54)

Wenn jedoch jener Satz, wonach bei Gott alle Dinge möglich sind, präzisiert, d. h. inhaltlich näherbestimmt wird und wenn er folglich lautet: Bei Gott ist auch das noch möglich, was uns unmöglich zu sein scheint – und wenn er so ein Satz der Hoffnung auf das unausschöpfbar Gute Gottes ist, dann hat er einen guten, theologischen Sinn. Denn dann kann er dem zur Resignation Geneigten Mut zum Aufstehen, Freiheit zum Leben geben.

Nicht selten ist die Behauptung zu hören, für Gott sei auch das Böse zu etwas gut. Wenn dem so wäre, dann müßte für den Menschen, der das „glaubt“, gut und böse gleich sein, alles „egal“ und gleichgültig sein. Und übrigens verstünde uns dann Gott nicht, kennte er uns nicht als die, die unter dem lebenszerstörerischen Bösen und Unheilvollen leiden, oder es wäre ihm gleichgültig. Bereits I. Kant, der Philosoph, hat geltend gemacht: Wenn der Gottesgedanke nicht durch das vernünftig Gute bestimmt ist, so bleiben dem Inhalt nach nur übrig die „Eigenschaften der Ehr- und Herrschbegierde, mit den furchtbaren Vorstellungen der Macht und des Racheifers verbunden“. Eine solche Gottesvorstellung jedoch zerstört nicht nur jede sittlich-ethische – vertrauensvolle – Beziehung zwischen Mensch und Gott, sondern – sollte ein Mensch dieser Gottesvorstellung wirklich folgen – auch die Geltung des moralischen Gesetzes (die Geltung ethischer Normen) unter den Menschen. Denn wenn bei Gott das unter den Menschen Böse gut sein kann, wenn alles immer auch anders sein kann, dann gibt es für den, der das glaubt, keine Ethik, keine Verpflichtung, keine Moralität (Kant, Grundl. zur Metaph. d. Sitten, B 92).

Irgendwelche Abschwächungen oder Ermäßigungen tragen da gar nichts aus. Bei D. Bonhoeffer steht: „Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“ (Widerstand und Ergebung, 1997, S. 47) Wenn Menschen, einfach so, sich alle Dinge zum Besten dienen lassen, dann gibt es für diese das lebenszerstörerische Böse nicht. Und dann 'brauchen’ sie Gott dafür nicht, und „braucht“ Gott sie nicht für sein Entstehenlassen des Guten aus dem Bösen. Denn dann ist ja alles, wie man so schön sagt, „schon gelaufen“. Bei Bonhoeffer heißt es weiter: „Ich glaube daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte [!] alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“ Schrecklich, kalkulierte Gott in seiner Pädagogik unser Beinahe-Versinken und gäbe er seine Hilfe dosiert.

Nein, nicht so! Das ganze Elend dieser Welt, das über Menschen hereinbrechende Unheil, die ganzen Verbrechen: sie sind ein Skandal, bei dem man sich nicht beruhigen kann; sie sind ein gerade von Gott als dem absolut Guten aufgedeckter Skandal. Sehe nur jeder, jede, zu, wie er oder sie ihn bestehen, ihn verkraften will – und aus welcher Kraft er oder sie das vermag.

Sagt man, es geschehe nichts ohne Gottes Willen, so ist auch dieser Satz falsch, wenn es bei der Unbestimmtheit bleibt. Ja, es geschieht nichts ohne Gottes Willen, aber viel, viel zuviel, gegen seinen Willen: dann, wenn der Wille Gottes verkehrt, verstellt und verdeckt wird, weil Menschen ihn nicht in ihr eigenes Wollen aufgenommen haben und eben nicht tun.

Auch ist, fünftens, nicht zu sagen: Gott ist Herr über Leben und Tod, er gibt wie das Leben, so auch den Tod – und das nach Belieben. Wieder geriete mit solcher Rede Gott ins Unbestimmte und müßte er, um sein Belieben durchzusetzen, unseren Lebenswillen, den Lebenswillen alles Lebendigen, mißachten und niedertreten. Dagegen gilt vielmehr: Gott ist die Quelle des Lebens, der Geist, der lebendig macht und lebendig hält. Er ist eindeutig für das Leben. Er gibt das Leben und will das Leben, das Leben eines jeden, er will das Leben und nicht den Tod, das Leben sogar über den Tod hinaus. Er nimmt uns nicht das Leben: Täte er das, so würde er selbst vernichten, was er erweckt hat. Doch er läßt uns sterben, weil das Sterbenmüssen zum Leben in der Zeit gehört. Er läßt uns sterben – aber mit dem Willen, daß wir nicht im Tod vergehen, sondern bei ihm ewig leben.

IV.

Der neuzeitliche Rechtsstaat kennt in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zulässigerweise keine ungebundene Macht mehr. Über solche alte Gottes- und Obrigkeitsvorstellung ist er qualitativ hinaus. Er kennt als zulässig nur die an das Recht gebundene, vom Recht geregelte Macht. In einem demokratischen Rechtsstaat, auch mit einer konstitutionellen Monarchie, ist staatliche Macht, die auch rechtsetzende Macht ist, nach Verfassungsrecht immer dem Regierenden, also den Inhabern von Macht, eingeräumte, zeitlich befristete und dem Staatsvolk rechenschaftspflichtige Macht. Die Inhaber staatlicher Macht sind nach Verfassungsrecht abwählbar. Nur nach Verfassungsrecht sind und handeln sie rechtmäßig. – Zulässige gesellschaftliche Macht von Gruppen und Verbänden ist solche, die auf rechtlich geregelte Übereinkunft und Absprache, entscheidend auf Verträgen, beruht. – Übrigens ist das staatlich gesetzte, mit Durchsetzungsmacht bewehrte Recht immer auch ein Schutz gegen Machtansprüche Anderer.

Nicht ist Macht an sich böse; nur die unbestimmte, uneingeschränkte, die absolutistische, in der Öffentlichkeit des Zusammenlebens nicht an das Recht gebundene Macht. Die nicht an das Recht gebundene, von ihm geregelte Macht ist in der Öffentlichkeit unrechte Gewalt und deren Ausübung Gewalttat und als solche Unrecht.

Folglich sollte uns jede Glorifizierung von Macht nur als solcher vergangen sein. Die Demonstration von Macht als Macht – und sei sie noch so gewaltig, wie sie als Naturgewalt in Blitz und Donner daherfährt oder aufzieht als siegreiche Streitmacht, oder wie sie noch so herrlich und herrschaftlich inszeniert sein mag – sollte niemandem mehr imponieren. Die Macht nur als Macht hat ihr Faszinierendes verloren. Und die Gewalttat erscheint nur noch als brutal und verwerflich.

V.

Die absolute Macht, die allem überlegene und darum vor nichts und niemandem weichende Macht – die Allmacht – des wahren Gottes kann nur die der Wahrheit und der Liebe sein. Und diese Macht ist gewaltfrei eine freilassende, nichts erzwingende Macht.

Die Macht der Gottesliebe ist die der Liebe, die nichts erzwingt, die in sich so stark, ihrer selbst so gewiß ist, daß sie nur wirbt, unermüdlich, frei um den Anderen, den Menschen, wirbt, auf daß er sich von ihr erwecken lasse und so beide, Gott und der Mensch, zusammenkommen und zusammenseien. Die Macht der Liebe ist die Macht, die furchtlos es nicht nötig hat, den Anderen zu beherrschen, über ihn zu verfügen. Sie nötigt den Anderen nicht, weil sie ihn nicht für sich benötigt, sie braucht den Anderen nicht, um ihn für sich zu gebrauchen. Sie achtet den Anderen, läßt ihn gelten. Und als göttliche Liebe ist es die sich nicht geschlagen gebende und die nicht aufgebende Liebe, die unbedingt zum Anderen hält, selbst noch in dessen Liebesverschlossenheit. Ihre Stärke besteht im Ausharren: widerständig im Leiden an den ihr zugefügten Beleidigungen, Entstellungen und Beschädigungen durch die Liebesverweigerung und Wahrheitswidrigkeiten zu sein – und in solchen Verletzungen immer noch Liebe, aufgeschlossen für den Anderen, zu sein, also weiterhin sie selbst zu sein: somit nicht überwältigt zu werden und so, im Aushalten, überlegen zu sein.

Wie es ebenso als Macht des wahren Gottes die Macht der Wahrheit ist: Sie überzeugt, wen sie überzeugt, frei. Sie überredet nicht, bezwingt nicht, setzt sich dem Einspruch und der Abweisung des Anderen aus, schlägt den Widerspruch nicht nieder, sondern versucht, auch ihn zu versehen. Sie drängt sich nicht auf, sondern setzt geduldig darauf, daß sie von selbst einleuchtet, setzt also einzig auf die freie Einsicht des Anderen. Und sie ergreift und bewegt den und lichtet den Weg dem, der auf sie hört und sie bei sich einläßt.

Eine achtsame, des Anderen gewärtige und seine freie Teilnahme intendierende Macht ist die des wahren Gottes. Sie schafft, macht lebendig, indem sie erweckt. Es wird ja auch niemals etwas Gutes durch bloße Macht erreicht; allenfalls das Böse verhindern läßt sich mittels – aber nur mittels rechtsförmiger – Gewalt.

Nur der Gott, der gewaltfrei, also ohne zwingende Macht und ohne Gewalttat, die Gewalt des Unrechts besteht und darüber hinausführt zu einem Leben der Wahrheit und der Liebe, kann der wahre Gott und glaubwürdig sein. Er mißachtet die Menschen nicht, indem er sie als hilflos, ohnmächtig, unselbständig und subjektlos behandelt. Er will sie viel mehr in seiner Liebe als sie selbst: als wahrheitsfähige, liebesfähige Personen. Immer wenn diese einwilligen, kommt seine Liebe zur Vollendung, ist sie in Freiheit absolut.

Prof. Dr. Traugott Koch
E-Mail: FB01-ISyTh@theologie.uni-hamburg.de


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