Christus, Gottes eingeborener Sohn, der Herr
Martin Luther, WA 30 I, 90,16: "Herr sey hie so viel als erlöser etc."

Jesus Christus, Gottes eingeborener Sohn
Predigt von Paul Kluge über Philipper 2, 5-11

Wer bin ich?

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest
wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und zu leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein anderer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

Dietrich Bonhoeffer

Jesus Christus, Gottes eingeborener Sohn

Liebe Geschwister,
„ eingeboren“ - das waren für mich als Konfirmand Bewohner ferner und fremder Länder. Dies Mißverständnis versperrte mir über lange Zeit den Zugang zum zweiten Artikel des Glaubensbekenntnisses. Der Pastor war wohl genau so ratlos, jedenfalls blieb er eine Erklärung schuldig. Erst im Studium begriff ich, daß hier die Einzigartigkeit Jesu Christi betont und festgestellt ist: Der einzige geborene Sohn Gottes.

Diese Einzigartigkeit Christi beschreibt der Apostel Paulus im zweiten Kapitel seines Briefes an die Philipper.in den Verse 5 bis 11 so:
5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:[A]
A) Luther übersetzte: »Ein jeder sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war.«

6 Er, der [a] in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
a) Joh 1,1-2; 17,5

7 sondern entäußerte sich selbst und nahm [a] Knechtsgestalt an, [b] ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
a) Jes 53,3; Mt 20,28; 2. Kor 8,9; b) Hebr 2,14; 2,17

8 Er [a] erniedrigte sich selbst und ward [b] gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
a) Lk 14,11; Hebr 12,2; b) Hebr 5,8

9 Darum hat ihn auch Gott [a] erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
a) Apg 2,33; Eph 1,21; Hebr 1,3-4

10 daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, [a]
a) Jes 45,23; Joh 5,23; Offb 5,12-13

11 und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. [a]
a) Offb 5,13

Paulus schreibt den Brief aus einem Gefängnis, vermutlich in Ephesus. Die Gefängniszellen befanden sich in den Mauern das Amphitheaters, und manches mal genoß Paulus es, einer Theateraufführung wenigstens zuhören zu können. Doch er wurde auch Ohrenzeuge von Gladiatorenkämpfen, hörte das Gebrüll wilder Tiere und das Gejohle der Zuschauer. Dann überkam ihn jedesmal Angst. Nicht Angst vor dem Tod war es - den Tod hatte Christus überwunden; nein, es war die Angst vor einem qualvollen, würdelosen Sterben. In solchen Augenblicken fühlte er sich nur schwach, und auch im Gebet noch aus den Psalmen fand er dann nur schwer Trost.

Was ihm half, war das Schreiben. Das immerhin hatte man ihm erlaubt, und so konnte er sich von der Seele schreiben, was auf ihr lag. Das waren nicht nur Angst und Sorge, das waren auch Dankbarkeit und Zuversicht. Obwohl man ihn wegen Anstiftung zum Aufruhr verhaftet hatte, weswegen er mit einem Todesurteil rechnete. Der Prozeß stand noch aus, doch Paulus kannte die Gerichtspraxis. Da wurde nicht lange gefackelt, sondern schnell ein Todesurteil gefällt. Ein paar Zeugen waren für wenig Geld leicht zu finden. Mit schnellen Urteilen gegen angebliche Aufrührer verhinderten die Stadtoberen ein Eingreifen römischer Besatzungstruppen, zeigten sie ihre Treue und Ergebenheit gegenüber Rom. Zum Tod am Kreuz oder durch wilde Tiere würde man ihn wohl verurteilen. Einen Prozeßtermin kannte Paulus nicht, Ungewißheit war sein Grundgefühl, ein ständiges Schwanken zwischen Bangen und Hoffen.

Daß er aus der Gemeinde zu Philippi Unterstützung bekommen hatte, Lebensmittel, Kleidung, Geld, tat ihm gut. Allein die Erfahrung, daß Menschen an ihn dachten, sich um ihn sorgten, für ihn beteten, gab ihm immer wieder Kraft. Zwischendurch überkamen ihn Phasen von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, Phasen, in denen er sich ganz klein und schwach fühlte.

In solchen Zeiten der Schwäche dachte er immer wieder an Jesus, an seine letzten Tage, an seine Enttäuschung über die Jünger in Gethsemane; dachte an die falschen Anschuldigungen gegen Jesus, an den unfairen Prozeß, den man ihm gemacht hatte und an das feige Verhalten des Petrus. Paulus konnte nachempfinden, was Jesus wohl empfunden hatte.

Solchen Erfahrungen von Verleumdung und Verrat waren immer wieder Menschen ausgesetzt, die sich klar und eindeutig zu Gott bekannten, die das Verhalten anderer Menschen an Gottes Wort und Willen maßen und deshalb herrschende Zustände kritisierten. An manche der Propheten mußte Paulus denken, auch an Stephanus, und nun war er selbst in ähnlicher Lage. Auch nach ihm würden immer wieder Menschen in solche Situationen kommen, da war er sich ganz sicher. Menschen können Menschen zum Wolf werden, da hatten die Römer recht.

„ Dann brauchen die Menschen Vorbilder, die in solchen Situationen nicht verzweifelt sind, sondern sie durchstanden, durchlitten haben,“ dachte Paulus, korrigierte sich aber sofort: „Ich, ich selber brauche jemanden, an dem ich mich festhalten kann, jemanden, der mir durch diese Hölle hilft und mich am Ende herausreißt! Der selber durch die Hölle gegangen und ihr entkommen ist.“

Ihm fielen die zahlreichen Helden aus den griechischen und römischen Sagen ein. Für viele Menschen waren sie Ideale, Vorbilder, an denen sie sich orientierten. Viele dieser Helden standen in dem Ruf, Söhne von Göttern zu sein und unsterblich. Deshalb standen sie über den Menschen, konnten über sie herrschen. Das taten sie meistens recht willkürlich, wie Herrscher das so machen, bekämpften einander auch und verfolgten rücksichtslos ihre eigenen Interessen. Als Nothelfer waren sie ungeeignet, das merkte jeder, der sich in Angst und Not an sie erinnerte. Paulus wußte auch von anderen „Gottessöhnen,“ von hoch gelehrten und weisen Männer, Philosophen, die mit ihren Erkenntnissen ganze Kulturen geprägt hatten. Lange nach ihrem Wirken hatte man sie – als letzte Ehre – zu Gottessöhnen erklärt. Und Israel hatte seine Könige als Sohne Gottes bezeichnet, wie das in anderen Königreichen auch üblich gewesen war. All diesen Gottessöhnen war das Herrschen gemeinsam, Überlegenheit, Macht – und nicht selten auch Gewalt.

„ Wie anders ist doch Christus!“ dachte Paulus in seiner Zelle, „seine Gesinnung sollten die menschlichen Herrscher haben, und nicht nur die. Alle Menschen sollten denken und handeln wie er! Nicht wie Wölfe, wie Schweine oder Schlangen sollten sie sich verhalten, sondern als Gottes Ebenbilder.“ Dann, überlegte Paulus weiter, würden sie sich stark genug fühlen, für einander da zu sein und einander zu dienen, stark genug auch, auf eigene Vorteile zu verzichten. Vielleicht sogar stark genug, wegen ihres Verhaltens Anfeindungen zu ertragen, Verfolgungen und, wenn es sein müßte, auch den Tod.

Paulus hörte Löwen in ihren Käfigen hungrig brüllen, es stand wohl wieder eine Hinrichtung an. „Vielleicht meine?“ fragte er sich, und sein Herz klopfte, ihm wurde schwindelig bei dem Gedanken. „Werde ich so stark sein, wenn man mich den Bestien vorwirft oder kreuzigt? Werde ich dann Gott mehr gehorchen als den Menschen?“ Paulus zweifelte an sich selbst. Was nützte es ihm, wenn in den Gemeinden von seinem standhaften Sterben erzählt würde – er wollte, ja, er mußte geradezu noch viele Menschen für Christus gewinnen! Mußte und wollte von dem erzählen, der durch die Hölle von Folter und Kreuzigung gegangen war und am Ende doch Tod und Teufel überwunden hatte. Der gezeigt hatte, daß um Gottes Willen Vergebung über Vergeltung siegt, Liebe über Haß, Leben über Tod. Der der einzige war, den man Sohn Gottes nennen durfte. Denn im Unterschied zu allen anderen Gottessöhnen hatte Jesus sich als wahrer Gottessohn zu erkennen gegeben.

Das mußte, das wollte Paulus weitersagen, wollte es auf Straßen und Märkten bekennen, in Synagogen und Tempeln. Er konnte doch nicht mit seiner Mission schon aufhören, noch nicht. So lange es Menschen gab, die sich als Herren der Welt gebärdeten, wollte er, sollten alle Christen mit ihm bekennen, daß Jesus Christus allein der Herr über Himmel und Erde ist. Amen

Paul Kluge, Provinzialpfarrer
Im Diakonischen Werk in der
Kirchenprovinz Sachsen e. V.
Magdeburg
E-Mail: Paul.Kluge@t-online.de

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