Der Heilige Geist, der mich heilig spricht
Martin Luther, WA 30 I, 91,13-16: "Ut ergo Christi mors et resurrectio occulta non maneret, venit spiritus sanctus, praedicat, das heisst, quod spiritus sanctus te ducat ad dominum, qui te liberat. Quando ergo te quaero: Quid significat iste articulus? responde: Ego credo, quod spiritus dei me sanctificet."

Der Heilige Geist, der mich heilig spricht
Predigt von Luise Stribrny de Estrada
über Apostelgeschichte 8,26-39

Homiletische Vorbemerkung

Liebe Schwestern und Brüder!

Heute möchte ich Ihnen von einem erzählen, der auszog, den Sinn seines Lebens zu finden. Er hatte zwar alles, was er zum Leben brauchte, hatte eine gute Arbeitsstelle, war angesehen und besass viele Freunde, aber plötzlich stellte er fest, dass ihn all das nicht mehr zu befriedigen vermochte. Er spürte einen faden Geschmack im Mund, wenn er daran dachte, wie seine Tage verliefen und sah voller Schrecken voraus, wie sich ein Tag voller Leere unendlich an den anderen reihen würde bis zu seinem Tod. Er steckte in einer Lebenskrise.

Da beschloss er, etwas dagegen zu unternehmen -vielleicht würde Veränderung ihm helfen- und sich auf die Reise zu machen. Er erbat sich von seiner Chefin mehrere Wochen Urlaub und brach auf. Wohin? Bekannte hatten ihm von einer für ihn neuen Religion erzählt, in der es einen Gott gab, der ein ganzes Volk aus der Sklaverei befreit und in ein neues Land geführt hatte. In die Hauptstadt dieses Landes wollte er reisen, um mehr über den Gott zu erfahren, der womöglich auch ihn frei machen könnte von der Sinnlosigkeit seiner Existenz und den bedrohlichen Gedanken an den Tod.

So kam unser Reisender nach Jerusalem. Er suchte mehrere Male den Tempel auf, wo dieser Gott angebetet wurde und unterhielt sich auch eines Nachmittags mit einem klugen Mann, der ihm erklärte, was in den heiligen Schriften dieser Religion stand - aber das, was er gesucht hatte, fand er nicht. „Was hattest du dir denn eigentlich erhofft?“, fragte er sch selbst, als er sich schon wieder auf dem Rückweg befand. „So etwas wie eine Erleuchtung, einen Moment, in dem klar wäre: Das ist es, wonach ich mich gesehnt habe und wodurch mein Leben von neuem Sinn bekommt“, gab er sich selbst zur Antwort. Was würde er jetzt tun? Zu einem anderen Heiligtum fahren? Wahrscheinlich hatte das genausowenig Zweck... Resigniert griff er nach den Schriften, die er noch in Jerusalem gekauft hatte, um durch sie vielleicht doch noch die Stimme dieses Gottes zu hören. Aber als er zu lesen anfing, begriff er nicht, wovon die Rede war, warum das Schaf, das da zur Schlachtbank geführt wurde, stumm blieb angesichts des bevorstehenden Todes und mit wem es verglichen wurde.

Grübelnd schaut er aus seinem Wagen und entdeckt einen Mann, der wie aus dem Nichts aufgetaucht ist und neben dem Wagen hergeht. Der Fremde spricht ihn an. „Ich habe eben gehört, dass du laut etwas aus der Bibel gelesen hast. Verstehst du es?“ „Nein“, antwortet der Reisende, „und das frustriert und ärgert mich. Ich hatte gehofft, das es mir etwas sagen könnte, aber ich brauchte wohl einen Schriftgelehrten, der mir alles genau erklärt.“ „Wenn es dir recht ist, kann ich das tun“, erwidert der andere. „Dann steig nur auf, ich bin neugierig zu hören“, erhält er zur Antwort.

Er war an den richtigen Mann geraten. Der Fremde, der sich als Philippus vorstellte, erklärte ihm, dass der Prophet mit den Worten vom Schaf das Schicksal eines Mannes vorausgesehen hatte, der Jesus hiess und vor kurzem gestorben war. Sein Feinde hatten ihn grausam hinrichten lassen, aber er hatte sich nicht gewehrt und alles mit sich geschehen lassen. Ohne Schuld sei er gewesen, erkärte Philippus, aber durch seinen Tod am Kreuz habe er die Schuld aller anderen Menschen auf sich genommen, die nun vor Gott hinfällig sei. Das besondere an Jesus war, so hörte staunend der Weitgereiste, dass er eine besonders enge Beziehung zu Gott hatte, den er liebevoll Papa nannte, und in jedem Augenblick seinen Willen tat. Nachdem er gestorben war, hatten seine Freundinnen und Freunde ihn wieder gesehen, nicht als Totengeist, sonden als Menschen aus Fleisch und Blut, und er hatte ihnen erklärt, dass Gott den Tod überwunden und ihn auferweckt hatte. Er hatte sich von ihnen verabschiedet mit den Worten, er ginge jetzt zu seinem Vater in den Himmel, aber er würde durch den Heiligen Geist mit ihnen verbunden bleiben. Danach hatten sie ihn nicht mehr gesehen, aber das sichere Gefühl gehabt, dass er ihnen nahe war und ihnen Mut machte, wenn sie zu verzagen drohten. Philippus erzählte auch von der Gemeinschaft, die seine Anhängerinnen und Anhänger miteinander verband, und dass sie sich zum Ziel gesetzt hatten, möglichst vielen Menschen von Jesus, den sie den Christus nanten, zu erzählen.

Der Mann auf der Suche hat zugehört, zuerst einfach interessiert, hat einige Fragen gestellt, und ist immer erregter geworden. Er spürt ganz deutlich: Das hat etwas mit mir zu tun, ich bin gemeint. Wenn dieser Jesus weggenommen hat, was zwischen uns und Gott steht, ist das ein neuer Anfang. Auch ich kann noch einmal von vorne beginnen, ohne dass ich auf mein bisheriges Leben festgelegt werde, auf das, was ich getan oder unterlassen habe. Er spürt, wie seine Brust sich weitet und er tief durchatmen kann. Ich brauche mir kein Vorwürfe mehr zu machen, weil ich auf dem Weg nach oben andere weggeboxt habe, oft mit unfairen Mitteln, oder weil ich Menschen dazu gezwungen habe, ihre Schulden bei mir zu zahlen, obwohl ich wusste, dass sie nicht über genügend Geld verfügten. Diese Sünden nimmt Gott mir ab. Und er fragt Philippus dringend: „Aber was muss ich tun, damit ich nicht wieder Falsches tue und mich von neuem von Gott entferne?“ Dieser erwidert: „Du sollst dich an Gottes Gebote halten, Gott vor allen anderem lieben und deinen Nächsten so wie dich selbst.“ „Und wenn ich darin versage?“ „So wird Gott, wenn es dir ernstlich leid tut, dir auch in Zukunft deine Schuld verzeihen.“

Wie war das mit dem Tod? Jesus Christus ist auferstanden, weil Gott mächtiger ist als der Tod? „Wie ist das bei den Anhängern von Jesus, sind sie, wenn sie gestorben sind, denn für immer tot oder will Gott auch sie wieder zum Leben bringen?“, fragt er atemlos seinen Lehrer. „Auch uns Christen und Christinnen will Gott auferwecken, wir brauchen keine Angst mehr vor dem Tod zu haben und werden für immer bei Gott leben, in seinem Licht“, erhält er zur Antwort. Der Reisende fühlt sich in seinem Innersten angerührt. Das ist es, wonach er sich gesehnt hatte: Dass er den Tod nicht mehr zu fürchten braucht, dass er der Angst etwas entgegensetzen kann, wenn sie nach ihm greift. Am Ende wird nicht stehen, dass alles sinnlos gewesen ist und von ihm nichts anderes übrig bleibt als ein Häufchen Staub und Knochen. Nach seinem Tod in Gottes Nähe zu sein, ja, das wünscht er sich, wenn er es wagen darf. Was er von Philippus gehört hat, hat ihn frei gemacht, erlöst von seinem Erschrecken angesichts des Todes, befreit von der Sinnlosigkeit, unter der er litt.

Aber eines fehlt noch: „Wie kann ich dazu gehören zu Jesus Christus, wie kann ich einer von euch werden?“, möchte er jetzt wissen. Philippus erklärt: „Du musst dich taufen lassen, dreimal im Wasser untertauchen, damit das Alte, das du bisher warst, untergeht, und das Neue an´s Licht kommen kann.“ „Sonst ist nichts nötig? - Kannst du das mit mir machen: taufen?“ „Ja!“ Bald darauf kommen sie an einem Fluss vorbei. Der Reisende lässt den Wagen halten und fragt noch einmal, fast mehr sich selbst: „Gibt es etwas, was mich hindert, mich taufen zu lassen? - Nein“, entscheidet er.

Die beiden Männer steigen aus dem Wagen und gehen hinab zum Fluss. Sie legen ihre Obergewänder ab und waten in den Fluss hinein. Dann taucht Philippus den anderen dreimal ganz unter, so dass er nach Luft schnappen muss, als er wieder nach oben kommt, und sagt: „Ich taufe dich im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Und danach umarmt er ihn, ohne lange nachzudenken: „Willkommen, Bruder, in unserer Gemeinschaft. Ich freue mich, dass Gottes Geist dich angerührt hat und du Jesus Christus als deinen Retter angenommen hast.“ Der Mann ist ergriffen: „Jetzt bin ich neu geboren, alles liegt offen vor mir, so dass ich jetzt noch einmal anfangen kann, mein Leben zu gestalten. Nichts braucht mich mehr zu belasten, vor Gott bin ich reingewaschen. Danke für alles, mein Freund.“ Und er umarmt Philippus.

Als beide wieder am Ufer anlangen, ist Philippus plötzlich verschwunden, der andere schaut sich verdutzt um, aber er ist tatsächlich wie vom Erdboden verschluckt. Hat er womöglich alles nur geträumt? Nein, seine Kleider und Haare sind ja noch nass, und er fröstelt im Wind. Und da drüben wartet sein Wagen, die Bediensteten schauen irritiert zu ihm herüber und fragen sich wahrscheinlich, was er dort im Fluss eigentlich gesucht hat. So steigt er schnell auf seinen Wagen und lässt ihn weiterfahren, den weiten Weg nach Hause zurück.

Er erwischt sich ein wenig später dabei, wie er fröhlich vor sich hinpfeift. Dass hat er seit Ewigkeiten nicht getan, vielleicht seit er aufgehört hat, ein Kind zu sein. Aber seine Freude sprudelt in ihm und muss sich Luft machen. Er ist überglücklich, ein neuer Mensch. Auch seine Leute, die ihn anders kennen, merken etwas von der Veränderung, die mit ihm geschehen ist, lassen sich von seiner Freude anstecken und lachen mit ihm. Er strahlt mit seinem ganzen Wesen Fröhlichkeit aus. Was für ein Glückstag, der Tag seiner Taufe! Er war ausgezogen, den Sinn seines Lebens zu suchen - und er hat ihn gefunden, aber anders, als er es gedacht hätte. Nicht im Tempel, sondern in den Worten dessen, der ihm ein Freund geworden ist und im Wasser des Flusses.

Wenn er wieder zuhause angekommen ist, wird er Menschen suchen, die auch an Jesus Christus glauben. Einige wird es in seiner grossen Stadt wohl geben. Er sehnt sich danach, ihnen von allem zu erzählen, was ihm geschehen ist und von ihnen noch mehr über Gott zu hören. Er braucht Gleichgesinnte, das spürt er ganz deutlich, damit nicht mit der Zeit alles verpufft und bedeutungslos wird, was heute war. Das, was sein Freund ihm erzählt hat, von der Gemeinschaft, die ihn selbst trägt, kann ja auch für ihn wahr werden. Freund ist gar nicht richtig, „Bruder“ hat er ihn genannt! Er hat eine neue Familie gefunden... Ja, er wird sich gleich auf die Suche machen, wenn er wieder zuhause ist; und er ruft dem Mann auf dem Kutschbock zu, die Pferde anzuspornen, damit sie schneller laufen.

Lassen wir jetzt den Reisenden alleine seinen Weg fortsetzen und fragen uns zum Schluss: War es einfach Zufall, dass die beiden sich begegnet sind? Nein, der Geist Gottes hat dafür gesorgt, so heisst es in der Bibel. Er spielt an verschiedenen Stellen der Erzählung eine Rolle und sorgt dafür, dass Philippus im richtigen Moment auf den Suchenden trifft. Ohne ihn wäre nicht möglich gewesen, dass der eine die richtigen Worte findet und der andere offen ist zuzuhören. Ohne den Heiligen Geist wäre es nicht zur Taufe im Fluss gekommen. Nötig war aber auch, dass Philippus auf das hörte, was der Geist ihm eingab und es in die Tat umsetzte.

Und wir? Betrifft uns das? Vielleicht finden wir uns wieder in dem, der von Christus und der Befreiung, die er bringt, erzählen kann oder in dem anderen, der auf der Suche nach seinem Lebenssinn ist und den dieses Wort in‘s Herz trifft. Vielleicht merken wir auch, dass es weniger Zufälle gibt als wir denken, und dass Gott uns durch seinen Geist beeinflusst, ohne dass wir dabei unsere Freiheit verlieren. Gottes Geist - spüren wir ihn in unserem Leben? Lassen Sie uns Augen, Ohren und Herzen offen halten für seine Bewegung. Dazu möchte ich Sie einladen.

Amen.

Homiletische Vorbemerkung:

Die Predigt erzählt in etwas verfremdeter und uns Heutige zur Idenfikation einladender Weise die Geschichte von der Bekehrung und Taufe des äthiopischen Schatzmeisters. Eingearbeitet sind Bezüge auf den dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses und auf Luthers Überlegungen zum Heiligen Geist, der uns zum Herrn Jesus Christus führt, der uns befreit. Dadurch werden wir selbst, unserer Sünden los und ledig, heilig, und zu Mitgliedern der „communio sanctorum“. Ich habe diese Erfahrung dem Äthiopier in den Mund gelegt und hoffe, dass das Umstürzende dieser Veränderung, das wir als im Christentum von Kindheit an Aufgewachsene oft schwer nachvollziehen können, durch ihn lebendig wird.

Den Predigttext lase ich schon als Epistel lesen, damit er zwar im Gottesdienst präsent ist, aber von der Predigt etwas abgetrennt bleibt.

 

Luise Stribrny de Estrada
Pastorin der deutschen lutherischen Gemeinde in Mexiko
E-Mail: marclui@prodigy.net.mx

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