Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Andachten (2003)
"Talkshows", verfaßt von Rainer Müller-Brandes
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Talkshows
1.Thessalonicher 1,4

Einen Satz aus dem Anfang des Paulusbriefes an die Christen in Saloniki will ich wiederholen. Er hat mir gefallen, der Satz.
“ Liebe Brüder und Schwestern, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr auserwählt seid.”
(1. Thess. 1,4)

Schön, nicht?
ich gehe davon aus, Sie wissen, dass Sie auserwählt sind, oder? Jeder einzelne von uns. Einer hat sich die Mühe gemacht, jede einzelne von uns auszuwählen. Alle, die Sie hier sitzen. Durch die Taufe von Gott ausgewählt. Auserwählt, selbstbewußt davon zu erzählen.

Heinz, Rosi und Doris sind auch auserwählt worden. Und ich bin dabei gewesen, als sie eines Nachmittags ihr Innerstes nach außen gekehrt haben: allesamt freiwillig, vor Publikum und mit aller Leidenschaft.
Man merkte richtig, dass sie stolz waren, denn es war klar, - sie gehörten zu den Auserwählten. Und das war ein Erlebnis, das ich nicht so schnell vergessen habe.

Allerdings, von Gott haben sie nichts erzählt.
Sondern ganz im Gegenteil:
Von Rosi, der einen, weiß ich seitdem, dass sie ein heimliches Liebesverhältnis mit dem Freund ihrer Tochter hat-
Von Heinz weiß ich seitdem, das er am liebsten und wann immer er Zeit hat, die Privatgespräche seiner Nachbarn belauscht.
Von Doris habe ich gelernt, dass sie findet, ihr Doppelkinn sei ein körperlicher Makel. Und sie hat viel Geld ausgegeben, das sie gar nicht hat, um das Doppelkinn loszuwerden.

Liebe Gemeinde,
an einem x-beliebigen Tag unter der Woche nachmittags mal Fernsehen zu schauen, ist für uns, die das nomalerweise nicht tun, glaube ich wirklich ein Erlebnis der besonderen Art.

Denn man wird nahezu flächendeckend bei den - im wahrsten Sinne des Wortes privaten Sendern - mit Talkshows konfrontiert. Talkshows, in denen sich eindeutig auserwählte Menschen wie Rosi, Gaby und Heinz mit ihren oft intimen Vorlieben und ihren persönlichsten Nöten präsentieren.

Dabei löst eine Talkrunde die andere ab - ich hab das Programm eines Tages einfach mal abgeschrieben -
14.00 Bärbel Schäfer- Titel: Diese Gäste müssen Sie gesehen haben, RTL, so ne Art „best of“ anscheinend
14.00 Uhr Peter Imhof: Thema: Du hast mein Leben verpfuscht, SAT 1
15.oo Uhr Der Schwächste fliegt, RTL
16.00 Uhr Nicole: Papa, lass die Finger von meiner Freundin. PRO 7
Nur Hans Meiser habe ich nicht gefunden.

Das Gemeinsame an all den Talkshows:
Immer geht es um Beziehungskonflikte, um Familiengeschichten, um höchst private Lebensgewohnheiten, und nicht selten auch um sexuelle Erfahrungen und Vorstellungen.
Alles Angelegenheiten, über die man doch - wenn überhaupt - mit der besten Freundin oder dem Freund sprechen würde.
Aber genau diese Dinge werden öffentlich präsentiert:
In der Ich-Form mitgeteilt als persönliches Zeugnis, breit erzählt - ohne jegliche Scheu.

Und das ganze ist gut inszeniert: Gerade noch hat die Tochter von Rosi über ihre Mutter geschimpft, da kommt diese schon ins Studio marschiert, begleitet von ihrem Auserwählten, der sich dann als Freund der Tochter entpuppt.

Der Zwist wird dann gleich an Ort und Stelle ausgetragen und die Moderatorin, Seelenführerin und Konfliktmanagerin zugleich, leitet das Gespräch, sollte es mal zu sehr ins Sachliche abrutschen, schnell wieder ins Persönlich zurück.
Ich sag ganz ehrlich, das ist gar nicht so leicht, sich auch dem als Zuschauer zu entziehen. Sie merken, ich kaue da heute noch dran.

Aber gefragt habe ich mich dann doch: Warum machen die Leute das eigentlich?
Zuzusehen ist ja das eine, das ist immerhin anonym, aber mir wäre es ja todpeinlich, wenn ich da selber auftreten würde.
Aber es ist ja Tatsache: Es gibt lange Wartschlagen, um als Talkgast in eine solche Sendung eingeladen zu werden. Woran liegt das eigentlich?

Ich persönlich glaube, der Hauptgrund ist relativ einfach zu finden: Es ist der Wunsch, ja mehr noch, die Sehnsucht nach Anerkennung.
Ich will, dass mich jemand beachtet. Das ist normal.
Ich will wahrgenommen werden. Ich will dazugehören, bekannt sein.
Auch das ist normal.
Ich will wichtig sein

Die Talkshows bieten das. Deshalb die Warteschlangen. Was ich da erzähle, ist glaube ich gar nicht so wichtig, Hauptsache, es ist persönlich. Und damit man eingeladen wird, muss man eben etwas überziehen und sich eventuell auch fertigmachen lassen.

Paulus schreibt:
Liebe Brüder und Schwestern, von Gott geliebt, ich weiß, das ihr auserwählt seid.”

Von Bruder und Schwester ist die Rede. Bruder und Schwester, die sich natürlich auch mal beharken und ärgern, aber immer in der Lage sind, sich auch wieder zu vertragen. Vor Gott und nicht vor Bärbel Schäfer.

Von Gott geliebt, sagt Paulus weiter.

Ich glaube, das ist besser, als von einem johlenden Publikum geliebt zu werden, denn das Publikum vergißt schnell.

Wir sind ausgewählt, sagt er.
Gott, nicht irgendeine Moderatorin hat uns bei unserem Namen gerufen, auserwählt in der Taufe.
Und das, ohne zum voyeuristischen Objekt werden zu müssen.

Warum hat das keiner Heinz, Rosi und Gaby gesagt?
Ich meine, die Probleme sind letztlich vergleichbar. Auch wenn es nicht das Doppelkinn ist, kennen wir sie doch auch, die Suche nach Anerkennung.

Letztlich dreht sich doch ganz viel im Leben genau darum.
Bis hin zur Berufswahl, der Partnerwahl, und dem Kinderwunsch.

Deshalb dieser Satz aus dem Thessalonicherbrief:
“ Liebe Brüder und Schwestern, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr auserwählt seid.”

Denn bei dieser lebenslangen, immer neuen Suche nach Anerkennung ist es gut, dass wir bei Gott nicht nur Kandidaten sind,
sondern längst gewonnen haben.

Die Anerkennung bei Gott, die kann uns keiner nehmen.
Schade, dass Heinz, Rosi und Gaby das nicht wußten.

Dass wir auf unserer Suche nach Anerkennung bei Gott anfangen zu suchen, das wünsche ich uns.
Oder um es mit Fliege, 16.00 Uhr ARD zu sagen: “Er weiß wenigstens, was ich brauche”.
Amen

Gebet:
Herr, unser Gott, wir brauchen die Anerkennung. Wir suchen sie jeden Tag. Hilf uns, dass wir sie aber nicht auf Kosten anderer suchen.
Herr wir bitten dich stattdessen: Erinnere uns immer wieder neu, dass wir bei Dir anerkannt sind. Bedingungslos. Egal, was kommt.
Amen

Lieder:
EG 166, 1,2,5,6
EG 369, 1-3,7

Pastor Rainer Müller-Brandes, Hannover
rainer.mueller-brandes@evlka.de

 


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