Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Andachten (2003)
"Wohnt Gott im Himmel?", verfaßt von Rainer Müller-Brandes
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Wohnt Gott im Himmel?
Psalm 103, 19

Als ich noch beim Grundwehrdienst bei der Bundeswehr war, Jahre her, kamen wir in der Stube irgendwann mal ins Gespräch, und ich war ganz begeistert, als die Sinnfrage, die Frage nach dem Sinn des Lebens aufkam. Die anderen wußten durchaus, dass ich anschließend Theologie studieren wollte, und der eine hatte sich mit mir noch extra für später verabredet, weil er mit mir darüber noch mal reden wollte. Ich war natürlich angetan und ein bißchen stolz,
- aber als es zum Gespräch kam, hat er nur kurz gesagt, er sähe den Sinn darin, ich drücke das jetzt mal vornehmer aus, viel Kohle zu machen und Frauen zu haben.
Das war's und ich stand ein bißchen dumm da.
Aber die Sinnfrage ist ja mit solchen Antworten nicht vom Tisch:
Und so titelte die Zeitschrift “Psychologie heute” einmal auch:
“ Sinnvoll leben: Geht das ohne Gott?”
Und der Untertitel klingt noch besser: Das Comeback der Religion.

Als ich diese Überschrift eines Morgens am Hauptbahnhof las, dachte ich, diese gute Nachricht ist mir das Geld wert und ich habe das Heft gekauft.
Denn “Psychologie heute” hatte es anscheinend erkannt: Die Sinnfrage ist unlösbar mit der Frage nach Gott verbunden. Und wer nach Gott fragt, hat immer ein bestimmtes Bild von Gott im Kopf. Und darum soll es jetzt gehen.
Das heutige Gottesbild, sozusagen das mainstream-Gottesbild, sieht, glaubt man der Zeitschrift, wie folgt aus:

Gott ist, ich zitiere, der “absolut Unerrreichbare”,
Gott ist “eine Energie”,
Gott hat ein “wenig erkennbares Gesicht”, er ist universal und fern,
heißt es da.

Aber trotz aller Ferne und Unnahbarkeit wolle auch der aufgeklärte Mensch nicht auf Gott verzichten, denn Gott wird als ein großer Baldachin gedacht, der sich über unser Leben spannt.

So ähnlich im Psalm. Im 103.Psalm heißt es:
“ Der Herr hat seinen Thron im Himmel errichtet, und sein Reich herrscht über alles”
(Psalm 103, 19)

Ich weiß nicht, wie Sie das finden:
Die Vorstellung von Gott auf einem Thron im Himmel.
Mich jedenfalls erinnert das schon ein bißchen an die Aussagen des Heftes von Gott als dem absolut Unerreichbaren, dem Fernen.
Und das ist ja eigentlich kein schöne Vorstellung. Wenn das das Comeback der Religion ist, wie es hier heißt, dann kann ich mich wirklich nur sehr begrenzt darüber freuen.

Denn stelle ich mir Gott so vor, dann rutscht er doch ganz schnell weg und das Ganze wird unverbindlich. Gut, Gottes Reich herrscht über alles, heißt es zwar in der Tageslosung, aber wer sich um alles kümmern muss und so weit weg ist, hat - man kennt das doch - mit mir persönlich nicht allzu viel zu tun.
Und schnell läßt man Gott einen guten Mann sein, der da oben thront, aber letztlich nicht allzu viel mit mir zu tun hat.
Und vielleicht ist es tatsächlich so, dass viele - und ich will da uns nicht ausschließen - dass viele Gott lieber im Himmel sehen als bei uns in der Nachbarschaft. Denn dann würde man ihm ja immer wieder begegnen. Und das bliebe nicht ohne Konsequenzen.

Kurz, ich finde, das Psalmwort kann so isoliert nicht jedenfalls nicht stehenbleiben. Gott ist mir einfach zu weit weg.

Und das fanden anscheinend auch die Herrnhuter, die den Tageslosungen ja immer einen Lehrtext aus dem Neuen Testament beifügen. Und für heute haben Sie sich für einen Satz aus der Offenbarung entschieden, der die Tageslosung aus meine Sicht gut weiterführt:

“Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.” (Apk 11,15b)

Ich bin den Herrnhutern für diesen Satz dankbar. Klar, der klingt nun auch nicht gerade mitten aus dem Leben gegriffen, und heute würde man das anders formulieren, aber er ohne ihn geht es nicht. Ohne ihn würde mein Gottesbild nicht hinhauen.
“ Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden”, heißt es da.
Und wenn wir etwas kennen, dann doch wohl die Reiche der Welt. Ich meine jetzt nicht so die Bundesrepublik oder Niedersachsen, das auch, aber mehr noch die kleinen Reiche, die kleinen Reiche unser eigenen, persönlichen Welt.

Ich meine den Ort, in dem ich wohne. Ich meine die Gemeinde, zu der ich gehöre. Das Büro, in dem ich arbeite. Mein Zuhause, die Familie.
Die Freizeit beim Fußball, bei der Feuerwehr, oder beim Friseur. Ich meine, das sind alles kleine Reiche der Welt.

Und all diese kleinen Reiche, all diese kleinen Orte, Gruppen, Interessenverbände, sind seine Reiche, heißt es in der Offenbarung.
Alles sind seine Reiche, bis hin zum langweiligsten Alltag, bis hin zur Arbeit, die nicht enden will. Das hat was, oder?
Das Warten auf den Freitag, auf den Feierabend, das Gebrüll der Kinder, die einsame Wohnung am Abend, das geplatzte Date am Wochenende. All das sind ja Reiche der Welt. Und damit alles Reiche, alles Be- Reiche unseres Herrn und seines Christus.

Gott, der auf einem Thron irgendwo weit weg sitzt, Gott als Energie, die unerreichbar und fern ist? Liebe Gemeinde, das kann es doch nicht sein.
Gott ist Mensch geworden. Er ist zu uns auf die Erde gekommen. Er feiert mit uns und trauert mit uns.
“ Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden”

In Christus ist er doch von seinem hohen Thron herabgestiegen, und nebenbei gesagt, welcher König, welcher Kanzler macht das schon.

Zum Schluß: “Er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit” heißt es in der Offenbarung weiter.

Die Geschichte mit Jesus ist 2000 Jahre her und könnte ja als erledigt gelten, wenn für Gott nicht 1000 Jahre wie ein Tag wären. Ewigkeit heißt gestern, heute und morgen, dass heißt, er war schon für meine Eltern da, ist heute für mich da und morgen für die Kinder.
Klar, es ist schön, sein eigenes Reich zu haben. Aber es mindestens genauso schön, dass es kein Reich gibt, wo er nicht seinen unverrückbaren Platz hat. Unser Reich, mein Reich, das Reich, das ich mir geschaffen habe, ist das Reich unseres Herrn geworden.

Und darauf will ich setzen. Denn das macht nun wirklich Sinn.
Denn die Reiche der Welt sind unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.
So stelle ich mir das comeback der Religion vor. Und nicht anders. Amen


EG 123,1-3,11

Gebet:
Herr, Du bist Energie, sagen die einen, du bist unerreichbar und fern, sagen andere.
Herr, lass uns erkennen, dass du mehr bist. Lass uns erkennen, dass Du Dein Reich mitten unter uns aufgebaut hast. Dass du mitten unter uns bist, bei der Arbeit und am Wochenende.
Heute, morgen, und danach.
Amen

Pastor Rainer Müller-Brandes, Hannover
rainer.mueller-brandes@evlka.de


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