Gott, der allmächtige Vater
Martin Luther, WA 30 I, 10,6: "Wer einen Gott anzeigen wil, der mus anzeigen, was er kan und vermag."

 

Predigt von Paul Kluge

Liebe Geschwister,
von über 4,7 Millionen Arbeitslosen berichten die Nachrichten der Woche, was zum Irakkonflikt zu sehen und zu hören ist, reißt mich zwischen Hoffen und Bangen hin- und her - wobei das Bangen überwiegt. In manchen Orten im Überschwemmungsgebiet der Elbe sind noch immer keine Erdbestattungen möglich, weil das Grundwasser zu hoch steht. Und der Februar sei zu kalt und zu naß gewesen, melden die Wetterfrösche. Und dann soll ich über einen Psalm predigen, der voll des Lobes für den Schöpfer ist! Der die Natur preist und den Menschen als Herrscher über Gottes Werk. Ein Herrscher aber zerstört nicht, worüber er herrscht. Der Psalm erscheint mir heute als Zumutung. In der sprachgewaltigen "Verdeutschung" Martin Bubers lautet er:

DU, unser Herr,
wie herrlich ist dein Name
in allem Erdreich!
Du, dessen Hehre der Wettgesang gilt
über den Himmel hin,
aus der Kinder, der Säuglinge Mund
hast du eine Macht gegründet,
um deiner Bedränger willen,
zu verabschieden Feind und Rachgierigen.
Wenn ich ansehe deinen Himmel,
das Werk deiner Finger,
Mond und Sterne, die du hast gefestet,
was ist das Menschlein,
daß du sein gedenkst,
der Adamssohn,
daß du zuordnest ihm!
Ließest ihm ein Geringes nur mangeln,
göttlich zu sein,
kröntest ihn mit Ehre und Glanz,
hießest ihn walten
der Werke deiner Hände.
Alles setztest du ihm zu Füßen,
Schafe und Rinder allsamt
und auch das Getier des Feldes,
den Vogel des Himmels
und die Fische des Meers,
was die Pfade der Meere durchwandert.
DU, unser Herr,
wie herrlich ist dein Name
in allem Erdland!

Blicke ich von den Nachrichten weg und durchs Fenster nach draußen, sehe ich Schneeglöckchen blühen, einen ersten Hauch frischen Grüns im Garten, in dem die ersten Vögel, wenn auch noch zaghaft, singen. Ein in der Schule gelerntes Gedicht von Eduard Mörike fällt mir ein: Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte... Ich freue mich auf den Frühling, auf das Grünen und Blühen, das Zwitschern und Singen, auf Küken und Lämmer. Da will ich den Psalm singen, mit der Melodie des Genfer Psalters:

1. HERR, unser Gott, dein Name sei gepriesen! Wie hast du groß und herrlich dich erwiesen!
Die ganze Welt erzählt von deiner Macht, des Himmels Glanz verkündet deine Pracht.
2. Aus Kindermund, ja, aus des Säuglings Lallen läßt du dein Lob vor aller Welt erschallen,
beschämst den Feind, der deine Schöpfung stört und gegen dich vergeblich sich empört.
3. Seh ich ringsum die Himmel ausgebreitet, seh Mond und Stern von deiner Hand bereitet.
Was ist der Mensch, daß seiner du gedenkst des Menschen Kind, daß du ihm Gnade schenkst?
4. Fast bis zum Glanz der Engel, die dich loben, hast du ihn, HERR, zu dir emporgehoben,
du hast mit Macht und Würde ihn belehnt, sein Haupt mit Ehr und Herrlichkeit gekrönt.
5. Du machtest ihn zum König deiner Erde daß er mit dir des Lebens Hüter werde.
Du gabest ihm die Tiere ringsumher, der Vögel Schwarm, die Fische tief im Meer.
6. HERR, unser Gott, dein Name sei gepriesen! Wie hast du groß und herrlich dich erwiesen!
Du, du allein bist Gott in Ewigkeit. Wir loben dich jetzt und zu aller Zeit.

(Melodie: Straßburg-Genf 1542 / Genf 1551, Text: Alfred Rauhaus 1991, Satz: nach Claude Goudimel 1565)

Wie paßt dieser Psalm mit meinen Gedanken über Krieg und Katastrophen zusammen, sind meine Ängste und Sorgen nicht eine Zumutung für den Psalm? Ich spüre die Spannung zwischen Todesangst und Lebensmut und wie sie mich abwechselnd besetzen. Und ich denke an krebskranke Menschen, die ich begleitet habe, an ihr Pendeln zwischen Todesangst und Lebensmut, an die Gleichzeitigkeit von beidem, wenn eine erneute Operation fällig war.

Ein Kollege erzählte von Herrn H.: "Sein Leben lang hatte er bei einem Bauern gearbeitet, bewohnte mit seiner Frau ein kleines, altes Häuschen mit großem Garten, im Stall ein Schwein, ein paar Hühner. Der Garten und die Tiere waren ihm tägliche Freude. An Sommerabenden saß er oft an dem Kanal vor seinem Haus, und wenn der Pastor vorbeikam, setzte der sich dazu. Sie redeten nicht viel miteinander, sondern erlebten gemeinsam den Abendfrieden. Dann erkrankte Herr H. an Krebs, wurde operiert, bestrahlt, chemotherapiert. Kam nach Hause und erholte sich bei liebevoller Pflege durch seine Frau. Der Pastor besuchte beide regelmäßig. Bis er wieder ins Krankenhaus mußte, wieder operiert, bestrahlt, chemotherapiert wurde. Bald nach seiner erneuten Entlassung feierten er und seine Frau ihre goldene Hochzeit, wenige Tage danach brach er zusammen. Es war Winter. Ins Krankenhaus wollte er nicht mehr, sein Hausarzt drängte ihn nicht. Bei einem der Besuche sagte er zu seinem Pastor, er möchte noch einmal mit ihm am Kanal sitzen und sehen, wie die Sonne untergeht. "Aber das wird wohl nichts mehr," meinte er, und fügte gleich hinzu: "Bald wird es Frühling, dann kann ich wieder nach draußen." So kamen und gingen Bangen und Hoffen, und das über einige Wochen. Dann kam sein Geburtstag, der achtzigste. Aufstehen konnte er nicht mehr, er war zu schwach. Selbst das Sprechen fiel ihm schwer. Der Pastor machte seinen Geburtstagsbesuch, hielt für Herrn und Frau H. eine kleine Andacht. Nach dem Amen begann Herr H., unter seinem Kopfkissen etwas zu suchen, fand schließlich seine Mundharmonika und spielte "Großer Gott, wir loben dich." In der folgenden Nacht starb er."

Nicht immer und nicht jedem ist es gegeben, angesichts nahenden Todes Gottes Größe zu loben. Angst und Bedrohung können blind machen für Gottes Schöpfung, und stumm, ihn zu loben. Doch es gibt Menschen, die aus ihrem Glauben ihre Angst überwinden und Mut behalten. Mut, trotz Not und Leid, trotz drohender Gefahr Gottes Größe und seine Güte zu preisen. Menschen wie Herr H. oder wie der Psalmdichter. Als er seinen Psalm schrieb, gab es Katastrophen - er besingt die Schöpfung, den Himmel, den Mond und die Sterne. Als er seinen Psalm schrieb, gab es Kriege - und er singt von Hoheit und Ehre des Menschen. Auch nackte Not gab es, als der Psalm gedichtet wurde, Menschen hungerten, verhungerten - und der Psalmdichter besingt den Menschen als den, der über Schafe und Rinder verfügt.

Ein Psalm gegen die Angst? Sicherlich. Ein Psalm auch gegen Unrecht und Ungerechtigkeit. Vor dem allen aber ein Psalm für das Leben. Für ein Leben, wie es sein soll und wie es sein kann; für ein Leben des Staunens über Himmel und Erde, für ein Leben in Dankbarkeit für alles Schöne und Gute, für ein Leben in Ehrfurcht voreinander. Ein Lied, das Lebensmut ausdrückt und Lebensmut macht.

Wenn wir Gott als den "Schöpfer des Himmels und der Erde" bekennen, stimmen wir in dieses Lied mit ein, das uns Mut gibt, Zuversicht, auch Sicherheit. "Was unser Gott geschaffen hat, das will er auch erhalten." Indem wir Gott als den "Schöpfer des Himmels und der Erde" bekennen, sagen wir uns und anderen, wir, daß unsere Ängste und Nöte, unsere Sorgen und unser Leid kleiner bleiben als der Allmächtige, und daß wir nicht tiefer fallen können als in Gottes Hand. Amen

Paul Kluge, Provinzialpfarrer
Im Diakonischen Werk in der
Kirchenprovinz Sachsen e. V.
Magdeburg

Paul.Kluge@t-online.de


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