Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Letzter Sonntag des Kirchenjahres (Ewigkeitssonntag), 23. November 2003
Predigt übe
r Matthäus 25, 1-13, verfaßt von Paul Kluge
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Begrüßung

An unsere Toten denken wir heute und damit an den Tod. Der Toten zu gedenken heißt, Trauernde zu trösten. Der Toten zu gedenken heißt auch, ans eigene Sterben-Werden zu denken, von dem wir Zeit und Stunde nicht wissen. Unser Licht sollte deshalb stets leuchten können.

Predigt

Liebe Schwestern und Brüder,

plötzlich und unerwartet - dieser Satz steht in mancher Todesanzeige und drückt das Erschrecken aus, das die Angehörigen überfallen hat: Damit hatten sie nicht gerechnet, und nun stehen sie da, ratlos, hilflos, trostlos; stehen orientierungslos vor einer großen, dunklen Leere und wissen nicht, wie es weitergehen kann. Plötzlich und unerwartet. Auch nach langem, schwerem Leiden. Und dann sagt dieser Satz: Wir haben gehofft bis zuletzt, dieser Mensch war uns so wichtig und so wertvoll, daß wir ihn nicht loslassen, ihn bei uns behalten wollten.

Plötzlich und unerwartet - darin drückt sich auch Wertschätzung aus, Anhänglichkeit, Liebe; der Schmerz über den Verlust, über das Verlassensein, das Gefühl, ins Bodenlose gefallen zu sein. Und es braucht seine Zeit, manchmal lange Zeit, bis die Wunden der Trauer verheilt sind, bis der Verlust eines Menschen ver-schmerzt ist.

Am heutigen Sonntag des Totengedenkens gehen viele Menschen zu den Gräbern ihrer Lieben, bringen Blumen hin und grüne Gebinde: Zeichen dafür, daß der Verstorbene, die Verstorbene in der Erinnerung weiterlebt, Zeichen für das Leben, das weitergeht, Zeichen schließlich auch für die Hoffnung auf Auferstehung. Auf einen Pfeiler einer Eisenbahnbrücke (bei Magdeburg) ist ein Grafitto gesprüht: „Ich habe nie an ein Leben nach dem Tode geglaubt. Jetzt wünsche ich es dir und mir.“

Plötzlich und unerwartet - das bringt uns zum Nachdenken über uns selbst, darüber, wie wir unser Leben gestalten, über unsere Beziehungen zu anderen Menschen, das stellt uns vor die Frage: Lebe ich mein Leben so, daß jeder Tag der letzte sein könnte; lebe ich es so, daß ich jeden Tag sagen kann: Es war gut so, wie es war?

Im Matthäusevangelium steht - unmittelbar vor der Passionsgeschichte - eine Sammlung von Gleichnissen, die alle um das Thema „plötzlich und unerwartet“ kreisen und in verschiedenen Varianten immer wieder sagen: Bereite dich vor, stell dich darauf ein, dann bist du gewappnet, dann kann dich nichts überraschen, dann wirst du bestehen und leben können. Eins dieser Gleichnisse ist für heute als Predigttext vorgeschlagen:

Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen. Aber fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit. Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen. Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen! Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig. Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen. Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst. Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen. Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf! Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: [a] Ich kenne euch nicht. Darum wachet! Denn ihr wißt weder Tag noch Stunde. (Mt 25, 1 – 13)

Eine Hochzeit steht an, der Bräutigam kommt von weit her. Rechtzeitig hat er sich mit seinen Freunden auf die Reise gemacht, um seine zukünftige Frau aus ihrem Elternhaus abzuholen. Hier wartet die Braut, verläßt das Haus nun nicht mehr, bis der Bräutigam sie heimführt. Ihre Freundinnen sind bei ihr, um sie für die Hochzeit vorzubereiten, sie zu schmücken. Dabei singen sie die alten Lieder, die bei solchem Anlaß gesungen werden, Lieder über das Miteinander von Mann und Frau. Ernste Lieder sind es: Die Eltern beklagen den Verlust ihrer Tochter, die sie nun abgeben und vielleicht nie wiedersehen, und die Freundinnen bedauern, daß sie in ihrem vertrauten Kreis nun eine weniger sein werden. Und auch scherzhafte Lieder sind es, Lieder voller Anspielungen auf Kommendes. Erinnerungen an die gemeinsame Zeit werden wach, Geschichten aus dem Leben der Braut werden erzählt: Weißt du noch, damals ..., es wird gelacht und geweint.

Drei Tage geht das so, und dann ist der Tag da, an dem der Bräutigam gegen Abend eintreffen soll. Mit einem großen Abendessen wird die Hochzeit beginnen, und auch sie wird drei Tage dauern.

Noch bevor es dämmert, gehen die Freundinnen schwatzend und lachend zum Ortseingang. Sie sind festlich gekleidet, tragen Blumen im Haar, Tambourine in der einen Hand und Lampen in der anderen; einige zudem noch ein kleines Fläschchen mit Petroleum. Sie werden dem Bräutigam singend und tanzend zum Haus der Braut leuchten. Am Ortseingang setzen sie sich unter einen Olivenbaum, stellen die Lampen an den Straßenrand: Der Bräutigam soll schon von weitem sehen, daß er erwartet wird.

Doch das Warten zieht sich, die Zeit wird lang. Allmählich verstummen die Gespräche, einige strecken sich im Gras aus und schlafen ein. Die letzten drei Tage waren anstrengend, und die nächsten werden es erst recht. Schließlich legen sich alle zum Schlafen: Der Bräutigam und sein Gefolge werden sie schon entdecken, stehen doch die brennenden Lampen am Straßenrand. Und die Männer werden kaum zu überhören sein, laut wie die immer sind.

Irgendwann fahren sie aus dem Schlaf hoch, Esels- und Männergeschrei dringt durch das Dunkel: Das muß der Bräutigam mit seinen Freunden sein. Schnell springen sie auf, streifen ihr Kleider glatt, ordnen ihr Haar und gehen zu ihren Lampen. Einige brennen noch, die meisten sind verlöscht. Diejenigen, die Petroleum mitgenommen hatten, füllen ihre Lampen nach, entzünden sie wieder. Die anderen stehen dumm da. „Gebt uns doch etwas ab“, bitten sie. Doch das geht nicht, die Vorräte reichen nur für die eigenen Lampen. Nun sind die Flaschen leer. „Lauft doch schnell zum Krämer und holt euch was“, rät eine, „und nehmt die leeren Flaschen mit.“

Sie laufen los und hoffen, daß der Krämer noch wach ist. Denn die Sterne zeigen, daß schon bald Schlafenszeit ist. Aber er wird wohl noch wach sein und wie alle anderen auf den Beginn der Hochzeit warten. Denn wo es etwas zu feiern gibt, ist er immer einer der ersten, die kommen - und einer der letzten, die gehen. Er wohnt am anderen Ende des Ortes, und sie beeilen sich, so gut das in den Festtagsgewändern und im Dunkeln geht.

Die Zurückbleibenden stellen sich auf die Straße, bilden mit ihren Lampen eine kleine Lichterkette. Die anderen können kaum beim Krämer sein, als der Bräutigam mit seinem Gefolge um die Ecke kommt. Die Freundinnen der Braut begrüßen ihn, stellen sich vor, und er erwidert ihren Gruß. Schon geht es singend und tanzend zum nahegelegenen Haus der Braut. Sie ziehen durchs Hoftor, und als sie im Hof sind, wird das Tor geschlossen. Groß gefeiert wird am nächsten Tag, heute ist es zu spät, und auf einen Tag kommt es ja auch nicht an. Zeit zum Feiern ist immer.

Als die anderen vom Krämer zurück an den Ortseingang kommen, ist alles still und dunkel. Sie machen auf dem Absatz kehrt und eilen zum Haus ihrer Freundin, der Braut. Das Hoftor ist verschlossen, doch von drinnen klingen fröhliche Reden, Lachen, Lieder. Sie klopfen, sie rufen. Schließlich fragt eine ihnen fremde Stimme von innen, wer da sei und was sie wollten. Sie nennen ihre Namen, erst gleichzeitig und durcheinander, dann noch einmal der Reihe nach. „Ich kenne euch nicht“, sagt die fremde Stimme, „geht nach Hause.“ Wer zu spät kommt ...

So wie mit diesen jungen Frauen, sagt Jesus, verhält es sich mit dem Himmelreich, und er mahnt seine Hörerinnen und Hörer: Darum wacht, denn ihr wißt weder den Tag noch die Stunde. Paßt auf, daß euch nicht plötzlich und unerwartet das Licht ausgeht, ihr im Dunkeln steht und außen vor bleibt. Sorgt dafür, daß ihr immer genug Öl habt, kümmert euch um euer Licht, daß es hell und warm in die Dunkelheiten leuchtet. Diejenigen aber, deren Licht hell und warm strahlt, die es weder verlöschen lassen noch unter den Scheffel stellen; die mit ihrem Licht anderen den Weg zeigen, ihnen mit ihrem Licht Hände und Herzen erwärmen, die werden am Fest des Lebens teilnehmen. Denn wer sein Licht leuchten läßt, wird Freude am Leben haben. Amen

Gebet

Guter Gott, an diesem Tage erinnern wir uns besonders der Menschen, die nicht mehr unter uns sind. Wir empfinden Schmerz über den Verlust, den wir erlitten haben. Wir empfinden Dankbarkeit für alles Gute, was diese Menschen für uns bedeutet haben und immer noch bedeuten. Dunkle Trauer und heller Dank mischen sich zu einem grauen Tag.

Du erinnerst uns heute daran, daß auch unsere Zeit begrenzt ist, daß sie abläuft und wir sterben werden. Damit hilfst du uns, unser Leben zu klären, Streit und Unfrieden zu bereinigen, hilfst uns, unser Leben so zu gestalten, daß jeder Tag der letzte sein könnte, und uns über jeden Tag zu freuen. So hilfst du uns durch den Tod zum Leben.

Guter Gott, dies bekennen wir vor dir und vor einander, daß wir oft so leben, als hätte unser Leben kein Ende: Wir pflegen und schüren Streit und Feindschaft, vermeiden und verhindern Vergebung und Versöhnung. Darin verzehrt sich unser Lebenslicht, wir machen uns und anderen das Leben damit dunkel und schwer. Wir bitten dich um deine Gnade. Gib du uns die nötige Klugheit, daß unser Licht nicht verlöscht. Lehre uns bedenken, daß wir sterben werden, auf daß wir ein weises Herz gewinnen.

Guter Gott, hilf uns, in dieser dunklen Zeit an dein Licht zu denken, dem wir entgegen gehen, und uns auf die Helligkeit deines Advents zu freuen. Du hast uns durch die Zeit geleitet, warst bei uns auch an trüben Tagen. Wir vertrauen darauf, daß du bei uns bleibst, wenn es Abend wird, und auch, wenn der Morgen kommt.

Was uns bedrückt und betrübt, was uns erfreut und dankbar macht, bringen wir vor dich und beten gemeinsam: Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen

Gesänge

Wachet auf, EG 147; Ermuntert euch, EG 151; Herr, mach uns Mut, EG 154; Ach, bleib mit deiner Gnade, EG 347; Herr, du bist von Geschlechte zu Geschlechte, Reimpsalm 90 (EG:R)

Paul Kluge, P. em.
Magdeburg
Paul.Kluge@t-online.de



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