Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

20. Sonntag nach Trinitatis, 2. November 2003
Predigt übe
r Markus 10, 1-12, verfaßt von Richard Engelhardt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Und er brach auf von dort und kommt ins Gebiet von Judäa und ins Ostjordanland, und wieder strömen die Scharen zu ihm, und wie er gewohnt war, lehrte er sie wieder. Und einige fragten ihn: Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau zu entlassen? damit wollten sie ihn versuchen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten? Sie aber sagten: Mose hat gestattet, "einen Scheidebrief zu schreiben und zu entlassen". Jesus aber sprach zu ihnen: Wegen eurer Herzenshärtigkeit hat er euch dies Gebot geschrieben. Von Anbeginn der Schöpfung aber "hat er sie als Mann und Weib erschaffen". "Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen, und die beiden werden ein Fleisch sein." Also sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was Gott zum Paar verbunden hat, soll der Mensch nicht scheiden. Und zu Hause fragten ihn wieder seine Jünger deswegen. Und er sprach zu ihnen: Wer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, der bricht an ihr die Ehe. Und wenn sie ihren Mann entläßt und einen anderen heiratet, bricht sie die Ehe."

Liebe Gemeinde!

Die junge Frau, die da vor meiner Tür stand, kannte ich von Ansehen. Die Mutter Kind Gruppe fiel mir ein, jetzt waren ihre beiden Kinder in unserem Kindergarten. Ich sah diese Kinder vor mir: schüchtern, zurückgezogen, nach Möglichkeit in einer Ecke allein spielend. Jetzt stand also die Mutter vor der Tür und bat um ein Gespräch. Sie trug eine Sonnebrille. Ihr Gesicht war verquollen. Als sie mir die Hand gab, sah ich den Bluterguß. Und mühsam erzählte sie: Nach wenigen Ehejahren begann ihr Mann zu trinken. Gewiß, er war vor der Ehe schon manchmal mit seinen Freunden unterwegs und kam "angeheitert" nach Hause. Jetzt aber wurde er, wenn er betrunken nachts in die Wohnung kam, brutal. Er schlug seine Frau. Er schlug die Kinder. Es gab Ärger mit den Nachbarn. Das Geld wurde knapp. Der Arbeitgeber hatte die Kündigung angedroht. Die junge Frau war verzweifelt.

Wochenlang haben wir miteinander geredet, einen guten Arzt gesucht, einen Therapieplatz gefunden. Der Ehemann lehnte jedes Gespräch ab und schlug immer häufiger zu. Nach vielen Wochen des Leidens der Frau habe ich ihr empfohlen, sich von ihrem Mann zu trennen. Heute ist sie geschieden, hat eine kleine eigene Wohnung mit ihren Kindern, verdient ihr eigenes Geld und kehrt langsam ins Leben zurück.

Natürlich steht da die Frage: Darf ich das als Pastor, zu einer Scheidung raten? Ist da nicht das Gesetz Jesu, wie wir es in unserem heutigen Predigttext vor uns haben, das eine Scheidung kategorisch verbietet? Auf den ersten Blick mag es so scheinen. Nun steht aber im Matthäus Evangelium der gleiche Bericht mit einigen Umstellungen und Änderungen (Mt 19,1 9). Das sollte uns bewegen, auch über unseren Text noch einmal nachzudenken.

In der Umgebung Jesu wie im gesamten vorderen Orient war die Rolle der Frau eine dem Mann strikt untergeordnete. In der Ehe war die Frau gleichsam Eigentum des Mannes. Er heiratete die Frau und zahlte dafür einen Preis an deren Familie. Er konnte sich unter Einhaltung sehr einfacher Formen nach seinem Belieben auch wieder von ihr trennen. In dieser Hinsicht war die Frau rechtlos. Juristisch war zu Jesu Zeit auch noch die Mehrehe möglich wenn ein Mann dazu reich genug war. Schließlich konnte ein Mann vom Gesetz her die Ehe nur dann brechen, wenn er sozusagen Diebstahl beging und in eine fremde Ehe einbrach und damit einem anderen Mann Schaden am Eigentum zufügte. Seine eigene Ehe konnte er gar nicht brechen. Er war Herr der Ehe nicht nur beim Beginn oder bei der Beendigung, sondern auch in der Gestaltung. Hurerei oder Ehebruch waren in der Regel Delikte, deren nur Frauen bezichtigt werden konnten.

Sehen wir uns den Bericht, der unser heutiger Predigttext ist, vor diesem Hintergrund noch einmal an.

Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem, auf seinem letzten Weg zum Kreuz auf Golgatha. Immer noch strömen Scharen von Menschen zu ihm. Sie erwarten viel. Heil, Heilung ihres Lebens, Nachricht von der Liebe Gottes, Befreiung aus all den Ängsten und Zwängen, die sie umgeben. Aus dieser Menge kommt die Frage einige Überlieferungen sagen, Pharisäer hätten die Frage gestellt: Wie ist es mit dem Recht des Mannes, sich ohne weiteres seiner Frau durch willkürliche Scheidung zu entledigen? Jesu Antwort: "Wer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, der bricht an ihr die Ehe."

Dieser eine Satz durchschlägt das gesamte Denk und Rechtsgebäude der Männer. Dieser Satz Jesu bedeutet: Die Frau hat ein Recht auf sich. Sie ist dem Mann gleichgestellt und gleichberechtigt. Die Jünger, die diesen Satz Jesu als erste hören, und die ersten Christen, die sich nach Ostern zusammenfinden und ihre Erinnerungen an Jesus zusammentragen, sind offenbar tief beeindruckt. Sie erinnern sich der Begegnungen Jesu mit Frauen, wie er sie ernstgenommen hat, wie er sie gleichberechtigt aufgenommen hat. Hier ist der Schlüssel für die neue Erkenntnis des uralten Thoratextes: Gott hat den Menschen als einen Mann und eine Frau erschaffen. Gleichwertig, gleichberechtigt, gleich von Gott geliebt. Und nur in der Verbindung eines Mannes und einer Frau können die beiden eine Person werden, die Ganzheit des von Gott geliebten Menschen erfahren.

"Und Gott schuf den Menschen sich zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie einen Mann und eine Frau."(Gen. 1, 27) Diesen Satz aus dem Schöpfungsbericht legt Jesus aus und stellt fest: Erst die "Herzenshärtigkeit" des Mannes hat einen Graben zwischen Mann und Frau aufgeworfen. Wegen dieser "Herzenshärtigkeit" hat Mose die Scheidung erlaubt und der Mann hat sie mißbraucht und der Frau die von Gott gegebene Würde genommen.

Zweimal noch auf seinem Weg nach Jerusalem, auf seinem Weg zum Kreuz stellt Jesus so berichtet es das Markus Evangelium Frauen als Vorbild für die Glaubenden vor. Über die arme Witwe, die ihr Scherflein in den Gotteskasten legt, hören die Jünger: Alle haben von ihrem Überfluß gegeben, diese hat von ihrer Armut alles, was sie hatte, eingelegt (Mk 12,43f). Und über jene Frau, die in Bethanien kostbares Salböl nach Meinung einiger Männer für Jesus verschwendet, sagt Jesus: "Laßt sie in Frieden, was macht ihr sie traurig? Sie hat ein gutes Werk an mir getan". (Mk 14,3ff) Das ist befreiende frohe Botschaft. Die Frauen erfahren: Ihr seid Kinder Gottes. Ihr habt Recht und Würde. Vor Gott gilt kein Unterschied zwischen Mann und Frau.

In der Ehe wird dies alles konkret. Mann und Frau Ehemann und Ehefrau sind gleichwertig und gleichwürdig. Da, wo sich beide Ehepartner dessen bewußt sind, ist eine Scheidung immer eine Verletzung. Nicht nur die Ehepartner verletzen sich, auch die gute Ordnung Gottes, die Schöpfungsordnung wird verletzt. Und genau dies gehört zu unserer menschlichen Wirklichkeit: Wir verletzen die gute Ordnung Gottes und verletzen zugleich uns, einer den anderen. Verbote, Gesetze, Verordnungen können diese Verletzungen, die wir anrichten, nicht verhindern und noch weniger heilen. Allenfalls können sie uns an Schuld erinnern und hier und da warnen.

Jesus antwortet nicht wie Gott nach der Sintflut (Gen 8,21)mit einer gewissen Resignation: "das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf." Er geht seinen Weg nach Golgatha weiter. Später kann die Gemeinde der Christen ein profetisches Wort aufnehmen (Jes 53,4f) und über diesen Weg Jesu sagen: "Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen." "Die Strafe liegt auf ihm, damit wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt."

Dies gilt auch da, wo wir in einer Ehe scheitern. Wir wissen, daß wir gescheitert sind, daß wir aneinander schuldig geworden sind. Aber da, wo wir keinen gemeinsamen weiteren Weg finden können, steht eben trotz unseres Scheiterns unsere Zuversicht auf Gottes Liebe: "Durch seine Wunden sind wir geheilt."

Amen

(Anmerkung: Hilfreich war mir die Exegese in GPM 1972/73 S.451ff von Eberhard Hübner/Münster. Die Übersetzung des Textes stammt von Julius Schniewind: Das Evangelium nach Markus (NTD).)

Pastor i.R. Richard Engelhardt
August Bebel Str.18A
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Tel.: 0385 5815432
Fax : 0385 5815431


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