Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

16. Sonntag nach Trinitatis (Erntedank), 5. Oktober 2003
Predigt über Lukas 12, 13-21
, verfaßt von Paul Kluge
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Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, daß er mit mir das Erbe teile.
Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt?
Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, daß er viele Güter hat.
Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. Und sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut!
Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?
So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.

Liebe Geschwister,

der Mann, der von Jesus Unterstützung erwartet hatte, ging enttäuscht davon. Vor seinen Augen hatte er noch hämisches Grinsen, in den Ohren noch vergeblich unterdrücktes Hohngelächter einiger der Umstehenden. Das kränkte ihn, und von diesem Jesus hatte er etwas anderes erwartet, als daß er ihn öffentlich zum Negativbeispiel für Habgier machte. Bloßgestellt hatte er ihn, und das vor den Augen und Ohren eines großen Publikums.

Fast alle aus dem Publikum, dessen war der Mann sicher, hatten von seiner Erbauseinandersetzung mit seinem Bruder gehört. Erbstreitereien gab es zwar häufig, trotz eines altbewährten Erbrechts. Das aber konnte nicht alle Einzelfälle regeln, und so mußte immer wieder ein Rabbi, manchmal auch ein Ältestenrat einen Erbstreit richten und schlichten. Und natürlich nahmen die Leute an den Streit teil, besprachen die Angelegenheit auf dem Markt und in der Nachbarschaft - besonders gern, wenn es sich um eine prominente Familie handelte. Das Interesse und auch die Schadenfreude der Leute war um so größer, je bedeutender und bekannter die sich streitende Familie war. Das mochte daran liegen, daß man von solchen Familien einerseits Vorbildfunktion erwartete, ihnen andererseits ihr gesellschaftliche Position neidete, um dann mit Genugtuung festzustellen: Die sind auch nicht besser als wir kleinen Leute. Dem Mann selber und seinesgleichen war das zwar klar, die breite Bevölkerung aber sah das anders. Ob dieser Jesus auch im Denken der kleinen Leute verhaftet war? Aber der stammte doch aus einer Handwerkerfamilie, sein Vater hatte einen mittelständischen Betrieb, da mußte der Sohn doch wohl wissen, was das bedeutete!

Der Mann dachte an seinen eigenen Vater, an den Fleiß, mit dem er sein Geschäft aufgebaut hatte, an die vielen Gedanken, die er sich gemacht hatte, um das Geschäft zu vergrößern, es um weitere Geschäftszweige zu ergänzen. Der Mann dachte auch daran, wie er selber bei und vor allem von seinem Vater gelernt hatte, wie er dann in jungen Jahren mit väterlicher Unterstützung in der nächstgelegenen Stadt auch ein Geschäft eröffnen konnte. Es lief gut, er hatte zuverlässige Angestellte, die die Arbeit machten, und inzwischen konnte er es sich leisten, große Teile des Tages in der Synagoge zu verbringen. Auch das hatte er von seinem Vater gelernt, daß man die richtigen Leute eher als im eigenen Geschäft in der Synagoge traf und dort wichtige Kontakte knüpfen konnte. Darin war er seinen Vater bald übertroffen, und der war mächtig stolz auf ihn gewesen.

Darum hatte er auch fest damit gerechnet, das väterliche Geschäft zu erben. Doch genau das war nicht passiert, sondern der Vater hatte alles seinem zweiten Sohn vermacht – ausgerechnet ihm, der seinen Eltern so viel Sorgen und Ärger bereitet hatte. Der einige Jahre ein unstetes Wanderleben geführt, von Gelegenheitsarbeiten gelebt hatte und schließlich mit einer Heidin als Frau zurückgekommen war. Vater hatte ihn im Geschäft angestellt, und dort – das mußte man ihm lassen – hatte er eine gute Figur gemacht, hatte das Geschäft modernisiert und durch die Verwandtschaft seiner Frau das Angebot noch erweitert.

Trotzdem: Der Mann hätte nach dem Tode des Vaters gern die Hälfte des Geschäftes ausgezahlt bekommen; schließlich hatte auch er viel Zeit und Kraft in das Geschäft gesteckt, bevor er sich selbständig machte und während sein Bruder sich in der Weltgeschichte herumtrieb. Und rein rechtlich stand ihm ja auch die Hälfte zu – notfalls wäre das abzuziehen, was der Vater ihm als Startkapital gegeben hatte. Deshalb hatte er nach dem Tod des Vaters seinen Anspruch, seinen Rechtsanspruch angemeldet, sein Bruder hatte sich auf den letzten Willen des Vaters berufen. So war es zum Streit zwischen ihnen gekommen, schließlich zum Zerwürfnis, und nicht einmal ihre Kinder sprachen noch miteinander.

Vor sich selber konnte er zugeben, daß er finanziell auf das Erbe nicht angewiesen war. Aber es stand ihm zu, gehörte ihm also eigentlich – warum sollte er darauf verzichten! Außerdem: Man konnte ja nie genug haben – für den Fall, daß die Zeiten schlechter würden. Ein gutes Geldpolster zu haben, ist ein beruhigendes Gefühl in bewegten Zeiten.

Der Mann erinnerte sich an die Geschichte von dem reichen Getreidebauern, die Jesus ihm erzählt hatte; was war verwerflich am Verhalten des Bauern? Er hatte gut geerntet und freute sich darüber, hatte bestimmt auch sein Erntedankopfer gebracht. Was also hatte er falsch gemacht?

Der Mann hatte plötzlich die Stimme Jesu im Ohr: „Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ Und dann hörte er in der Erinnerung seinen Bruder im Zorn schreien: „Zur Hölle mit dir!“ Jähe Angst durchfuhr ihn, daß ihm etwas zustoßen, daß er plötzlich sterben könnte – und dann hätte er nichts mehr von seinem Wohlstand, dann nützte ihm auch sein Erbe nichts mehr. Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern – galt diese Drohung ihm? Und wer konnte „man“ sein – Gott selbst? Wegelagerer und Straßenräuber? Sein Bruder? Neidische Nachbarn oder unzufriedene Tagelöhner, die er ab und zu beschäftigte? Daß es unter ihnen Unruhestifter gab, die gerechtere Löhne verlangten, war ihm zu Ohren gekommen, und daß viele ihrer Kinder nicht älter als drei, vier Jahre wurden, war ihm bekannt. Aber – war das sein Problem? Er war Geschäftsmann, und das waren Tagelöhner, zwei Welten eben mit eigenen Regeln. Und überhaupt, was würde es an der Not der Tagelöhner ändern, wenn er eine Hand voll von ihnen fest anstellte? Das würde nur andere neidisch und ihn bei seinen Geschäftsfreunden lächerlich machen. Außerdem gab er regelmäßig seine Spende für die Armen und warf jedem Bettler eine kleine Münze vor die Füße. Das war doch wohl genug. Oder?

„Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ klang ihm die Stimme Jesu wieder im Ohr, und sie klang scharf und hart, wollte gar nicht recht zu dem Bild passen, das er sich vor der Begegnung von Jesus gemacht hatte. Wie ja auch die Begegnung völlig anders als erwartet verlaufen war. Als habgierig hatte Jesus ihn hingestellt, als jemanden, dem Geld und Gut mehr wert war als der Familienfriede.

Ein leiser Gedanke durchfuhr ihn, doch er verwarf ihn schnell wieder: Würde er ihm folgen, stünde er als Verlierer da, als jemand, der auf sein Recht verzichtet. Was würden seine Frau, seine Kinder sagen, würden sie ihm nicht berechtigte Vorwürfe machen? Doch der Gedanke wurde immer lauter, und ihm fiel immer mehr ein, was dafür sprach, diesem absonderlichen Gedanken zu folgen. Schließlich gab er dem Gedanken nach und machte sich auf den Weg zu seinem Bruder, um ihm zu sagen: Ich verzichte auf mein Erbe. Laß uns Frieden schließen, wir sind Brüder.

Amen

Paul Kluge, Provinzialpfarrer i. R., Magdeburg
Mail: Paul.Kluge@t-online.de

 


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