Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

15. Sonntag nach Trinitatis, 28. September 2003
Predigt über Matthäus 6, 25-34
, verfaßt von Ulrich Nembach
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Mt. 6, 25-34:
25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?
27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Das biblische Antiprogramm zur modernen Gesellschaft – Gottes Sorglospaket

Liebe Gemeinde,

wie ein Antiprogramm erscheint unser Predigtext, ein Antiprogramm gegen soziale Sicherungssysteme und ein Antiprogramm zu unserer heutigen Wirtschaft.

Wer sorglos lebt, leben soll, der braucht keine soziale Sicherung, weder eine Altersicherung noch eine Krankenversicherung. Damit ist nicht nur die Versicherungswirtschaft betroffen, ja, in ihrem Kern getroffen, das gilt für die Wirtschaft insgesamt. Warum soll ich heute Produktionsstraßen aufbauen, die morgen produzieren? Da müsste ich mir ja Gedanken machen über das Morgen, mich um das Morgen sorgen!

Unser Predigttext ist ein „Sorglosprogramm“, aber ein so ganz anderes, als die Versicherungswirtschaft es anbietet. Diese will, dass wir uns als Verbraucher möglichst vielfältig versichern sollen, um so gegen alle Zufälle geschützt zu sein, z.B. „sorglos reisen“ zu können. Das biblische Angebot ist ebenfalls umfassend. Essen, Trinken, Kleidung – alles umfasst das biblische Sorglospaket. Nur, dafür ist kein Geld zu bezahlen. Das ist in der Tat ein Antiprogramm zu den Angeboten der Versicherungswirtschaft.

I.

Ist dies nicht vielleicht zu optimistisch, zu einfach gedacht – zu einfach gedacht von mir oder gar von der Bibel? Müssen Schülerinnen und Schüler nicht heute lernen für morgen? Nicht für die Schule, sondern für das Leben? Müssen Straßen nicht heute geplant werden für morgen?

Richtig, und doch nicht richtig. Richtig ist, dass die Schule heute für morgen, für die Zukunft besucht werden muss. Aber richtig ist auch, dass der Schulbesuch heute kein sorgloses Leben morgen garantiert. Es fängt schon damit an: Finde ich eine Lehrstelle? Bekomme ich einen Studienplatz in dem gewünschten Fach, denn schließlich habe ich dafür in der Schule gepaukt? Wie geht es dann weiter? Bekomme ich einen guten Job?

Straßen, die heute geplant werden, heute für morgen geplant werden müssen, werden sie zu Orten werden, auf denen Menschen sterben werden? Gut, es muss nicht gleich so schlimm kommen, aber Unfälle wird es geben. Außerdem kostet das Ganze Geld, Geld, das wir nicht haben!

So wenig die als schön, als sorglos, von der Versicherungswerbung darstellte Welt existiert, so wenig sind Schulen, Straßen, Investitionen überhaupt Garanten für eine heile Welt von morgen.

II.

Gehen wir darum einen Schritt weiter, bohren wir tiefer!

Wir brauchen Schulen und Straßen für morgen, auch wenn sie nicht garantieren, nicht garantieren können, dass morgen alles gut und schön sein wird. Die Bibel sieht dieses Problem, aber sie löst es anders als wir. Sie sieht das Problem, aber löst es anders!

Im Neuen Testament wird auf Abraham verwiesen. Der Verweis erfolgt unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt. Wie die Apostelgeschichte erzählt, verhörte der Hohepriester einen verhafteten Christen, Stephan, und dieser sagt: „Der Gott der Herrlichkeit erschien unserem Vater Abraham, als er noch in Mesopotamien war, ehe er in Haran wohnte, und sprach zu ihm: „Geh aus deinem Land und von deiner Verwandtschaft und zieh in das Land, das ich dir zeigen will.“ (Act.7, 2f., s. Gen. 12, 1). Abraham soll jetzt ausziehen, aber er weiß nicht, wohin er ziehen soll. Gott will ihm erst in der Zukunft irgendwann dieses Land zeigen.

Wir würden fragen – und genauso fragten die Menschen zur Zeit des Neuen Testaments und zur Zeit des Alten –: „Ja, wohin soll ich denn ziehen? Ich kann nicht alles einpacken und losgehen. Selbst, wenn ich einfach losginge, müsste ich wissen, in welche Richtung ich gehen soll!“

Andererseits, auch dies gehört zu uns, die Fahrt ins Blaue. Wir steigen in einen Bus und lassen uns von dem Fahrer zu einem uns unbekannten Ort hinfahren. Zugegeben, solche Fahrten unternehmen wir nicht oft. Darum haben sie den Reiz des Außergewöhnlichen, des Exotischen. Deshalb – nicht selten – nur deshalb unternehmen wir eine Fahrt ins Blaue. Wenn wir das zugeben, und wir müssen es zugeben, dann gestehen wir damit ein, dass wir im Grunde genommen immer planen, Vorsorge treffen, Pläne machen für morgen.

Historisch gesehen stimmt das. Tote Ägypter ließen sich einbalsamieren, damit ihr Körper nicht verwest, sondern Dauer gewinnt und auch morgen und übermorgen noch existiert. Umgekehrt lassen heute manche ihre Asche ins Meer streuen, damit morgen niemand ihr Grab zu betreuen braucht, oder weil sie dem Meer nahe sein wollen, das sie sehr lieben. Welche Motive Menschen auch leiten, es geht ihnen immer ums Morgen.

III.

Unser Text enthält in der Tat ein anderes Programm. Die gesamte Bibel folgt einem anderen Konzept. Was Abraham tut – und tun soll –, ist entgegensetzt zu dem, was seine Zeitgenossen tun. Wenn Menschen als Jüngerinnen und Jünger mit Jesus durchs Land ziehen, tun sie etwas, was die meisten ihrer Zeitgenossen nicht tun. Wenn Jesus dazu aufruft, nicht für das Morgen zu sorgen, bietet er einen neuen Weg.

Der Grund dafür wird in unserem Text gesagt. Klar und deutlich erklärt Jesus, warum wir uns nicht um das Morgen sorgen sollen.

30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

„... denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen – nämlich, zu essen, zu trinken, sich zu kleiden – bedürft“ (V. 32).

Der biblische Horizont ist nicht dem Leichtsinn verpflichtet oder zu kurz gedacht. Er hat einen festen Grund, den festesten aller denkbaren Gründe: Gottes Weisheit.

In der lateinischen Übersetzung unseres Textes steht das Wort: „scit“. Das heißt wörtlich übersetzt: Er, Gott, „kennt“ das, was wir brauchen. Der griechische Text sagt, ebenfalls wörtlich übersetzt, dass unser „himmlischer Vater dies alles kennt“, vielleicht etwas freier übersetzt: „überblickt“.

Luther übersetzt mit „weiß“: Gott weiß das alles. „Wissen“ meint kennen und mehr. Wenn ich „Wissen“ habe, dann habe ich etwas erkannt und bin in der Lage, damit umzugehen, weiß, was zu tun ist. Dies ist hier gemeint. Gott übersieht die Lage; er übersieht sie klar und deutlich, und ebenso klar und deutlich weiß er, was jetzt getan werden muss, und schließlich ist er in der Lage, das Gesehene und das zu Tuende auch zu tun. Gott bleibt nicht beim Zuschauen stehen. Er hört auch nicht mit einem schönen Plan auf. Er handelt schließlich.

IV.

Diese drei Aspekte, Sehen, Planen und Handeln, umfasst Gottes Weisheit. Darum können wir auf ihn vertrauen, brauchen uns nicht um das Morgen zu sorgen. Gottes „Sorglospaket“ lässt uns sorglos sein.

Gott sei Dank!

Amen.

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach
ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de


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