Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

12. Sonntag nach Trinitatis, 7. September 2003
Predigt über Markus 7, 31-37, verfaßt von Jan Ulrik Dyrkjøb (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Laßt uns an zwei Dinge denken, ein Ereignis, eine einfaches Ereignis, und eine Aussage, eine kurze und einfache Aussage!

Das erste ist das Ereignis, von dem wir eben gehört haben. Das findet zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort statt.

Da kommt ein Mann. Er kommt zum galiläischen Meer - oder dem See Genezareth, wie er auch heißt. Er war außerhalb Galiläas gewesen. Er war unter den Heiden gewesen. Und nun kommt er zurück zu seiner Gegend.

Dieser Mann ist bekannt als einer, der heilen kann. Und als er an den See kommt, sind da einige Menschen, die einen Taubstummen zu ihm führen. Das ist ein Mann, der nicht hören kann und dem es schwer fällt zu sprechen.

Das ist nicht nur ein physischer Mangel. Das ist viel mehr. Das wissen wir.

Hören und sprechen können, das ist entscheidend, wenn ein Mensch Gemeinschaft haben können soll mit anderen. Hören und verstehen können, was andere sagen, sprechen können und seine Auffassungen und Meinungen ausdrücken zu können, mit anderen Menschen durch das gesprochene Wort verbunden zu sein, das ist etwas Grundlegendes im Leben. Das gehört zu der Ordnung selbst dazu, wie sie im Leben und in der Welt ist.

Jesus begegnet also wirklich einem Menschen in Not. Das ist die denkbar tiefste Not. Als Jesus den Mann sieht, der zu ihm gebracht wird, da sieht er, wie die grundlegende Ordnung des Schöpfungswerkes selbst zerstört werden kann.

Und Jesus heilt den Taubstummen. Er heilt ihn durch sein Handeln und durch sein Wort. Mit seinen Händen und seinem Speichel und mit seinem Wort rührt Jesus den Taubstummen an. Und die Berührung macht, daß der Taubstumme hören und deutlich und klar sprechen kann.

Dieser Mensch erhält seine Menschlichkeit zurück. Die Ordnung der Schöpfung wird wiederhergestellt. Jesus heilt und richtet wieder auf. Seine Taten und seine Worte schaffen neu.

Die Heilung des Taubstummen geschieht zu einem bestimmten Zeitpunkt. Sie ist nur ein ganz kurzer Augenblick in der langen Geschichte der Menschheit. Sie geschieht an einem bestimmten Ort. Der ist nur eine ganz kleine Stelle in der großen Welt. Sie geschieht einem ganz bestimmten Menschen. Nur einem einzigen unter den unendlichen vielen Menschen, die gelebt haben und noch leben werden.

Das war das eine. Das war ein Ereignis. Etwas, was geschehen ist. Das andere, woran ich denke, ist eine Aussage. Oder nennen wir es Verkündigung. Wir finden die Aussage oder Verkündigung als eine Inschrift. Die Inschrift ist in einen Stein gehauen. Sie steht auf dem Deckstein über dem alten Tor zur großen Omajademoschee in Damaskus.

Die Omajademoschee ist eine der ältesten Moscheen der Welt. Sie wurde am Anfang des 8. Jahrhunderts erbaut, fast hundert Jahre nach dem Tode Mohammeds.

Das war aber kein Neubau, sondern ein Umbau. Mitten in der alten Stadt Damaskus stand vor der Ankunft der Araber eine sehr große Kirche, die Johannes dem Täufer geweiht war. Und einige Jahre, nachdem das Zentrum des Islam von Mekka und Medina in Arabien nach Damaskus in Syrien verlegt worden war, wurde diese Kirche zu einer Moschee umgebaut.

Aber eines der alten Tore blieb erhalten als Teil der Mauer der Moschee, und noch heute kann man die griechische Inschrift über dem Tor lesen. Die Inschrift lautet: "Dein Reich, o Christus, ist ein ewiges Reich, und deine Herrschaft währt durch alle Geschlechter".

Es kam einmal ein Mann aus den heidnischen Gegenden am See Genezareth, und durch die Taten und Worte dieses Mannes konnte ein Taubstummer wieder hören und sprechen.

Der Mann lebte und wirkte nur ganz kurz. Er wurde von seinem eigenen Volk und der Welt verstoßen. Die Herrscher dieser Welt brachten ihn um. Aber er stand auf aus dem Grabe. Er lebte jenseits des Todes. Er wurde gesehen. Er wurde in den Himmel erhoben. Und er erhielt die Herrschaft über den Himmel und die Erde. "Dein Reich, o Christus, ist ein ewiges Reich, und deine Herrschaft währt durch alle Geschlechter".

Seine heilende und neuschaffende Macht, seine heilenden und neuschaffenden Taten und Worte wurden eingesetzt, wo er hinkam. Und so wird es weiter geschehen, solange die Welt besteht, bis alles vollendet und in die ewige Herrlichkeit Gottes eingegangen ist. Alles ist ihm unterstellt, damit Gott schließlich alles in allen werden kann.

Christus ist ewig gegenwärtig. Er ist das ewige Wort Gottes. Er ist die ewige Wahrheit und die ewige Liebe. Er ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit.

Der fromme Moslem stellt sich in dem täglich wiederholten Gebet vor das Angesicht Gottes. "Beuge dich in Anbetung und komme näher zu Gott!" So heißt es in einem der ältesten Abschnitte im Koran. "Richte deine ganze Aufmerksamkeit auf deinen Herrn!" So heißt es an einer anderen Stelle.

Das ist schön und gut. Das ist einfach und großartig und ergreifend. Die Aufforderung ergeht an alle Menschen, und als Christen können wir nicht anders als ihr nachzukommen. Aber als Christen können wir der Aufforderung des Propheten nur in einer ganz bestimmten Weise folgen.

Im zweiten Korintherbrief (nach der dänischen Ordnung Lesung dieses Sonntags) spricht Paulus von der Herrlichkeit des alten Bundes (2. Kor. 3,4-9). Das Gesetz konnte letztlich nichts anderes bewirken als Gericht und Verdammnis und ewigen Tod. Der Mensch konnte durch das Gesetz nicht mit Gott vereint werden. Das Gesetz mußte uns letztlich von Gott trennen. Denn im Gesetz begegnen wir nur der Macht Gottes und der Unerbittlichkeit Gottes.

Und doch war im Gesetz Herrlichkeit. Im Gesetz drückte sich ja die Sorge Gottes für das Leben aus. Und als Moses vom Berg Sinai herabstieg, strahlte sein Angesicht, weil der Herr mit ihm geredet hatte. So lesen wir im zweiten Buch Mose.

Aber die Herrlichkeit entschwand. Und wir sollten eine andere Herrlichkeit sehen. Paulus sagt das etwas später im zweiten Korintherbrief: "Ja, die Herrlichkeit dort ist nimmerdar für Herrlichkeit zu achten gegen die überschwengliche Herrlichkeit hier. Denn wenn das Herrlichkeit hatte, was da aufhört, wieviel mehr wird das Herrlichkeit haben, was da bleibt" (2. Kor. 3,10-11).

So ist es mit allem, was von Gott kommt. Es wird immer größer. Gott überschreitet sich selbst. Gott gibt mehr und mehr. Das wird zu überschwenglicher Herrlichkeit.

Wir haben eine noch größere Herrlichkeit gesehen als die Israeliten. Nicht eine Herrlichkeit in Macht und Pracht. Sondern eine Herrlichkeit dort, wo es eigentlich keine Herrlichkeit geben dürfte. Eine Herrlichkeit in Armut und Niedrigkeit und Machtlosigkeit. Eine Herrlichkeit in dem Menschen, der nichts anderes wollte als heilen und Neues schaffen. Eine Herrlichkeit in dem Menschen, der sich selbst ganz gibt. Eine Herrlichkeit, die uns entgegenleuchtet aus einem finsteren und blutigen Kreuz. "Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit".

Wir beugen uns anbetend und kommen ihm näher, der uns nahe gekommen ist und noch immer nahe kommt. Wir richten unsere ganze Aufmerksamkeit auf ihn. Wir beten zusammen mit ihm und in seinem Namen.

Das Wort, das Jesus zu dem Taubstummen sagt: "Hephata! Tu dich auf!" wurde früher zum Taufkandidaten oder Taufkind als Einleitung zur Taufe gesprochen.

Der Sinn ist ja deutlich. Der Mensch, der getauft werden sollte, sollte hören können, nicht nur hören im Allgemeinen, sondern etwas Bestimmtes hören, nämlich das Wort Gottes. Das Ohr sollte geöffnet werden für das wichtigste aller Worte.

Wir hören Gottes Wort, und der Glaube kommt vom Hören - sagt Paulus. Was heißt das eigentlich, hören, in diesem Sinne?

Das heißt annehmen ohne Vorbehalt, ohne Bedenken, ohne Frage, ohne Abwägung. Das ist für uns moderne Menschen fast undenkbar. Wir haben ja gelernt, Vorbehalte zu machen. Wir haben gelernt, kritische Fragen zu stellen. Wir haben gelernt, Stellung zu nehmen und alles von dem her zu bewerten, was wir hören, ehe wir uns eventuell darauf verlassen und danach handeln.

Aber so kann man das Wort Gottes nicht hören!

Alle wahre Verkündigung beginnt mit diesem: "Höre!" "Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein!" Und das ist ganz einfach und wörtlich zu verstehen:

Höre Jesu Wort! Höre von seinen Taten! Höre von den großen heiligen Ereignissen! Laß die Worte deine Sinne berühren und durch deine Sinne gehen! Laß die Worte dein Herz bewegen! Laß die Worte deine Phantasie nähren und erweitern! Laß die Worte dein Denken leiten! Laß eben diese Worte, die Worte des Evangeliums, das Grundmuster und der Grundrhythmus in deinem Sinnen und Denken, in deinem Tun und deinem Leben sein!

Ohne diese Worte, dieses Muster, diesen Rhythmus wird alles dunkel und unklar und chaotisch. Mit diesem Grundmuster und mit diesem Grundrhythmus erhält alles die allertiefste und stärkste Bedeutung. Du kannst frei leben und atmen, und gleich wie dein Lebensstil sich gestaltet, so wird dies ein Weg zu Gott sein.

Das ist ja das Ziel: Daß wir vor Gottes Angesicht stehen und Gott von Angesicht zu Angesicht sehen sollen. Wir sollen hören und hören, dann können wir schließlich sehen und sehen. Amen.

Pfarrer Jan Ulrik Dyrkjøb
Knud Hjortsøvej 26
DK-3500 Værløse
Tel.: ++ 45 - 44 48 06 04
e-mail: jukd@vaerloesesogn.dk


 


(zurück zum Seitenanfang)